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Sekt und Erdbeeren

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12.09.2004
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Sekt und Erdbeeren

Eine Kerze brennt. Der Mond leuchtet gleich den anderen Fenstern im Innenhof. Fade auf mich hinab. Es läuft Musik.

Wir haben getanzt. In der Bar am Alleeplatz. Sie spielten Jazz und Blues. Er griff nach meinem Haar, das ich offen trug, fuhr mir über den Rücken mit sanften Händen. Nat King Cole spielte zum Windhauch, der die Lichterkette zum hin- und herschwingen brachte. Es waren große farbige Glühbirnen, die den mit Pappelblättern überhäuften Platz in angenehmes Licht tauchten.
"Du siehst toll aus, ich will mit dir schlafen, du riechst so gut." Seine Worte hallten wie ein Traum, ich drückte mich an ihn. Wir setzten uns in die Bar in dunkle Ledersessel. Er bestellte Rotwein. Ich schwieg lächelnd vor mich hin.

Mir fiel ein, wo ich diesen Typ Mann zum ersten Mal getroffen hatte. Dieser Typ, bei dem ich denke 'Wow, ich fühle mich so wohl mit dir, mir scheint, wir kennen uns schon ewig, ich glaube, du kannst mich nicht verletzen. Ich könnte nackt vor dir liegen und du würdest mir eine Decke reichen und dann am Fußende vom Bett sitzen bleiben, bis ich eingeschlafen bin.' Es ist dieser unscheinbare 'Haben-Sie-noch-eine-Kiste-Grauburgunder-von-der-Marke-hier'-Typ am Weinregal, mit Hornbrille vor seinen glühenden, neugierigen Augen, kleinkariertem Sakko überm hellen Rollkragenpullover und leicht ausgestellten braunen Hosen. Er ist dieser Typ unscheinbarer Universitätsprofessor, der lächelt, wenn man ihn anlächelt, schüchtern tut, verlegen nach unten blickt, sich dann aber aufrichtig freut, wenn man antwortet und einen wunderbaren Tag wünschend seine Visitenkarte überreicht – 'Wenn Sie mal Probleme haben, rufen Sie mich an.'

"Warst du schon oft hier?" Er durchdrang mich mit grünen Augen, schien mich nur durch seinen Blick in den Sessel zu drücken.
"Manchmal kommt es mir so vor, als ob ich die Bar gar nicht mehr verlasse," ich lächelte mein 'gleich-werde-ich-dir-gesagt-haben-was-so-liebestechnisch-bei-mir-läuft-Lächeln' und spielte mit meinen Haaren, "man wird nicht komisch angeschaut, wenn man als Frau allein her kommt. Man kann sich einfach an die Bar setzen, einen Whiskey trinken und wieder nach Hause gehen. Dort wartet dann die schnurrende Katze. Ich weiß nicht, ja, ich komme oft her. Es ist so friedlich."
Er blickte mich an, rieb sich den Unterarm.
Ich wollte ihm alles erzählen. Alles von mir. Wie einsam ich in den Mond schaue nachts, hin und wieder in den Nachbarwohnungen Gestöhn höre und mir die Ohren abschneiden will, tagsüber die Wohnung nur noch zum Einkaufen verlasse, jeglichen sozialen Kontakt vermeide, weil ich Angst habe, in lauter glückliche Beziehungsgesichter sehen zu müssen, den Fernseher nicht mehr anschalte, weil dort nur schöne Menschen sind. Ich wollte ihm sagen, dass ich nur weine, weil sonst die Stille in meiner Wohnung unerträglich wäre.
Er lächelte, fasste meine Hand.
Innerlich hüpfte ich in diesem Moment vor Freude - Ich liebe Männer, die wissen, was sie wollen und sich in den genau richtigen Schritten an mich herantasten. Man könnte diese Art, sagte ich mir, als treibenden Ruhepol charakterisieren. Wie einen Baum, an dessen Rinde man sich anklammert und der unbemerkt und sanft, ganz natürlich weiter nach oben wächst.
"Es sind ja nicht so viele Leute da, vielleicht ist es deswegen so friedlich."
Ich wurde mutig, weil ich spürte, dass der Baum schön werden könnte, die Rinde war kantig und doch eben, rauh und samtig wie Moos.
Ich strich über seine Finger.
"Ja, es ist wirklich schön hier, so anrüchig und duster." Ich klimperte unschuldig mit den Wimpern und winkte dem Kellner. "Einen Rotwein noch, bitte." Seine Hände fanden währenddessen ihren Weg zu meinem Knie. Ich steckte mir eine Zigarette an, die ich aus seiner Schachtel genommen hatte, er schaute erst leicht spöttisch, dann fragend.
"Du rauchst?"
"Nein, ich habe aufgehört."
Er lachte und beugte sich näher zu mir. Er trug einen Bruno Banani Duft, in dem ich baden wollte.
"Und jetzt?"
Ich wollte sagen, dass ich ihn jetzt mit zu mir nehme und dann unanständige Sachen anstellen werde mit ihm. Das Ganze wollte ich in einer spritzig-witzigen Art formulieren, für die ich mich früher immer ganz toll fand.
"Jetzt rauche ich, das kommt vom Rotwein."
"Das mein' ich nicht. Was passiert jetzt? Schläfst du mit mir?"
Ich wollte sagen, dass ich seine Versuche, mich ins Bett zu kriegen, ganz schön plump fand, er sich nichts darauf einbilden sollte, unverschämt gut auszusehen und das Charme-Monopol der Stadt gekauft zu haben. Das Ganze wollte ich mit einer zurückweisenden Geste untermalen. Um ihn zu testen.
"Ja."
"Lass uns zahlen."
Ich lachte ihn an, zeigte Zuversicht. Ein komischer Gedanke in mir klopfte an mein Lächeln, meine Mundwinkel zitterten und ich suchte nach meinem Geld, um ihn nicht ansehen zu müssen. Den schönsten Baum weit und breit.
"Ich hab' mein Portemonnaie vergessen" stammelte ich, wühlte aufgeregt in meiner Tasche.
"Kein Problem, dann habe ich aber einen Wunsch frei." Er schob meinen Rock grinsend ein Stück hoch, ohne seinen Blick von mir zu lösen.
Als wir auf den Vorplatz traten, umfasste er mich und wir tanzten in Richtung Straßenbahn. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch und wurde ein bisschen verlegen.
"Weißt du eigentlich, dass du die Erste bist, von der ich mich abschleppen lasse, so nach ein paar Gläsern Wein in einer Bar?"
Mein Schal verschluckte mein "Ich habe keine Ahnung, was jetzt passiert und ich habe Angst. Tu mir nicht weh." Froh darüber bemerkte ich witzelnd, dass wir das schon schaukeln würden. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Hatte ich meine Unterwäsche vom Fußboden weggeräumt? Lag noch irgendwo eine Frauenzeitschrift offen rum? Hatte meine Katze wieder einmal das Bett zerwühlt? War Sekt im Kühlschrank? Wo hatte ich Kondome? Hatte ich überhaupt welche? Was tue ich hier?
"Links oder rechts?"
Er würde merken, dass ich seit Jahren nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen war, lachen, weil neben meinem 1,10 Meter breiten Bett Bücher über Beziehungskram, ein besseres Karma und das Gefühl durch Fasten neu geboren zu sein lagen. Er würde fragen 'Liest du sowas?' Schroff würde ich sagen 'Von meiner Kollegin, die textet mich immer damit zu, da wollte ich zumindest mal rein geschaut haben.' Dann würde er fragen, was ich beruflich so mache, während er mich auszieht und feststellt, dass ich meine Beine heute nicht rasiert habe (es ist Spätherbst). Ich würde sagen 'Dies und das' und mich in Richtung seines Hosengürtels durcharbeiten. Er würde grummeln, weil ich den Gürtel nicht gleich auf bekomme, meine Hand nehmen, beiseite schieben, selbst seine Beine aus den Hosen schälen und dann mit dreckiger Stimme sagen 'Komm Baby, blas mir einen.' Ich würde es tun, damit er nicht denkt, ich sei eine verklemmte Frau, obwohl ich es hasse.
"Maria, links oder rechts?"
Panisch blickte ich ihn an.
"Du, ich glaube, ich muss morgen früh raus. Ich ruf dich an. Mach's gut."
Hastig verließ ich ihn und rannte in meine schicke Wohnung, aufgeräumt, der Kühlschrank voll mit Sekt und Erdbeeren.

Es läuft Musik. Ich höre meine Nachbarn stöhnen.

 

Hallo Angua :)
Danke für's Lesen und deine hilfreichen Anmerkungen. Deine sprachlichen Vorschläge habe ich eingearbeitet.
Und zum Typ Universitätsprofessor noch eine kleine Erweiterung hingeschrieben. Es soll einfach die Art der Männer verdeutlicht werden, die der Prot eigentlich nichts "Böses" (das, was sie im letzten Absatz phantasiert) wollen. Dieser spontan sympatische Mann, auf den man sich einlassen kann.
Es freut mich, dass du die Geschichte gern gelesen hast.
Lieber Gruß,
Zazie :)

 

Hallo Angua :)

Danke für deine Mühe! Deine Vorschläge helfen mir wirklich. Es stimmt, die eigentlich zwar noch nicht heikle, aber doch zumindest sich in die Richtung entwickelnde Situation in der Bar (die die Prot ja genießt) ist vielleicht für den Rückblick wirklich ungünstig. Danach erscheint mir jetzt auch günstiger, nachdem ich ein Weilchen drüber nachgedacht habe. So kommt auch noch der "Ich ärger mich über mich selbst, bloß wegen meiner Angst hab' ich einen tollen Mann sausen lassen" - Gedanke der Prot besser raus (Mmn, was denkst du?). Deine Schwierigkeiten mit der Übertragbarkeit sind nachvollziehbar. Die Situation am Weinregal ist ja nicht der Vergleich zum One Night Stand, sondern nur die Charakterisierung des Typ Mannes.
So riesig ist der von dir vorgeschlagene Einschnitt gar nicht, vielleicht kommt damit eine klarere Linie rein. Irgendwie mag ich es so :) Danke für die Anregung.
Liebe Grüße,
Zazie

 

Hallo Zasie,

das war meine Gutenachtgeschichte und mir hat sie gut gefallen. Offen bis zum Ende und in sich rund. Morgen schaue ich mal, ob Du noch eine Geschichte geschrieben hast. Tschüss.

Gruss Kardinal

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo :)

@Angua
So, jetze aber ... Na, ich bin zum Glück heute Bus gefahren und hatte ein bisschen Zeit. Die Herbststimmung vom Anfang ist wieder da. Ich glaube, dass die Prof-Stelle/Charakterisierung vielleicht jetzt doch (mal sehen, wie lange ;)) ihren richtigen Platz gefunden hat. Sie haben eine Weile getanzt, er macht ihr ein Kompliment und sie fühlt sich wohl. Ich glaube durch die Baum-Metapher kriegt der Mann jetzt doch ein paar Züge mehr vom Idealbild Prof. Und die Panik wird hoffentlich dadurch krasser. Sichtlich genießt sie und spielt mit und macht dann doch einen Rückzieher.
Ich musste darüber nachdenken, ob das Warum nicht noch stärker rauskommen muss. Ich bin nicht sicher, ob das, was ich in ihrem Charakter angelegt habe, ausreicht, ihre Reaktion zu verstehen. Auf der anderen Seite mag ich eigentlich wirklich Figuren, die nicht so fertig sind, dass der Leser in sie gar nichts Privates von sich mehr reinlesen kann, wenn du verstehst, was ich meine. (So geht es mir zumindest, ich mag diese "Löcher" in der Figur, wo man als Leser wissenden Auges und sich selbst wiedererkennend reinhuschen kann, aber nicht muss.)
Mmh, danke also nochmals :)

@Kardinal
Na, das freut mich aber, dass du eine nette Gute-Nacht-Geschichte in Sekt und Erdbeeren gefunden hast :) Hoffentlich ist sie das nach den Überarbeitungen immer noch. Und ob sie deiner Meinung nach immer noch rund ist, würde mich interessieren? Mensch, du hast der Geschichte dein erstes Posting "geopfert". Cool :shy: Werde gleich mal deine Geschichte lesen.

Liebe Grüße an euch beide,
Zazie :)

 

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