Noch nicht
Ich erwache zögernd. Etwas zwingt mich aus meinen Träumen, die nur widerwillig weichen wollen und wie dunkle Schatten um mich hertanzen.
Allmählich tauche ich auf, fühle den glatten Stoff des Kissens an meiner Wange, Sebastians warme Hand auf meiner Seite und ich frage mich, was mich eigentlich geweckt hat, als die nächste Wehe schon Besitz von mir ergreift. Kraftvoll breitet sie sich über den großen Muskel aus, preßt ihn zielstrebig zusammen und nimmt mir für einen Moment den Atem. Unglaublich, daß man so etwas vergessen kann.
„Heute ist ein wundervoller Tag, um geboren zu werden“, denke ich zu meinem Kind, als die Wehe mich aus ihrer Umklammerung entläßt, und ich streichle meinen Bauch, lächle, richte mich auf, damit die nächste Kontraktion nicht so schmerzhaft wird.
Sebastian schnarcht leise, Celina dreht sich zur Seite und seufzt im Schlaf. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, schlüpfe ich zwischen den beiden aus dem Bett.
Ich schließe die Tür, damit sie nicht aufwachen, will ungestört sein, allein mit mir und dem Kind, und gehe ins Wohnzimmer, um es mir dort gemütlich zu machen. Unterwegs kommt wieder eine Wehe, ich halte mich vornübergebeugt an der Lehne eines Stuhles fest und atme tief und langsam. So heftig. So schnell...
Unschlüssig gehe ich ein wenig auf und ab, weiß nicht recht, wie ich mir die Zeit vertreiben soll. Die nächste Wehe kommt bald und läßt mich wieder innehalten. Ihre Kraft und Stärke läßt mich staunen, und ich brauche einen Moment, um sie als meine eigene zu erkennen. Gelöst fühle ich mich, eine seltsame, feierliche Ruhe ergreift von mir Besitz. Ich hole mir ein Buch aus dem Regal, lege eine CD auf und lasse mich in meinem gemütlichen, häßlichen Sessel nieder.
Ich habe kein Bedürfnis, auf die Uhr zu sehen. Draußen wird es langsam hell und ich schätze die Abstände auf zwei oder drei Minuten. Mir ist es gleich, ich überlasse meinem Körper die Führung, gebe mich hin und versuche, zwischen den Wehen zu lesen, was ich aber bald aufgebe, denn das Buch ist sterbenslangweilig und meine Gedanken kreisen um das Baby und darum, wie lange ich mir meine beiden Süßen werde vom Hals halten können.
Ich beschließe, mir einen Tee zu machen und gehe in die Küche. Der Wasserkocher summt leise, während ich Himbeerblätter in die Glaskanne gebe. Dreimal muß ich innehalten und laut atmen, dann trage ich Kanne und Tasse ins Wohnzimmer zu meinem Sessel, wo ich es mir wieder im Schneidersitz gemütlich mache.
Mein Kater steht vor mir und beobachtet mich, während ich konzentriert den Schmerz veratme. Er sieht aus, als würde er die Stirn runzeln, während er ruhig das Ende der Wehe abwartet. Dann erst springt er auf die Lehne, läßt sich nieder und beginnt mit halbgeschlossenen Augen leise zu schnurren.
Ganz still ist mein Sohn in meinem Bauch. Ich meine, seine Anspannung zu spüren, eine leise Furcht vor dem Unbekannten, Aufregung und Neugier.
Lächelnd streichle ich sein kleines Füßchen durch die Bauchdecke und erzähle mit leiser Stimme von der Welt hier draußen, von seiner großen Schwester und seinem Papa, die sich schon so auf ihn freuen, von weichem Katerfell und von dem blendendweißen Schnee, der die Stadt bedeckt. Ich erzähle von Sonnenstrahlen, von warmer, süßer Milch aus weichen Brüsten, von offenen Armen und liebevoll streichelnden Händen. Sanft drückt er mir seinen winzigen Fuß entgegen, und mein Bauch antwortet mit einer Wehe. Doch die ist nicht so kraftvoll, wie die anderen, fühlt sich weniger entschlossen an.
Nachdenklich nippe ich an meinem Tee, streichle den Kater und warte. Noch eine sanfte Wehe folgt, dann kehrt Ruhe ein.
Lächelnd sehe ich auf Celina herab, die noch genauso daliegt wie vorher, und auf Sebastian, der sich zur Seite gerollt hat.
Ich hebe die Decke an und schlüpfe zu ihnen, schmiege mich ganz nah an ihre warmen, vertrauten Körper. Nichts als Geborgenheit und Liebe fühle ich, als Sebastian seinen Arm um mich legt.