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Quanten - Theorie
Ein großer, gelber Smilie lächelte ihr entgegen, als sich der Mauszeiger langsam auf das Feld der eingegangenen Nachrichten zubewegte. Sie fragte sich, wer das sein konnte. Sonst schrieb ihr niemand um diese Zeit und die mail musste neu sein, da sie die Eingänge erst vor einer guten Stunde das letzte Mal kontrolliert hatte. Es war eine Art Tick von ihr, dass sie noch einmal nachschaute bevor sie das Universitätsgebäude verlies, denn man konnte nie wissen, ob sich selbst zu so fortgeschrittener Stunde nicht doch noch eine wichtige mail einfand.
Diana klickte zweimal und das Bild vor ihr löste sich auf, um kurz darauf wiederzuerscheinen. Der Smilie war verschwunden und über den grau unterlegten alten Nachrichten fand sich eine, deren Schrift in einem dunklen blau gehalten war. Ihr Augen wanderten über die Buchstaben, die sich in Wörter verwandelten und schließlich einen Sinn ergaben.
Ihr Atem stockte und ihre Finger begannen nervös über die Maus zu kratzen. Die neue e-mail kam von keinem ihrer Kollegen und es war auch keine erneute Anfrage für ein Interview, die sie seit kurzem zahlreich erhielt. Der Absender des Briefes war niemand anderes als Marcel.
Sie zwang sich zur Ruhe. Ihre dunkelgrünen Augen folgten dem Zeiger, wie er sich langsam über das Bild schob und schließlich auf dem button „lesen“ zum erliegen kam. Wieder drückte sie die linke Maustaste und noch bevor sie das Klicken dieser vernahm, malten sich Laute auf den Monitor. Sie begann zu lesen:
Hi Diana,
mir fällt es immer schwer mich auszudrücken und ich hoffe mal, dass du in dieser Form verstehst, was ich dir sagen möchte. Ich musste an dich denken, während ich eine meiner Kurzgeschichte schrieb und dann ist das dabei herausgekommen. Ich lasse sie unkommentiert und hoffe wie gesagt, dass du sie, bzw. mich verstehst.
Also:
Ein Blick in den Spiegel -
Meine Hände drücken gegen meinen Kopf und versuchen den unbändigen Willen darin aufzuhalten. Ein Wille der aus Gefühlen geboren wurde, die ich selber nicht ergründen kann; die ich selber nicht kenne. Ein Schrei entringt meiner Kehle und verhallt in der Einsamkeit die mich umgibt. Ich will! Ich weiß das ich will, doch ich lasse mich selber nicht und eine einzelne Träne verlässt meinen Körper und gleitet an meiner Haut herunter. Eine Träne, die genährt wurde von meiner Angst und meiner Wut auf mich selbst, denn was ich will liegt direkt vor mir, doch ich tue nichts. Verdammt durch einen Fluch, den ich mir selber auferlegt habe. Eine Bürde – mein Unglück.
In der Träne bricht sich ein Lichtstrahl und ihre absolute Oberfläche erstrahlt in einem prächtigen Farbenspiel. Ihr Anblick gleicht einer herrlichen Bitterkeit und verspottet mich. In ihr liegen alle Fragen und alle Antworten. Und je länger die Träne an mir herabläuft, desto kleiner wird sie und auch ihre Spuren verschwinden, denn sie trocknet an der Luft um mich herum, die weder kalt, noch warm ist.
Ich sehe nur noch das Bild ihres Gesichtes vor mir. Am Tage und in der Nacht, doch wenn ich sie sehe, außerhalb meiner Vorstellung; in der wahren Welt, dann ändert sich mein Verhalten. Ich benehme mich wie immer, so als wäre sie nur eine Freundin von vielen, denn ich habe Angst vor meinem eigenen Verlangen und vor dem was daraus werden könnte. Und während ich dort sitze, stehe oder liege spüre ich immer diese Träne, die sich an mich schmiegt, als wäre sie ein Teil von mir, der sich nicht von mir trennen kann und ich wünsche mir, dass sie diese Träne wäre.
Ich wende den Blick vom Spiegel ab –
„Wo genau liegt eigentlich sein Problem?“ flüsterte sie leise vor sich hin.
„Und wie lange bitte versuche ich nun schon ihn rumzukriegen?“ sie sprach immer lauter, so als könnte sie ihre Gedanken nicht länger im Stillen bewahren. Diana hatte nach ihrer Ansicht die Zeit ihres Lebens und alles was ihr zum vollkommenen Glück fehlte, war ein Mann an ihrer Seite. Früher war sie ständig von ihrer Arbeit eingenommen, doch vor einem Monat gelang ihr der Durchbruch und ihre neu entwickelte Theorie über den Quantenschaum hatte sich bestätigt. Noch war es nur ein Gerücht, aber morgen um diese Zeit, war die Nachricht über die Existenz anderer Dimensionen bereits bestätigt und ihr Gesicht würde sich auf allen Zeitungen dieser Welt wiederfinden.
„Mein Gott, ich schaffe das Rätsel der Universen zu knacken, kann aber diesem Kerl nicht begreiflich machen, dass ich ihn haben will. Was zum Teufel glaubt er eigentlich verlieren zu können?“
Ihre Gedanke folgten nun der Vergangenheit. Wie sie sich das erste Mal trafen. Dianas Bruder hatte zum Grillen eingeladen und unter anderem kam auch Marcel. Er war irgendwie anders als die anderen. Verschlossen und aufmerksam zugleich. Er schrieb Geschichten und Gedichte und überhaupt ähnelte er nicht in sehr vielen Dingen den Männern in seinem Alter. Von diesem Abend an hatte sie unaufhörlich versucht ihn anzuflirten, doch er tat immer so, als würde er es nicht bemerken.
„Was soll ich denn noch tun?“ Dianas Blick wanderte auf den Monitor rechts von ihr und sie sah sich selbst darin. Sie hockte gedankenverloren vor ihrem Schreibtisch und blickte wiederum auf sich selbst. Nur trug die Diana, die sie im Monitor sah eine blaue Bluse, während sie selbst eine rote trug.
Immer wieder erstaunte es sie, wie einfach es eigentlich war, in eine andere Dimension zu blicken. Sie hatten es zwar noch nicht geschafft, eine Kommunikation herzustellen, aber man konnte einen Blick hinüber werfen, so als schaue man in einen Fernseher. Und so abwegig war dieser Vergleich auch gar nicht, denn mit einem einfachen Knopfdruck blickte sie in andere Dimensionen, so als zappte sie zwischen einzelnen Programmen hin und her; Diana 1, Diana 2, DianaPlus. Man musste sich einfach alles wie eine Schaumkrone vorstellen und jede einzelne Blase war ein anderes Universum. Manche waren auf den ersten Blick gleich und unterschieden sich nur in winzigen Details, zum Beispiel in der Art, wie sie ihre Haare trug. Andere wiederum waren so unterschiedlich, dass es ihr selbst ein wenig Angst machte. Erst am vorigen Tag hatte sie ein ´Programm´ entdeckt, auf dem keine Diana am Schreibtisch saß, sonder ein älterer Herr, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Was war wohl mit ihr dort passiert. Hatte sie da nicht den gleichen erfolg? Ist ihr etwas zugestoßen? Ist sie eventuell nie geboren worden? Diese Fragen machten sie verrückt und sie begann sich schon wieder in diesem Geflecht aus nicht zu beantwortenden Fragen zu verheddern.
Schnell wandte Diana den Blick ab und schaute hinter sich zur Decke hinauf. Dort hing die Kamera, welche die Bilder für das Quantenprojekt einfing. Wem mochte sie jetzt grade in die Augen schauen?
Es klopfte. Nicht an der Tür, sondern das hölzerne Geräusch kam direkt aus ihren Computerlautsprechern.
Jemand hatte sich in die weiten des Word Wide Web begeben. Jemand den sie kannte und jemand der auch das ICQ Message System benutzte. Sie klickte die kleine, signifikante Blume in ihrer Taskleiste an und das Menü des Messangers tauchte wie aus dem nichts auf. Ein Name blinkte kurz auf und blieb schließlich mit dem Status ´online´ oben in ihrer Bekanntenliste stehen. Es war Marcel.
Immer wieder blinkte der cursor auf, als er sich langsam vorwärts schob und mit jedem Schritt den er tat einen Buchstaben hinterließ.
<Diana> Hi Marcel!!! :-) Wie geht es dir?
<MCL> Na du. Ganz gut eigentlich. Und selbst? Um diese Zeit noch wach?Da war es wieder. Der übliche smalltalk. Und das schlimmste daran war, dass es nie darüber hinausging. Sobald ihre Gespräche ein wenig mehr in Tiefe gingen, zog Marcel sich zurück. Aber diesmal beschloss sie, würde er keine Gelegenheit dazu haben. Morgen war ihr Tag. Und an diesem Tag würde sie nicht nur ihre neu errungene Berühmtheit feiern, sondern vielleicht auch den Anfang einer neuen Beziehung. Auf jeden Fall wüsste sie aber endlich, wo sie dran ist.
<Diana> Du sag mal. Deine mail, die du mir geschickt hast. War das ein Versuch mir zu sagen, dass du mich magst, dass du aber Angst hast vor mir. Oder sagen wir besser, du hast Angst eine Beziehung einzugehen?!Das war es. So einfach und so direkt. Er konnte sich nun nicht länger aus der Affäre ziehen und musste antworten. Sie hätte diese Frage schon viel früher stellen sollen.
Der cursor blinkte schon wieder, aber anders als zuvor, so als würde er sie verhöhnen, denn es kam keine Antwort. Minuten schienen zu verstreichen. Dann geschah es. Das charakteristische Klingeln des Messengers war zu hören und Marcels Antwort war zu lesen.
Sie schaute zur Seite und versuchte sich zu beruhigen. Das Herz schlug ihr bis in den Kopf hinein und Diana fühlte sich wieder in ihre Schulzeit zurück versetzt, als sie ihren ersten Schwarm fragte, ob er nicht mit ihr Händchen hallten würde. Damals hatte sie auch ihren ersten Korb bekommen. Dieser Junge hatte ihr förmlich ins Gesicht gespieen, dass er doch nie ein Mädchen anfassen würde.
Sie holte tief Luft und warf noch einen letzten Blick in ein anderes Universum. Dort saß eine Diana, die mit den Füßen auf dem Boden scharrte den Kopf immer wieder von eine Seite auf die andere bewegte, so als würde es ihr nicht gut gehen; fast so als hätte sie einen Anfall.
Sie blickte genauer auf das Bild, versuchte zu erkennen, was ihr anderes Ich auf dem Monitor vor sich hatte. Es dauerte eine Weile, bis sich die verschwommenen Schlieren vor ihren Augen glätteten und sie erkennen konnte, was dort stand. Marcel hatte geschrieben. Aber was hatte er geschrieben. Sie kniff ihre Augen enger zusammen. Jetzt sah sie es und sie spürte, wie ihr Herz, das bis eben noch so unerbittlich in ihrer Brust hämmerte, fast stehen blieb. Dort stand, ich liebe dich.
Doch bevor sich das Glück in ihrem ganzen Körper verteilen konnte, geschah in diesem Universum etwas. Die dortige Diana sprang auf, drehte sich hektisch mit weit aufgerissenen Augen zu der Kamera herum und brüllte etwas. Dann sprang sie aus dem Bild, das kurz darauf erzitterte. Etwas rotes schob sich hinein. Es floss wie Wasser und es dauerte eine Sekunde, bevor Diana erkannte was es war. Es waren Flammen, die wie eine riesige Welle in den Raum schwappte. Dann wurde der Bildschirm schwarz und ihr Herz schien immer noch nicht zu schlagen.
Was war das dachte sie? Feuer in der Universität? In diesem Ausmaß? Wie konnte das passieren? Was war mit ihr passiert? Oh Gott? War sie in den Flammen verbrannt?
Dianas Gedanken überschlugen sich. Ruhig, sprach sie nun immer wieder zu sich selbst. Das ist nicht hier passiert. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Als sie sie wieder öffnete hatte sie unbewusst ihren Kopf gedreht und vor ihr sah sie Marcels Antwort. Sie las laut vor:
<MCL> Ich liebe dich!Er liebte mich schoss es ihr in den Kopf. Ihre Füße begannen auf dem Boden zu scharren, während sich aus all dem Chaos in ihrem Kopf langsam ein Gedanken herauskristallisierte.
Mit einem Mal sprang sie auf und drehte sich zur Kamera.
„Oh Gott! Lauf! Lauf!“
Sie selbst lief nun so schnell sie konnte und plötzlich hallte ein Donnerschlag in ihren Ohren wieder. So laut, als ob er direkt aus dem Inneren ihres Kopfes kam. Sie warf einen ängstlichen Blick hinter sich. Eine Feuerwelle rollte herein und würde sie jeden Augenblick eingeholte haben. Diana begriff nun vollständig. Sie hatte nicht nur das Geheimnis der verschiedenen Universen gelüftet, sonder auch das der Zeit. Sie hatte in die Zukunft geblickt.
Sie hatte alles und sie hatte nichts und genauso viel spürte sich auch, als das Feuer sie verschluckte und der Rest des Gebäudes unter dem Druck der Explosion zusammenbrach. Trümmer des abgestürzten Flugzeuges bohrten sich noch Kilometer entfernt in den frostigen Boden.