Was ist neu

Schluss Dienst

Mitglied
Beitritt
26.09.2002
Beiträge
10

Schluss Dienst

Schluss-Dienst

Er blickt auf die Maserung der Kunststoffplatte des Schreibtisches vor sich und merkte, dass ihre Stimme nicht einmal mehr kalt geklungen hatte. Gesichter draußen auf dem Gang glitten gespiegelt vorbei. Das Gespräch: Ihre Stimme, nurmehr gleichgültig, der Fernseher lief oder das Radio, die Kinder alberten, krakeelten, tobten. Hintergrundrauschen, das sich zu wohlig erschöpfender Geborgenheit vermengte.

„Tu, was Du willst“, hörte er Katrins Echo klingen. Ein Klicken kappte die Verbindung eines absurd kurzen Gespräches. Ein hochfrequenter Hammerschlag des Richters für ein Urteil, dass lange feststeht und auf Vollstreckung wartet. War dies das Ende der Verhandlung, des Prozesses, der sich über Jahre durch ihr Leben zog, in denen ihre Zeit täglich zusammengestrichen wurde. Mancher Gedanke entschwand ungeteilt in den vollgestopften Wochen, bevor er den anderen erreichte. Zu viele Fixkosten der Beziehung zerrten am Guthaben früherer Leidenschaft und ließen immer weniger Ausgaben zur emotionalen Verfügung zu. Dann diese kleinen Zeichen an ihr. Veränderungen, Heimlichkeiten. Oder was er dafür hielt.
Eine Kaffeemaschine röchelte in die Gedanken hinein braune Tropfen in eine matt angelaufene Kanne.

Wie viele Stunden hatte er mit ihr schon durch diesen Apparat gesprochen. Man sollte das mal zählen. Ein Diagramm und zwei Kurven. Eine für „Verhandlung“, eine für „Persönliches“. Dann die Graphen zeichnen, Werte mitteln und den möglichen Schnittpunkt errechnen, die kritische Masse, auf die sich beide zubewegt hatten. Zuletzt blieben Gesprächsgerüste untermalt vom Geflüster laufender Rechner und tonlos würgenden Faxgeräten. Nebenan starteten schnelle Hände zu rastlosem Geklicker auf die Tastatur. Flinke Anschläge überlagerten sich, wurden als einzelne unerkennbar, perlten wie aufsteigende Bläschen in einem Sektkelch. Die Sekretärin, Ute, er nannte sie jetzt wieder Frau Kehrmann. Beide hatten die kleine Affäre im letzten Winter zum Gedankenstrich gekürzt. Sie stürzte sich in Arbeit, nachdem das absehbare Ende gekommen war, blieb auch freitags meist länger. Kein Wunsch, das Leben dort wieder aufzunehmen, wo man es am Eingang dieses Betonwürfels abgegeben hatte und es ins Wochenende hinein verdorrte. Er wusste nicht, ob wegen ihm.

Das flirrende Gefinger nebenan verebbte. Ein Stuhl rollte sich bewegt, dann Schritte zur Tür. Teeküche, Toilette. Er zögerte nicht lange, griff Mantel und Tasche und legte den Schal um. Rasch am Pförtner vorbei, schlappe Hand zum Gruß.

Im Wagen atmete er auf, drehte den Zündschlüssel und fuhr los. Erleuchtete Schaufenster zogen vorbei, sortierten sich auf den Bürgersteigen, Silhouetten in den dämmrigen Cafés. Er schmuggelte sich unter den Feierabendverkehr und fuhr ziellos durch die Stadt, ließ sich lenken von den Rücklichtern vor ihm fahrender Autos. Links, geradeaus, durch die Nebenstraßen, dann wieder links, bis ihm klar wurde, dass er in einem großen Bogen um das Zentrum herumschlich. Er hängte sich an eines der Rotlichter der großen Lastwagen, die stadtauswärts Richtung Autobahn fuhren. Aus irgendeiner Intuition bog er in eine der Nebenstraßen ein und holperte über Kopfsteinpflaster der dahinkränkelnden Straßen in den Randbezirken.
Hier hatten sie früher einmal gewohnt. Altbauviertel, dicke Mauern, deren Besitzer es den großen Räumen mit ihren hohen Decken verwehrten, in Würde zu altern oder zumindest mit der Abrissbirne die Erlösung herbeizuführen. Die Vergangenheit wurde dichter. Fetzen der Wahrnehmung fügten sich zu Bildern. Bilderreihen wurden zu Filmen. Bekannte Graffitis in schmutzigen Toreinfahrten, Haltestellen mit verkratztem Plexiglas. Der Kiosk, ihr „Grieche“. Rotwein zu würzigem Leben, das sich leicht anfühlte. Dies war ihre Straße.

Vor der Eingangstür musterte er die Fassade. Ein Pärchen lief vorbei. Studentenalter, frühes Semester, sich umblickend, das Mädchen tuschelnd. Er trat ein und die Tür schnappte hinter ihm zu. Im Treppenhaus verwirbelten sich Gerüche von abgelebtem Holz mit feuchtem Putz und einströmendem Kellermief. Er sog das Gemisch tief ein, das mit der Kälte zusammen ein angenehmes Brennen in der Nase provozierte. Er tastete nach dem Lischtschalter. Eine schmutzige Birne infizierte gelbsüchtig das Treppenhaus. Die Briefkästen waren teilweise aus der Halterung gerissen, einige aufgebrochen, mehrfach überklebte Namenschilder zeugten von rasch wechselnden Besitzern. Ungelenk hingekritzelte verwässerte Tintenzüge, der Feuchtigkeit ausgeliefert.

Er schritt die protestierend knarzenden Stiegen hinauf und ließ die Finger über die abgewetzten Furchen des Holzgeländers streichen. Sie hatten im obersten gewohnt und die Sessel- und Bürojahre traten jetzt, von Brustgetrommel begleitet, schweißig auf die Stirn. Die Tür stand einen Spalt offen. Die Wohnung war anscheinend leer. Vorsichtig schob er die Tür auf und trat ein. Die Zeit hatte den typischen Geruch aus der großen Diele hinausgefegt. Der Treppendunst war über Jahre in die Räume eingesickert.

Hier hatten sie sich kennen gelernt. Kathrin, als sie in das leere Zimmer einzog, damals frühes Semester, er letztzügig im Studium, Schluss absehbar. Sie saßen gemeinsam auf den verrückten Partys oben auf dem teerpappigen Dach, wenn es Sommer war. Ließen die Beine über den Rand baumeln, blickten gegenüber auf die immer keuchenden Schlote der Industriekulisse mit den hingetupften Lichtern. Die perlenschnürig gereihten Laternen an den Gleisanlagen. Sie sprachen miteinander und oft sagte sie damals in so unerwarteten Momenten so genau das Richtige. Sie schliefen miteinander in der Nacht, in der sein Vater starb. Der Anruf kam kurz danach. Sie schaute ihn an. Noch erhitzt, gerötet, pulshämmernd. „Liebe ist so grenzwertig wie der Tod“, sagte sie damals und „ich hätte ihn gerne kennen gelernt, Deinen Vater“. Das war ihm bis heute die tiefste Erinnerung.
Quietschend ließ sich das Fenster öffnen und kühle Abendluft schlug sich feucht auf sein Gesicht, auf dem der Schimmer des Aufstiegs zu trocknen begann. Er schloss einen Moment die Augen und sein Kreislauf zeichnete irrlichternde Blitze hinter die Lider.

„Wollen Sie hier einziehen.“
Er zuckte zusammen und drehte sich um. Seine Gedanken taumelten, schwer drückte er die Schubladen der Erinnerung in ihre Fugen zurück. Ein junges Mädchen. Wilde Haare in einem abklingenden knallrot, von einem bunten Tuch absichtlich erfolglos gebändigt. Eine Parade kleiner Ringe konturierte ihr linkes Ohr, während rechts ein goldglitzerndes Etwas fast bis zur Schulter baumelte und bei jeder Kaubewegung tanzte. Das Gesicht hübsch, etwas überschminkt, damit die Absicht, erwachsen zu wirken, konterkariend. Offensive Lässigkeit im Schwanken zwischen maßlosem Selbstbewusstsein und Unsicherheit.
Klug wirkende braune Augen überflogen seine Erscheinung und ordeten ihn in den Zusammenhang der Szene ein. „Nein, ich...habe früher einmal hier gelebt...“
„Soll bald abgerissen werden. Ist nur noch `ne Bruchbude. Wir leben in der Wohnung gegenüber“. Seine Hände halfen sich mit einer Zigarette aus ihrer Hilflosigkeit. „Wir haben jetzt ein Haus außerhalb?“
„Und was wollen Sie jetzt wieder hier?“
„Nur schauen, mich erinnern, an früher. Der Mann fuhr mit den Fingerkuppen über die vergilbte Raufasertapete, als lese er blind in der Vergangenheit..
Das Mädchen gönnte ihrem Gummi ein Pause und verstaute es unter ihrer Zunge. „Wozu?“
War ein schöne Zeit hier – das Haus sah nicht immer so aus.“
„Ich würd’ lieber in einem richtigen Haus leben“ sagte sie, mit einem Blick, als dringe er durch das gegenüberliegende Gemäuer. Ist außerdem ein Drecksviertel hier.“ Sie blickte ihn an „...geworden.“
Er verkniff sich ein leichtes Lächeln, ahnend, dass sie dies als Herablassung empfunden hätte. „Jedenfalls, sobald ich kann, bin ich hier weg.“ Mit dem letzten Worte stemmte sie die Ellenbogen auf das Fenstbrett und ließ ihr Kinn zwischen ihre Fäuste fallen.
„Ich käme bestimmt auch nicht wieder und würde in so 'ner Wohnung rumtigern“, quetschte sie durch eingedrückte Wange hervor.
„Naja“, meinte er. „Hier habe ich meine Frau kennen gelernt, als Student, es war ein tolle Zeit, wir haben viel gefeiert hier, hatten viel Freiheit. Es war unsere erste gemeinsame Wohnnung. Oft haben wir auf dem Dach gefrühstückt und...“.
Sie hob ihren Kopf strirnruzelnd aus ihren Fäusten und blickte ihn schräg von unten an. „Ich hoffe, bei mir wird es anders herum sein, nuschelte sie, mit ihrer Zunge eine Beule in den Gummi drückend. Ein Blase zerplatzte und ließ ein Echo von den leeren Wänden hallen.

Er fuhr sich mit den Händen langsam über das Gesicht Richtung Stirn, ließ seine Finger wie grobe Zinken durch die Haare in Richtung Nacken gleiten und blickte hinaus auf die dampfenden Schlote. Weißgrauen Fahnen, die in der Höhe vom Schwarz der Nacht geschluckt wurden und als milchiger Schleier über dem Stadtrand lagen. Die Autobahn lugte in der Ferne zwischen Häuserkanten hervor. Rotleuchtende Lichterketten, Fernfahrer, Spätheimkehrer und Pendler, Schicksale, die sich ordneten. Bange Erwartungen, Hoffnung, Rückkehr in mehr oder weniger gut geheizte Familien, Dramaturgie des Idylls, leblose Gewohnheit. Wo war er darin? Unscharf wurde die Trennlinie zwischen Nacht und Horziont. Lichter verloschen.
Er schaute das Mädchen an. Die Kinder würden leiden dachte er, die Kinder.

 

Hi Bendz!
Eine tolle Geschichte! Dein Stil erschien mir zu Beginn seltsam, aber je länger ich gelesen habe, desto mehr habe ich mich darin verloren und mir gefallen deine Worte! Eine eher ruhige Geschichte, voll von Bildern.

Ein hochfrequenter Hammerschlag...
das "hochfrequent" würde ich weglassen, gefällt mir nicht so gut, weil mir der Satz ohne fast wirkungsvoller erscheint.

Anderes, was ich anmerken könnte, finde ich nicht. Eine gelungene Geschichte!

LG,
Marana

 

Hallo Bendz,
mir hat die Geschichte nicht so gefallen. Es lag nicht am Thema, nein. Mir gefiel dein übermäßiger Gebrauch von Adjektiven nicht. Manche Passagen kamen mir unheinlich gestelzt vor. Dann fand ich auch einige Sätze überflüssig, wie diesen

Eine Kaffeemaschine röchelte in die Gedanken hinein braune Tropfen in eine matt angelaufene Kanne.
Dann solltest du die Geschichte hinsichtlich der Zeitformen prüfen. Du bringst Gegenwart, obwohl du in der Vergangenheit erzählst.
Er blickt auf die Maserung der Kunststoffplatte des Schreibtisches vor sich und merkte, dass ihre Stimme nicht einmal mehr kalt geklungen hatte.
Ein hochfrequenter Hammerschlag des Richters für ein Urteil, dass lange feststeht und auf Vollstreckung wartet.

Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom