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Sheldon hatte Recht
Meine Hände lösen sich widerwillig von der klebrigen Haltestange, als sich ein kleines Mädchen an mir vorbeizwängt, um kurz darauf vor dem nächsten menschlichen Hindernis zu stehen. Dicht an dicht stehen hier die Menschen und nehmen der Luft das letzte Bisschen Platz weg. Wie ein erstickender Fisch schnappe ich nach Luft, doch alles, was ich abbekomme, ist ein durch hundert Lungen gefilterter Smog. Als warmer, feuchter Dunst sammelt er sich an der Decke, und bildet eine für mich fast sichtbare Wolke.
Die Moleküle unternehmen immer wieder Ausflüge in die Innereien der Menschen, wie in einer Achterbahn. Als mache es ihnen Spaß, sich mit immer neuen Gerüchen anzureichern. Die dadurch entstandene Duftkomposition von einem, zugegebenermaßen, sehr skurrilen Komposthaufen nicht mehr zu unterscheiden. Ein Vergnügungspark für Bakterien, denke ich mir. Sheldon hatte recht damit, einen Bogen um das Busfahren zu machen.
Die dichte Decke aus Kohlenstoffdioxid und anderen Inhaltstoffen, von denen ich gar nichts wissen will, senkt sich unaufhaltsam und ich bin froh, dass ein Platz frei wird und ich mich noch einmal aus den dickeren Luftschichten retten kann. Doch hält die Wolke damit nicht an. Verzweifelt halte ich nach einem kippbaren Fenster Ausschau, doch das Glas präsentiert sich mir als lückenlose Front, mich mit ihrer Durchsicht auf die frische Luft dahinter verhöhnend. Die einzige Möglichkeit, sich in diesem gläsernen Sarg am Leben zu halten, scheint im sporadischen Öffnen der Bustüren zu liegen. Sehnsüchtig starre ich auf die Dichtungsfugen, der vorderen Bustüre und warte ungeduldig auf die nächste Haltestelle, damit sich die Himmelspforte endlich öffnet.
Da, wir halten an! Die Tür löst sich zischend aus der Halterung und schwenkt nach außen auf. Freudig schließe ich die Augen, erwarte den erlösenden Luftschwall, der wie ein Wasserfall in den Bus strömt ... doch tut sich nichts.
Stattdessen beobachte ich, wie der Äther am Eingang flimmert. Nichts bewegt sich. Als hätte die Luft selbst Angst vor dem Businneren! Als würden sich Sauerstoff- und Kohlendioxidmoleküle einen vernichtenden Kampf liefern und mit ihren Waffen die Lichtstrahlen ablenken.
„Komm, kämpfe, Sauerstoff. Lass nicht nach!“, flüstere ich unbewusst laut.
Einige Leute drehen sich nach mir um.
Aber auch ohne meine Anfeuerungsrufe gewinnt schließlich die frische Luft.
Es ist dennoch ein verlustreicher Sieg. Und ziemlich unsinnig, denn sobald mich die schwache Brise erreicht, wird diese schon wieder aufgesogen. Von tausend Mündern. Ein Tropfen auf den heißen Stein und mir bleibt nichts anderes übrig als weiter zu vegetieren. In Agonie.