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Pokalabend
Der Abend begann mit einer Thunfischpizza und Fußball.
Während ich einen großen Bissen nahm und interessiert beobachtete, wie sich ein dicker Käsefaden von meinem Mund zu der Pizza in meiner Hand zog, hielt der Kalle Meier seinen Vollspann in die sauber gezirkelte Bananenflanke von Manni Gloppen und nagelte die Pille gnadenlos in den Winkel. Ausgleich in der letzten Minute, Verlängerung.
Vor Freude wäre ich beinahe von meinem Fernsehsessel gefallen, aber im letzten Moment konnte ich das Gleichgewicht halten. Das geschah leider auf Kosten meiner Pizza, die der Physik folgend natürlich mit der Thunfischseite nach unten auf dem Dielenboden landete. Der Kommentator sagte irgendwas von abseitsverdächtiger Position, aber das war von einem Bayernfan auch nicht anders zu erwarten. Ich ignorierte ihn, wartete ungeduldig auf den Abpfiff und ging dann, das Vereinslied von Germania Haselünne summend, in die Küche um einen Lappen zu holen. Und wo ich schon mal da war, öffnete ich auch gleich den Kühlschrank, um mir ein kühles Siegerpils mit ins Wohnzimmer zu nehmen.
Dummerweise hatte ich nicht daran gedacht, mir für einen langen Pokalabend genug Bier mit nach oben aus dem Keller zu holen - und so war der Kühlschrank so leer, wie die Bayernfankurve im Falle eines Abstiegs. Wer hatte denn auch schon vorher mit Verlängerung rechnen können? Also habe ich erst die Sauerei im Wohnzimmer aufgewischt und bin dann in den Keller gegangen, um Nachschub zu holen.
Beinahe hätte ich mir auf der Treppe den Fuß verknackst, weil Hausmeister Wilkening mal wieder nicht daran gedacht hatte, die Glühbirne über dem Treppenabsatz zu wechseln. Dem werde ich morgen mal schön die Meinung geigen, dachte ich mir und humpelte zu meiner Kellertür. Genau in dem Moment, in dem ich die Tür öffnete, hörte ich ein kurzes Piepen, gefolgt von einem Pfeifen.
In meinem Keller befand sich nicht nur ein alter Fernseher, meine Sammlung AutoBild - immerhin zwanzig komplette Jahrgänge - und meine Bierkisten, sondern auch ein schwarzer Gegenstand mit einer roten LCD-Anzeige. Das Ding pfiff. Es war der Schneewalzer.
"Na huch, was ist denn jetzt los?", fragte es, als es mich in der Tür stehen sah.
"Du kannst sprechen?"
"Ja. Toll, oder?"
"Was zum Geier bist... ich meine, woher kommst... wie...?", stammelte ich.
"Ich bin eine Bombe und darauf programmiert, in fünf Minuten die ganze Erde und alles, was sich darauf befindet, ins ewige Nirvana zu schicken", gab die Bombe freundlich Auskunft.
"In meinem Keller."
"Irgendwo muß ich ja sein. Dieser Ort ist genauso gut wie jeder andere auch... obwohl du hier ruhig mal aufräumen könntest." Es kam mir ein wenig seltsam vor, daß mir eine Bombe so etwas vorhielt und daher räumte ich die Kartoffelkisten auch nur halbherzig beiseite.
"Was machst du denn da?"
"Ich räume ein bißchen auf."
"Warum? In ein paar Minuten ist das hier alles Asche."
"Dann meintest du das mit dem Nirvana also ernst?"
"Ich bin eine Bombe. Auf Witze bin ich nicht programmiert."
"Aber warum...", fragte ich.
"Ja, das habe ich mich auch schon oft gefragt. Niemand will eine scherzende Bombe, schätze ich."
"Nein, ich meine... warum sollst du die Erde zerstören?"
"Woher soll ich das wissen? Ich tue hier nur meinen Job. Wenn du mich ein wenig anhebst, kannst du es vielleicht sehen..." Ich nahm die Bombe in die Hand und hob sie ein Stück an. Sie war erstaunlich leicht "Hey, nicht so wackeln! Mann, ich bin voller Sprengstoff!"
"Ja, tut mir leid." Das Ding hatte auf einem Stapel Papiere gelegen - Formulare, wie ich bei näherer Betrachtung feststellte.
"Da, es steht alles auf Formblatt 47 Strich 13", sagte die Bombe.
"Genehmigung zur Durchführung des Projektes gemäß Paragraph 176 Absatz 4 GSHG", las ich im flackernden Schein der nackten Glühbirne. "Was ist ein GSHG?"
"Keine Ahnung. Ich habe mich für diesen Papierkram nie sonderlich interessiert. Alles, was ich weiß, ist daß ich in drei Minuten hochgehen soll."
"Aber warum? Ich meine... ich meine, da liegt bestimmt ein Formfehler vor... laß mich mal sehen..." Dank meiner langjährigen Tätigkeit im Ordnungsamt Kreis Haselünne kannte ich mich mit Formularen gut aus. Es schien alles in Ordnung zu sein. Alles war unterschrieben, gestempelt und mit mehreren Durchschlägen versehen. Sämtliche Anlagen waren da, sogar die Bescheinigung der Versicherung. Es war lupenrein - die Erde müßte hiernach wirklich zerstört werden.
"Hast du noch irgendwelche letzten Worte?", fragte die Bombe mich, während ihr Zählwerk unerbittlich weitertickte. "Ansonsten würde ich jetzt gerne mit dem letzten Countdown beginnen... einhundert Sekunden bis zur Zündung... neunundneunzig... achtund..."
"Hey, warte... ich meine..."
"Ja? Was ist denn? ... sechsundneunzig... fünfundneunzig..."
"Ich meine... denk doch mal an all das Schöne auf der Welt..." Vielleicht würde die Bombe von alleine aufhören, wenn ich in ihr ein wenig Mitleid sähe.
"Zum Beispiel? ... zweiundneunzig... ein..."
"Naja... Bier, Frauen, Frühling..."
"Interessiert mich nicht... achtundachtzig... siebenundachtzig..."
"Was ist mit..." Ich versuchte, mir zu überlegen, was eine Bombe wohl interessant finden würde. "Was ist mit Schrauben, Feuer und... Sylvester. Ja, Sylvester! Das sollte dir gefallen."
"Sylvester ist ein Witz gegen das, was hier gleich passiert... sechsundsechzig... fünfundsechzig... vierund..."
Ich wußte nicht mehr weiter. In einer Minute würde dieses verdammte Ding hochgehen und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Einen letzten Versuch wollte ich aber noch unternehmen.
"Fußball! Das ist es! Fußball ist was Schönes."
"Ja, aber das ist langweilig. Immer gewinnt Bayern... dreiundvierzig... zweiund..." Die Bombe war also Fußballfan. Das war meine Chance.
"Nein... nein, heute nicht", sagte ich triumphierend und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
"Nicht? ... vierzig... neunund... Moment mal..." Die Bombe schien zu überlegen. Der Countdown stoppte und aus einer kleinen Klappe fuhr eine Antenne heraus. "Ja... ja, du hast Recht. Da ist gerade Verlänger... oh..."
"Was? Na sag schon!"
"Bayern hat gerade ein Tor geschossen." Mit diesen Worten begann die Bombe, weiterzuzählen. Ich setzte mich resignierend auf den alten Fernseher und nahm mir eine Bierflasche aus der Kiste. Während ich einen letzten tiefen Schluck nahm, beobachtete ich apathisch, wie der Zähler unerbittlich weitertickte.
Noch zehn Sekunden, dann war Schluß...