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Nur ein Schuss
Nur ein Schuss
Prolog
Ich brauche nur einen Schuss. Das ist mein Talent. Das ist mein Job. Das ist mein Auftrag. Nur ein Schuss. Sauber und schnell. Keine Fragen. Kein Gewissen. Alle hielten sich daran. Ich halte mich daran. Ich bin der beste.
Der Auftrag
Schweißgebadet lag ich auf meinem Bett und starrte nach oben. Goldener Brokat auf samtigem Grün mischte sich mit herausgebrochenem Mörtel und dem darunter hervorscheinenden Beton. Große, feuchte Flecken setzten sich dunkel in den Ecken ab. Irgendwo hatte sich Wasser einen Weg durch die Decke gebahnt und sammelte sich platschend in einer Ecke des Raumes.
Ich kannte diesen Anblick. Heruntergekommene Hotelzimmer waren seit Jahren mein Zuhause. Dieses reihte sich nahtlos ein, in die Abfolge von billigen Absteigen und Abrisshäusern, die mir ein Dach über dem Kopf boten.
Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir die Zeit. Zwei Uhr zweiundfünfzig – T minus vier Stunden und achtunddreißig Minuten.
Geschlafen hatte ich nicht. Schlaf war nur noch die blasse Erinnerung eines Wortes. Ich schlief nie. Ich wagte es nicht. Denn die Zeit zwischen dem Wachsein war angefüllt mit grausamen Bildern – von ihr.
Erinnerungsfetzen, die am eigenen Selbst nagen, zunächst nur leise - einem Flüstern gleich, doch schließlich mit einem abartigen Crescendo über die Seele hereinbrechen.
Ich stand auf. Im kalten Neonlicht der Straße, das die Schatten der zerbrochenen Fenster auf die Dielen warf, glänzten große Pfützen, die sich in ausgefransten Löchern auf dem Boden sammelten. Die gläsernen Reste waren von filigranen Eisblumen überzogen.
Im Powerbook, das gerade noch auf dem Nachttisch zu meiner linken schlummerte, rührte sich Leben, als das Display nach oben fuhr. Eine verschlüsselte Verbindung zeigte Lagepläne, Positionen und entsprechende Ankunftszeiten. Das Ziel würde markiert sein. Nachwenigen Minuten verstummte das Gerät.
Vor den Fenstern glitzerte die Skyline der Stadt verheißungsvoll und gaukelte dem Betrachter ein Leben mit unbegrenzten Möglichkeiten vor. Riesige Kathedralen aus Stahl und Glas spieen ihr unnatürliches Licht gen Himmel, als huldigten sie dem Gott des Kapitalismus.
Kalter Wind umfing mich, als ein dunkler Gleiter ohne Kennung auf der Straße landete. Schwarz verhüllte Gestalten stiegen aus und lenkten ihre Schritte zielgerichtet auf den Eingang meines Apartments. Es wurde Zeit zu gehen.
Mit routinierten Handgriffen zog ich meinen Aktenkoffer unter dem Bett hervor und nahm das Powerbook vom verfallenen Nachttisch. Das Foto von ihr steckte ich in eine der Brusttaschen.
Das Zimmer war schnell durchquert. Die Tür einen Spalt weit aufgezogen gewährte einen flüchtigen Blick in den dahinter liegenden Gang. Schreie schallten die kahlen Wände entlang. Schüsse beendeten sie. Die verhüllten Gestalten waren wohl auf die Obdachlosen im Treppenhaus gestoßen.
Ich schlüpfte durch den Spalt. Mein Ziel war die rostige Feuertreppe am Ende des Flurs. Ein kurzer Sprint. Das Fenster ließ sich nahezu geräuschlos öffnen. Dafür hatte ich gesorgt. Ein kurzer Blick prüfte die Umgebung.
Am unteren Ende stand einer meiner Verfolger. Zu seinem Pech galt seine Aufmerksamkeit mehr der Zigarette, die er sich gerade ansteckte. Ich schwang mich heraus und rutschte, ohne ein Geräusch zu verursachen, die wenigen Etagen an der Leiter herunter.
Eine reichliche Armlänge hinter ihm berührte ich den Boden. Im Bruchteil einer Sekunde richtete ich mich auf und zog mein Messer mit der Rechten über die Haut seiner Kehle. Die Linke über seinem Mund verhinderte jeden Schrei. Mit schmerzverzerrte Fratze gab er seine letzten gurgelnden Laute von sich. Dann verließ das Leben seine Augen und der Körper sank vor meinen Füßen sich zusammen.
Ich sah mich um. Keine Seele war zu sehen. Der Hinterhof des Gebäudes würde das Grab des Vermummten werden.
Ruhige Schritte trugen mich zur anderen Straßenseite. Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie die Strahlen von Taschenlampen jeden Winkel meiner ehemaligen Behausung durchsuchten.
Ein Druck auf den Auslöser des Fernzünders beendete das Schauspiel, indem er die entsprechend platzierte Granate detonieren ließ. Die folgende Explosion riss die traurigen Reste der Etagenfenster aus der Fassade.
Menschenleer raste die Schwebebahn über die eingestürzten Dächer der Slums, die sich tief in den Straßenschluchten zwischen riesigen, glänzenden Hochhäusern eingegraben hatten. Wie ein schwarzes Krebsgeschwür nagend an goldenem Fleisch.
Ich drehte das Bild von ihr zwischen meinen Fingern, starrte es an, verlor wieder den Blick darauf. Ihre langen, dunklen Haare, wie sie ihr Gesicht umspielen. Es erzeugte ein angenehm warmes Gefühl. Ein Gedankenfetzen sticht unangenehm dazwischen. Immer, wenn ich das Foto ansehe: ’Was hätte aus uns werden können?’. Und immer gepaart mit dem Anblick des brennenden Gleiterwracks, das ihr Leben beendete.
Die Bahn verlor an Geschwindigkeit. Wie ein riesiger Rachen tat sich vor mir die Einfahrt der Haltestation auf. Dunkelheit umfing mich, als die Bahn direkt hinein stürzte. Nur das unstete Flackern der spärlichen Wagonbeleuchtung spendete ein unruhiges Licht.
Das Gefährt hielt abrupt an. Zischend öffneten sich die Türen. Ich nahm meinen Aktenkoffer und stieg aus. Ein Blick auf meine Armbanduhr - T minus zehn Minuten. Es würde genug Zeit bleiben.
Mein Weg führte durch die leere Wartehalle. Eisiger Wind wirbelte einen Stapel alter Zeitungen auf. Die einzelnen Seiten türmten sich zu einer Barriere zwischen mir und dem Treppenaufgang als würde etwas versuchen, mich von meinem Ziel abzubringen. Mit einem Handstreich fegte ich die Warnung bei Seite. Die offenen Fahrstuhltüren am Ende der Halle hingegen, schienen nur auf mich zu warten. Ich stieg ein.
Als die Fahrstuhltüren sich öffneten riss ein Orkan an meinem Mantel. Ich kämpfte mich ins Freie. Das Dach war winzig. Nicht mehr als ein Fenstersims im Vergleich zur gewaltigen Höhe des Gebäudes. Unter mir schien die Fassade in einen bodenlosen Abgrund abzufallen. Über mir türmten sich weitere hundert Meter Stahl, Beton und Plastik zu einem gewaltigen, künstlichen Gipfel auf.
Ein letzter Blick auf die Uhr. Es wurde Zeit. Sorgfältige legte ich den Koffer auf den Beton. Die richtige Eingabe am Zahlenschloss gab seinen Inhalt preis.
Ich griff nach dem kalten Stahl und setzte die Teile routiniert zusammen wie ein virtuoser Violinist vor seinem größten Konzert. Gleichsam einem mattglänzenden Phallussymbol ragte die elegante Waffe vor mir in der Morgensonne auf. Doch brachte es kein Leben. Nur den Tod.
Ich visierte den Zielbereich an. Noch war nichts zu sehen. Langsam verrannten die Sekunden. Plötzlich wurde der Platz mit Leben erfüllt.
Ein Pulk gepanzerter Gleiter hielt vor dem Gebäude gegenüber. Die Türen wurden geöffnet. Das Ziel stieg aus. Wie versprochen markierte der kleine Sender unter dem Mantelkragen die Person als solches.
Mein Herz schlug schneller, pumpte Adrenalin in meine Glieder. Volle Konzentration.
Ich die lud Waffe durch. Stellte das Zielsystem ein. Maximale Vergrößerung.
Sekunden wurden zu Ewigkeiten.
Ich hielt den Atem an. Mein Finger gekrümmt am Abzug. Entsichern!
Zielperson im Zielbereich. Aktion ausführen!
Nur ein Schuss.
Ich sah Ihr Gesicht.
Ein Schock!
Sie!
Wie in Trance blickte ich auf. Wie konnte das sein? Erneut visierte ich das Ziel an, darauf hoffend einem Irrtum unterlegen zu sein.
Wieder sah ich ihr Gesicht. Kein Zweifel!
Meine Gedanken rasten. Was nun? Durch das Zielvisier verfolgte ich ihren Weg über den Vorplatz zum Eingang des Gebäudes.
Wieder krümmte ich den Finger am Abzug der Waffe. Meine Hand zitterte. Das erste Mal in meinem Leben. Bilder längst vergangener Tage rasten durch meinen Kopf, vermischten sich mit der Realität, hinterließen tiefe Schneisen der Unsicherheit.
Ich zögerte zu lang.
Ein erneuter Blick durch das Zielsystem zeigte mir nur noch, wie sich die Eingangstür hinter ihr schloss. Zu spät!
Ich stand auf, zerlegte die Waffe, verstaute die Reste im Koffer. Ein letztes Mal schaute ich mich um. Erst jetzt bemerkte ich den kleinen, roten Fleck, der wild auf meiner Brust hin und her tanzte. Ein Ballet des Schreckens. Einen Wimpernschlag lang hörte ich das hässliche Pfeifen des Hochgeschwindigkeitsgeschosses.
Nur ein Schuss.
Eine riesige Faust zerreißt meinen Brustkorb und schleudert meine Überreste zu Boden. Das Atmen fällt mir schwer. Dunkelheit umhüllt mich. Ich spüre wie die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne mein Gesicht liebkosen. Mit aller Kraft klammere ich mich an einen letzten Gedanken.
Sie!
Epilog
Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich frei. Als ich den Finger langsam vom Abzug löse, merke ich wie ein eisiges Lächeln meine Mundwinkel umspielt. Seine Pensionierung war bereits eine beschlossene Entscheidung des Vorstands gewesen. Sein Zögern nur eine Formsache.
Das rege Treiben einige Meter unter mir zeugt davon, dass mein Auftrag abgeschlossen ist. Der Schüler tritt aus dem Schatten des Meisters. Jetzt würde ich der Beste sein.