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Psychose- eine Erzählung

jbk

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17.06.2003
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Psychose- eine Erzählung

Mit dem Schreiben ist es so wie mit den Empfindungen. An manchen Tagen fühlt man sich gut, strotzt vor Energie und Kreativität, hat Sätze im Kopf, die sich spielend leicht verbinden zu Geschichten. Solche Tage könnte man mit dem Frühling vergleichen:
Die Sonne wandert am Himmel entlang und wärmt den Boden. Die Natur erwacht zum Leben. Vögel singen melodische Lieder. Bienen summen, Hummeln brummen. Blumen sprießen aus dem Boden hervor, verwandeln die Landschaft in ein Meer aus Farben…

Heute ist nicht Frühlingsbeginn, nein. Auch Winter wäre noch zu milde ausgedrückt, kennt man ihn in unseren Breiten nicht als Gevatter Frost, sondern höchstens als Schneeflocke von Frau Holle.
Was für eine Leere!
Alles scheint um mich herum wie erstarrt. Aus einer dicken, nicht mal weichen Watte heraus betrachte ich die Welt. Ein „White- Out“ umgibt mich, nebelt!
Verdammt!
Postschizophrene Phase nennen sie es, die Ärzte, deren Kittel mich an eine Schneelandschaft erinnern. Das dauert seine Zeit, geht nur langsam voran. Denken sie, ein Herzinfarktpatient kann nach einigen Monaten wieder herumspringen wie ein Fohlen auf der Wiese?
Natürlich nicht, das ist mir auch klar. Es würde ja reichen, wenn ich wie ein alter Gaul im Stall stehen könnte.
"Und was haben sie mir noch zu sagen?"
"Ja, es braucht Zeit."
Ein abgelutschtes Kaugummi zieht sich lang und zäh durch meinen Kopf.
Immer das Gleiche. "Medikation verändern können sie nicht?"
"Könnten wir, aber sinnvoll wäre es nicht. Sie müssten außerdem wieder stationär behandelt werden. Sie wissen ja, die Zeit der Einstellung…"
Nicht noch mal! Auf keinen Fall! Das war vielleicht eine besch… eidene Zeit!

Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, vier Monate lang in Behandlung zu sein?
Mehrere Monate dauert die Behandlung eines Knochen, der gebrochen ist. Da wissen Sie wenigstens, was Ihnen fehlt. Nämlich Knochensubstanz, die selbigen wieder stabil werden lässt.
Bei psychischen Krankheiten sieht alles ein wenig anders aus.
Klar, werden Sie jetzt sagen: Die Wahrnehmung verschiebt sich ja auch, ist ver- rückt.
Da haben Sie natürlich Recht. Man sieht nicht nur anders, sondern fühlt und hört und schmeckt und riecht auch anders als so, wie es als "normal" gilt. Darauf komme ich ja noch. Was ich meine, es ist schwierig zu sagen, was einem nun fehlt, wenn man psychisch erkrankt ist. Fehlte die Mutterliebe in der Kindheit? Die Kontakte in der Pubertät? Pauschalisieren lässt sich’s jedenfalls nicht.
Und oft genug fehlt auch nichts, sondern etwas ist im Überfluss vorhanden.
Sie kennen Psychosen wahrscheinlich aus den Medien. BILD schreibt über PSYCHOKILLER, das Fernsehen sendet PSYCHOTHRILLER! Die Menschen, die sich so etwas ausdenken, fehlt meistens der Bezug zur Realität.
Den an einer Psychose Erkrankten fehlt erstmal nichts, sondern sie haben zuviel des Botenstoffes Dopamin, der sich zwischen ihren Synapsen tummelt wie Urlauber an spanischen Stränden. Das lässt die Erkrankten auch teilweise so reagieren wie betrunkene Touristen. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes trunken.
Jetzt kommt ein Arzt daher und sagt mir: "alles, was Sie erlebt haben, ist zurückzuführen auf eine so genannte Reizfilterstörung im Gehirn."
Da spielen kleine Dopaminmännchen zwischen den Synapsen Fangen, rauschen durch den Spalt, lachen, freuen sich.
Im Klartext heißt das also: das Gehirn mixt sich seinen eigenen Rausch zusammen.
Wäre das jedem Gehirn möglich, so könnte die Drogenszene dicht machen, etliche Polizisten wären ihren Job los und auch Ärzte müssten weniger behandeln. Das wäre wiederum gut für das Gesundheitssystem und die öffentlichen Gelder als solche, ergo Deutschland ginge es besser, wenn mehr Menschen eine Psychose hätten.
Man regt sich auch nicht mehr über die Kleinigkeiten des Alltags auf, weil diese uninteressant werden. Der Blick öffnet sich eher dem Ganzen als dem Speziellen.
Einer der Ärzte sagte meinen Eltern, man könnte gar nicht sagen, ob die psychotischen Menschen nun verrückt wären oder die normalen, die tagein tagaus hetzten, sich stressen, gegeneinander arbeiten im Beruf oder im Privaten.
Und hätte er mir diese Frage gestellt, ich hätte ihm eine eindeutige Antwort darauf gegeben, denn ich fühlte mich gut! Nein, gut ist untertrieben: sauwohl, megageil und das mal 1000 genommen!
Sie müssen nämlich wissen, dass Sie eine enorme Energie haben, wenn Sie angeblich krank sind. Schlaf brauchen Sie so gut wie keinen. Eine Stunde lockeres Träumen pro Nacht genügt und Sie sind morgens topfit wie ein Koffeinmolekül! Ach, wie eine ganze Tasse voll davon! Die Nächte verbringen Sie dann auch nicht im Schlaf, sondern träumend. Wach träumend. Die Farbenvielfalt, die, wenn Sie die Augen schließen, vor ihrem inneren Auge auftaucht, kennen Sie vielleicht noch aus ihrer Kindheit, wenn Sie ein Blatt Papier vor sich liegen haben und mit Plakafarben drauf los panschen dürfen. Dabei entstehen dann Formen in Ihrem Inneren, die an Geometrie erinnern, aber wild durcheinander morphen! Und wenn Sie wollen, können Sie sich in jedes beliebige Lebewesen verwandeln und jetzt- da ihr Gehirn quasi der Innbegriff von Kreativität ist- durch x- beliebige Landschaften fliegen, sprinten, galoppieren, tauchen, gleiten.
Das macht Spaß, kann ich Ihnen dazu nur sagen. Sie sind der Gott in Ihrem Universum, erschaffen die Fantasie in jedem Augenblick neu, baden in den Bildern, plantschen im Gefühl herum.
Man könnte hier vom Frühlingsbeginn sprechen, vom allerersten Frühling überhaupt, den Sie gerade kreiert haben.
Es kann nämlich passieren, dass Sie ihr Leben während dieser Phase voller kreativer Energie noch mal durchleben. Sie gehen dann rückwärts in der Zeit: Pubertät, Jugendzeit, Kindheit, Babyalter, Geburt: alles schwarz, dann ein Licht- da ist man auf der Welt!
Absolut CRAZY, keine Frage. Doch es wirkt ziemlich real.
So etwas passiert des Nachts. Am Tag wiederum sieht alles ein wenig anders aus:
Anfangs werden Ihnen die Leute erzählen, dass Sie sich doch zum Positiven hin verändert haben. Sie wirken wach, sind freundlich, unterhalten sich mit jedermann über irgendetwas. Das lässt sie sympathisch wirken. Auch ihre intellektuellen Fähigkeiten sind besser abrufbar denn je. Sie gehen schon als ein kleiner Günther Jauch durch.
Außerdem haben Sie alles im Blick- und wenn ich alles schreibe, dann meine ich auch alles: Egal, was direkt vor Ihnen oder weiter vor Ihnen passiert- Sie sehen es. Jede kleinste Bewegung im Raum nehmen Sie wahr, seien es die Mimik und Gesten Ihrer Gesprächspartner, rennende Kinder auf dem Schulhof, die Bewegungen in den Bäumen, wenn der Wind durch die Blätter streicht, der Vogel, der seine Kreise zieht, wogende Grashalme: egal! Alles auf einmal eben. Das gibt Ihnen ein besonderes Gefühl. Kennen Sie Neo aus Matrix? Wer eigentlich nicht? Jedenfalls sind Sie Herr über den Raum, alles läuft langsamer ab, sodass Sie alles wahrnehmen können.
Der Arzt sagte zu mir: Reizfilterstörung. Ich sagte: Cool!
Das sind so die ersten Tage bis Wochen, die Sie erleben, wenn Sie angeblich erkrankt sind.
Alles sind Sie, nur nicht krank, denken Sie! Berufen in eine neue Ebene der Wahrnehmung, Neo, Halbgott-ja! Krank? Nein!
Das Problem bei der ganzen Sache ist nur, es bleibt nicht nur bei den angenehmen Erfahrungen.
Sie wissen nun, dass Sie etwas Besonderes geworden sind. Aber wissen es die anderen auch? Die anderen sind ihre Umgebung, auch wildfremde Menschen. Beobachten sie Sie etwa?
Sie fangen an, sich Gedanken um ihre Mitmenschen zu machen. Warum bewegen sie sich so, wie sie sich bewegen? Warum kreuzen gerade die Menschen meinen Weg, die meinen Weg kreuzen? Und Sie werden misstrauisch. Hat das einen besonderen Grund, dass es gerade diese Menschen sind? Wer sind diese Menschen überhaupt? Manche sehen schon verdächtig aus mit ihren langen Bärten. Sind es Agenten der Taliban? Warum schauen sie Sie so lange an? Sie wissen, was los ist.
Jetzt beginnen Sie, sich von den Menschen zurückzuziehen, die zu meiden, welche Sie als verdächtig einschätzen. Und das sind durchaus nicht wenige.
Schließlich haben Sie bei sich selbst festgestellt, dass Sie über eine besondere Wahrnehmung verfügen. Allein an der Körpersprache der Menschen können Sie feststellen, was sie denken. Das ist eine besondere Fähigkeit. Sie könnten einer der ersten Menschen sein, die telepathisch veranlagt sind. Was wäre das für ein Glück für Agenten, wenn die einen wie Sie in ihren Reihen hätten? Allein kraft der Gedanken die Umwelt beeinflussen zu können. Doch Sie wissen nicht, welche Techniken die Agenten einsetzen, um Sie zu finden und für sich zu gewinnen.
Sie schauen zum Himmel. Es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint, der Himmel leuchtet blau. Flugzeuge fliegen dort oben. Aber sie fliegen irgendwie komisch, in ganz bestimmten Bahnen. Sie beginnen, Muster in den Bewegungen festzustellen. Auf einmal wird der Flug der Flugzeuge zu einer Art Rasterfahndung und Sie zum Ziel. Sie werden gesucht, mithilfe von Radar und GPS- verdammt, was können Sie tun? Sie fangen an, sich auf dem Boden in bestimmten Mustern fortzubewegen. Etwa gehen Sie nur noch an den Kanten der Pflastersteine entlang, weil Sie sich so sicher glauben, nicht geortet werden zu können.
Auch richten Sie ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr auf Autos, die die Straße entlangfahren oder an der Straße stehen. Es könnte ja sein, dass sich eine mobile Radarstation im Inneren der Autos befindet. Hinter den Kennzeichen vermuten sie spezielle Codes, die zur Kommunikation unter den Agenten dienen.
Der Arzt nennt dies das Bedürfnis, als Folge der Reizfilterstörung Muster oder Zusammenhänge in seiner Umgebung festzustellen.
Für mich war es- der Horror!

Sie wissen immer noch nicht, dass sie krank sind. Personen, die tagtäglich mit Ihnen zu tun haben, wird eine Veränderung in ihrem Verhalten aufgefallen sein. Sie sind introvertierter geworden, obwohl Sie gerade noch offen auf jedermann zugegangen sind.
Ihre Konzentration hat abgenommen, Sie sind nicht mehr so belastbar, wie Sie es einmal waren. Gerade noch waren Sie beliebt wegen ihrer neuen Art, jetzt werden sie als komisch abgestempelt.
Der Arzt wird Ihnen sagen, sie leben in ihrer eigenen Welt, die nur schwer anderen zu erklären ist. Zusammenhanglos werden Sie von Agenten berichten, die Sie verfolgen- keiner versteht, was Sie meinen, obwohl alles so logisch für Sie ist!
Die neue Art der Wahrnehmung können die anderen nicht feststellen- sie ist nur für Sie real!
Da sind Sie im Dilemma- wenn jemand Sie gut kennt und es mit Ihnen ebenso meint, dann wird er Ihnen nahe legen, einen Arzt aufzusuchen.
Wenn Sie es tun, dann haben sie Glück. Oft jedoch stecken auch schon die Ärzte mit den Geheimdiensten unter einer Decke, denn die Aufzeichnungen, die vom EKG und EEG gemacht werden, werden elektronisch bearbeitet. Und über PC- Netze verfügen Staat und Geheimdienst natürlich auch.
Begeben Sie sich dann in Behandlung, werden sie mindestens drei Monate dort bleiben. Es ist eine harte Zeit und es ist schwer, Außenstehenden zu erklären, dass Sie sich in einer psychiatrischen Anstalt befinden.
Wurden Sie dann mit Medikamenten vollgepumpt, so verschwindet diese außergewöhnliche Wahrnehmung ziemlich schnell. Ihr Antrieb geht verloren, Sie fühlen sich schlapp, wollen am liebsten den ganzen Tag schlafen.
Nach der stationären Behandlung ist es aber noch nicht vorbei. Obwohl draußen Frühling herrscht, fühlen Sie sich wie im tiefsten Winter. Früher haben Sie viel geschrieben, doch das Schreiben fällt Ihnen jetzt schwer.
Dann hilft es nur, abzuwarten.
Hatte der Arzt also doch Recht- es braucht Zeit.
Sie glauben gar nicht mehr an Besserung. Alles geht so langsam vonstatten.
Doch irgendwann, da setzten Sie sich vielleicht hin und- wenn es Ihnen einfällt- fangen Sie an, zu schreiben. Vielleicht über die Zeit ihrer Erkrankung…

 

(überarbeitete Version - Version Nr.2)

Mit dem Schreiben ist es so wie mit den Empfindungen. An manchen Tagen fühlt man sich gut, strotzt vor Energie und Kreativität, hat Sätze im Kopf, die sich spielend leicht verbinden zu Geschichten. Solche Tage könnte man mit dem Frühling vergleichen:
Die Sonne wandert am Himmel entlang und wärmt den Boden. Die Natur erwacht zum Leben. Vögel singen melodische Lieder. Bienen summen, Hummeln brummen. Blumen sprießen aus dem Boden hervor, verwandeln die Landschaft in ein Meer aus Farben…

Heute ist nicht Frühlingsbeginn, nein. Auch Winter wäre noch zu milde ausgedrückt, kennt man ihn in unseren Breiten nicht als Gevatter Frost, sondern höchstens als Schneeflocke von Frau Holle.
Was für eine Leere!
Alles scheint um mich herum wie erstarrt. Aus einer dicken, nicht mal weichen Watte heraus betrachte ich die Welt. Ein „White- Out“ umgibt mich, nebelt!
Verdammt!
Postschizophrene Phase nennen sie es, die Ärzte, deren Kittel mich an eine Schneelandschaft erinnern. Das dauert seine Zeit, geht nur langsam voran. Denken sie, ein Herzinfarktpatient kann nach einigen Monaten wieder herumspringen wie ein Fohlen auf der Wiese?
Natürlich nicht, das ist mir auch klar. Es würde ja reichen, wenn ich wie ein alter Gaul im Stall stehen könnte.
"Und was haben sie mir noch zu sagen?"
"Ja, es braucht Zeit."
Ein abgelutschtes Kaugummi zieht sich lang und zäh durch meinen Kopf.
Immer das Gleiche. "Medikation verändern können sie nicht?"
"Könnten wir, aber sinnvoll wäre es nicht. Sie müssten außerdem wieder stationär behandelt werden. Sie wissen ja, die Zeit der Einstellung…"
Nicht noch mal! Auf keinen Fall! Das war vielleicht eine besch… eidene Zeit!

Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, vier Monate lang in Behandlung zu sein?
Mehrere Monate dauert die Behandlung eines Knochen, der gebrochen ist. Da wissen Sie wenigstens, was Ihnen fehlt. Nämlich Knochensubstanz, die selbigen wieder stabil werden lässt.
Bei psychischen Krankheiten sieht alles ein wenig anders aus.
Klar, werden Sie jetzt sagen: Die Wahrnehmung verschiebt sich ja auch, ist ver- rückt.
Da haben Sie natürlich Recht. Man sieht nicht nur anders, sondern fühlt und hört und schmeckt und riecht auch anders als so, wie es als "normal" gilt. Darauf komme ich ja noch. Was ich meine, es ist schwierig zu sagen, was einem nun fehlt, wenn man psychisch erkrankt ist. Fehlte die Mutterliebe in der Kindheit? Die Kontakte in der Pubertät? Pauschalisieren lässt sich’s jedenfalls nicht.
Und oft genug fehlt auch nichts, sondern etwas ist im Überfluss vorhanden.
Sie kennen Psychosen wahrscheinlich aus den Medien. BILD schreibt über PSYCHOKILLER, das Fernsehen sendet PSYCHOTHRILLER! Die Menschen, die sich so etwas ausdenken, fehlt meistens der Bezug zur Realität.
Den an einer Psychose Erkrankten fehlt erstmal nichts, sondern sie haben zuviel des Botenstoffes Dopamin, der sich zwischen ihren Synapsen tummelt wie Urlauber an spanischen Stränden. Das lässt die Erkrankten auch teilweise so reagieren wie betrunkene Touristen. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes trunken.
Jetzt kommt ein Arzt daher und sagt mir: "alles, was Sie erlebt haben, ist zurückzuführen auf eine so genannte Reizfilterstörung im Gehirn."
Da spielen kleine Dopaminmännchen zwischen den Synapsen Fangen, rauschen durch den Spalt, lachen, freuen sich.
Im Klartext heißt das also: das Gehirn mixt sich seinen eigenen Rausch zusammen.
Wäre das jedem Gehirn möglich, so könnte die Drogenszene dicht machen, etliche Polizisten wären ihren Job los und auch Ärzte müssten weniger behandeln. Das wäre wiederum gut für das Gesundheitssystem und die öffentlichen Gelder als solche, ergo Deutschland ginge es besser, wenn mehr Menschen eine Psychose hätten.
Man regt sich auch nicht mehr über die Kleinigkeiten des Alltags auf, weil diese uninteressant werden. Der Blick öffnet sich eher dem Ganzen als dem Speziellen.
Einer der Ärzte sagte meinen Eltern, man könnte gar nicht sagen, ob die psychotischen Menschen nun verrückt wären oder die normalen, die tagein tagaus hetzten, sich stressen, gegeneinander arbeiten im Beruf oder im Privaten.
Und hätte er mir diese Frage gestellt, ich hätte ihm eine eindeutige Antwort darauf gegeben, denn ich fühlte mich gut! Nein, gut ist untertrieben: sauwohl, megageil und das mal 1000 genommen!
Sie müssen nämlich wissen, dass Sie eine enorme Energie haben, wenn Sie angeblich krank sind. Schlaf brauchen Sie so gut wie keinen. Eine Stunde lockeres Träumen pro Nacht genügt und Sie sind morgens topfit wie ein Koffeinmolekül! Ach, wie eine ganze Tasse voll davon! Die Nächte verbringen Sie dann auch nicht im Schlaf, sondern träumend. Wach träumend. Die Farbenvielfalt, die, wenn Sie die Augen schließen, vor ihrem inneren Auge auftaucht, kennen Sie vielleicht noch aus ihrer Kindheit, wenn Sie ein Blatt Papier vor sich liegen haben und mit Plakafarben drauf los panschen dürfen. Dabei entstehen dann Formen in Ihrem Inneren, die an Geometrie erinnern, aber wild durcheinander morphen! Und wenn Sie wollen, können Sie sich in jedes beliebige Lebewesen verwandeln und jetzt- da ihr Gehirn quasi der Innbegriff von Kreativität ist- durch x- beliebige Landschaften fliegen, sprinten, galoppieren, tauchen, gleiten.
Das macht Spaß, kann ich Ihnen dazu nur sagen. Sie sind der Gott in Ihrem Universum, erschaffen die Fantasie in jedem Augenblick neu, baden in den Bildern, plantschen im Gefühl herum.
Man könnte hier vom Frühlingsbeginn sprechen, vom allerersten Frühling überhaupt, den Sie gerade kreiert haben.
Es kann nämlich passieren, dass Sie ihr Leben während dieser Phase voller kreativer Energie noch mal durchleben. Sie gehen dann rückwärts in der Zeit: Pubertät, Jugendzeit, Kindheit, Babyalter, Geburt: alles schwarz, dann ein Licht- da ist man auf der Welt!
Absolut CRAZY, keine Frage. Doch es wirkt ziemlich real.
So etwas passiert des Nachts. Am Tag wiederum sieht alles ein wenig anders aus:
Anfangs werden Ihnen die Leute erzählen, dass Sie sich doch zum Positiven hin verändert haben. Sie wirken wach, sind freundlich, unterhalten sich mit jedermann über irgendetwas. Das lässt sie sympathisch wirken. Auch ihre intellektuellen Fähigkeiten sind besser abrufbar denn je. Sie gehen schon als ein kleiner Günther Jauch durch.
Außerdem haben Sie alles im Blick- und wenn ich alles schreibe, dann meine ich auch alles: Egal, was direkt vor Ihnen oder weiter vor Ihnen passiert- Sie sehen es. Jede kleinste Bewegung im Raum nehmen Sie wahr, seien es die Mimik und Gesten Ihrer Gesprächspartner, rennende Kinder auf dem Schulhof, die Bewegungen in den Bäumen, wenn der Wind durch die Blätter streicht, der Vogel, der seine Kreise zieht, wogende Grashalme: egal! Alles auf einmal eben. Das gibt Ihnen ein besonderes Gefühl. Kennen Sie Neo aus Matrix? Wer eigentlich nicht? Jedenfalls sind Sie Herr über den Raum, alles läuft langsamer ab, sodass Sie alles wahrnehmen können.
Der Arzt sagte zu mir: Reizfilterstörung. Ich sagte: Cool!
Das sind so die ersten Tage bis Wochen, die Sie erleben, wenn Sie angeblich erkrankt sind.
Alles sind Sie, nur nicht krank, denken Sie! Berufen in eine neue Ebene der Wahrnehmung, Neo, Halbgott-ja! Krank? Nein!
Das Problem bei der ganzen Sache ist nur, es bleibt nicht nur bei den angenehmen Erfahrungen.
Sie wissen nun, dass Sie etwas Besonderes geworden sind. Aber wissen es die anderen auch? Die anderen sind ihre Umgebung, auch wildfremde Menschen. Beobachten sie Sie etwa?
Sie fangen an, sich Gedanken um ihre Mitmenschen zu machen. Warum bewegen sie sich so, wie sie sich bewegen? Warum kreuzen gerade die Menschen meinen Weg, die meinen Weg kreuzen? Und Sie werden misstrauisch. Hat das einen besonderen Grund, dass es gerade diese Menschen sind? Wer sind diese Menschen überhaupt? Manche sehen schon verdächtig aus mit ihren langen Bärten. Sind es Agenten der Taliban? Warum schauen sie Sie so lange an? Sie wissen, was los ist.
Jetzt beginnen Sie, sich von den Menschen zurückzuziehen, die zu meiden, welche Sie als verdächtig einschätzen. Und das sind durchaus nicht wenige.
Schließlich haben Sie bei sich selbst festgestellt, dass Sie über eine besondere Wahrnehmung verfügen. Allein an der Körpersprache der Menschen können Sie feststellen, was sie denken. Das ist eine besondere Fähigkeit. Sie könnten einer der ersten Menschen sein, die telepathisch veranlagt sind. Was wäre das für ein Glück für Agenten, wenn die einen wie Sie in ihren Reihen hätten? Allein kraft der Gedanken die Umwelt beeinflussen zu können. Doch Sie wissen nicht, welche Techniken die Agenten einsetzen, um Sie zu finden und für sich zu gewinnen.
Sie schauen zum Himmel. Es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint, der Himmel leuchtet blau. Flugzeuge fliegen dort oben. Aber sie fliegen irgendwie komisch, in ganz bestimmten Bahnen. Sie beginnen, Muster in den Bewegungen festzustellen. Auf einmal wird der Flug der Flugzeuge zu einer Art Rasterfahndung und Sie zum Ziel. Sie werden gesucht, mithilfe von Radar und GPS- verdammt, was können Sie tun? Sie fangen an, sich auf dem Boden in bestimmten Mustern fortzubewegen. Etwa gehen Sie nur noch an den Kanten der Pflastersteine entlang, weil Sie sich so sicher glauben, nicht geortet werden zu können.
Auch richten Sie ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr auf Autos, die die Straße entlangfahren oder an der Straße stehen. Es könnte ja sein, dass sich eine mobile Radarstation im Inneren der Autos befindet. Hinter den Kennzeichen vermuten sie spezielle Codes, die zur Kommunikation unter den Agenten dienen.
Der Arzt nennt dies das Bedürfnis, als Folge der Reizfilterstörung Muster oder Zusammenhänge in seiner Umgebung festzustellen.
Für mich war es- der Horror!

Sie wissen immer noch nicht, dass sie krank sind. Personen, die tagtäglich mit Ihnen zu tun haben, wird eine Veränderung in ihrem Verhalten aufgefallen sein. Sie sind introvertierter geworden, obwohl Sie gerade noch offen auf jedermann zugegangen sind.
Ihre Konzentration hat abgenommen, Sie sind nicht mehr so belastbar, wie Sie es einmal waren. Gerade noch waren Sie beliebt wegen ihrer neuen Art, jetzt werden sie als komisch abgestempelt.
Der Arzt wird Ihnen sagen, sie leben in ihrer eigenen Welt, die nur schwer anderen zu erklären ist. Zusammenhanglos werden Sie von Agenten berichten, die Sie verfolgen- keiner versteht, was Sie meinen, obwohl alles so logisch für Sie ist!
Die neue Art der Wahrnehmung können die anderen nicht feststellen- sie ist nur für Sie real!
Da sind Sie im Dilemma- wenn jemand Sie gut kennt und es mit Ihnen ebenso meint, dann wird er Ihnen nahe legen, einen Arzt aufzusuchen.
Wenn Sie es tun, dann haben sie Glück. Oft jedoch stecken auch schon die Ärzte mit den Geheimdiensten unter einer Decke, denn die Aufzeichnungen, die vom EKG und EEG gemacht werden, werden elektronisch bearbeitet. Und über PC- Netze verfügen Staat und Geheimdienst natürlich auch.
Begeben Sie sich dann in Behandlung, werden sie mindestens drei Monate dort bleiben. Es ist eine harte Zeit und es ist schwer, Außenstehenden zu erklären, dass Sie sich in einer psychiatrischen Anstalt befinden.
Wurden Sie dann mit Medikamenten vollgepumpt, so verschwindet diese außergewöhnliche Wahrnehmung ziemlich schnell. Ihr Antrieb geht verloren, Sie fühlen sich schlapp, wollen am liebsten den ganzen Tag schlafen.
Nach der stationären Behandlung ist es aber noch nicht vorbei. Obwohl draußen Frühling herrscht, fühlen Sie sich wie im tiefsten Winter. Früher haben Sie viel geschrieben, doch das Schreiben fällt Ihnen jetzt schwer.
Dann hilft es nur, abzuwarten.
Hatte der Arzt also doch Recht- es braucht Zeit.
Sie glauben gar nicht mehr an Besserung. Alles geht so langsam vonstatten.
Doch irgendwann, da setzten Sie sich vielleicht hin und- wenn es Ihnen einfällt- fangen Sie an, zu schreiben. Vielleicht über die Zeit ihrer Erkrankung…

 

Hallo jbk,

wie schön, dass du deine KG nochmals nach oben gezogen hast, so dass ich sie auch lesen konnte.:) Der Inhalt hat mich auch sehr berührt... Und geschrieben hast du unglaublich spannend. Bin heute zum ersten Mal hier zu 'Gesellschaft' abgedriftet und fand mich von der Überschrift deiner Geschichte angezogen. Hatte auch mal vor einiger Zeit Erfahrungung mit 'stimmungsdämpfenden' Mitteln während eines längeren Krankenhausaufenthaltes und empfinde deine Darstellung als sehr realitiätsnah.
Bewundernswert, dass du in der Lage bist, so darüber zu schreiben.

LG ahino

 

Danke dir, ahino.
Mir tut es zwar immer leid, wenn sich jemand durch persönliche Erfahrung in solch hohem Maße mit der Handlung identifizieren kann, jedoch bin ich andersherum gerade über Kommentare von Menschen, die ähnliches erlebt haben, froh.

 

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