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05.08.2019
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Reinhardt betritt den Raum und blickt sich um.
In diesen Teil der Stadt hat es ihn selten geführt. Das Viertel liegt in einer Mulde, von der Stadtmitte führten große Ausfahrtsstraßen hinab, zwischen die bleiche Wohnblöcke gestellt worden waren. Große Quader, die auf die Kante des anderen gerichtet, ineinander verkeilt.
Er bleibt lieber in den Hügeln der Innenstadt, und bewegt sich hinter den Fenstern der großen Gebäude.
Langsam geht Reinhardt in die Raummitte. Von hier aus kann man in den Gang blicken, von dem links und rechts weitere Zimmer abgingen. Auf dem Boden liegen einige dreckige verstaubte Kuscheltiere, an die Wand gelehnt ist eine fleckige Matratze.
Reinhardt geht zur Kommode an der Längsseite des Zimmers. Über ihr ist ein heller Kreis an der Wand zu sehen, der sich deutlich vom Grau der Tapete abhob. Hier muss ein Spiegel gehangen haben.
Er zieht an der oberen Schublade, sie knarzt, mit Hoch- und Niederdrücken kann Reinhardt sie öffnen.
Er blickt in die Schublade, dann hinter sich.
Er nimmt das Gewehr von der Schulter und lehnt es neben die Kommode.
Reinhardt fasst in die Schublade und zieht ein buntes Tuch heraus, er hält es am gestreckten Arm und greift in das Knäuel, in dem sich das Tuch mit anderen Tüchern und Schals verknotet hat. Er zieht das Gewirr heraus und legt es auf die Ablage der Kommode. Am linken Rand liegen einige Schlüssel, Schlüssel aller Art, die er nach hinten schiebt.
Darunter ist ein Adressbuch, in Leder eingebunden, mit dem Logo einer Firma am Rand, die es seit langem nicht mehr gibt.
Er nimmt es in die Hand und blättert darin. Welche dieser Menschen sind schon tot, welche verschollen, welche leben noch ein ängstliches, atemloses Leben, im Verborgenen und auf der Flucht? Die Telefonnummern darin sind unbrauchbar, und unter vielen der mit klumpiger Kugelschreibermine auf linierten Kalenderblättern niedergeschriebenen Adressen ist heute kein Haus mehr anzufinden, da ist sich Reinhardt sicher. Namen über Namen, Tanten, Onkel, Cousinen, die Freundinnen aus der Jugendzeit. Sie werden sich nicht mehr gesehen haben, nachdem es losging. Nutzlos sind solche Personen in Deinem Leben, wenn jeder nur damit beschäftigt ist, seine eigene Haut zu retten. Und vielleicht noch das, was einem am nächsten ist.
Reinhardt lässt das Adressbuch sinken. Unter einem welligem Rätselheftchen, dessen Ecken sich nach oben biegen, sieht er etwas Silbernes hervorblitzen. Reinhardt schiebt das Heft beiseite. Er lächelt. Was Dir einfache Dinge bedeuten können, Du hättest es Dir niemals vorstellen können…
Er greift in die Schublade und holt eine halbe Tafel Schokolade hervor, in Silberpapier eingewickelt. Reinhardt öffnet das Papier, bricht ein Rippchen ab und schiebt es sich in den Mund. Er fühlt, wie die Masse auf der Zunge weicher wird. Er schließt die Augen und kaut.
Die Tafel ist alt und hat eine weißliche Färbung angenommen, ihr Geschmack ist herb und verblasst. Aber was Reinhardt da auf der Zunge hat, was er langsam im Mund herumbewegt und erst schluckt, nachdem er einige lange tiefe Atemzüge genommen hat, ist mehr als die sich auflösende Masse. Er hat eine warme Stimmung zu sich genommen und fühlt wohlig einige Bilder aufsteigen: Ein Kind, das den Hof seiner Eltern hinunterrennt, Terrassenmahlzeiten an Sonnentagen, dem Vater bei der Gartenarbeit zur Hand gehen, den Spaten eingrabend in duftenden, lehmigen Herbstboden… so steht Reinhardt da einige Minuten, bis der Geschmack sich ganz verflüchtigt hat, und die Bilder wieder zusammengesackt und verschwunden waren, zurück in seine Jugend, seine Kindheit, in ihr Zeitalter.
Er wickelt die Tafel wieder in das Silberpapier und schiebt sie in die Außentasche seines Uniformrocks. Dann geht er.

In der Nachmittagszeit werfen die Gebäude lange Schatten. Die Sonne steht tief. Im Osten sind die bewaldeten Hügel zu sehen, die den Horizont markieren. Zum Stadtrand hin ziehen sich Felder, auf denen das Gras hüfthoch steht.
Reinhardt ist über sein Gewehr gebeugt. Er beobachtet durchs Zielfernrohr die sanften Wellen im Gräserfeld, mit denen der Wind die Ähren niederdrückt. Die Sonne hat Reinhard im Rücken. Sie kann sich nicht im Zielfernrohr reflektieren.
Im letzten Herbst hat Reinhardt ein Reh erlegt. Er denkt oft daran zurück, er hatte das Fleisch in Salz eingelegt und sich zwei Wochen davon ernährt. Das Reh war aus dem Wald auf die Wiese spaziert, es hatte keinerlei Angst. Reinhardt fiel es auf, als er in den Gräserfeldern breite Furchen ausmachte, und diese mit seinem Zielfernrohr bis zum Ende nachfuhr.
Das Reh stand dort und hob kauend den Kopf, schaute sich um und ließ den Kopf wieder unter die Ährenhöhe sinken. Als es den Kopf wieder erhob, hatte Reinhardt schon sein Herz ins Fadenkreuz gefasst. Er schoss. Wenn Reinhardt schießt, dann lautlos. Ein kleines leises Projektil schraubt sich aus dem Schalldämpfer und findet schweigend sein Ziel.
Reinhardt hatte gut gezielt, das Reh stand günstig zum Schützen. Es fiel einfach um. Es war, als wäre der Tod kurz aus dem Wiesenboden erstanden und hätte das Reh kurz zwischen den Augen berührt.
Es fiel einfach um und war tot.
So friedlich hatte Reinhardt schon lange keinen Menschen mehr sterben sehen. Nach Sonnenuntergang schlich Reinhardt dann hinaus, um es zu holen.

Das alte Zeitungsgebäude verlässt Reinhardt kaum mehr. In der Südstadt, in einem schönen Bürgerhaus zum Blick zum Park, hatte er einen Pelzmantel aufgestöbert. Im Altenheim am Stadtsee einige warme Daunendecken. Kissen und Matratzen war lagen überall zu finden, sie lagen in den Wohnung herum, waren teilweise gegen die Türen oder Fenster gerückt oder in die Keller der Häuser geschleppt worden. Reinhardt musste sich einfach die Exemplare aussuchen, die am wenigsten schäbig waren. Im dritten Stock des Verlagsgebäudes hatte er sich im Eck eine Ruhestatt gebaut. Die bequemsten Matratzen, die weichsten Kissen, die dicksten Kleidungsstücke hatte er zusammengetragen und in dieser Ecke auf- und nebeneinandergeschichtet.
Den dritten Stock hat er sich sorgfältig ausgeguckt. Seine Ruheecke liegt an einem Fenster, das er problemlos öffnen kann. Die Fenster zur Straße hin sind einige Meter entfernt, wenn er dieses Fenster öffnet, könnte er unbemerkt und leise in wenigen Sekunden auf das Dach eines Zwischenbaus gelangen, der mit drei weiteren Gebäuden verbunden ist.
Hinter den vorderen Fenstern der Ostseite sind die bewaldeten Hügel zu sehen, die Reinhardt stundenlang mit dem Zielfernrohr absucht. Schießt man aber nur zwei Türen dieses ehemaligen Bürogebäudes, ist der Innenraum des dritten Stocks abgeriegelt. Selbst wenn man eine Kerze anzündet, fällt das Licht nur durch die Fenster zur Innenstadt hin, auf den Zwischenbau und die nebenstehenden Gebäude. Der matte Schein ist bereits in einigen hundert Meter Entfernung nicht mehr zu erkennen.

Reinhardt sitzt am Fenster. Der Lauf des Gewehres ruht auf dem mit Tüchern gepolsterten Fensterrahmen. Er hat das Fenster sehr langsam geöffnet. Dann hat er die Munitionsbehälter und seine Aufzeichnungen auf den kleinen Couchtisch gelegt, und sich wie jeden Nachmittag auf die vordere Kante des Stuhls gesetzt. So sitzt er, den Gewehrkolben fest in die Schulter gepresst, das Auge nach an der Linse, seit einigen Stunden. Er würde in wenigen Minuten aufstehen und sich etwas zu Essen aus dem Keller holen, so wie er es jeden Tag tut. Er würde als Nachtisch ein weiteres Rippchen der Schokolade essen, die er gefunden hatte, so wie er es einige Tage zuvor gemacht hat. Er lässt das Zielfernrohr ein letztes Mal schweifen, über die ins rötliche verfärbten Halme, über die bräunlichen Kräuter in den breiten Flecken zwischen den Gräsern, über die blanken Stämme unter feurigen Blättern am Waldrand…
Dann sieht er sie.
Reinhardt ist zu schnell über sie hinweggegangen, er bewegt den Lauf langsam zurück. Ja, da sind sie. Eins, zwei, drei… Er blickt kurz hoch von der Waffe und schließt einige Male schnell die Lider, dann schaut er wieder hindurch. Ganz richtig, drei Mann. Sie kommen hintereinander vom Waldrand her. Reinhardt kann ihre Oberkörper erkennen, sie schreiten durch die ausladenden Gräserfelder. Sie haben bereits einige Meter im Feld zurückgelegt, und es sieht so aus, als würden sie auf die Stadt zusteuern.

Reinhardt steht im Häusereingang. Von hier aus hat Reinhardt einen Blick in die beiden Straßen, die die herannahenden Männer am wahrscheinlichsten nehmen werden. Er hatte lange Zeit, darüber nachzudenken, auf welchem Weg ein Soldat in diese Stadt kommen würde. Sein Gewehr hat Reinhardt fest umschlossen, er hält den Lauf zum Boden gerichtet, den Finger hat Reinhardt am Abzug.
Reinhardt ist an den Torpfosten gedrückt, blickt abwechselnd in die eine, dann wieder in die andere Straße. Es ist Abend, als sie kommen. Am Himmel sind einige matte Wolken zu sehen. In den nächsten Tagen wird es wohl Regen geben…
Reinhardt sieht den ersten, als er sich mit dem Gewehr in Vorhalte langsam um die Mauer der Ausfahrstraße schält. Gebeugt geht er einige Schritte voran, das Gewehr zu jedem Türeingang hinschwenkend.
Nach einigen Metern geht er in die Hocke und spricht zum zweiten Soldaten, der vorsichtig um die Ecke blickt. Vielleicht hundert Meter trennen Reinhardt vom ersten Soldaten. Die Sonne spiegelt sich in den Fenstern der oberen Stockwerke, über dem Helm des Mannes. Der erste nickt dem zweiten nach einem kurzen Wortwechsel zu und geht im geduckten Gang langsam weiter. Reinhardts Augen verengen sich zu Schlitzen, er mustert konzentriert, was er aus der Ferne an der Uniform des Mannes erkennen kann. Er bleibt an den Torpfosten gepresst, und bewegt den Kopf nur soweit hervor, dass er aus dem Augenwinkel den Mann erkennen kann. Er soll ihn nicht entdecken.
Reinhardt fällt die Statur des Mannes auf, er ist sehr schmal. Ein Junge. Ein Bursche von vielleicht 19, 20 Jahren. Die Augen scheinen leicht mandelförmig zu sein, ein asiatischer Einschlag.
Der Junge schwenkt den Lauf in seine Richtung, Reinhardt nimmt den Kopf zurück. Wieder linst Reinhardt vom Türpfosten hervor. Sein Blick gilt dem zweiten, der nach wie vor mit dem halben Oberkörper hinter dem Häusereck verborgen ist. Er ist weiter entfernt, Reinhardt erkennt nicht viel, doch scheint dieser Soldat älter zu sein, er trägt einen Vollbart.
Reinhardts Pupille springt wieder zum ersten hin. Der Junge hat sich nun soweit genähert, dass Reinhardt Einzelheiten der Unform erkennt. Er fokussiert den rechten Oberarm des Jungen… und Reinhardt stellt fest: Der Aufnäher dort ist auch auf seiner Jacke zu finden. Der Junge geht nun aufrechter, das Gewehr hat er etwas sinken lassen. Er ruft zum Bärtigen etwas zurück… und Reinhardt erkennt die deutsche Sprache. Reinhardt sieht zum ersten, sieht zum zweiten, der wiederum zur Seite, am Häusereck vorbei, wohl zum dritten Soldaten spricht. Reinhardt wendet sich um, er lehnt den Kopf zurück an den Türpfosten. Er schließt die Augen und atmet tief. Dann ruft Reinhardt: „Kameraden!“

Sie stehen in der Eingangshalle des Verlagsgebäudes beisammen. Weitgehend schweigend hat Reinhardt ihnen den Weg zu diesem Geschäftsstand gewiesen.
Die Soldaten haben ihre Helme abgenommen. Der junge Soldat hat tatsächlich asiatische Vorfahren, er blickt Reinhardt mit diesen dunklen, mandelförmigen Augen an. Er könnte noch jünger sein, als Reinhardt anfangs dachte. Reinhardt sieht ihm eine Weile zu, wie er am Koppel herumnestelt. Etwas scheint nicht richtig zu sitzen.
Der dritte Soldat ist ein Mann Mitte vierzig mit gebeugtem Rücken und zerschlissener Kleidung. Er ist ebenfalls sehr dünn und hat Stoppeln auf den hohlen Wangen. Ausdruckslos nickte er Reinhardt zu, mit leeren, müden Augen. Der Bärtige ist Offizier, ein großer Mann mit hellbraunem Haar und grünen Augen, er hat sich auf den Bürostuhl gesetzt. Seine Maschinenpistole behält er im Schoß. Er mustert Reinhard gründlich und führt das Gespräch. Die anderen lehnen am verstaubten Empfangstisch und lassen die Blicke durch die Halle schweifen. Der Junge hat den Karabiner an den Empfangstisch gelehnt. Der dritte behält ihn über der Schulter.
„Wie lange sind Sie jetzt hier?“
„Drei Jahre, sieben Monate und acht Tage.“
„Und wir sind die ersten Kameraden, die Sie sehen?“
„Die ersten, ja.“
Der Offizier zögert kurz.
„War das nicht unglaublich hart?“
„Man gewöhnt sich dran.“
„Hatten Sie Feindkontakt?“
„Das auch nicht. Hier in der Gegend wird nicht mehr gekämpft.“
„Sie sitzen hier auf Ihren Posten in einem Landstrich, der komplett irrelevant ist?“
„Nach der Evakuierung wurden einige Fabrikgebäude im Westen von Raketen getroffen. Viele von uns waren da noch hier. Die achte und die vierte. Später war klar, dass der Feind hier nicht durchkommen wird. Wir haben die Höhen im Süden besetzt. Das wäre zu verlustreich geworden.“
„Und Sie sind geblieben?“
„Ich sollte bleiben. Den Abtransport der Versorgung organisieren.“
„Und dann hat man Sie einfach hier gelassen?“
„Ich weiß es nicht…“
Reinhardt hebt die Brauen und blickt zu Boden.
Das Gerät, das der Bärtige auf den Tisch gelegt hat, blinkt. Er nimmt es in die Hand und betrachtet den Bildschirm.
„Sie sind auch als >vermisst< geführt.“
„Haben Sie das gerade mit dem Hauptquartier abgeklärt?“
„Braucht es nicht, die Personalakten sind auf diesem Gerät gespeichert. Wie ist denn die Verbindung hier?“
„Es funktioniert nicht.“
„Sie fragten doch eben, ob ich zum Hauptquartier gemeldet habe…?“
„Ich denke, es funktioniert nicht.“
Der Offizier hebt den Kopf.
„Und in der Leitstelle ist man der Meinung, dass diese Anlage geht. Wann hatten Sie denn das letzte Mal Kontakt zum Hauptquartier?“
„Wenige Tage nach dem Abzug. Ich habe es anfangs noch täglich versucht. Immer nahe an der Radarstation, da stehen die Chancen am besten, dachte ich. Dann wöchentlich… Jetzt versuche ich es ab und an.“
„Es liegen also womöglich schon andere Befehle für Sie vor. Die wissen ja gar nicht, dass es Sie noch gibt.“ Und mit breitem Grinsen: „Mensch, Sie dürfen weg von hier. Ganz umsonst saßen Sie hier herum. Die Tristesse ist jetzt vorbei. Lassen Sie uns zur Radarstation gehen. Mit diesen neuen Geräten klappt das ziemlich sicher.“
„Ja, das wäre schön.“ Reinhardt nickt.

Der alte Soldat starrt ihn an. Und Reinhardt kann das Unverständnis förmlich fühlen, hier so lange geblieben zu sein.
„Was ist aus der Sache mit Lachner geworden?“ fragt Reinhardt den Bärtigen.
„Sie kennen noch Lachner?“, fragt der Junge.
„Es hat mächtiges Murren in der Truppe gegeben. Lachner war hoch angesehen. Aber der Heeresleitung war auch klar, dass man ihm das nicht durchgehen lassen kann. Auf Flüchtlinge zu schießen geht zu weit – ich nehme an, darauf haben Sie sich bezogen?“
Er gähnt und streckt sich. Die MP nimmt er auf und legt sie auf den Tisch.
„Ja, das war gerade das alles beherrschende Thema, als ich den Kontakt verloren hatte. Er hatte das Feuer auf Zivilisten eröffnet, die bei einem Luftangriff Zuflucht in den Militärbunkern suchen wollten.“
„Man kann nicht auf Zivilisten schießen“, sagt der Junge.
Der Alte blickt nur müde vor sich hin. Er deutet ein Schulterzucken an.
Der Offizier kratzt sich langsam am Bart.
„Es waren in den vorherigen Wochen bei solchen Vorfällen viele unserer Leute gestorben. Da hatten sich Attentäter mit Sprengstoffgürteln unter die Flüchtenden gemischt. Das hat auch unsere Infrastruktur schwer getroffen. Lachner schützt die Truppe, so sahen das damals viele.“
„Wie ist die Sache ausgegangen?“
„Es gab eine Untersuchung, aber keine Anklage. Lachner wurde versetzt. Er kommandiert jetzt den nördlichen Frontabschnitt.“
Der Bärtige lehnt sich weit zurück im Stuhl. Er flüstert: „Was der Krieg aus uns macht…“
„Aber wie dem auch sei: Ich nehme an, Sie können gleich mit mir zurück.“
„Wieso sind Sie denn gekommen? Was ist denn Ihr Auftrag?“
„Aus dieser Gegend hier hat man schon lange nichts mehr gehört. Wir sind ein Erkundungskommando.“
„Es kommen also noch mehr?“
„Das weiß ich nicht. Aber sehen Sie: Weite Teile des Kontinents sind seit Jahren hart umkämpft und komplett verwüstet. Manche verstrahlt. Hier stehen noch richtige Gebäude. Eine solche Infrastruktur lässt man nicht ungenutzt. Man wird hier eine Militärbasis aufbauen, Soldaten unterbringen. Oder auch Flüchtlinge. Es gibt nun einmal so viele, man weiß nicht, wohin mit ihnen.“
Der Offizier gähnt.
„Aber was weiß ich schon… Vielleicht will man hier durchmarschieren und einen Überraschungsangriff starten. Das würde niemand erwarten. Aber das sind Spekulationen…“
Der Offizier entspannte sich sichtlich, er blickte aus feuchten, halb geschlossenen Augen auf Reinhardt. Er richtete den Oberkörper wieder auf.
„Insofern könnten Sie womöglich doch hier stationiert bleiben. In jedem Falle sollten wir das mit Hauptquartier besprechen. Wo ist denn die Radarstation?“

In diesem Moment nimmt Reinhardt die MP auf. Er entsichert sie schnell und schießt eine Salve auf die beiden Soldaten. Diese gleiten am Empfangstisch nach unten. Dem hochschnellenden Offizier schießt er in den Bauch, so dass dieser zurücksackt. Danach sofort in die Brust.
Reinhardt steht so noch einige Minuten, bis sich sein Herz beruhigt hat. Er zittert noch stark, als er die Blut ausströmenden Leichen verlässt.

Reinhardt hat die Gräber fertig ausgehoben. Er hat die Leichen hinter das Haus gezogen. Zu der Stelle im Park, wo er auch schon die begraben hat, die zuvor kamen.
Er hat die Leichen aufgereiht. Die erschrockene Miene des Jungen ließ ihn eine Zeit nicht los. Er hat schließlich eine alte Zeitung über seinen Kopf gelegt. Auf Wiedersehen, Kameraden, denkt Reinhardt, als er die Körper in die Erdlöcher gleiten lässt. Es tut mir leid.
Reinhardt klopft mit der Schaufel die Hügel flach. Der Tag ist nun nahezu vorüber. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und blickt in das Abendrot.
Morgen wird es schönes Wetter geben. Er wird die Straße weiter erkunden, in der er gestern aufgehört hatte. Und nachmittags würde er ein Stück Schokolade essen. Reinhardt lächelt leise.
Morgen wird ein schöner Tag.

 

Guten Abend @Moloko23 und Herzlich Willkommen hier,

hm, bei deinem Text war ich hin- und hergerissen. Ich fand das Setting interessant, die Handlung an sich spannend und habe deshalb auch bis zum Ende gelesen, welches ich sehr mochte.
Mich hat es an den Comic Romantically Apocalyptic erinnert.

Was allerdings schwierig war, ist dein Umgang mit Zeitformen.
Du schreibst ja im Präsenz, rutschst aber sehr oft, besonders in Nebensätzen, in die Vergangenheitsform. Ich habe mal beispielhaft ein Zitat aus dem Text gezogen und fett geschrieben, wie es eher sein müsste.

Reinhardt betritt den Raum und blickt sich um.
In diesen Teil der Stadt hat es ihn selten geführt. Das Viertel liegt in einer Mulde, von der Stadtmitte führten (führen) große Ausfahrtsstraßen hinab, zwischen die bleiche Wohnblöcke gestellt worden waren (sind). Große Quader, die auf die Kante des anderen gerichtet, ineinander verkeilt.
Er bleibt lieber in den Hügeln der Innenstadt, und bewegt sich hinter den Fenstern der großen Gebäude.
Langsam geht Reinhardt in die Raummitte. Von hier aus kann man in den Gang blicken, von dem links und rechts weitere Zimmer abgingen (abgehen). Auf dem Boden liegen einige dreckige verstaubte Kuscheltiere, an die (der) Wand gelehnt ist (lehnt) eine fleckige Matratze.

So geht das durch den ganzen Text und da ist mir nach einer Weile der Ehrgeiz vergangen, die Geschichte handwerklich zu betrachten und ich habe sie nur noch wie Junk Food runtergeschlungen.
Wenn du das mit der Zeitform in den Griff kriegst, lese ich sie gern nochmal und gebe den einen oder anderen Hinweis.

Das kann eine richtig gute Geschichte werden. :)

man liest sich
huxley

 

Hallo @Moloko23 ,

der Anfang der Geschichte kann weg. Da weder die Figur, noch die Situation eingeführt werden, ist fast alles in den ersten Abschnitten einzig dazu geeignet, mich von dem Text zu verjagen.

Reinhardt sitzt am Fenster. Der Lauf des Gewehres ruht auf dem mit Tüchern gepolsterten Fensterrahmen.
Ab hier beginnt die Geschichte. Aber leider wird bis zum Schluss nicht mal verschwommen deutlich, wann und wo die Geschichte handelt. Ohne Hintergrundwissen kann man sich nicht in die Situation hineinversetzen. Man versteht auch nicht, wieso der Protagonist dort jahrelang ausharrt und wieso er seine Kameraden erschießt. Die Sache mit Lachner hätte etwas klären können, aber man erfährt nicht, wie der Protagonist zu ihm stand.
Während ich lese, rauscht die dürftige Handlung an mir vorbei, unter anderem, weil ich die ganze Zeit versuche zu verstehen, wer dort in welchem Krieg kämpft. Dann lese ich das:
Aber der Heeresleitung war auch klar, dass man ihm das nicht durchgehen lassen kann. Auf Flüchtlinge zu schießen geht zu weit – ich nehme an, darauf haben Sie sich bezogen?“
Die Heeresleitung gab es bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. Nun hatte ich mich bereits mit einer fiktiven Realität abgefunden, was Du durch diese eindeutige Benennung wieder zerstörst. Wieder grübele ich, während des Lesens, statt einzutauchen. Mir fällt auf, dass einige Teile des Settings im Widerspruch zueinander stehen, Karabiner und Heeresleitung vs. asiatischer Soldat und seltsames Speichergerät.
Also, die Geschichte ist nichts für mich. Ich will unterhalten werden, nachdenken, in fiktive Welten eintreten, mit den Figuren empfinden. Rätselraten ist nicht meine Aufgabe als Leser.

Schönen Gruß!
Kellerkind

 

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