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- Anmerkungen zum Text
Trigger-Warnung: Ich möchte ungern das konkrete Thema vorwegnehmen, aber Menschen mit traumatischer Verlusterfahrung sollten abwägen ob sie weiterlesen mögen.
Setting: Europäisches Fantasy-Mittelalter (wobei in diesem Auszug quasi keine fantastischen Elemente enthalten sind).
Ruß im Wind
Aufgeregtes Getrappel und Gemurmel ließ Garem aus seinem Schlaf fahren. Irgendetwas stimmte nicht. Benommen richtete er sich auf und lauschte in die Dunkelheit der Kammer. Stille. Dann ein leises Scharren, irgendwo jenseits des Flurs. Hörte er da Delara, die Hebamme?
Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis und er vermochte die regungslosen Körper seiner Geschwister auszumachen. Ihr Schlaf war gesegneter als der seine. In der Luft hing ein scharfer Geruch von altem Schweiß und erkalteten Kohlen. Und seiner Zunge schien ein Teppich entwachsen zu sein, so pappig fühlte sie sich an. Es war eindeutig inmitten der Nacht.
Ein fernes Gezeter drang in sein Bewusstsein. Es war kaum zu vernehmen, aber eindeutig klagend. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht. Nervös zog er die Decke vollends von seinen nackten Beinen und kam auf die Füße. Nur in sein Nachtkleid gehüllt wie er war schlich er - einen Fuß vor den anderen - nervös zur diffusen Silhouette der Kammertür. Sein Herz begann zu rasen, als er sein Ohr an das spröde Holz legte. Nichts. Eine gefühlte Ewigkeit stand er da, ein dunkler Schatten, verschmolzen mit der Türschwelle.
Schließlich fasste er sich ein Herz: Wollte er gewahr werden was hier gespielt wurde - zu dieser gar gottlosen Stunde - so gab es nur eine Möglichkeit. Angespannt öffnete er die Tür, bedacht darauf so wenig wie möglich von sich preis zu geben.
Es war völlig unnötig: Kaum hatte der die Tür eine knappe Elle weit geöffnet, eilte eine der Mägde wie in Panik an ihm vorbei, ohne ihn auch nur zu bemerken. Er sah ihr nach. Schon war sie hinter der Ecke zum Herrengemach verschwunden, von der ein schwaches Leuchten ausging. Was war hier nur los? Kam die Herrin etwa bereits nieder? Es war viel zu früh.
Eine weitere Magd eilte an ihm vorbei, auch sie würdigte ihn keines Blickes. Nun war es aber genug. Zwiegespalten in Angst und Neugier traute sich Garem in den ungeschützten Flur hinaus und folgte den Mägden. Das Gemurmel wurde klarer und mit jedem Zoll den er sich weiter schob gefror ihm mehr und mehr das Blut in den Adern. Gerade hatte er die Ecke erreicht, da schepperte es laut und ein gequälter Schrei zerriss die Nacht. Mit einem Satz war Garem um die Ecke und verharrte auf der Schwelle zum Gemach seines Herren. Er verstand nicht was er sah. Sechs oder sieben Personen standen wild verteilt im Raum umher. Der Kamin rußte. Der alte Bend mühte sich ab, die kläglichen Flammen wieder anzufüttern, die das Feuer des vergangenen Abends noch am Leben hielten. Der Boden war voller roter Bündel. Tücher. War das… Blut? Das herrschaftliche Himmelbett glich einem Schlachtfeld. Sämtliche Laken waren aufgewühlt und durchnässt. Erst jetzt erkannte er den verkrampften Körper seiner Herrin, der mit gespreizten Beinen… Beschämt wich sein Blick dem Anblick aus und kreiste unschlüssig über die verschränkten Arme der Hebamme Delara, wie sie ein weiteres blutiges Knäul an sich presste. Sie sah furchtbar aus. Wilde Strähnen hatten sich aus ihrer Haube gelöst und klebten ihr verschwitzt im Gesicht. Ihr Blick glich einer Grimasse. Wie wahnsinnig starrte sie auf das triefende Bündel in ihren Armen.
Ein markerweichendes Wehklagen schraubte sich aus dem Nichts empor und wurde immer schriller. Verwirrt suchten Garems Augen den Raum nach seiner Quelle ab und erkannte sie schließlich in Gestalt seines Herren, wie er da wie mit dem Bett verschmolzen halb über seiner Gemahlin kauerte. Niemals in seinem kurzen Leben hatte er je so viel Leid gehört.
“Hinaus…”, flüsterte jemand neben ihm mit gebrochener Stimme. Es war Gerda, die erste Magd. Die alte Frau wirkte, als sei sie geradewegs aus dem Totenreich emporgestiegen. Sichtlich müde erhob sie ihren Blick und fixierte nach und nach die umstehenden Gestalten im Raum.
“Hinaus!”, rief sie nun mit erstaunlicher Autorität.
“Ihr alle! Bis auf Delara und das Kind, alle hinaus mit euch! Schert euch zu den Niederhöllen!”
Die Herdenflucht folgte auf dem Fuße. Mit einem ohrenbetäubenden Knallen - als seien die Pforten aller Himmel zugleich verschlossen worden - fielen die Türflügel ins Schloss und die Schaar der Bediensteten stand betreten davor. Kein Stern spendete in dieser Nacht Trost und kein Auge wurde mehr zugetan.