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Prüfungsangst
Schlampigkeitsfehler
Schlampigkeitsfehler
Der dichte Regen peitschte gegen die Mauern der Häuser und klatschte auf die groben Pflastersteine. Wegen der wenigen Abflüsse waren die Straßen der Altstadt nass und rutschig und es fiel ihr schwer sich mit ihren hochhackigen Schuhen aufrecht zu halten. Das sah ich an ihrer Haltung und ihrem Gang. Bei jedem Schritt gab sie klickende Geräusche von sich, ein weiterer Nachteil dieser teuflischen Schuhe. Ich hatte nie verstanden, was die Weiber daran fanden, denn wider aller Annahmen waren sie alles, andere als aufreizend. Doch was ihr Nachteil war zeigte sich als mein Vorteil. Konnte ich sie schon nicht permanent im Auge behalten, so hörte ich sie wenigstens. Und doch war es keine einfache Angelegenheit ihr zu folgen. Sie war zu unsicher, andauernd drehte sie sich um. Andauernd blieb sie stehen um zu lauschen. Andauernd starrte sie auf ihre Armbanduhr, was ihr beinahe zum Verhängnis wurde. Ihren Blick von den unebenen Pflastersteinen abgewandt verlor sie das Gleichgewicht und wäre gefallen, wäre da nicht die Straßenlaterne gewesen. In dem Moment in dem ich sah, dass sie fallen würde, hätte ich beinahe einen Fehler begangen. Ich machte mich bereit aus dem Schatten hervorzukommen und ihr zu Hilfe zu eilen. Doch ich konnte mich zurückhalten. Ich musste abwarten und mich im Hintergrund halten, ansonsten würden sie eingreifen. Das durfte ich nicht zulassen, ich durfte ihnen keinesfalls einen Grund geben aus ihren Verstecken zu kommen und mich aufzuhalten.
Es war die Chance. Bei ihr würde ich endlich alles richtig und mich nicht wieder vor den anderen lächerlich machen. Ja, diesmal würde es klappen und die älteren würden mich endlich ernst nehmen. Diesmal musste es einfach klappen, sonst konnte ich mich ihnen nicht mehr unter die Augen trauen. Doch sie machte mir Sorgen. Sie schien viel vorsichtiger, als all die anderen. Ahnte sie etwas? Nein! Das konnte nicht sein. Sie konnte mich weder gehört noch gesehen haben. Ausgeschlossen. Diesmal war ich viel sorgfältiger verfahren. Ich hatte mich besser vorbereitet. Es konnte gar nichts schief gehen. Und als sie aus den Lichtern der Stadt in den Park verschwand wurde ich meiner Sache schon sicherer. Niemand würde sich um diese Zeit dort aufhalten und auch Licht drang nur gedämpft durch die Bäume. Es gab dort keine Laternen, also würde ich mich ihr gefahrlos nähern können. Nur noch wenige Meter trennten mich von ihr und zum ersten Mal an diesem Abend konnte ich sie riechen. Es war kein Parfum oder sonstiger weibischer Unfug. Ein intensiver Geruch stieg mir in die Nase, der wohl keinem Menschen aufgefallen wäre: Angstschweiß. Auf der ganzen Welt konnte es keinen schöneren Geruch geben als den menschlicher Angst. Doch ich durfte mich dadurch nicht leiten lassen, das war ein Fehler, den ich einmal zu oft beging. Nur nicht überstürzt handeln. Abwarten. Den richtigen Moment abwarten.
Denk nach; was haben sie dir beigebracht? Es ist noch zu früh. Beherrsche dich! Als ich noch näher rückte, glaubte ich ihren Herzschlag zu spüren und vor Aufregung konnte ich das Zittern in meinen Pranken nicht mehr unterdrücken. Es war soweit. Nun durfte ich keine Zeit mehr verlieren, ansonsten würde sie dem Licht zu nahe kommen. Ich schlug mich ins Gebüsch und näherte mich ihr so geräuschlos es in diesem Geäst möglich schien. Als ich mich auf selber Höhe mit ihr befand wurde der Geruch intensiver, doch ich ignorierte ihn. Ich überholte sie und stürzte knapp drei Schritte vor ihr aus den Büschen. Noch im Sprung dachte ich, wie respekteinflößend und professionell ich aussehen musste. Ich malte mir schon ihren erschrockenen Blick aus und ihre schönen, ohnehin schon weißen Züge, aus denen noch der letzte tropfen Blut weichen würde.
Nun, um es kurz zu machen, ich bin gestolpert und landete sprichwörtlich mit der Nase im Dreck. Doch erschrocken war sie! Jetzt hieß es nur noch handeln, bevor die sich von ihrem Schock erholt haben und loskreischen würde. Doch was nun? Ich konnte mich nicht erinnern. Was stand in dem Buch? Geräuschlos heranpirschen und dann? Was stand im nächsten Absatz, was? Nur ruhig bleiben sagte ich mir immer wieder. Das ist die Prüfungsangst. Das ist ganz normal, du musst nur endlich lernen darüber hinwegzusehen. Denk einfach daran, was die anderen sagen werden, wenn du schon wieder derart kläglich versagst. Führ es dir vor Augen, und dann in Teufels Namen steh auf und mach weiter, bevor sie die ganze Nachbarschaft zusammengerufen hat. Ja, ja richtig; sie würde schreien und das konnte ich nicht zulassen. Wenn sie schreit ziehen die mir jede Menge Punkte ab, und mit der Schande ein zweites Mal durchzufallen könnte ich nicht weiterleben. Also richtete ich mich auf. Ich war zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, dennoch musste ich beeindruckend wirken in meiner ganzen Größe, denn ihre Augen weiteten sich, wie es im Buche steht. Hoffentlich sahen sie das. Aber das taten sie selbstverständlich. Die ganze Zeit schon beobachteten sie mich. Wahrscheinlich rührte meine Aufregung auch da her, denn beim ersten Mal hatte ich ja keine Ahnung, dass sie jeden meiner Schritte überwachten. Aber diesmal nicht. Nein! Diesmal würde ich ihnen keinen Grund liefern mir Punkte abzuziehen. Ich würde mich an das Lehrbuch halten. Sie würden, bis auf die Sache mit dem Sturz, keine Verbesserungsvorschläge parat haben, weil es nichts zu verbessern gäbe.
Denk nicht so viel, konzentrier dich lieber auf das Mädchen. Natürlich, das Mädchen! Ich hatte sie in der ganzen Aufregung vergessen. Konzentrier dich, konzentrier dich! Als ich mich ihr wieder zuwandte, schien sie gerade einen Fluchtversuch starten zu wollen, doch mit diesen Schuhen würde sie ohnehin nicht weit kommen. Also jetzt bloß keine Schlampigkeitsfehler, alles musste perfekt sein. Ich packte ihren Arm, zog sie zurück und zwang sie mich anzusehen. Nun entfuhr ihr der erste Aufschrei, doch das verunsicherte mich nicht mehr. Was jetzt kommen würde war der einfachste Teil. Ich hatte es zigmal geübt, es konnte nicht schief gehen. Ich hielt ihr die zweite Pranke vor den Mund, ließ mit der ersten den Arm los, packte sie am Hinterkopf und riss ihn schnell zur Seite. Ein Knacken war zu hören, es war ein sauberer Bruch. Ihren leblosen Körper im Arm verließ ich den Weg, um ganz sicher zu gehen, und bettete ihn in das feuchte Gras hinter den Büschen. Jetzt musste alles ganz schnell gehen. Ihr Herz musste entfernt werden, bevor ihr Körper erkalten würde, ansonsten wäre es unbrauchbar und man hätte erneut einen Grund um mir Punkte abzuziehen.
Ihren Brustkorb zu öffnen war ein leichtes für mich, es war mein bestes Fach. Da lag sie also vor mir, ihre Haut bleicher als der Mond der sich durch die Wolken drängte, nachdem der Regen abgeebbt war. Ihre zerrissene Bluse, die matt den Mondschein zurückwarf war blutgetränkt und ihre Augen waren noch immer von Furcht geweitet. In seiner ganzen Schönheit lag es vor mir, ihr gesundes, noch warmes, Herz eingebettet und geschützt zwischen den Lungenflügeln. Ohne jegliche Vorsicht entriss ich es der schützenden Hülle. Blut spritze, zeichnete sich in scharfem Kontrast von ihrer Haut ab und verklebte mein Haar. Alles war perfekt, wie in dem Lehrfilm, den sie uns gezeigt hatten. Sein perfekter anatomischer Zustand versprach nicht zu viel und die Körperwärme rundete seinen Geschmack noch ab. Nach einigen Minuten, in denen ich dessen Wohltat zur Genüge ausgekostet hatte, stieß ich ihren Leichnam achtlos in die Büsche und wollte mich auf den Weg machen. Wie ich erwartet hatte wussten sie bereits alle bescheid.
„Gut gemacht Junge!“
„Wer hätte das gedacht nach deiner letzten Pleite…“
„…und wie du den Brustkorbe geöffnet hast; ohne auch nur ein Organ zu beschädigen. Gratuliere!“ Diese Euphorie hatte ich nun wirklich nicht erwartet, sogar der Prüfer schien gut gelaunt. Ich konnte gar nichts falsch gemacht haben. Doch er schien es nicht eilig zu haben, gemächlich kam er auf mich zu. „Bravo! Ich muss sagen du hast mich sehr überrascht. Du hast dich im Vergleich zum letzten Jahr sehr verbessert und wenn wir von der kleinen Gleichgewichtsstörung mal absehen, kann ich dir nur meine Bewunderung aussprechen.“
„Das heißt ich habe bestanden?“ „Mit Bravur, Junge. Und jetzt entschuldige mich, ich habe noch zu arbeiten.“ Ich habe bestanden. Ich habe einen Abschluss. Ich habe tatsächlich bestanden! Vorsicht Welt, jetzt komme ich! Ich habe bestanden…