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Rendezvous mit Su

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16.06.2004
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Rendezvous mit Su

Liebe Su,

Ich freue mich auf jede deiner Nachrichten, wie Harras aus dem Tierheim in der Heinz-Sielmann-Straße, wenn die Melanie von nebenan zum wöchentlichen Gassigehen kommt. Ich weiß noch, wie ich dein Bild erblickte, nachdem ich mich, wie schon unzählige, erfolglose Male vorher eingelockt hatte, bei www.loveletters.de.
„Salzamädchen“ nanntest du dich dort und ich war sofort verliebt, in das pummelige Gesicht, dem die Hornbrille so einen gebildeten Ausdruck verleiht unter den braunen Locken. Und ich naiver Schelm dachte zuerst an den Fluss in der Steiermark und die Gelegenheit, dort einen billigen Urlaub bei einer Einheimischen verbringen zu können, bis du mir schriebst, das sei ein wilder Tanz aus Südamerika und deine Heimat sei der Vater Rhein, oder zumindest ein stilles Örtchen an seinen Niederungen.
„Hach“ und welch herrlich lustiger Federkrieg entspann sich zwischen uns, ob dieses kleinen, dummen Missverständnisses. Immer noch rinnt mir ein wohliger Schauer den Rücken herunter, wenn ich an unsere ausgetauschten Fantasien denke, von endlosen Spaziergängen im Sonnenuntergang, am steinigen Flussufer. Wie wir uns dann Andrè Rieu anhören, Wange an Wange, die beiden Ohrstöpsel des Kopfhörers von meinem Tchibo-CD-Player teilend, auf dieser romantischen Holzbank (eine Geschenk der Raiffeisenbank) mit Blick auf Deutschlands großen, mächtigen Strom.

Jetzt ist es endlich soweit. Du hast mein Flehen erhört, du willigst ein, du gewährst mir ein Rendezvous. Schon seit Tagen schlafe ich unruhig, kaum oder gar nicht, so sehne ich diesen Augenblick herbei.

„3.Juli, 16 Uhr dreißig", Hauptbahnhof Remagen, stand auf der putzigen Postkarte mit dem Stoffhasenmotiv, und mit feinziselierter Schrift noch “Deine Susi“.

Doch offen gestanden habe ich aber schon ein wenig Angst vor dem Moment, wo ich dir dann wirklich Auge in Auge gegenüber stehen darf.

Ich habe es wie einen Film vor Augen: ich, in meinem Konfirmationsanzug –der war wirklich todschick 1973, in der Linken ein, inzwischen blütenblätterloser Strauß Osterglocken, in der Rechten eine Packung Trumpf-Schogetten und aus meinem Mund dringt statt einer lockeren Begrüßungsfloskel lediglich ein endlos währendes: „ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄHHHHHHHHMMMMHHHHHHHHHMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM!“

Ich kenne mich, ich bin nicht besonders gut, in solchen Situationen. Eine heftige Hitzewallung ergreift von mir Besitz. Mein kompletter Blutvorrat schießt, trotz vorsorglich angelegter Kompressionsstrümpfe, in die Beine ohne auch nur eine kleine, der Sauerstoffversorgung dienende Neige im Gehirn zurückzulassen. Dann schlage ich nach hinten über. Präge meinen Hinterschädelabdruck in den warmen Asphalt und der Tag ist vorerst gelaufen. Den kann ich dann -glaube ich- nur noch retten, wenn ich dich, nach Wiedererlangung der lebenserhaltenden Reflexe, zu einem Sushi einlade. Um den Mann von Welt zu geben, wie ich anlässlich meiner jüngsten Zahnsteinentfernung, im Wartezimmer der Mens Health entnehmen konnte.
Meine Kopfschmerzen pochen synchron zu unseren Schritten auf dem Weg ins „Fumanschu“. Noch immer bringe ich kein Wort über die Lippen, während du, munter wie ein junges Zicklein euren letzten Volkstanzabend verbalisierst und dass die gehässigen Weiber bei den Weightwatchers dich herausgemobbt haben, vor drei Tagen.

Auch beim Essen schweige ich, bis auf eine kurze, eher kritische Bemerkung über die Konsistenz des dargereichten Fisches, welchen man doch, durch kräftiges Bebraten von allen Seiten, durchaus einem garen und essbaren Stadium hätte zuführen können. Mein Wunsch nach Bratkartoffen statt Reis, wird vom eilfertigen Personal nur mit einem artigen Nicken und einem sturen Verharren in Ahnungslosigkeit quittiert. Die Frage nach Curryketchup schenke ich mir.
Angetan bin ich allerdings vom Angebot der nassen Waschlappen, die sich so hervorragend dazu eignen, meine von der Reise verstaubten und (der durchaus erwähnenswerten Hinterlassenschaft einer Dänischen Dogge auf dem Trittoar) verschmutzten Halbschuhe zu reinigen.
Jetzt sehe ich den Koch dieser asiatischen Speisegaststätte, mit seinem schärfsten Messer und einem Blick, wie dem des Tenno eine Stunde nach dem Überfall auf Pearl Harbour, direkt an unserem heißen Tisch treten. Um dann mit artistischer Geschicklichkeit meine beiden Kreditkarten in millimeterbreite Streifen zu schneiden. Und dies lediglich, weil der Oberkellner kurz zuvor entdeckt hat, dass da eine –nicht unerhebliche- Deckungslücke besteht. Doch das scheint diesem Samurai der Kochkunst noch nicht zu reichen. Mit einem weiteren, selbst für ein geschultes Auge kaum wahrnehmbaren Streich, trennt er meine Advocard (die ich, völlig werbegläubig, die Situation zu retten versuchend, gezückt habe) inklusive meiner rechten Hand mit seinem Fleischbeil von meinem Restkörper ab.

Oh, Oh, da muss mir echt etwas einfallen, um unser erstes Date doch noch zu einem romantischen Erlebnis für dich werden zu lassen. Vielleicht sollten wir –nach ärztlicher Versorgung der klitzekleinen Fleischwunde an meinem rechten Unterarm - eines dieser Tanzlokale aufsuchen. Dort könntest du mir ja dann einen dieser südindianischen Volkstänze beibringen, die du so leidenschaftlich an jedem Mittwoch in der Volkshochschule aufführst.
Nach dieser wilden, ausschweifenden und dabei anmutigen Betätigung, werden wir uns in eine Nische zurückziehen und ich werde aus meiner braunen Echtlederaktentasche –die ich immer mit mir führe- eine Flasche köstlichen Piesporter Michelströpfchens von 1999 hervorzaubern. Den Korken musst du aber entfernen –ich lache- denn ich kann es ja nicht, mit meinem Handicap.
Trunken von dieser erlebnisreichen Nacht und dem Weine, werden wir uns dann in die Arme fallen. Meine Ausstrahlung, gestärkt vom Duft meines Pitralons, lässt auch dich etwas mutiger werden. Deine geschickten, kleinen, nervösen Finger, werden mir den Knoten des Langbinders –ein Geschenk meines Chefs zu meiner 25jährigen Betriebszugehörigkeit- lösen, während ich dir ein zärtliches „Oh Susi, du Schlimme“ in die Ohrmuschel hauche. Ungestüm, wie ich manchmal auch sein kann, vergrabe ich meine Zunge in deinen süßen Locken, bis sich diese zwischen deinem Brillenbügel und der Kopfhaut unter dem duftenden Haar verfängt.
Bei meinem ruckartigen Versuch, mein Geschmacksorgan aus dieser hochnotpeinlichen Beklemmung zu befreien, reiße ich versehentlich das Tischtuch herunter und mit ihm stürzt unser Liebesnektar vom Tisch. Macht nichts. Ich habe noch eine Flasche Kröver Nacktarsch in der der Tasche.
Unsere, also zumindest meine, Fleischeslust eskaliert. Ich sinke vor dich. Die liebevoll von Mutti aufgenähten Knieschoner meiner schwarzen Trevirahose saugen die nassen Reste vom Piesporter auf, und gerade will ich …
als mich plötzlich drei Paar kräftige Hände packen. Eines davon gehört dem Wirt, dessen Physiognomie mich verblüffend an einen Mastino erinnert, der auch beim wohlgesonnensten Tierarzt nicht durch die Charakterprüfung für Kamphunderassen kommt.
Doch nein, so schnell gebe ich den Körper dieses holden Weibes nicht auf. Schließlich ist Graciano Rocchigiani auch nur 1,5 Köpfe größer als ich und wir sind beide echte Fighter. Ich balle mit aller Kraft beide Fäuste bis mir auffällt, dass die rechte, dank des japanischen Kochs, durch Abwesenheit glänzt.
Als ich schließlich zu einem gekonnten Tritt ansetzen will, nutzen die rohen Burschen unter der intellektuellen Oberherrschaft des Mastinos mein Ansinnen in schamloser, ja sogar unfairer Weise aus und ziehen den Laminatboden unter meinen Füßen weg.
In den nächsten Sekunden fühle ich mich erst unsäglich erleichtert, spüre dann aber den Biss der kühlen Nachtluft in meinen unbehaarten Oberschädel. Ich sehe den abnehmenden Mond direkt auf mich zurasen. Am höchsten Punkt der Parabel -die ich hier unter Einsatz meiner gesamten Schwerkraft viel treffender beschreibe, als es meinem Physiklehrer an der Realschule für Jungen je gelungen ist- verlässt eben erwähnter Mond mein Gesichtsfeld nach oben und mein Sinkflug steuert so zielstrebig auf das Kopfsteinpflaster zu, wie Mohamed Atta auf die Twin Towers.

Als ich mich –nach geglückter Landung, aber mit gewissen Schwierigkeiten dem Piloten zu applaudieren- gerade wieder auf den Rücken drehe, schießt mit der Geschwindigkeit und Treffsicherheit einer irakischen Scudrakete etwas Braunes auf mich zu. Glücklicherweise erfolgt der Einschlag vier Meter neben mir, begleitet vom Geräusch gedämpft klirrenden Flaschenglases. Den Kröver Nacktarsch kann ich also auch vergessen! Doch es kommt noch schlimmer. Durch die vorangegangenen, teilweise etwas hektischen Ereignisse der letzten Minuten habe ich nicht nur meine Kontaktlinsen verloren. Nein, auch von Susi ist weit und breit nichts zu sehen.
Ich schlurfe zum Bahnhof, die tropfende Aktentasche unter die linke Achsel geklemmt, den rechten Unterarm in die Hosentasche gesteckt (um den Verlust zu kaschieren) und denke an den Erklärungsnotstand gegenüber Mutti.

Aber versprochen Susi, beim nächsten Mal wird alles anders.

Dein Paul

 

Weißt du, Peer, beinahe hättest du zusätzlich zu Exklusivinterview und Homestory auch noch besagte Fotos gekriegt. Nackt. Aufm Bärenfell, das feucht von mir war. Schließlich ist von einem sechs Monate alten Säugling noch keine Stubenreinheit zu erwarten. :-p

Aber als ich Zeile 18 erreicht hatte, musste ich mir (ich gebe zu, nicht gerade unerleichtert!) eingestehen, dass ich diesmal gar nicht gemeint war. Denn ne Susi bin ich nun mal wirklich nicht. Obwohl meine SchwiMu das manchmal in meine Richtung sagt. Ich seh dann immer neugierig über die Schulter, wer da wohl hinter mir steht. :D

Klartext: Wieder 1a Qualitätsware. Deine Vergleiche toppen alles. Mein Favorit:
... und einem Blick, wie dem des Tenno eine Stunde nach dem Überfall auf Pearl Harbour...
Obwohl der Mastino auch nicht schlecht ist... :-)

You saved my day! Danke für das Zwerchfelltraining. :-))))

Chica

 
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Nein, liebe Chica,

es war nicht meine Tierhaarallergie, die mich so unbekümmert machte und aus "Su" die "Susi" werden ließ. Zu meinem Protagonisten Paul passt einfach keine Wildkatze als welche du, wenn Mann schon Vergleiche mit der Fauna bemüht, am ehesten zu beschreiben bist.
Doch ich verspreche, dass mir, wenn du das Fell gegen ein seidiges Laken tauschst und den Säugling gegen eine erwachsene Frau (die Feuchtigkeit kann bleiben) dieses "Unwort mit S." nicht mehr über die Tastatur, geschweige denn die Lippen kommt und schon gar nicht, wenn meine Zungenspitze mit deiner Ohrmuschel spielt.

Bleibt vielleicht noch anzumerken: auch Paul hat (bis auf den ein oder anderen Charakterzug) nur wenig Ähnlichkeit mit dem Autor. Dieser trägt statt der Aktentasche einen selbstgehäkelten Rucksack, Sandalen statt Halbschuhen, isst seinen Fisch in der örtlichen Nordseefiliale und trinkt vorzugsweise Rotweine aus kontrolliertem Anbau.

Dein Lob lässt mich erröten, nicht nur im Gesicht.

Peer

 

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