- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Pandora
Pandora (2. Version)
Über der einsamen Bergsiedlung Carbonek lag das Forschungslabor, von Bäumen und Dickicht umgeben, nahezu unsichtbar am Hang.
Der Transrapid sauste mit enormer Geschwindigkeit an der dunklen Landschaft vorbei. Der Himmel hatte sich längst schwarz gefärbt und es begann zu regnen. Vereinzelte Tropfen trommelten an die Scheibe.
Clayton Reyno interessierte sich nicht dafür. Er saß in einem leeren Zugabteil und las die Tageszeitung.
"Nichts Neues heute.", grummelte er vor sich hin. Er war ein Nachtmuffel, genauso wie sein Vater; das hatte Mutter ihm früher immer gesagt. Er würde alle Frauen vor ihm verschrecken, hatte sie gesagt, doch er wollte daran gar nichts ändern.
Endstation - der Transrapid hielt an und die Türen des Abteils sprangen auf. Clayton steckte die Zeitung in den Müllschlucker neben der Tür, der sie sofort aufsaugte und mit einem Glucksen auflöste.
Er verließ den Zug und ging mäßigen Schrittes durch den kleinen, gemütlich anmutenden Bahnhof, mit der alten Bahnhofsuhr, die ihn früher sehr interessiert hatte, denn es war die einzige Uhr, die noch Zeiger besaß. Ein letzter Zeitzeuge, dachte er. Doch dafür blieb ihm heute keine Zeit. Clayton lief die Treppe hinunter.
Mit seinen 52 Jahren war Clayton noch ein richtiger Jungspund, noch immer ledig und sehr versiert in seinem Fach, der höhreren Physik. Seine Schläfen waren leicht angegraut, verliehen ihm aber ein gewisses Etwas, um das ihn die meisten seiner männlichen Kollegen beneideten. Behende schlurfte Clayton durch den Regen zum Labor hinüber; er wurde etwas nass, aber daran störte er sich nicht.
Die Erkennungsoftware ließ die Türen vor ihm auseinander, und hinter ihm wieder zusammengleiten.
In dem grauen Bunker in dem er sich nun befand saß hinter einer Reihe von Monitoren versteckt der Nachtwächter.
"Mr. Reyno.", grüßte er freundlich, ein altmodisches Buch in der Hand.
Menschliches Aufsichtspersonal war in den meisten Orten schon vor einiger Zeit wegrationalisiert worden, doch Clayton vertrat die Meinung, wie seine Vorgesetzten auch, dass man für so einen Beruf nur Menschen einstellen könne.
"Hallo.", raunzte er zurück. Es war nicht böse gemeint, aber so war er nun einmal - um diese Uhrzeit etwas unliebsam.
"Ist Susanne schon da?" Susanne war seit jeher Claytons Partnerin in seiner Forschungsarbeit, eine junge Frau, dunkelblond, hübsch und hochqualifiziert, wie er fand. Sie hatte ein enormes Fachwissen, das er stets bewundert hatte.
"Ja, sie arbeitet schon. Ach übrigens: Mr. Yu wartet auf sie - schon über eine Stunde lang." Der Nachtwächter klang nun aufgebracht.
"Es geht um etwas sehr wichtiges- ich glaube um die Finanzierung ihres neuen Projektes."
Clayton war mit einem Mal hellwach.
"Ich habe ihm gesagt, dass sie erst gegen elf kommen, aber-"
"Danke Harry; er ist in der Beobachtungslounge, nehme ich an?"
Clayton wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging sofort den Gang entlang auf das Zimmer zu.
Chi Yu stand am Fenster. Er trug einen hellen, perfekt geschnittenen Anzug, einen seidenen Mantel über die Schultern gelegt und war auf seinen silbernen Gehstock gestützt. Er hat Geschmack, dachte Clayton, das muss man ihm lassen.
Yu schien sein bläuliches Spiegelbild an der Scheibe zu betrachten, in Wirklichkeit sah er aber hindurch - Er musterte Carbonek, das im Tal lag.
"Reyno.", sagte Yu, ohne sich umzudrehen. Blitze zuckten in der pechschwarzen Umgebung.
"Seit über sechs Monaten stecke ich mein Geld in ihre „Forschungen", begann Yu seine Rede. Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. "Nun ist es Zeit, dass ich Ergebnisse sehe."
"Nicht mehr lange, Mr. Yu und wir werden ein volles Spektrum von alternativen Ener-"
"Kommen sie mir nicht damit, Reyno." Yu drehte er sich herum und sah in Claytons Augen.
"Sie wissen was ich möchte." Dann drehte er sich zurück und beobachtete wieder das Naturschauspiel. Die schwarzen Nadelholzbäume bäumten sich gegen den Wind auf und immer wieder blitzte es.
"Es könnte der Schlüssel zur Erlösung der Menschheit sein!", dabei wurde Clayton laut.
"Hier in Carbonek! Wir könnten es schaffen, es könnte eine neue Weltordnung-"
Yu unterbrach ihn abrupt: "Menschen töten Menschen, Reyno- sie wissen das! Sie haben es gesehen." Bilder überschwemmten Claytons Bewusstsein. Bilder des Krieges. Eines Krieges der Unabhängigkeit. Chi Yu erinnerte ihn an seine Jugend, an Dinge, die er besser vergessen wollte. "Diese Zeiten sind vorbei."
Yu trat an ihn heran. "Nein, das sind sie nicht. Ich finanziere ihr Projekt- Sie werden es fortsetzen, wie ich es im Sinn habe. Geben sie mir, was ich verlange. Bitte keine Ausflüchte mehr."
Die letzten sechs Monate hatte Clayton mit Susanne an Pandora gearbeitet. Das Projekt war abgeschlossen. Sie hatten einen Sonnenreaktor gebaut, einen Reaktor, der einmal in Gang gesetzt dazu in der Lage war immer weiter Energie zu fördern. Wie eine Sonne. Das Problem, den Reaktor in seinen Grenzen zu halten, hatten sie schon vor einiger Zeit gelöst. Die Feldschwingungen waren ausgeglichen.
Doch das war es nicht, was Yu damit im Sinn hatte. Das war es nicht, wofür er sein Geld gestiftet hatte, und das war es auch nicht, was das Forschungsprojekt so besonders machte.
"In zwölf Stunden, werde ich wieder kommen." Yu schritt verärgert aus der Beobachtungslaunch und verließ die Forschungseinrichtung.
Clayton Reyno war bestürzt. Sein schlechtes Gewissen, das er wochenlang effektiv unterdrück hatte, meldete sich nun zurück.
Er betrat das Labor direkt und ging auf Susanne zu. Sie stand vor dem riesigen Reaktor und blickte in die Höhe. Dann drehte sie sich zu ihm um.
"Guten Morgen.", sagte Susanne. Sie war so hübsch wie immer, dachte er jetzt. Vielleicht hätte er sie besser kennen lernen können als in den letzten sechs Wochen.
"So gut ist dieser Morgen leider nicht.", begann er. "Warum haben wir das nur getan, Susanne? Warum habe ich das nur getan?" Claytons Aufregung war ehrlich.
"Wir brauchten die finanzielle Unterstützung, Clay! Ohne ihn wäre es nie soweit gekommen. Aber nun haben wir es geschafft."
Sie betätigte das Eingabefeld. "Wir beziehen Energie praktisch gesehen aus dem Nichts."
"In zwölf Stunden wird er zurückkehren, Susanne. Er wird seine Waffe haben wollen." Clayton lief zögernd durch den Raum. "Ich habe Dinge gesehen, die ich nicht sehen wollte. Ich will nicht, dass sich so etwas wiederholt. Unsere Arbeit darf nicht für seine Zwecke missbraucht werden. Lieber beende ich es jetzt und hier."
Harris konnte ein Schnarchen kaum unterdrücken. Er hatte seine Beine hochgelegt und die Augen fest geschlossen. Das Buch lag ihm auf dem leicht rundlichen Bauch.
Plötzlich durchstieß das Schrillen der Alarmsirene die Luft. Er schrak auf und ließ das Buch zu Boden fallen. Dann sah er Clayton. Das verzerrte Gesicht auf einem der Monitore blickte traurig zu ihm hinauf.
"Harris, verschwinde von hier!", rief Clayton.
"Professor! Was geht hier vor?"
"Es hat einen kleinen Unfall gegeben im Labor. Die Feldgeneratoren sind ausgefallen, aber der Reaktor startet bereits."
Bobby erhob sich. Er wusste gar nicht, worum es im Projekt Pandorra ging und das wollte er auch nicht. Nur eines wusste er: Das Ding würde hochgehen. Und nach dem Tonfall des Professors sogar bald.
"Mr Reyno, ich ... "
"GEHEN SIE ENDLICH" schrie Clayton in den Lautsprecher.
Die Bahnhofsuhr Carboneks näherte sich zwölf Uhr, als Harris aus der Station rannte. Das einzige was er noch vernahm war ein Rütteln. Er stürzte und schlitterte durch das regennasse Gras. Er hörte nichts. Der laute Knall hatte seine Ohren betäubt. Das war es dann also, Mr. Reyno, dachte er.
“... gilt als Grund für die Ursache menschliches Versagen. Die unermessliche Zerstörungskraft dieser Explosion bleibt weiter rätselhaft, da bis jetzt weder irgendwelche Rückstände noch spuren eines Brandherdes gefunden wurden. Der Krater ist kreisrund und hat einen Durchmesser von circa 200 Metern. Vermutet wird mittlerweile, dass Gesteine in der umliegenden Umgebu...“
Harris saß im Fernsehsessel seiner Apartment-Wohnung und zappte durch die Kanäle. Aus einer Ecke des Raumes begann es zu Piepsen. "Sie haben Post". Er ging zu seinem Computer. "C.R. - Wichtig", stand an oberster Stelle. Harris öffnete die Datei. "Lieber Harris. Es war nicht die ganze Wahrheit." Ansonsten war die Botschaft leer, bis er den Anhang öffnete und sich ihm eine Bilderflut offenbarte. Schaltpläne und Konstruktionsskizzen eines einzigen Generators.