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Nummer 17
Nummer 17
Am Ende sind es die Kopfschmerzen, die ihn endgültig aufwachen lassen. Schon eine ganze Weile hat er sich auf dem großen Boxspringbett im Grenzbereich von Traum und Wirklichkeit hin und her gewälzt. Aber nun hämmern die Kopfschmerzen ihn endgültig zurück in die Realität.
Es wird ein beschissener Tag, so viel ist klar. Mit etwas Pech würde sich die Migräne bis zum Abend halten. Wie schlecht der Tag wirklich wird, ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Den Kopfschmerzen nach zu urteilen, muss der letzte Abend feucht-fröhlich gewesen sein, aber er kann sich an absolut nichts erinnern. Er greift mit der Hand neben sich, aber die andere Seite des Bettes ist leer. Das ist ungewöhnlich. Wenn er Kopfschmerzen hat, ist das Bett meistens belegt.
“Der Kaffee ist fertig”! Die Stimme ist zart und glockenhell. Sie kommt aus der Küche. Und sie ist weiblich. Nun ist Patrick richtig wach. Irgendwas läuft falsch. Die Sache mit dem ‚Frühstück danach‘ ist doch immer sein Job. Nicht weil er ein Frühaufsteher ist, Gott bewahre, sondern weil… ja warum eigentlich? Weil nichts kaputt gehen darf in der teuren Hightech-Küche, genau!
Er schlägt die Decke zur Seite, reckt sich seufzend und steht auf. Wie kann man nur von zwei Flaschen St. Emilion Grand Cru einen so schweren Kopf bekommen? Oder waren es drei?
“Ich komme”, krächzt er und greift nach dem schwarzen Pushup Ripp Slip, der auf dem Boden liegt. Wieso ist er nackt? Und wie hieß sie noch gleich? Astrid? Adelheid? Irgendwas mit A…
Er stolpert in den hellweißen Flur, der von der Morgensonne durch die gläsernen Oberlichter des Bungalows goldgelb geflutet wird. Das helle Licht verstärkt den Kopfschmerz und er massiert sich blinzelnd die Stirn. Rechts auf der langgestreckten, korallenfarbigen Dielenkommode stehen in schwarzen Rahmen Bilder von Maren, die er erst gestern Nachmittag dort aufgestellt hat.
Rechts dahinter geht es runter in den temperaturüberwachten Weinkeller. Ist am Ende nicht auch ein Chateau Lafitte-Rothschild dabei gewesen? Egal, jetzt braucht er erst mal einen Kaffee.
Er tritt schwankend in die glänzende sterlinggraue Designerküche. Sie sitzt im schwarzen Negligé mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem hohen Lederhocker am Küchentresen, hält eine Kaffeetasse in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand und lächelt ihn an. Ihre langen schwarzen Haare umrahmen ihr attraktives Gesicht.
Das schwarze, nur an wenigen Stellen undurchsichtige Negligé hat vorne einen großen goldenen Knopf. Der Knopf steht offen. Nachlässigkeit oder Einladung? Er fühlt sich plötzlich unwohl, nur mit dem Slip bekleidet und mit seinem Bauch, den er so offen sichtbar darüber vor sich herträgt. Er hätte besser den weißen Bademantel angezogen, der im Flur vor dem Bad hängt.
“Aspirin steht schon da”, sagt die Küchenfee und weist mit der Zigarette auf die andere Seite des Tischs, wo neben einer Kaffeetasse ein Glas mit einer sprudelnden Flüssigkeit steht. Er starrt auf den offenen Spalt des Négligés, der sich mit den Bewegungen öffnet und schließt.
Anna! Sie heißt Anna!
Patrick erinnert sich plötzlich und fühlt sich gleich sicherer. Gierig greift er nach dem kalten Glas und stürzt die prickelnde Flüssigkeit herunter.
“Du, du kannst hier nicht rauchen”, sagt er und wischt sich den Mund ab.
“Aber es ist doch dein Haus und du könntest es mir erlauben?”, entgegnet sie, immer noch lächelnd. Es ist eher eine Feststellung als eine Frage.
Er hat schon eine heftige Antwort auf der Zunge, besinnt sich aber mit Blick auf den goldenen Knopf eines anderen.
“Ich meine ja nur”, rudert er zurück. “Riecht halt nicht so gut.”
Eine Minute sitzen sie sich schweigend gegenüber.
“Du, wegen gestern Abend”, sagt er und schaut sie verständnisheischend an.
“Ich heiße Anna.“
“Weiß ich doch, Anna. Also gestern…”
“Es war ein wunderbarer Abend”, unterbricht sie ihn, ohne damit auf seine nicht direkt gestellte Frage zu antworten, ob sie nun was miteinander hatten oder nicht.
"Wirklich interessant", fährt sie fort. "Die Geschichte, wie ihr durch den Rotweinimport zu Geld und dieser tollen Villa gekommen seid. Und dann Marens tragischer Tod vor zwei Jahren."
Sie schüttelt traurig den Kopf. "Es muss furchtbar für dich gewesen sein."
Er versucht pathetisch zu klingen. "Ja, es war die schwerste Zeit meines Lebens."
"Lass uns rübergehen ins Wohnzimmer", wechselt er nach einer kurzen Gedenkpause das Thema. „Da haben wir einen besseren Ausblick auf den See und können den Morgen und die Sonne genießen.“
‚Und da meine Kopfschmerzen schon langsam besser werden', denkt er, ‚können wir das machen, wozu du überhaupt hier bist.‘
Er steht auf, nimmt seine Tasse und geht über die glänzenden Marmorfließen barfuß voraus ins Wohnzimmer. Der riesige Raum mit der nach Osten gerichteten Fensterfront wird von der Morgensonne in helles Licht getaucht. Rechts an der Wand hängt ein zwei mal drei Meter Druck von Marc Porter, einem amerikanischem Todestraktinsassen. ‘Skyline’ heißt es, eine limitierte Edition.
Es ist eine düstere Prophezeiung mit dunklen Wolken und Blitzen, die aus einem elektrischen Stuhl herausschlagen. Er findet das Bild völlig geschmacklos, genauso wie die anderen kostspieligen Liebhabereien von Marisa von Hohenstein. Außerdem hat er ganz vergessen, ‘Skyline’ gegen ein Bild von Maren auf Norderney auszutauschen. Aber das ist nun auch egal.
Er wendet sich nach links und genießt den Anblick der schneeweißen Ledermöbel, der hellen Regale und der makellos glatten Feinputzwände in dem riesigen Raum. Es ist ein Traum in Weiß, der ihn beim Betreten jedes Mal erfrischt. Vorsichtig nimmt er den Weg über den riesigen aserbaidschanischen Ardebil-Teppich.
‚Perserteppiche sind out‘, hört er in Gedanken Marisas piepsige Stimme. ‚Die hat doch heute jeder. Unser neuer Ardebil ist aus Öko-Baumwolle. Haben wir bei unserem letzten Asientrip in Auftrag gegeben. Thorsten kennt sich aus mit Teppichen, nicht wahr Thorsten? Sechs Monate haben Thorsten und ich drauf gewartet. Und seit letzter Woche ist er endlich da. Perfekt für unseren Salon, verträgt nur keine Flecken, der Gute. Seitdem trinke ich mit Thorsten unseren Chateau Lafitte immer in der Küche. Dort schmeckt er genauso gut, nicht wahr Thorsten?‘
Patrick schüttelt innerlich den Kopf. Wie ihn dieses dumme Geschwätz anwidert. Aber die Wohnung in dem Haus, auf das er aufpassen soll, ist einfach fantastisch. So hat alles im Leben seinen Preis.
Froh, den Kaffee ohne einen Tropfen zu verschütten bis ans Fenster gebracht zu haben, bleibt er vor der bis zum Boden reichenden Glasscheibe stehen. Von hier hat man freien Blick auf den Waldsee und die andere Seite des Villenviertels.
Anna ist ihm gefolgt.
“Und? Wie geht es meinem Süßen?” flüstert sie in sein Ohr, während sie von hinten an ihn herantritt und ihre Arme um ihn schlingt.
Sie ist wirklich ein braves Mädchen. Sie hat verstanden, was nun ansteht.
Patrick will grade seinen Standardspruch ‚Bei mir steht‘s gut‘ loslassen, als ihm plötzlich schwindelig wird. Schweiß bricht ihm aus und er schiebt die zarte Hand beiseite, die auf seinem Po ruht.
“Halt mal den Kaffee, Baby”, stößt er hervor und reicht ihr die Tasse. “Mir ist gar nicht gut”
Schwer atmend wankt er zum Sofa und lässt sich auf das weiße Leder fallen.
“Oh là là ” seufzt Anna. “Mein armer Junge. Was ist denn nur los mit ihm?”
Sie tritt auf ihn zu und hält ihm die Tasse entgegen. “Nimm noch einen Schluck Kaffee, das hilft.”
Ihre Hand zittert. “Mein Gott”, ruft sie, “jetzt habe ich wieder diesen Tremor.”
Er macht eine beschwichtigende Handbewegung und stöhnt: “Um Gottes willen, pass bloß auf mit dem Teppich!”
Aber es ist zu spät. Die Tasse mit dem Cappucino rutscht über den Rand der Untertasse, fällt mit einem sanften ‘Plopp’ auf den Zwanzigtausend-Euro-Teppich und hinterlässt dort einen hässlichen braunen Fleck.
“Hey, du blöde Schlampe” schreit er und versucht aufzustehen, fällt aber sofort wieder zurück auf die Couch.
Anna lächelt. “So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Brauner Kaffee macht sich doch ganz gut zwischen den beigen Tönen.”
Patrick Gesichtsfarbe wechselt von bleich auf rot.
“Das… das geht nicht”, krächzt er, von Krämpfen geschüttelt. “Du kannst doch nicht meinen…”
“Deinen was?” fragt sie und setzt sich neben ihn auf die Couch. “Das gehört dir doch alles gar nicht. Weder der Teppich noch die Küche. Die ganze Wohnung nicht!”
“So ein Quatsch”, keucht Patrick, “woher willst du…?”
“Während du letzte Nacht Rotwein für 200 Euro ausgeschwitzt hast, hab' ich mal in dein Portemonnaie geschaut. Aber da war ja leider nicht viel zu holen. In deinem Ausweis stand, dass du eigentlich in der kleinen Hinterhof-Wohnung nebenan wohnst. Dort habe mich ein wenig umgesehen, dein Schlüsselbund lag ja auf dem Nachttisch. Wollte mal wissen, was du so treibst in deiner Freizeit, wenn du nicht grade auf Nachbars Wohnung aufpasst. Jede Menge Kontaktanzeigen. Und immer wieder die Nummer mit dem reichen, leidenschaftlichen Witwer. War übrigens alles ziemlich unordentlich bei dir, da habe ich gleich mal ein wenig aufgeräumt. Auch auf deinem Konto. Die Zugangspins klebten ja gleich am Monitor. Er ist aber auch so was von unvernünftig, mein Kleiner."
"Was… was redest du da?"
Sie wedelt mit dem Ausdruck einer Dating Website und liest vor: "Gutaussehender Mittdreißiger mit Villa im Grünen, Nichtraucher, 186 Zentimeter, verwitwet, sucht einen leidenschaftlichen Neuanfang für sein Leben. Geld kann doch nicht alles sein. Welche zärtliche Frau hilft mir, den Schmerz zu überwinden? Nun sag schon, wie viele hast du mit der Nummer ins Bett gekriegt?"
"Nein…" stöhnt Patrick, "es ist nicht so wie du denkst."
"Dann sag ich es dir: 16. Es waren genau 16. Du hast ja jedes einzelne Treffen ausführlich mit heimlichen Fotos dokumentiert, du schmieriger Voyeur, und einige von meinen Vorgängerinnen mit den Fotos erpresst. Ich sollte dann wohl die Nummer 17 werden. Gar nicht nett!"
Sie streicht ihm mit einem Taschentuch über die schweißnasse Stirn. "Was machen wir denn jetzt mit unserem kleinen Casanova? Heute kommen die von Hohensteins wieder, nicht wahr? Und bis dahin muss hier alles picobello sein. Du bist schließlich der Aufpasser für diesen Pracht-Palast mit dem tollen Teppich aus Usbekistan."
Patrick wimmert, hält beide Hände vor seinen krampfgeschüttelten Bauch und rutscht langsam vom Sofa auf den Teppich. Anna schiebt den Tisch beiseite und macht ihm Platz.
"So", sagt sie in fürsorglichem Ton, "hier kann er eine Weile liegen bleiben. Gleich kommt Hilfe."
Scheinbar ratlos kaut sie auf ihrem Fingernagel. "Was wollte ich noch gleich...?"
Dann geht sie zielstrebig in die Küche und kommt mit einer halbvollen Flasche Chateau Lafitte zurück.
„Den hast du gar nicht ausgetrunken“, ruft sie, schaut auf Patrick hinab, der sich keuchend von einer Seite auf die andere dreht und leert die Flasche über dem Körper aus.
"Sehr zum Wohl, der Herr!"
Einen Moment noch schaut Anna versonnen zu der zusammengekrümmten Gestalt auf dem Teppich, dann geht sie ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Wenige Minuten später tritt sie mit einer unauffälligen Jeans, brauner Lederjacke und weißen Turnschuhen bekleidet wieder ins Wohnzimmer. In der rechten Hand hält sie einen schwarzen Samsonite Koffer.
"Das nenn ich Beute", murmelt sie. "Zwei Notebooks, ein Viertel Pfund Goldschmuck, Bargeld, zwei alte Radierungen, antikes Silberbesteck, eine Kreditkarte und ein paar sehr alte Flaschen besten Bordeaux. Und einer geilen Drecksau eine Lektion erteilt"
Im Hinausgehen wirft sie einen Blick auf Patrick.
"Falls du noch wach bist", ruft sie. "Ich fürchte, ich habe aus Versehen ein starkes Schlafmittel und ein sehr starkes Abführmittel in dein Aspirin getan. Oder war es umgekehrt? Ich weiß nicht mehr genau. Aber gleich kommt ja Hilfe. Die von Hohensteins sind in zwei bis drei Stunden wieder zurück."
Vom Teppich antwortet ein tiefes Grunzen.
Sie wirft noch einen prüfenden Blick in den Raum und geht dann mit dem Koffer in der Hand zur Haustür. Sie setzt sich eine Mütze und eine Sonnenbrille auf, öffnet die Haustür, tritt in den sonnenhellen Morgen hinaus und zieht die Tür leise hinter sich zu.
Anna, die gar nicht Anna heißt, und sich öfter mit fremden Männern trifft, lächelt und schaut auf den Koffer. 'Ein guter Fang!' denkt sie, 'Nummer fünfundzwanzig ist wirklich ein guter Fang!'