Portraits
Diese Augen...
Sie schauen mir nach...
Sie sehen mich...
"Mein Gott!",erwiderte Lukas schon fast genervt, "Die Bilder können dich nicht sehen! Es sind halt nur...nur Bilder! Das ist alles Einbildung! " Hartnäckig blieb ich bei meiner Meinung "Achja, und warum sehen mir diese Augen dann ständig nach?" Auch mein Freund wusste darauf keine Antwort. Wahrscheinlich hatte es mein Freund schon aufgegeben, mich vom Gegenteil zu Überzeugen.
Die Blicke auf den Gemälden verfolgen mich, das war mir schon sehr früh aufgefallen.
Meine Schwester und ich teilten uns ein Zimmer, sie hatte all die Wände ihres Zimmers mit diesen grässlichen Postern zugehängt.
Immer, wenn ich abends im Bett lag starrten sie mich aus dem Dunkel an. Sie blickten auf mich hinunter und ihre Augen leuchteten.
(Sie sehen mich...)
Sie schauten auf mich herab mit ihren leeren Blicken und grinsten mich an.
Der Schweiß rann mir über die Stirn, ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Meine Augen brannten vor Verzwiflung und Müdigkeit, doch an Schlaf war gar nicht zu denken.
(Es sind nur Bilder...)
Meine schweißgetränkten Handflächen krallten sich in die Bettdecke. Ich schloß die Augen, doch öffnete sie im nächsten Moment wieder. Fast wäre ich verzweifelt. Ich war den Tränen nahe.
Eines Tages hatte ich es satt. Ich riß alle Poster von den Wänden. Poster oder Tapete, es war mir egal. Ich zerriss einfach alles. Die bunten Fetzen und Krümel der Tapete bedeckten unseren Teppich.
Ich hasse Portraits. Ich hasse sie!
In der Schule werde ich oft deshalb ausgelacht. Deshalb habe ich beschlossen, diese Mutprobe hier zu machen, und mein bester Freund wird Zeuge.
Ich werde verrückt, wenn mich diese grossen, ausdruckslosen Gesichter auf Bildern anstarren... und niemand versteht mich. Was ist, wenn alle falsch liegen und diese Bilder ein wirkliches Leben führen? Wenn sie uns spüren, so wie wir sie spüren? Sie beobachten uns, Schritt für Schritt, Tag für Tag... Minute für Minute...
(Sie schauen mir nach...)
Doch jetzt stehe ich hier vor dieser Treppe, die ins Halbdunkel führt. Lukas steht neben mir.
"Und, kommst du nun mit oder hast du Schiss?", fragt er mich kalt. Ich weiß, dass er nicht so hart war, wie er tut, doch er weiß, dass er so sein muss, um mich zu überzeugen. Er versucht, ganz gelassen zu wirken, das ist normal. Wenn der Arzt seinem Patienten erklärt dass dieser einen Gehirntumor hat, versucht er, es ganz sachlich anzugehen.
"Gut, ich komm mit ´rauf", sage ich mit einem unwohlen Gefühl im Magen.
In der Tat, oben steht alles voller alter Gemälde.
Natürlich. Was hätte man auch von dem Dachboden eines Museums anderes erwarten sollen?
Die Luft hier oben ist so stickig.
(So holzig, so alt...)
Keine Fenster, nur Bilder.
(So verdorben...)
Ich höre mir selbst beim Atmen zu- um mich abzulenken. Meine Füße bewegen sich wie Schwämme über dem Boden. jeden Moment glaube ich zusammenzusacken. Ich spüre wie dieses elende Gefühl der Übelkeit durch meinen Bauch tanzt.
Ich wische mir mit dem Handrücken über die Stirn und spüre schmierigen Schweiß.
Während wir zwischen den Reihen von Gemälden entlang gehen fällt mir ein Bild besonders auf.
Auf ihm ist Vlad Tepes zu sehen. Ein wirklich grausiges Gemälde.
Auch Lukas bleibt stehen, "Ist das nicht dieser Graf Dracula? Hehe...", dies war das letzte Lachen, das ich je von ihm hören sollte.
Ich spüre wie meine Hände unkontrolliert zu zittern beginnen. Doch ich will weiter.
Ich will diese Mutprobe so schnell wie möglich hinter mich bringen. Lukas ist noch hinter mir und schaut auf Tepe´s Portrait.
Plötzlich höre ich ein unmenschlich lautes Kreischen hinter mir. Es erklingt abgehackt.
(Ein kleines Mädchen?)
Ich spüre die stechende Angst in meiner Brust.
Lukas?
(Sie sehen mich...)
War das wirklich Lukas, der da so schrie?
(Sie schauen mir nach...)
Unsicher drehe ich mich um.
(Sie folgen mir...)
Lukas ist weg!
(Sie wollen mein Blut...)
Das Gemälde von Dracula ist mit Blut beschmiert. Auf dem Boden vor dem Bild eine dunkelrote Blutlache.
(Sie töten...)