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Schlampe
Schon früher musste ich kotzen. Ich musste kotzen, wenn er sie schlug, wenn sie schrieen, wenn sie stöhnten.
So erbrach ich mich durch meine Kindheit.
Mutter wollte Kürbisse auf den Köpfen der Menschen zerschlagen, sagte sie einmal zu mir, da war ich vierzehn.
Ich verstand nicht.
Ein andermal weinte sie wieder, bis er schrie, und ich hätte kotzen können.
Inzwischen ließ er regelmäßig den Geist aus der Flasche. Wenn Mutter schwieg kam er über mich, mit wunscherfüllten Augen, schweißigen Poren und Speichel im Mundwinkel. Ich schrie und wollte kotzen.
Mit sechzehn war ich fort.
Heute bin ich einunddreißig. Die Zeit pergamentierte meine Haut, ich habe die Echsenhaut am Hals von vierzig, fünfzig Jahren.
Inzwischen habe ich das Kotzen verlernt.
Sie haben noch die alte Wohnung. Hinterher tat ihm immer alles leid. Ich denke an Mutter und ihr Schweigen. Vaters Schnecke und zerschellte Illusionen. Ein Türke nebenan verkauft Obst und Gemüse, wo früher der Metzger war.
Der Flur war mal sauberer. Sogar mein Name steht noch an dem vergilbten Schildchen über der Klingel. Wie lange? Fünfzehn Jahre drei glorreiche zwei. Heinz, Marianne und Charlotte.
Kürbisse und Schnecken.
Ich erinnere mich ans Kotzen, dennoch klingele ich.
Einmal. Zweimal. Dreimal...
Die Tür öffnet nur einen Spalt. Fremde Augen und aufgequollene Gestalt. Mutter?
Mienenspiel.
„Charlotte...?“
Vater holte der Krebs schon vor neun Jahren. Ein alterndes Foto über dem Fernseher, da war er noch geliebt.
Die Leber, sagt sie. Noch ein Kaffee?
Was ist aus dir geworden, mein Kind, fragt sie schließlich.
Mutter, warum dein Schweigen?
Mittwochs bis Sonntags kommen Fremde über mich. Soll ich dir das sagen? Ich wurde besamt, bevor ich hätte richtig blühen können. Euer Erbe.
Ich hätte nicht herkommen sollen – oder doch?
Du weinst, und ich erzwinge mir ein Lächeln, warte auf ein Schreien.