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Schach – Auf ein Neues
Es ist Sonntag. Ich habe mich dazu entschlossen, mit meinem guten und alten Onkel mal wieder eine gediegene Partie Schach zu spielen. Ich stelle meinen Wagen im Hof des Verwandtschaftsteils ab. Da tönt bereits gellend eine penetrante Hundestimme. Whoopie, wie sich das Tier bellt, hat mich bereits gesichtet. Als ich die wie immer nicht verriegelte Wohnungstür öffne, springt er mich schreiend an und wischt seine Pfoten an mir.
An liebsten würde ich ihn mit einem kräftigen Kick in Richtung Ausgang befördern. Doch aus Liebe zur Verwandtschaft unterlasse ich dies freundlichst. Mein Onkel Berthold sitzt bereits übend am Schachtisch. Völlig vertieft, ohne den Kopf zu wenden, wirft er mir ein abwesendes „Hallo“ entgegen. Ich erwidere es, etwas herzlicher, da nicht vertieft, nehme ihm gegenüber Platz und verfolge den Ausgang seiner Schlacht gegen den Computer. Es sieht spannend aus. Beide Parteien haben gleichwertige Verluste gemacht und sind knapp am Boden. Berthold hält sich wacker.
„Die Dame fehlt gleich.“, verkündet er siegesgewiss.
Die Dame fehlt. Der Computer zieht. Nun steht mein Onkel im Schach. Geschickt blockiert er den Weg zum Oberhaupt. Ein paar Mal geht es noch so hin und her; dann der entscheidende Zug:
„So, jetzt hab ich dich.“ Berthold schnappt sich den ungedeckten König. Er wendet sich an mich. Es folgt unser üblicher Vorschach-Smalltalk, knapp kalkuliert wie immer.
„Hattest du eine gute Fahrt?“
„Völlig problemlos.“, entscheide ich.
„Übles Wetter, oder?
„Du sagst es.“
„Und, bist du vorbereitet?“
„Was denkst du denn.“
Dann kommen wir zur Sache. Das Brett wird neu präpariert und der Startzug fällt. Berthold macht den üblichen Standard-Zug: 2 Felder nach vorn mit dem Bauern in der Mitte der Reihe. Ich mache es ihm gleich. Wir fahren alle Bauern nacheinander aufs Feld. Bevor das Spiel überhaupt in Fahrt kommt, erscheint die Oma im Raum.
„Ja, hallo Frank. Bist du auch mal wieder da!“
Ich schaue mich um und bestätige protokollierend.
„Und, daheim alles in Ordnung?“
„Passt alles. Keine Sorge.“
„Was machen deine Eltern so?“, fragt sie weiter. Diese Frage wäre eigentlich überflüssig, da meine Eltern fast jeden Sonntag, wie viele andere Deutsche mittleren Alters das Gleiche machen, nämlich:
„Ach, die ruhen sich auf dem Sofa aus.“
“So, die ruhen sich mal wieder aus. Und ihr seid schön am Spielen?“
Wir nicken. Sie setzt sich zu uns an den Tisch.
„Und, wer gewinnt?“
„Wir haben gerade erst angefangen.“, verdeutliche ich.
„Ach so.“, meint Oma und schweigt forthin.
Wir spielen weiter. Zum Glück versteht meine Oma nichts von Schach, denn ansonsten würde sie auch noch das Spiel kommentieren. Nichts gegen meine Oma, doch zum Schach gehört nun mal absolute Totenstille. Allmählich geht es in die spannendere Phase. Mein Onkel bedroht meinen Turm ernsthaft mit seinem Läufer. Nun muss ich genau überlegen und handeln. Oma wendet sich gelangweilt ab. Die große Wanduhr tickt fordernd. Die ganze Last der Entscheidung liegt auf mir. Der Moment scheint sich endlos auszudehnen. Ich nehme nichts mehr außer dem Ticken und dem Schachbrett wahr. Mir kommt die Lösung und ich schlage den Läufer mit meinem Pferd. Somit bin ich wieder aus dem Schneider. Berthold zieht wieder und baut sich ein weiteres Glied seiner breiten Angriffsfront auf. Ich will wieder ziehen. An meinen Beinen bewegt sich etwas. Ich schaue nach unten: Hauskater Tommy wischt sich an mir seine Schnauze ab. Um das ganze zu beschleunigen, kraule ich ihm sein Köpfchen. Tja, Streicheleinheiten will er wohl nicht. Er beißt mich in die Hand und zieht nichtvorhandene Leine. Er hätte wohl eher feindliche Streicheleinheiten verdient gehabt. Etwas gefrustet konzentriere ich mich wieder aufs Brett. Hier bahnt sich seitens des Gegners eine Allianz, bestehend aus Dame, Pferd und Turm um meinen König herum auf.
“Schach.“, murmelt Berthold.
„Das hättest du wohl gern.“, gebe ich zurück und verziehe mich dem König ins Eck. Im nächsten Zug kommt er mir mit der Dame noch näher. Ich eliminiere diese mit einem Hechtsprung des Läufers.
„Du bist gemein.“, protestiert Berthold.
„Ich weiß.“, stimme ich zu. Im selben Moment kommt Oma wieder aufs Spielfeld mit den Worten:
„Habt ihr auch genug zu trinken?“
Wir stimmen beide zu. Sie schaut sich mein Glas an.
„Aber du hast ja fast leer!“
„Du, Oma, das macht nichts.“, versichere ich ihr.
„Aber du musst doch trinken! Mindestens 3 Liter am Tag. Komm, ich füll dir wieder auf!“
„Lass gut sein, Oma!“
Oma bleibt hart.
„Keine Widerrede!“ Sie verschwindet mit dem Glas in der Küche. Während sie auffüllt geht es weiter. Berthold zieht mit einem Bauer weiter vor. Er steht nun ein Feld vor dem Brettende. Ich muss aufpassen. Ansonsten hat er gleich wieder eine zweite Dame. Oma kehrt mit dem gefüllten Glas Orangensaft wieder, stellt es mir kommentarlos an den Platz und verschwindet wieder im Wohnzimmer. Da fällt mir auf, dass eines meiner Pferde in Gefahr steht. Dieses Problem hat wohl höhere Priorität. Ich fahre schützend einen Bauern vor und nehme die Dame in Kauf. Schon steht das nächste Tier am Bein bereit: Whoopie will schmusen. Zumal ich davon ausgehe, dass ihr nicht zum Beißen zumute ist, fahre ich ihr ein paar mal über den Kopf. Sie bringt keine Einwände und fordert Zugabe. Leider kann ich ihr das aus Zeitgründen nicht vergönnen und ignoriere sie fortan. Mein Onkel wandelt nun seinen Bauern um. Ich gehe wieder meine spielerischen Möglichkeiten durch. Mir fällt ein freistehendes Pferd auf und rücke diesem mit meiner Dame ein Feld näher.
„Pass auf.“, warnt Berti. Er springt mit dem Pferd weg und nimmt sogleich einen meiner Bauern mit.
„Du kannst wohl nie genug bekommen.“, stichle ich. Kaum habe ich das gesagt, taucht meine Tante auf:
„Wollt ihr was von dem Kuchen?“
„Nein.“, tönt es wie aus einem Rohr.
„Ah, ihr seid beschäftigt.“, bemerkt sie. „Gut, dann nehme ich ihn wieder mit.“
Als nächstes rücke ich Bertholds König mit einem Läufer auf die Pelle. Auch dagegen ist er gefeit. Er schiebt einen Turm vor und ich muss schnell wieder auf Rückzug gehen. Daran denkt das Onkelchen hingegen überhaupt nicht. Siegesgewiss killt er meine Dame, womit ich wohl stark geschwächt wäre. Schon empfangen wir den nächsten unangemeldeten Besuch: meine kleine Kusine.
„Was macht ihr daaa?“, ruft sie, fröhlich wie immer.
„Wir? Ach, nichts.“, lügt Berthold.
Ganz so dumm ist sie leider nicht.
„Aber ich sehe doch, dass ihr da was spielt!“, empört sie sich.“
„Na gut.“, gibt er zu. „Wir spielen Schach.“
Sie nervt weiter.
„Darf ich mitspielen?“
„Das geht schlecht.“, erkläre ich, bereits leicht enerviert . „Das Spiel ist nur für 2 Personen.“
„Egal.“, sagt sie stur. „Ich spiel trotzdem mit.“
„Elisa, das geht wirklich nicht.“
„Ich will aber!“, plärrt sie.
„Wir beide spielen das nächste Mal miteinander, okay?“, beschwichtige ich sie.
„Na gut.“ Als ob dies nicht schon genug gewesen wäre, schallt nun eine bekannte Stimme aus der Küche:
„Frank, Berthold, das Abendessen ist fertig .“ Das war Tante Margot.
„Wir spielen nur noch schnell fertig!“, ruft Berthold rüber.
„Ist gut.“
Berthold schaut mich beschwörend an.
„Also schauen wir, dass wir’s schnell hinter uns bringen.“
Ich stimme dem zu.
Es geht noch ein paar D-Züge weiter. Reinstes Killer-Schach. Reihum kippt der gesamte Königshof um. Es sieht fast so aus, als würde das Spiel Remis (unentschieden) ausgehen.
Plötzlich fällt mir Bertholds armer König auf. Er hat keine Deckung. Ich packe meinen Läufer wie ein zweischneidiges Schwert und verkünde gebieterisch:
„So, das war’s dann!“
„Wieso?“, fragt mich Berthold völlig ungläubig.
„Schau dir mal deinen König und meinen Läufer an.
Er wirkt etwas verblüfft.
„Uff!“, ist das Einzige, was er noch hervorbringt.
Ich schlage zu und freue mich auf eine wohlverdiente Mahlzeit nach einem harten, störungsreichen Kampf.