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Schwanenweiß
Schwanenweiß
Der sandige Boden knirschte ein wenig, als sie ihre noch fast ungerauchte Zigarette mit ihrem rechten Schuh, einem hochhackigen schwarzen Model, austrat. Sie hatte gerade beschlossen, mit dem Rauchen ein für alle mal aufzuhören. Dieser Gedanke war ihr einfach so, ganz plötzlich gekommen, während sie hier auf dem halb abgebrochenen Betonstein saß und eben nichts anderes zu tun hatte als nachzudenken. Und zu rauchen. Sie seufzte kaum vernehmbar, kramte in ihrer einfach gemusterten Handtasche nach der Schachtel, nahm mit den frisch manikürten, rot lackierten Fingernägeln eine Marlboro heraus und steckte sie sich in den Mund. Dann nahm sie ihr Feuerzeug heraus, ein Geschenk einer ihrer ehemaligen Bewunderer. Doch alles, was es noch tat, war ein leises Funken von sich zu geben. Wieder seufzte sie, diesmal genervter und lauter. Sie setzte vorsichtig ihr linkes Bein, welches bisher halb auf den Stein aufgestützt gewesen war, auf den Boden und erhob sich graziös von ihrem Sitzplatz. Dann warf sie einen kurzen Blick auf ihre vergoldete Armbanduhr. Sie hatte noch ausreichend Zeit. Sie lief langsam zur Straße zurück, immer darauf achtend, keinen Schmutz auf ihre Schuhe zu bekommen und sah sich um. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße lief ein junger Mann, vielleicht Anfang zwanzig. Sie setzte ein charmantes Lächeln auf und schob den aus Russland stammenden und schwanenweißen, wie sie es gern bezeichnete, Hut aus der Stirn, stolzierte mit geradem Rücken über die Straße und fragte, die Zigarette fordernd in der Hand, mit einer samtweichen Stimme: „Entschuldigen sie bitte, haben sie Feuer für mich?“ der junge Mann schien leicht verlegen, nickte schüchtern und murmelte, während er in der Jackentasche kramte: „Sicher, hier, bitte sehr.“ „Vielen Dank“, hauchte sie, nachdem er ihr die Zigarette angesteckt und sie einen langen Zug inhaliert hatte. Sie blies ihm eine kleine Rauchwolke ins Gesicht, bevor sie sich schnell umdrehte und mit dem Gesäß wackelnd zurück zu dem Betonstein kehrte.
Als sie wieder saß, wirkte sie nervös. Unruhig huschte ihr Blick über die Büsche hinter ihr.
Er beobachtete Sie. Er schaute auf die zarte, mit Puder bestäubte Haut, wie sie seidig in der Abendsonne glänzte, sah ihre Bewegung, wenn sie sich die widerspenstigen, blonden Haare aus der Stirn strich. Der weiße Nacken grazil wie der eines Schwanes, wie sie mit den schlanken Fingern ihren kleinen, silberfarbenen Taschenspiegel herausholte, um den Lidstrich erneut nachzuziehen.
Sie war schon eine ganze Weile hier. Und sie würde auch noch nicht sobald gehen. Sie würde noch ein wenig auf ihre Verabredung warten, da war er sich sicher. Die Verabredung würde kommen, doch nicht um mit ihr auszugehen. Nein, ganz bestimmt nicht.
Niemandem war etwas aufgefallen. In dem Park war die Nacht hereingebrochen. Neben dem Betonstein lag eine Handtasche, die Zigarettenschachtel war heraus gefallen und zwei Zigaretten lagen auf dem sandigen Boden.
Ein Meter weiter entfernt, lag in dem braunen Schmutz ein schwanenweißer, aus Russland stammender Hut.