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Sekt und Erdbeeren
Eine Kerze brennt. Der Mond leuchtet gleich den anderen Fenstern im Innenhof. Fade auf mich hinab. Es läuft Musik.
Wir haben getanzt. In der Bar am Alleeplatz. Sie spielten Jazz und Blues. Er griff nach meinem Haar, das ich offen trug, fuhr mir über den Rücken mit sanften Händen. Nat King Cole spielte zum Windhauch, der die Lichterkette zum hin- und herschwingen brachte. Es waren große farbige Glühbirnen, die den mit Pappelblättern überhäuften Platz in angenehmes Licht tauchten.
"Du siehst toll aus, ich will mit dir schlafen, du riechst so gut." Seine Worte hallten wie ein Traum, ich drückte mich an ihn. Wir setzten uns in die Bar in dunkle Ledersessel. Er bestellte Rotwein. Ich schwieg lächelnd vor mich hin.
Mir fiel ein, wo ich diesen Typ Mann zum ersten Mal getroffen hatte. Dieser Typ, bei dem ich denke 'Wow, ich fühle mich so wohl mit dir, mir scheint, wir kennen uns schon ewig, ich glaube, du kannst mich nicht verletzen. Ich könnte nackt vor dir liegen und du würdest mir eine Decke reichen und dann am Fußende vom Bett sitzen bleiben, bis ich eingeschlafen bin.' Es ist dieser unscheinbare 'Haben-Sie-noch-eine-Kiste-Grauburgunder-von-der-Marke-hier'-Typ am Weinregal, mit Hornbrille vor seinen glühenden, neugierigen Augen, kleinkariertem Sakko überm hellen Rollkragenpullover und leicht ausgestellten braunen Hosen. Er ist dieser Typ unscheinbarer Universitätsprofessor, der lächelt, wenn man ihn anlächelt, schüchtern tut, verlegen nach unten blickt, sich dann aber aufrichtig freut, wenn man antwortet und einen wunderbaren Tag wünschend seine Visitenkarte überreicht – 'Wenn Sie mal Probleme haben, rufen Sie mich an.'
"Warst du schon oft hier?" Er durchdrang mich mit grünen Augen, schien mich nur durch seinen Blick in den Sessel zu drücken.
"Manchmal kommt es mir so vor, als ob ich die Bar gar nicht mehr verlasse," ich lächelte mein 'gleich-werde-ich-dir-gesagt-haben-was-so-liebestechnisch-bei-mir-läuft-Lächeln' und spielte mit meinen Haaren, "man wird nicht komisch angeschaut, wenn man als Frau allein her kommt. Man kann sich einfach an die Bar setzen, einen Whiskey trinken und wieder nach Hause gehen. Dort wartet dann die schnurrende Katze. Ich weiß nicht, ja, ich komme oft her. Es ist so friedlich."
Er blickte mich an, rieb sich den Unterarm.
Ich wollte ihm alles erzählen. Alles von mir. Wie einsam ich in den Mond schaue nachts, hin und wieder in den Nachbarwohnungen Gestöhn höre und mir die Ohren abschneiden will, tagsüber die Wohnung nur noch zum Einkaufen verlasse, jeglichen sozialen Kontakt vermeide, weil ich Angst habe, in lauter glückliche Beziehungsgesichter sehen zu müssen, den Fernseher nicht mehr anschalte, weil dort nur schöne Menschen sind. Ich wollte ihm sagen, dass ich nur weine, weil sonst die Stille in meiner Wohnung unerträglich wäre.
Er lächelte, fasste meine Hand.
Innerlich hüpfte ich in diesem Moment vor Freude - Ich liebe Männer, die wissen, was sie wollen und sich in den genau richtigen Schritten an mich herantasten. Man könnte diese Art, sagte ich mir, als treibenden Ruhepol charakterisieren. Wie einen Baum, an dessen Rinde man sich anklammert und der unbemerkt und sanft, ganz natürlich weiter nach oben wächst.
"Es sind ja nicht so viele Leute da, vielleicht ist es deswegen so friedlich."
Ich wurde mutig, weil ich spürte, dass der Baum schön werden könnte, die Rinde war kantig und doch eben, rauh und samtig wie Moos.
Ich strich über seine Finger.
"Ja, es ist wirklich schön hier, so anrüchig und duster." Ich klimperte unschuldig mit den Wimpern und winkte dem Kellner. "Einen Rotwein noch, bitte." Seine Hände fanden währenddessen ihren Weg zu meinem Knie. Ich steckte mir eine Zigarette an, die ich aus seiner Schachtel genommen hatte, er schaute erst leicht spöttisch, dann fragend.
"Du rauchst?"
"Nein, ich habe aufgehört."
Er lachte und beugte sich näher zu mir. Er trug einen Bruno Banani Duft, in dem ich baden wollte.
"Und jetzt?"
Ich wollte sagen, dass ich ihn jetzt mit zu mir nehme und dann unanständige Sachen anstellen werde mit ihm. Das Ganze wollte ich in einer spritzig-witzigen Art formulieren, für die ich mich früher immer ganz toll fand.
"Jetzt rauche ich, das kommt vom Rotwein."
"Das mein' ich nicht. Was passiert jetzt? Schläfst du mit mir?"
Ich wollte sagen, dass ich seine Versuche, mich ins Bett zu kriegen, ganz schön plump fand, er sich nichts darauf einbilden sollte, unverschämt gut auszusehen und das Charme-Monopol der Stadt gekauft zu haben. Das Ganze wollte ich mit einer zurückweisenden Geste untermalen. Um ihn zu testen.
"Ja."
"Lass uns zahlen."
Ich lachte ihn an, zeigte Zuversicht. Ein komischer Gedanke in mir klopfte an mein Lächeln, meine Mundwinkel zitterten und ich suchte nach meinem Geld, um ihn nicht ansehen zu müssen. Den schönsten Baum weit und breit.
"Ich hab' mein Portemonnaie vergessen" stammelte ich, wühlte aufgeregt in meiner Tasche.
"Kein Problem, dann habe ich aber einen Wunsch frei." Er schob meinen Rock grinsend ein Stück hoch, ohne seinen Blick von mir zu lösen.
Als wir auf den Vorplatz traten, umfasste er mich und wir tanzten in Richtung Straßenbahn. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch und wurde ein bisschen verlegen.
"Weißt du eigentlich, dass du die Erste bist, von der ich mich abschleppen lasse, so nach ein paar Gläsern Wein in einer Bar?"
Mein Schal verschluckte mein "Ich habe keine Ahnung, was jetzt passiert und ich habe Angst. Tu mir nicht weh." Froh darüber bemerkte ich witzelnd, dass wir das schon schaukeln würden. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Hatte ich meine Unterwäsche vom Fußboden weggeräumt? Lag noch irgendwo eine Frauenzeitschrift offen rum? Hatte meine Katze wieder einmal das Bett zerwühlt? War Sekt im Kühlschrank? Wo hatte ich Kondome? Hatte ich überhaupt welche? Was tue ich hier?
"Links oder rechts?"
Er würde merken, dass ich seit Jahren nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen war, lachen, weil neben meinem 1,10 Meter breiten Bett Bücher über Beziehungskram, ein besseres Karma und das Gefühl durch Fasten neu geboren zu sein lagen. Er würde fragen 'Liest du sowas?' Schroff würde ich sagen 'Von meiner Kollegin, die textet mich immer damit zu, da wollte ich zumindest mal rein geschaut haben.' Dann würde er fragen, was ich beruflich so mache, während er mich auszieht und feststellt, dass ich meine Beine heute nicht rasiert habe (es ist Spätherbst). Ich würde sagen 'Dies und das' und mich in Richtung seines Hosengürtels durcharbeiten. Er würde grummeln, weil ich den Gürtel nicht gleich auf bekomme, meine Hand nehmen, beiseite schieben, selbst seine Beine aus den Hosen schälen und dann mit dreckiger Stimme sagen 'Komm Baby, blas mir einen.' Ich würde es tun, damit er nicht denkt, ich sei eine verklemmte Frau, obwohl ich es hasse.
"Maria, links oder rechts?"
Panisch blickte ich ihn an.
"Du, ich glaube, ich muss morgen früh raus. Ich ruf dich an. Mach's gut."
Hastig verließ ich ihn und rannte in meine schicke Wohnung, aufgeräumt, der Kühlschrank voll mit Sekt und Erdbeeren.
Es läuft Musik. Ich höre meine Nachbarn stöhnen.