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Nostalgie

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18.06.2001
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Nostalgie

Wie oft war er schon auf jenen grasbewachsenen, weit überschaubaren Hügeln Englands gestanden und hatte den Wind auf seiner Haut gespührt. Hier war er zuhause, in einem alten, etwas verstaubten Schloss im Südwesten des vereinigten Königreiches. Hier hatte seine Familie gelebt, seit unzähligen Generationen. Er hatte wirklich einen bedeutenden Stammbaum und auch wohl einen der ältesten Englands. Schon im Mittelalter waren hier, auf diesem Schloss, seine Vorfahren Herrscher über den Herzogsbereich des "Lord Vallingdor" gewesen. Der Adelstitel hatte sich von Generation zu Generation vererbt. Schliesslich bis zu seinem Vater: Lord Jonathan Vallingdor. Sein Vater hatte damals eine bildhübsche Südländerin geheiratet und zusammen hatten sie in diesem alten Schloss gelebt, in dem er als ihr Sohn aufgewachsen war. Er war das einzige Kind des Lord Jonathan Vallingdor geblieben und so war er auch der alleinige Erbe des Landsitzes.
So spazierte er des öfteren den blassgrünen Hügeln entlang, betrachtete das wolkenverhangene Meer und dachte oft über seine Vorfahren nach. Er selbst war schon im letzten Stadium seines Lebens. Fünfundsiebzig Jahre lang hatte er hier gelebt, hier hatte er seine Ausbildung bekommen, an diesen Ort hatte er unzählige Erinnerungen und hier würde er auch sterben. Nie hatte er geheiratet. Weder ein südlädisches Strassenmädchen, wie seine Mutter eines gewesen war, noch eine gehobene englische Lady. Auch hatte er keine Nachkommen, er war der einzige Vallingdor, der noch unter den Lebenden weilte. Schloss Vallingdor, ein Schmuckstück aus vergangnener Grösse, ein Schimmer aus verblichenem Rum. Einst waren hier Könige empfangen worden und Kinder hatten in den grossen Parkanlagen des Schlosses gespielt. Einst war Leben in diesem Schloss gewesen. Heute war es verlassen, nur wenige Bedienstete arbeiteten für den jetzigen Lord Vallingdor und hielten das Schloss halbwegs auf Vordermann. Wenn er manchmal vor diesem alten Bau stand, der wie ein stetig alternder aber trotzdem aufmerksamer Wächter auf das unruhige Meer hinausblickte, dann versank er tief in Gedanken. Was hatte er getan in seinem Leben? Hinter Bücher und in grossen Schreibzimmer an vergoldeten Schreibtischen hatte er das ruhige Leben zugebracht, das einem Lord zusteht. Nie hatte er das Bedürfnis verspührt, von diesem Schloss wegzuziehen, nie war er abenteuerlustig gewesen. Er war ein ruhiger und gemächlicher Mann. Darüber dachte er nach und mit einem melancholischen Lächeln musste er daran denken, dass er weder eine Frau, noch Kinder gehabt hatte. Der Titel des Lord Vallingdor, der sich über Generationen hinweg vererbt hatte, starb mit ihm. Kein Nachkomme konnte ihn erben. Mit dem Titel starb das Schloss, mit dem Schloss würde auch der letzte Rest vergangener, erfolgreicher Jahre dahingehen. Doch dieses Schloss, das wie ein sterbender Riese in den letzten Strahlen der Abendsonne lag, liess ihn nochmals zurückkehren in die alten Zeiten. Vergangener Ruhm vergblichene Grösse, entschwundener Stolz, sterbende Vergangenheit.

 

Aus Einsamkeit entsteht Nostalgie, es gibt nicht viele Dinge, die näher beieinander liegen. Mit dem Adel kenne ich mich nicht sehr gut aus, aber ich bin mir sicher, dass kein Titel vor den ganz normalen Gefühlen schützt. Deine Geschichte schafft in den wenigen Zeilen einen sehr interessanten Tiefgang. Eigentlich hätte ich gerne mehr über Lord Vallingdor erfahren. Aber eigentlich weiß man selber genug, wie schnell die Vergangenheit stirbt. Der Spiegel der eigenen Unzulänglichkeiten ist kein schöner Spiegel.
Bis dahin

 

Danke für deine Kritik, hat mich sehr gefreut. Den Zusammenhang zwischen der Einsamkeit und der Nostalgie ist mir noch nie so richtig aufgegangen. Auch nicht, als ich die Geschichte geschrieben habe. Danke für diesen wertvollen Denkansatz.
Du hättest ja gerne mehr über Lord Vallingdor erfahren. Ich finde, es besser, wenn man nicht zu viel über ihn weiss. Ich gebe nur die Eckdaten seiner Persöhnlichkeit, der Rest ist dem Leser freigestellt. Innerhalb dieser Eckdaten kann sich der Leser seinen Lord Vallingdor selber vorstellen. Das finde ich auch das schöne am Schreiben, beziehungsweise am Lesen. Man kann sich selber ein Bild ausmahlen.
Gruss
Foxtown

 

Hast ja recht, je weniger man weiß, desto größer der Spielraum für die Phantasie, aber neugierig hat's schon gemacht ;)

Bin kein Adel, auch nicht frei von Tadel :rolleyes:

Bis denne

 

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