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Richtig große Schwänze

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06.02.2002
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Richtig große Schwänze

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Wir lernten uns durch einen Unfall kennen. Eigentlich tat sich nichts auf dieser abgelegenen Landstraße, und so dachte ich die Kurve schneiden zu können. Wie man das manchmal so denkt, wenn der Tag schön, die Straße leer und das Bier billig ist. So stieß ich mit diesem alten 190er zusammen. Nichts Dramatisches, es knallte halt, wir beide tatschten ein wenig gegen die Leitplanken, das war´s.
Wirklich beschissene Kurve, dachte ich noch, in dem Moment stieg er aus und schrie etwas von Schleudertrauma und Knochenbrechen.
Hätte nicht viel gefehlt und wir wären aufeinander los gegangen, so aber wurden wir Freunde, denn sehr bald kam heraus, dass er ebenso wenig einen Führerschein wie ich TÜV hatte; außerdem fehlten uns nur noch wenige Korn, und wir hätten über Kochrezepte diskutiert.
Matze und ich sahen also schnell ein, dass die Bullen nicht gebraucht wurden. Ich nahm seinen arg demolierten Benz in Schlepp, auch wenn ich dachte, dass dabei meine durchrostete, aber größtenteils fahrtüchtig gebliebene Karre auseinander fallen würde, und wir versenkten den 190er nach Anbruch der Dunkelheit dort, wo das Wasser trübe und tief war.
Wir beschlossen, auf den Schock einen zu trinken, da wir nicht weit auseinander wohnten.

Eine Laune des Schicksals wollte es, dass sich in der Mitte der Geraden, die man zwischen unseren Wohnungen ziehen konnte, eine gute Kneipe befand, in der wir bald fast mehr Zeit verbrachten als zuhause.
Erst später merkte ich, dass Matze total verrückt war. Ehrlich, bis dahin war er ein hervorragender Saufbruder. Mit Frauen hatte er es zwar nicht so, aber dafür auch nicht mit Kerlen, und er gehörte zu den Typen, die nicht jeden Abend die selbe Scheiße erzählten, bis sie einem aus den Ohren rauskam.

Dann, eines Tages, kam er mit seiner neuen Freundin. Wie gesagt, Matze war kein Frauentyp. Ich hatte bis dato immer gedacht, seine Bestimmung läge darin, mit mir sein Leben an der Theke zu verbringen und ab und zu den Blauweißen eine zu verpassen, die sich nach manchen Spielen sturzbesoffen in unsere Schenke verirrten.

So kann man sich irren. Sah noch nicht mal schlecht aus, die Kleine. Große Titten und Lippen wie Airbags. War mal Showgirl oder so, auch wenn sie dafür nun ein wenig zu alt war.
Ein Gespräch kam nur verkrampft zugange. Verdammt, ich war nicht in der Laune für Frauengespräche.
Die ganzen beschissenen neun Stunden auf der Arbeit hatte ich mir gewünscht, mit ihm zwei oder drei kühle Biere zu trinken und vielleicht noch, schließlich war gestern Lohn gekommen, im Platinum vorbeizuschauen, wo sie eine neue Tänzerin haben sollten.
Irgendwann gingen die beiden Zigaretten holen und kamen nicht wieder. Als ich kurz darauf zum Pissen am Automaten vorbei zum Scheißhaus ging und die Tür öffnete, traf ich sie wieder.
Er stand mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt neben dem Waschbecken und verzog das Gesicht, nahm mich nicht mal richtig wahr. Sie kniete vor ihm auf den Fliesen, wippte mit dem Kopf wie ein Wackeldackel und machte nicht viel mehr als Slörp, Slörp, Slupp, während er sich auf ein sporadisches archaisches Ah und Oh beschränkte.
Bullshit, sie trieben es auf dem Scheißhaus unserer Stammkneipe. Er zuckte zusammen, als er mich sah, und mir wurde anders, als sie sich zu mir herumdrehte mit, wie ich mir einbildete, leicht ausgebeulten Backen.

Dies war eigentlich das einzige Mal, wo ich ihn mit einer Braut gesehen habe. Bald kam er nicht mehr saufen, was für mich ziemlich hart war.
Zufällig hörte ich, dass die beiden planten zu heiraten. Nicht einmal einladen würde er mich.
Eines Tages jedoch kam er wieder. Wie ich herausfand, war sein Mädchen mit einem mindestens zwei Meter großen Schwarzafrikaner auf der Suche nach Liebe und Asyl durchgebrannt. Man munkelte noch, sie habe ihm einige besondere Abschiedsworte mitgegeben. Ich erfuhr nie, was sie ihm gesagt haben musste, aber bald schon konnte ich es mir denken.
Es hätte alles so sein können wie früher, ich vergab ihm bereitwillig, doch von jetzt an war er von einer Idee besessen.

Nun gut, das waren die Großen dieser Welt, Hitler, Ho-Tschi-Minh und dieser magersüchtige Inder auch gewesen, aber... seine Idee war anders. Sie taugte nicht zur Unsterblichkeit.
Als er mir eines Abends den Arm um die Schulter legte und mich einweihte, dachte ich zuerst, er wolle mich verarschen. Ich sagte nichts dazu, trank mein Bier weiter und versuchte, immer ernst zu nicken.
Timmyboy, lallte er, ich werde Hunde züchten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat! Ich nickte abermals zustimmend. Er hatte sich verändert.
Und er züchtete. Investierte ein Heidengeld, von all der Arbeit ganz zu schweigen.
Er kreuzte wild durcheinander, Rassenreinheit interessierte ihn nicht, nur die richtig großen Dinger.

Als er mir seine Kreationen zeigte, war ich zwar erst ziemlich überrascht, aber irgendwie waren diese Kreaturen schon... interessant. Matze stand neben mir und referierte über die verschiedensten Mittelchen von der Luftglocke bis hin zu kleinen Bleigewichen, auch wenn natürlich nichts so ausschlaggebend war wie der richtige Vater.
Ich nickte und schwieg. Vor mir tummelten sich die ersten vier Welpen mit knuffigem Junghundgesicht und einem Mordsgehänge.
Die einzige Frage, die ich ihn an diesem Tag noch stellte, war:
Und was machst du mit den Weibchen?
Darüber schwieg er sich jedoch hartnäckig aus.
Ich dachte zu jener Zeit noch, dass diese kranke Idee irgendwann ihre Faszination auf ihn verlieren würde.
Tat sie nicht.
Eines Tages standen sogar wahrhaftig drei von diesen pubertierenden Arabs vor seiner Zwingertür und wollten einen seiner Champions kaufen, wenn auch nur für lächerliche fünfzig Tacken. Dachte immer, die haben Schiss vor Hunden. Jedenfalls stärkte es seine Bemühungen noch einmal beträchtlich.
Penibel berichtete er mir von seinen Fortschritten, als würde es um seine Zentimeter gehen. Ging es ja auch, irgendwie. Ich war immer heilfroh, dass uns niemand zuhörte, und überzeugt, dass er erst aufhören würde, wenn sich sein größter Erfolg selbst stranguliert hätte.

Projekt Titanenphallus war seine Bestimmung, wenn man so will. Nichts konnte ihn davon abhalten.
Na ja, fast nichts. Es schien fast so, als hätten höhere Mächte sich entschlossen, zu kontern angesichts seines blasphemischen Schaffens, dieser perversen Übergriffe auf die Schöpfung.
Und dagegen war er chancenlos.
Den Aufprall selber hätte er ja noch überlebt, wie man mir erzählt hat, fuhr der Wagen doch eigentlich nicht schnell.
Pech nur, dass die junge Studentin, deren Corsa ihn eines Samstag morgens rammte - er lag auf der Motorhaube und sank langsam und effektvoll auf die Straße - einen Schreikrampf bekam und in Panik mit quietschenden Reifen anfuhr. Erst ein mutiger Müllmann konnte sie stoppen, hundert Meter später. Blut und Hundefutter, das er gerade gekauft hatte, waren überall verstreut. Für den armen Matze kam jede Hilfe zu spät, die Welt zwischen Vorderachse und Asphalt kann verdammt gemein sein.

Meine letzte Pflicht ihm gegenüber sah ich darin, mich um seine Brut zu kümmern.
Die kleinen Welpen hatten schon das halbe Gehege vollgeschissen und bellten wie die Bekloppten, als ich zwei Tage später ankam. Eigentlich seltsam, dass sich noch niemand um sie gekümmert hat, dachte ich, und irgendetwas - Romantik oder so was - kam über mich: ich legte die Axt aus der Hand, öffnete die Drahtgittertür und entließ die ganze hungrige Meute in die Freiheit. Ich muss ihnen sicher eine Stunde lang nachgestarrt haben, diesen kleinen kläffenden Freaktierchen mit den zwischen den Hinterläufen schlackernden Schwänzen.
Die Welt stand ihnen offen - und genug Pferde auf der Weide, sollten sich die Miss Wauzis auf dieser Erde als zu eng erweisen.
Ich musste lächeln.
Leb wohl, alter Kumpel.

 

Geschrieben von Harkhov Syndrom
ich finde auch dass du in den entscheidenden momenten genug distanz zwischen dem icherzähler und dem hundezüchter schaffst

es besteht kein grund, dir rassimus zu unterstellen. deine geschichte ist fiktion. das ist der entscheidende punkt. und deine geschichte ist nicht tendenziös.

 

wirklich sehr unterhaltsam hier....
:lol: :rotfl: :lol:

aber ich hab das hier noch nicht kapiert:

außerdem waren die Blutwerte eines Sechsjährigen doch relativ weit von den unseren entfernt.

häää? :confused: vielleicht lese ich mir den Text nochmal durch...

ansonsten fand ichs ganz nett

 

Hi Yva,
Ich habe auch ne Weile gebraucht. Er hat den Satz falsch herum formuliert (es gibt eben doch Regeln). Stelle ihn genau um, dann verstehst Du es sofort:

"Außerdem waren unsere Blutwerte doch relativ weit von denen eines Sechsjährigen entfernt."

Na, klingelts?

Gruß
Columbus

 

Jaaa doch, ich hab´s jetzt gestrichen.
Das war soweit ich weiß ja auch die einzige Stelle, an der ihr euch gestossen habt.

Neu:

"(...) außerdem fehlten uns nur noch wenige Korn, und wir hätten über Kochrezepte diskutiert."

Geht das in Ordnung? Fällt auch nimmer aus dem Stil raus.

...para

 

[Columbus:]Ich hätte nur empfohlen EINEN Stil durchgängig zu schreiben, also entweder Gosse (Pissen, Bullen, Titten, etc.) oder romantisch-beschreibend (...Ein leichter Windstoß ließ ganz leise die Bäume knarzen und ihre Blätter rauschen, das war alles...)
Naja, ist doch nur eine klitzekleine Ausnahme.
Schocken tut eigentlich nur der Gossenstil, denk ich.
Da du ( nichts gegen dich, hast ja Recht! ) jedoch der einzige Leser bist, dem das störend auffiel, verzichte ich auf eine Änderung.

Grüße,
...para


PS:
Nebebbei: Nachdem ich die Geschichte einigen Freunden vorgelesen habe und ihre Reaktion durchaus positiv war, werde ich sie in Göttingen vorlesen.

 

Servus Paranova,

und wiede hab ich auf einen Titel geklickt, der von, na eh scho wissen..., handelt. Aber die Idee mit den Hunden fand ich originell.

Sprache ziemlich Gassenmäßig. Von der Handlung, sagte ich schon, originell. Das ganze hat irgendwie etwas. Die Figuren sind ziemlich undeutlich, wie durchsichtige Geister, ich konnt sie mir irgendwie nicht vorstellen. Den Tod des Protagonisten, den konnt ich als Leser nicht ganz nachvollziehen, das war mir zu unklar.

Sonst war's mal etwas anderes, was gossenmäßiges auch sprachlich. Warum denn nicht. Ich hab mich beim Lesen unterhalten.

eines noch:

However, es ...

Geh bitte! Muß das unbedingt auf Englisch stehen. Das fand ich persönlich wirklich schlecht, sprachlich. "Wie auch immer", "was soll's", "na wenn schon" auf deutsch hätt's auch getan, oder???? :thdown: :fluch:

Sonst war die Atmosphäre gut rübergebracht, Gossensprache, Wirtshaus, zwei Kumpels.

liebe Grüße

Echna

 

hi Para!
*grins*
mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen, oder?
Ich steh nun so gar nicht auf solche Sachen. Aber :thumbsup: warum nicht mal so? :D

Lieben Gruß,
Frauke

 

Hallo Echnaton!
Ja, der Titel ist getreu meiner "je provozierender, desto mehr Kritiken" - These gewählt worden.
An dieser These ist übrigens viel dran.
However... äh, sorry... entschuldige, mein ich... es schien mir einfach zu passen, und ich bin mit der Änderung nur 95-prozentig zufrieden: "Jedenfalls...", steht jetzt da, denn ich kann dein Unbill sehr wohl nachvollziehen.
Warum ist der Tod von W. denn unklar? Nicht nachvollziehbar?
Mal abgesehen davon, dass du oder ich schon morgen einen Unfall haben könnten, Gott bewahre, so wird ja sogar darauf übergeleitet, mit dem Verweis auf höhere Mächte.
Und warum die Figuren durchsichtig sind, solltest du etwas ausführlicher darlegen, denn das verstehe ich nicht.

Hallo Existence!
Die Geschichte wurde von hinten nach vorne geschrieben, denn am schwierigsten fiel mir der Einstieg.
Nunja, das wirklich unterhaltsame ist ja gerade, dass sie unvorhersehbar verläuft. Viele, viele Stories hier sind zu routiniert, man weiß bereits, was einen erwartet.
Logische Auflösung fällt schon deshalb schwer, weil W. ja sehr unlogisch handelt. Als ich das letzte Mal mit meiner Freundin Schluss gemacht hab, hab ich ja auch nicht angefangen, Kühe mit gro... lassen wir das besser.
Ich stimme dir auf jeden Fall daringehend überein, als das der rote Faden sehr, sagen wir, Z- förmig verläuft. Aber ich denke, wenn er wirklich abreißen würde, wäre das noch mehr Lesern aufgefallen.
Ich wollte halt mal was anderes Schreiben. Ist nun mal Geschmackssache.

Herzliches Danke für eure Kritiken!!!
...para

 

Hi!
Deine Geschichte hat mir gut gefallen, weil sie eben nicht alltäglich war, sondern sich durch den Inhalt und den Stil von einigen anderen absetzt. Es gefällt mir wirklich gut, wie du schreibst, und ich denke mal, ich werde noch mehr von dir lesen.
Zum Thema Diskussionen in den Kommentaren wollte ich noch sagen, dass ich es zum Teil ja ganz nett finde, wenn sich hier etwas längeres ergibt, aber wenn es sich dann immer wieder im Kreise dreht und mit der Geschichte nichts mehr zu tun hat, bekommt es für mich einen eher nervigen und selbstdarstellerischen Charakter. Gut, darstellen wollen wir uns alle, aber doch bitte durch Kurzgeschichten und nicht durch einen vom Zaun gebrochenen Streit, oder?
Gibt es eigentlich die Seite www.streitgesrraeche.de?

 

Och Christian,
dieses Geplänkel haben wir doch ganz gut beilegen können. Die Seite lebt ja zum Teil auch durch die vielen verschiedenen Charaktere.

Die Geschichte wird in diesen Tagen noch überarbeitet, um sie für die Lesung in Göttingen zu frisieren. Ich bin zwar der Ansicht, dass sie nicht unbedingt meine aaallerbeste ist, aber wir wollen doch das Publikum rocken und schocken... :D

...para

 
Zuletzt bearbeitet:

Tata! Der Göttingen- Lesungs- Highlife- Hardcore- Text liegt vor.
W. hat einen richtigen Namen, ein vom Stil her störender Satz wurde gestrichen und so weiter, endlich ist alles besser und jetzt auch noch 25 Prozent günstiger!!!
:silly:


PS:
Nachdem ich den Text in Göttingen gelesen hatte, wurde Dreimeier anmoderiert. Auf die Frage hin, warum denn "Zweimeier", seine Tochter, nicht dabei wäre, antwortete er trocken:
"Wegen Texten wie dem grade."
:lol:

 

Jaaaa, sowas gefällt mir, man hat einfach was geiles zu erzählen (siehe Bukowski) und erzählts auch einfach, ohne Wortakrobatik und Metaphernnebel. Erfrischend, danke. :D

 

Habt Dank.
Seltsam ist die Geschichte vom Plot her schon, aber was meintest du mir den zitierten Textstellen, White Wolf? Auch seltsam?
Plumpes Hundezüchten finde ich übrigens nicht unbedingt schlimm, seit man den Phallusersatz Kampfhund mit dem Vorschlaghammer verboten hat.
Habt Spaß!
...para

 

Wir lernten uns durch einen Unfall kennen. Eigentlich tat sich nichts auf dieser abgelegenen Landstraße, und so dachte ich die Kurve schneiden zu können. Wie man das manchmal so denkt, wenn der Tag schön, die Straße leer und das Bier billig ist. So stieß ich mit diesem alten 190er zusammen. Nichts Dramatisches, es knallte halt, wir beide tatschten ein wenig gegen die Leitplanken, das war´s.
Wirklich beschissene Kurve, dachte ich noch, in dem Moment stieg er aus und schrie etwas von Schleudertrauma und Knochenbrechen.
Hätte nicht viel gefehlt und wir wären aufeinander los gegangen, so aber wurden wir Freunde, denn schnell kam heraus, dass er ebenso wenig einen Führerschein wie ich TÜV hatte; außerdem fehlten uns nur noch wenige Korn, und wir hätten gemeinsam über Kochrezepte diskutiert.
Matze und ich sahen also schnell ein, dass die Bullen nicht gebraucht wurden. Ich nahm seinen arg demolierten Benz in Schlepp, auch wenn ich dachte, dass dabei meine arg gebeutelte Karre auseinander fallen würde, und wir versenkten den 190er nach Anbruch der Dunkelheit dort, wo das Wasser trübe und tief war.
Wir beschlossen, auf den Schock einen zu schlucken, da wir nicht weit auseinander wohnten.

Eine Laune des Schicksals wollte es, dass sich in der Mitte der Geraden, die man zwischen unseren Wohnungen ziehen konnte, eine gute Kneipe befand, in der wir bald fast mehr Zeit verbrachten als zuhause.
Erst später merkte ich, dass Matze total verrückt war. Ehrlich, bis dahin war er ein hervorragender Saufbruder. Mit Frauen hatte er es zwar nicht so, aber dafür auch nicht mit Kerlen, und er gehörte zu den Typen, die nicht jeden Abend die selbe Scheiße erzählten, bis sie einem aus den Ohren rauskam.

Dann, eines Tages, kam er mit seiner neuen Freundin. Wie gesagt, Matze war kein Frauentyp. Ich hatte bis dato immer gedacht, seine Bestimmung läge darin, mit mir sein Leben an der Theke zu verbringen - und ab und zu den Blauweißen eine zu verpassen, die sich nach manchen Spielen sturzbesoffen in unsere Schenke verirrten.

So kann man sich irren. Sah noch nicht mal schlecht aus, die Kleine. Große Titten und Lippen wie Airbags. War mal Showgirl gewesen oder so, auch wenn sie dafür nun ein wenig zu alt war.
Ein Gespräch kam nur verkrampft zugange. Verdammt, ich war nicht in der Laune für Frauengespräche.
Die ganzen bescheuerten neun Stunden auf der Arbeit hatte ich mir gewünscht, mit ihm zwei oder drei kühle Bierchen zu trinken und vielleicht noch, schließlich war gestern Lohn gekommen, im Platinum vorbeizuschauen, wo sie ´ne neue Tänzerin haben sollten.
Irgendwann gingen die beiden Zigaretten holen und kamen nicht wieder. Als ich kurz darauf zum Pissen am Automaten vorbei zur Keramik ging und die Tür öffnete, wusste ich, warum.
Er stand mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt neben dem Waschbecken und verzog das Gesicht, nahm mich nicht mal richtig wahr. Sie kniete vor ihm auf den Fliesen, wippte mit dem Kopf wie ein Wackeldackel und machte nicht viel mehr als Slörp, Slörp, Slupp, während er sich auf ein sporadisches archaisches Ah und Oh beschränkte.
Bullshit, sie trieben es auf dem Scheißhaus unserer Stammkneipe. Er zuckte zusammen, als er mich sah, und mir wurde anders, als sie sich zu mir herumdrehte mit, wie ich mir einbildete, leicht ausgebeulten Backen.

Dies war eigentlich das einzige Mal, wo ich ihn mit einer Braut gesehen habe. Bald kam er nicht mehr saufen, was für mich ziemlich hart war.
Zufällig hörte ich, dass die beiden planten zu heiraten. Nicht einmal einladen würde er mich.
Eines Tages jedoch kam er wieder. Wie ich herausfand, war sein Mädchen mit einem mindestens zwei Meter großen Schwarzafrikaner auf der Suche nach Liebe und Asyl durchgebrannt. Man munkelte noch, sie habe ihm einige besondere Abschiedsworte mitgegeben. Ich erfuhr nie, was sie ihm gesagt haben musste, aber bald schon konnte ich es mir denken.
Es hätte alles so sein können wie früher, ich vergab ihm bereitwillig, doch von jetzt an war er von einer Idee besessen.

Nun gut, das waren die Großen dieser Welt, Hitler, Ho-Tschi-Minh und dieser magersüchtige Inder auch gewesen, aber... seine Idee war anders. Sie taugte nicht zur Unsterblichkeit.
Als er mir eines Abends den Arm um die Schulter legte und mich einweihte, dachte ich zuerst, er wolle mich verarschen. Ich sagte nichts dazu, trank mein Bier weiter und versuchte, immer ernst zu nicken.
Timmyboy, lallte er, ich werde Hunde züchten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat! Ich nickte abermals zustimmend. Er hatte sich verändert.
Und er züchtete. Investierte ein Heidengeld, von all der Arbeit ganz zu schweigen.
Er kreuzte wild durcheinander, Rassenreinheit interessierte ihn nicht, nur die richtig großen Dinger.

Als er mir seine Kreationen zeigte, war ich zwar erst ziemlich überrascht, aber irgendwie waren diese Kreaturen schon... interessant. Matze stand neben mir und referierte über die verschiedensten Mittelchen von der Luftglocke bis hin zu kleinen Bleigewichen, auch wenn natürlich nichts so ausschlaggebend war wie der richtige Vater.
Ich nickte und schwieg. Vor mir tummelten sich die ersten vier Welpen mit knuffigem Junghundgesicht und einem Mordsgehänge.
Die einzige Frage, die ich ihn an diesem Tag noch stellte, war:
Und was machste mit den Weibchen?
Darüber schwieg er sich jedoch hartnäckig aus.
Ich hoffte zu jener Zeit noch, dass diese kranke Idee irgendwann ihre Faszination auf ihn verlieren würde.
Tat sie nicht.
Eines Tages standen sogar wahrhaftig drei von diesen pubertierenden Arabs vor seiner Zwingertür und wollten einen seiner Champions kaufen, wenn auch nur für lächerliche fünfzig Tacken. Dachte immer, die haben Schiss vor Hunden. Jedenfalls stärkte es seine Bemühungen noch einmal beträchtlich.
Penibel berichtete er mir von seinen Fortschritten, als würde es um seine Zentimeter gehen. Ging es ja auch, irgendwie. Ich war immer heilfroh, dass uns niemand zuhörte, und überzeugt, dass er erst aufhören würde, wenn sich sein größter Erfolg selbst stranguliert hätte.

Projekt Titanenphallus war seine Bestimmung, wenn man so will. Nichts konnte ihn davon abhalten.
Na ja, fast nichts. Es schien fast so, als hätten höhere Mächte sich entschlossen, zu kontern angesichts seines blasphemischen Schaffens, dieser perversen Übergriffe auf die Schöpfung.
Und dagegen war er chancenlos.
Den Aufprall selber hätte er ja noch überlebt, wie man mir erzählt hat, fuhr der Wagen doch eigentlich nicht schnell.
Pech nur, dass die junge Studentin, deren Corsa ihn eines Samstag morgens rammte - er lag auf der Motorhaube und sank langsam und effektvoll auf die Straße - einen Schreikrampf bekam und in Panik mit quietschenden Reifen anfuhr. Erst ein mutiger Müllmann konnte sie stoppen, hundert Meter später. Blut und frisch gekauftes Hundefutter waren überall verstreut. Für den armen Matze kam jede Hilfe zu spät, die Welt zwischen Vorderachse und Asphalt kann verdammt gemein sein.

Meine letzte Pflicht ihm gegenüber sah ich darin, mich um seine Brut zu kümmern.
Die kleinen Welpen hatten schon das halbe Gehege vollgeschissen und bellten wie die Bekloppten, als ich zwei Tage später bei ihm vorbeischaute. Eigentlich seltsam, dass sich noch niemand um sie gekümmert hat, dachte ich, und irgendetwas - Romantik oder so was - kam über mich: ich legte die Axt aus der Hand, öffnete die Drahtgittertür und entließ die ganze hungrige Meute in die Freiheit. Ich muss ihnen sicher eine Stunde lang nachgestarrt haben, diesen kleinen kläffenden Freaktierchen mit den zwischen den Hinterläufen schlackernden Schwänzen.
Die Welt stand ihnen offen - und genug Pferde auf der Weide, sollten sich die Miss Wauzis auf dieser Erde als zu eng erweisen.
Ich musste lächeln.
Leb wohl, alter Kumpel.

 

Während der Heidelberglesung sind mir noch einige Stellen aufgefallen, die im Detail verbessert wurden.

 

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