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Sie sehen mich anders an

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28.12.2009
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Sie sehen mich anders an

Wir sitzen auf der verrosteten Hollywoodschaukel hinterm Haus. Aus dem Küchenfenster zieht Zigarettenrauch. Onkel Harry raucht Kette. Ich höre ihn lachen. Er lacht oft.
Melissas Haare berühren mein Knie. Sie hat die Arme um ihre Beine geschlungen. Wir haben noch nicht viel gesprochen. Sie sagt, sie sei müde von der Fahrt und müsse sich ausruhen. Drei Stunden im Auto. Und dann die Hitze. Seit letztem Jahr ist sie nicht gewachsen. Immer noch einen Kopf kleiner als ich. Sie öffnet ein Auge und fragt: „Was ist mit den Feldern?“
„Standen unter Wasser.“
Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel. Auf der hellen Haut sieht sie aus wie ein Leberfleck.
„Bei uns haben wir ja keinen Fluss“, sagt sie.
„Dafür habt ihr Wald.“
„Sind die Jungs wieder da?“ Sie öffnet auch das andere Auge und zupft sich an der Nase.
„Welche Jungs?“
„Weißt du ganz genau.“
„Hab’n ja nix anderes zu tun.“
„Der eine war süß. Mit den blonden Haaren der.“
Ich nicke. „Ist aber in die Stadt gezogen.“
Sie seufzt.
„Gibt ja noch andere.“
„Ja.“ Melissa streicht über ihre rot lackierten Fingernägel. „Aber der war wirklich süß.“
Kühe stehen auf dem Feld gegenüber. Sie sehen uns aus feucht glänzenden Augen an. Meine Mutter öffnet die Tür zum Garten und hält sich mit beiden Händen am Treppengeländer fest. „Alles gut?“
Melissa dreht den Kopf zur Seite weg.
„Ja“, sage ich. „Und bei euch?“
Meine Mutter sieht Pappelsamen hinterher – gräuliche Flocken, die durch die Luft gleiten und hinter der Hecke verschwinden. Dann lächelt sie und sagt: „Gleich gibt’s Essen.“
Als sie geht, lässt sie die Tür offen. Leise Musik dringt aus dem Wohnzimmer.
„Echt immer noch?“, fragt Melissa und legt ihre Füße auf den Plastiktisch.
Ich sehe auf ihre Fußnägel, die auch rot lackiert sind, aber es ist ein anderes Rot, heller. „Nicht mehr so viel“, sage ich, ich spreche leise, und sie zupft wieder an ihrer Nase. „War sie deswegen nicht mal weg letztes Jahr, in irgend so einer Anstalt?“
„Nicht deswegen.“
„Weswegen dann?“
Ich sehe ihr Lächeln, während sie das fragt. „‘ne Kur, wegen ihren Nerven.“
Melissa schüttelt den Kopf und will noch etwas sagen, aber ich starre sie an, bis sie so tut, als würde die Sonne sie blenden.
„Ich hab‘ keinen Hunger“, sage ich nach einer Weile.
„Immer wenn wir hier sind, gibt‘s das Gleiche.“ Melissa hält ihre Augen geschlossen, während sie spricht.
„Ich mag Hühnchen“, sage ich. „Den Knorpel vom Bein zerbeiße ich als Erstes.“
„Ekelhaft.“ Sie steckt sich den Zeigefinger in den Mund und macht Kotzgeräusche. Dann öffnet sie ihre Augen und sieht mich an. „Aber du hast ja auch geschluckt.“
„Nein“, sage ich. „Hab‘ ich nicht.“
„Du hast geschluckt.“ Sie lehnt sich zurück, die Scharniere quietschen so laut, dass es mir in den Ohren wehtut.
„Woher willst du das wissen?“
„Hab’s gesehen“, sagt sie und schnalzt mit der Zunge. „An der Buhne habt ihr gelegen.“
Melissa. Einen Kopf kleiner als ich. Meine Mutter ruft durchs gekippte Fenster: „Kommt ihr jetzt?“
„Ja, ist gut“, sage ich und stehe von der Hollywoodschaukel auf. Erst an der Treppe drehe ich mich um. Melissa sitzt noch da, ein Fuß auf dem Tisch, die Hände auf ihren Schenkeln.

Drinnen ist es stickig und warm. Ich gehe durch den schmalen Flur ins Wohnzimmer. Es riecht nach gebratenem Fleisch. Vater lehnt am Fensterrahmen, die Gardinen sind zur Seite geschoben, dahinter die blassgrüne Hecke. Er nimmt eine Flasche Wein vom Sims und wendet sich an meine Mutter. „Brauchst du Hilfe?“, fragt er und schaut in den Flaschenhals.
„Mit dem Römer vielleicht, ja?“ Sie wischt sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und bleibt mitten im Raum stehen. Vater stellt den Wein auf den Tisch. Sie lässt ihre Hand an seiner Schulter herabgleiten und folgt ihm in die Küche. Das Tuch lässt sie auf der Couchlehne liegen.
Onkel Harry sitzt auf dem niedrigen Ledersessel vorm Fenster. Sein Gesicht spiegelt sich in der Scheibe. Auf der Lehne steht ein voller Aschenbecher. Ich rieche den kalten Rauch.
„Wo is’n Melissa?“
„Noch draußen.“
„Ja“, sagt er. „Die ist gerne draußen.“
Ich nicke, und er grinst und zündet sich eine Zigarette an. „Geht ihr noch an den Fluss?“
„Später vielleicht.“
„Bei uns haben wir doch keinen Fluss.“
„Ja, ich weiß.“
„Nur Wald.“
„Ich war schon mal bei euch …“
Er zieht an der Zigarette. Die Glut leuchtet auf. „Nächstes Mal seid ihr wieder dran.“
Ich schweige.
„Hast ja bestimmt auch von der Sache mit der Marion gehört … aber na ja, jetzt ist’s auch okay. Kommt wieder alles in Ordnung.“ Er leckt sich mit der Zungenspitze über die Lippen und schiebt die Zigarette in den Mundwinkel.

Später sitzen wir am Tisch in der Küche. Melissa sieht an mir vorbei aus dem Fenster. Auf ihrem Teller liegt ein Hähnchenflügel, von dem sie mit der Gabel das Fleisch abgezogen hat. Die faserigen Streifen sind so hell wie ihre Haut. Meine Mutter trinkt das zweite oder dritte Glas Wein. Onkel Harry zeigt auf den Römertopf, der in der Mitte des Tisches steht und sagt: „Bei Industriefleisch, da sin‘ Abszesse drin, die sehen die bei der Beschau meistens gar nich‘, das is‘ richtig tief drin in‘ Knochen, da suppt der Eiter nur so raus.“
„Ja“, sagt mein Vater. Er hört mit dem Kauen auf. „Hast ja auch mal beim Rasting gearbeitet …“
Meine Mutter schaut auf den letzten Schluck Wein und legt ihre Fingerspitzen auf den Rand des Glases. „Wie der Papa.“
„Aber der Papa war doch ganz woanders, der is‘ ja zuerst mitter‘ Èlektrozange an die ran, und dann … sssst“, er macht die Halsabschneidegeste und sieht zu mir herüber, „nach jedem Viech musste der sich mit `nem Schlauch ersma‘ das warme Blut vonner Schürze wegmachen.“
Ich öffne den Mund. Das Fleisch zwischen meinen Lippen ist warm und fettig. Der Knorpel ist weich. Ich löse ihn vom Knochen ab und schiebe ihn an der wulstigen Rückseite der Zähne vorbei in die Mitte des Gaumens. Melissa sieht mich an, und ich warte einen Moment und schlucke dann alles herunter. Sie legt ihre Gabel neben den Teller und sagt: „Ich habe keinen Hunger mehr.“

Vater und Onkel Harry sitzen im Wohnzimmer, trinken Dosenbier und hören alte Schallplatten. Meine Mutter hat sich auf der Couch hingelegt, Kissen auf der Brust, einen Arm über den Augen. Melissa und ich gehen in mein Zimmer und schließen die Tür hinter uns ab. Ich schiebe die Vorhänge zur Seite. Der Himmel verfärbt sich orange. Die Luft wird kühler. Melissa setzt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch.
„Soll ich dir die Nägel lackieren?“ Sie nimmt einen Bleistift aus dem Behälter und schlägt mit dem Ende gegen die Schublade.
„Welche Farben hast du?“
„Rot natürlich“, sagt sie und kratzt sich mit dem Bleistift hinterm Ohr. „Also willst du jetzt?“
„Ich weiß nicht …“
„Stell dich nicht so an.“ Sie atmet aus und legt den Stift auf die Unterlage. „Mir ist langweilig.“
„Fang mit dem kleinen Finger an, ja?“
Sie runzelt die Stirn. „Warum das?“
„Weil ich erst sehen will, ob’s überhaupt zu mir passt.“
Sie schiebt die Unterlage bis zum Rand der Tischplatte. „Hier ist das Licht besser.“
Ich setze mich auf die Bettkante, und sie nimmt meine Hände, betrachtet die Finger, tippt mit dem Stift gegen jeden einzelnen Nagel. „Du hast schöne Hände“, sagt sie und streichelt dabei über meine Handfläche. „Mochtest du den Blonden?“
„Welchen Blonden meinst du?“
Sie lässt meine Hände los und greift in ihre Tasche, die auf dem Schreibtisch steht. „Tu nich‘ so.“
„Ich weiß nich‘“, sage ich.
Melissa stellt die Nagellackfläschchen nebeneinander auf den Tisch. „Kannst dich nicht mehr erinnern?“ Da ist wieder ihr Lächeln.
„Klar kann ich mich erinnern.“ Ich beuge mich nach vorne und zeige auf eines der Fläschchen.
„Das?“, fragt sie. Ich nicke. Es ist ein dunkles Rot.
Sie nimmt das Fläschchen, schüttelt es und stellt es zurück auf die Unterlage.
„Was denkst du eigentlich von mir?“
Sie schraubt den Deckel ab und zuckt mit den Schultern.
„Gib mir einfach deine Hand.“
Meine Hand sieht schmutzig auf ihrem Schenkel aus. Die Musik im Wohnzimmer wird lauter.
„Rot mag ich auch am liebsten.“ Melissa schraubt das Fläschchen auf und taucht den Pinsel hinein. Dann spreizt sie meinen kleinen Finger ab und macht langsame Bewegungen. Der Lack wird zu einer glänzenden Fläche.
„Lass es trocknen“, sagt sie und schüttelt den Kopf. „Machen wir die ganze Hand?“
„Nein“, sage ich. „Der kleine Finger reicht erstmal.“
Sie schraubt das Fläschchen zu und stellt es zurück auf den Tisch. „Du bist komisch“, sagt sie und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.
„Was ist eigentlich mit deiner Mutter?“
„Ach“, macht sie, ich kann ihren Atem auf meinem Unterarm spüren. „Wohnt jetzt in der Stadt.“
„Wie lange schon?“
„‘n paar Monate glaub‘ ich.“
Ich folge ihrem Mittelscheitel mit meinen Fingerspitzen, berühre dabei die weiße Kopfhaut. „Wird alles wieder.“
„Die Mama kommt nicht mehr zurück.“
„Woher willst du das wissen?“
Sie zuckt mit den Schultern. „Ist doch egal.“
Wir sitzen schweigend da, hören das dumpfe Dröhnen der Musik, hören Onkel Harrys Lachen.
„Komm, gehen wir zum Fluss.“ Ich stehe auf und umfasse ihre Handgelenke. Sie ist schmal, so schmal, dass ich sie zerbrechen könnte.
„Aber ist schon spät, oder?“
„Kriegen die gar nicht mit“, sage ich und nicke Richtung Fenster. „Ich schließ‘ die Tür immer von innen ab.“

Vom Fluss her weht ein dumpfer, modriger Geruch herüber. Wir folgen dem Kiesweg, der bis zur Straße führt. In den meisten Wohnzimmern leuchtet das blaue Licht der Fernseher. Schatten bewegen sich über kahle Wände. Im letzten Haus der Gasse steht das Küchenfenster offen. Ein Radio läuft im Hintergrund. Ich nehme Melissas Hand, lege sie auf meine Hüfte, dann ziehe ich ihren Körper an mich heran. Ihre Brust ist noch ganz flach.
„Der Blonde“, sagt sie, ihre Stimme zittert, „was hat der mit dir gemacht?“
Ich vergrabe meine Nase in ihrem Haar und lasse meine Hand über den Po zwischen ihre Beine gleiten. Sie zuckt, und ich kann sehen, dass sie dabei lächelt. Diesmal ist es ein anderes Lächeln.
„Warte“, sagt sie, als ich die Hand wegnehmen will, dann stehen wir da, eng umschlungen, und ich kann ihre feuchte Hitze an meinen Fingern spüren. Das Scheppern der Motoren unten im Tal zerreißt die Stille, zerreißt den Moment. In fünf Minuten werden sie da sein, ich kenne den Platz, eine Lichtung an der Groov, dort treffen sie sich, dort treffen sie sich immer.
„Lass uns gehen“, sage ich schließlich und löse mich aus der Umarmung. Schritte im Kies, der Geruch ihrer Haare noch in meiner Nase, süß wie der ein kleinen Kinds.
Die Stufen hinunter sind schmal. Unten das Rauschen des Wassers, die Stimmen der alten Männer, die am Fluss spazieren gehen. Sie gehen jeden Abend den gleichen Weg. Über den Kanal zu den Schleusen und wieder zurück. Melissa bleibt hinter mir stehen. Ihre Haare wehen im Wind, streichen über meinen Nacken. Ich folge den Stimmen. Melissa folgt mir. Der Fluss stinkt hier nach Öl und Benzin. Ein Schlepper fährt unter der Brücke hindurch, und die Stimmen werden leiser, bis sie verschwunden sind. Auf der anderen Seite des Kanals liegt die Groov, eine lange, flache Wiese, die sich zum Ufer hin absenkt. Das Gras ist braun und platt getreten, an den Pflanzenkübeln aus Beton hängen Reste von Plastiktüten. Überall Glasscherben.
Ich bleibe in der Mitte der Brücke stehen und lehne mich über die Brüstung. Das Wasser hat einen Grünstich. Kälte steigt auf und legt sich über mein Gesicht. Als ich die Augen wieder öffne, steht Melissa neben mir. Sie hält sich an einem Metallstreben fest, den anderen Arm hat sie weit von sich gestreckt, ihre Hand baumelt im Nichts. Ich gehe ohne sie weiter und bleibe am Ende der Brücke stehen.
Die Jungs lehnen an den Kübeln. Ihre Mofas stehen hinter einer Reihe Silberpappeln. Das Mädchen sitzt auf einem verbeulten Helm und blickt auf den in der Dämmerung glitzernden Fluss hinunter. Sie hält den Kopf dabei ganz gerade, und das Haar fällt ihr weich über die Schultern. Es ist lang wie das von Melissa. Einer der Jungs drückt ihr ein Bier in die Hand. Ihre Finger umschließen den Flaschenhals. Sie nimmt einen tiefen Schluck. Die Jungs lachen.
Melissa berührt mich am Arm. „Der Blonde ist auch da.“
„Ja“, sage ich. Das Mädchen streicht ihm über die Haare. Ich suche ihre Augen, aber sie sieht nur in sein Gesicht. Ich glaube, es sind dunkle Augen.
Als wir wieder an der Brücke sind, höre ich den Aufprall. „Was war das?“, fragt Melissa und blickt zurück in die Dunkelheit.
Der Stein bleibt neben mir am Boden liegen. Er ist so groß wie meine Faust. „Nichts“, sage ich. „Geh einfach weiter.“
Ich hebe ihn auf und fahre mit den Fingern die scharfen Kanten nach. Dann lasse ich ihn ins Wasser fallen, und es gibt ein kurzes Gluckern, danach ist wieder Stille. Ich drehe mich nicht mehr um.

Im Zimmer ist es dunkel und ruhig. Ich sitze am Schreibtisch und kratze den Rest Nagellack von meinem kleinen Finger. Melissa schläft seit einer Stunde. Sie liegt da wie tot. Ich ziehe die Bettdecke zur Seite und lege meine Hand auf ihren Bauch. Auf und Ab, immer wieder diese Bewegung, und dann ihr Atmen, leise und ganz gleichmäßig.
Draußen brennt noch Licht. Der Schein fällt durch das Küchenfenster auf den Fußboden im Flur. Ich lehne die Zimmertür an und setze ein Fuß vor den anderen, rolle die Ferse auf dem Linoleum ab.
Der Himmel ist sternenlos. Mücken schwirren um die Glühbirne, die an einem Verlängerungskabel von der Regenrinne hängt. Ich sehe die Glut seiner Zigarette, dann das Gesicht im Halbschatten. Er sitzt auf der Hollywoodschaukel, die sich nicht bewegt, die stillsteht. Ich spüre das kurz geschnittene Gras unter meinen nackten Füßen. Er lächelt, als ich mich neben ihn setze. Der Plastiküberzug der Kissen drückt sich kalt gegen meinen Rücken.
„Bist ja auch noch wach.“ Er dreht seinen Kopf zur Seite und spuckt ins Gebüsch. „Geht ihr also morgen zum Fluss, ja?“
Ich atme den Rauch seiner Zigarette ein. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. „Denke schon“, flüstere ich.
„Das ist gut“, sagt er und lässt den Kopf langsam auf die Brust sinken. „Das ist sehr gut.“
Die Glühbirne gibt ein leises Summen von sich, und irgendwo draußen in der Dunkelheit bellt ein Hund.

 
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Hallo Jimmy,

wow, tolle Sprache, sehr verknappte - aber vielsagende - Dialoge und eine beängstigend real vermittelte Stimmung. Unterschwellig beängstigend ist das für mich. Mitzuverfolgen, in welcher Lebenswelt sich die beiden jungen Mädchen bewegen (müssen), welche Währung Sex für sie zu sein scheint (für Melissa wohl erst in der Zukunft, aber das wird schon jetzt deutlich). Mutig, das in der Ich-Perspektive zu schreiben, aber das hast du hingekriegt.
Dies finde ich nicht stimmig:

Er nimmt eine leere Flasche Wein vom Sims und wendet sich an meine Mutter. „Brauchst du Hilfe?“, fragt er und schaut in den Flaschenhals.
„Mit dem Römer vielleicht, ja?“ Sie wischt sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und bleibt mitten im Raum stehen. Vater stellt den Wein auf den Tisch.
Ich stelle mir vor, er hat die leere Weinflasche in der Hand und stellt sie auf den Tisch. Müsste aber eine neue Flasche sein, oder? Wenn man 'den Wein' schreibt sowieso ... und wenn man Mutters benötigte Dosis bedenkt. Also, da müsste noch eine Formulierung dazwischen kommen, meine ich.
Der Schluss, hm, ein Onkel, der diese Art von Sex bei einem sehr jungen Mädchen 'gut' findet? Der überhaupt davon weiß, was sie so treibt? Seltsamer Typ, und da setzt sie sich barfuß daneben und kriegt Herzklopfen. Womöglich sucht sie auch da Kontakt auf die eine Weise, die sie meint, anbieten zu können/müssen.

Eine gekonnt geschriebene Geschichte, deren Bitterkeit so beiläufig daher kommt, dass man sie noch lange als Nachgeschmack spürt.

Viele Grüße,

Eva

 

Hallo jimmysalaryman,

nachdem es bei mir zeitlich momentan sehr eng ist, nur ein kurzer Leseeindruck, wobei ich Deinen Text rein assoziierend gelesen habe und versucht habe, meinen analytischen Verstand weitestgehend in den Hintergrund zu drängen, sonst komme ich nämlich mit Deinen Texten nicht zurecht.

Mit rein assoziierend meine ich, dass ich nur darauf achte, welchen Eindruck Dein Text bei mir erzeugt und nichts hinterfrage.

Ich habe die anderen Kommentare nur überflogen, also kann es sein, dass sich meine Beobachtung mit der anderer deckt, aber ich denke, dass es Dir auch gerade darum geht, herauszufinden, wie der Text wirkt.

Wenn ich mich auf diese Art assoziierenden Lesens auf Deinen Text einlasse (vielleicht hochgestochen, habe ihn nur einmal gelesen), bekomme ich ein recht präzises Bild von einem Mädchen im Teenageralter, ca. 14 Jahre, das mit den typischen Problemen kämpft. Sie kommt mit ihrer körperlichen Veränderung nicht zurecht, provoziert gerne, nutzt die aufkeimende Sexualität, um Aufmerksamkeit zu bekommen aber auch um fehlende elterliche Zuneigung zu kompensieren. Allerdings schwingt noch eine zweite Ebene mit, dass etwas nicht mit ihr stimmt, wobei aus meiner Sicht der Text völlig offen lässt, was das ist. Die Szene mit dem Onkel am Ende nimmt man ihr ab, aber einen Missbrauch oder etwas in der Richtung drängt sich mir nicht auf, wie es wohl andere Kommentatoren gesehen habe. Für mich ist das eher ein Ausprobieren, ob sie auch dort auf diese Art und Weise Aufmerksamkeit bekommt und was passiert.

Wie gesagt, nur ein kurzer Leseeindruck, mehr kann ich zur Zeit nicht liefern.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Ich fange mit dem Ende an. Ich glaube vorher hattest du zwei Stellen mehr. Erst legte sie ihre Hand auf seinen Schenkel, später schob sie sie Richtung Schritt. Ich verstehe, dass du das subtiler wolltest und mir war das zuviel Lolita, aber jetzt habe ich mit dem folgenden Satz Probleme.

Hallo Chutney,

ja, du hast sehr Recht, dieses Ende jetzt finde ich besser, subtiler. Das andere war zu aufgedrückt, vielleicht liegt das auch daran, dass ich ein Mann bin und so ein Lolita-Ende nahe liegt, Männer denken ja etwas einfacher und zielgerichteter in diesen Dingen!:D

Ich glaube, das Geschlecht der Erzählerin, das ist ganz spannend, weil vielleicht einige Leser eine Erwartungshaltung haben. Ich habe die bei Texten auch immer, und dann hat Raymond Carver ein paar Stories, die er mit einer weiblichen Erzählerin inszeniert, und ich so: Hä? Aber dann: ja! Es geht nur so. Dass, was ich hier erzählen möchte, geht nur über eine junge Frau oder ein Mädchen. Das ist zentral. Deswegen finde ich das schon mal per se ganz gut, dass mir die nicht um die Ohren gehauen wird.

Am Ende, der Onkel Harry, mit dem Fluss - ich denke, er insistiert einfach, besteht da so drauf, weil Melissa ihm eventuell erzählt haben könnte, dass sie den Fluss besonders mag; und er weiß nur nicht, aus welchen Gründen. Die Figuren müssen ja nicht immer die Wahrheit sagen, in der erzählten Zeit nicht und auch nicht in der Vergangenheit.

Vielen Dank für deinen tollen Kommentar, Chutney.

zigga,

Alter, schön dich mal wieder hier zu lesen.

Für mich ist der Text auch nicht so verrätselt. Er sagt nicht alles, aber er führt jetzt auch keinen Twist ein, wo ich persönlich denke, wtf, was war das jetzt, wie kommt es dazu? Das mit den Mädchen, keine Ahnung, ich hatte mehrere Versuche, andere Stories, wo die Mädchen mehr sagen, da war ich mir sehr unsicher, da kann dir auch keiner bei helfen, Lektor oder so, das muss sich richtig anfühlen. Ich denke auch, es kommt immer eher auf das feeling an. Ich habe einen neuen Text von Clemens Meyer gelesen, da philosophiert ein Imbissbudenbesitzer über Gegenwärtigkeit, und da dachte ich so: Oh, wie, was? Da merkt man den Autoren, wie er sich in den Vordergrund schreibt. Wenn man das kalkuliert weglässt und im Bus oder den Öffentlichen gut zuhört, dann kann das schon ganz gut klappen. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück! Für mich ist das auch eine Geschichte über Sex, Sexualität, wie man damit umgeht, wie das als Mittel eingesetzt wird, und wie krass da auch schnell Abgründe erreicht werden, ohne dass man es mitbekommt. Ich finde auch, durch die Auslassung und Aussparung werden einem die Charaktere, zumindest die beiden Mädchen, nahe gebracht, weil du als ältere Person weißt, wie sie sich fühlen, jeder war mal jung, das ist vielleicht auch der einzige kalkulierte Effekt - eine gleichaltrige Person würde den Text eventuell ganz anders lesen und wahrnehmen.

Zigga, hat mich sehr gefreut, auch über dein Lob, ich warte endlich auf neue Texte von dir und auf ein gemeinsames Bier, die Einladung steht.

Bea Milana

Jayne Anne Phillips, "Das himmlische Tier" - das hatte ich dir doch vor einer ganzen Zeit empfohlen, erinnerst du dich noch? Du hast es also gelesen und es gemocht. Und jetzt benutzt du diese wunderbare Autorin, um auf eine ganz billige Art und Weise gegen mich zu polemisieren. Dass du nebenbei noch Ziggas Lesekompetenz degradierst und herabwürdigst, wird dir wahrscheinlich gar nicht erst aufgefallen sein, nehme ich an. Ich könnte jetzt schreiben, dass es vollkommen gleichgültig ist, ob du den Vergleich mit dieser Autorin für unangebracht und weit hergeholt hälst, weil hier jeder eine Meinung hat und sich Zigga mit Sicherheit etwas dabei gedacht hat, und nicht nur dumpfes Namedropping betreibt. Das tue ich aber nicht, weil ich mich auf ein solches Niveau gar nicht erst begeben möchte. Was ich viel problematischer finde, ist die Tatsache, dass du ja auch schon länger dabei bist und wissen müsstest, dass wir hier im Forum eigentlich nur am Text selbst bleiben, und nicht die Meinung und Kommentare anderer Autoren kommentieren und bewerten. Es ist natürlich lobenswert, dass du bei Bücher-Wiki Zitate heraussuchst für deine "Argumentation" und hier hereinkopierst (Aber ihre Sprache ist reich an Metaphern und gesättigt durch sinnliche Wahrnehmungen.) aber ich wünschte, du würdest diese Energie nicht mit besserwisserischen Erklärversuchen verschwenden, sondern tatsächlich einfach am Text bleiben, schließlich sind wir hier doch ein Textforum, und kein Meinungsforum.

Und wenn du schon am recherchieren bist und dich ja laut selbst fragst, wie man Jayne Anne Phillips zu den Minimalisten zählen kann, dann wird dir sicherlich auch aufgefallen sein, dass Jayne Anne Phillips damals in der legendären GRANTA #8 mit einigen Texten vertreten gewesen ist, sozusagen die Bibel des Dirty Realism, eine Ausgabe, die den neuen "Minimalismus" der Literaturwelt präsentiert hat.

Mehr sage ich dazu jetzt mal nicht, liebe Bea.

wird fortgesetzt

 

Hallo jimmysalaryman,

ich finde, die minimalistische Sprache hast du für mich ausgereizt. Du überlässt es dem Leser, die Lücken zu füllen und beförderst damit eine Beliebigkeit. Wenn ich Texte lese, möchte ich Bilder, Visionen und sprachliche Brillanz, aber keine Lückentexte lesen.
Du bist ein Könner auf dem Gebiet der Dialogführung in einem eng begrenzten sozialen Umfeld.. Dies hast du des öfteren bewiesen, aber auch, wie ich meine, ausgereizt.

Du könntest inhaltlich auch mal deine negative Komfortecke verlassen und den großen Rest der Welt ins Auge fassen. Oder möchtest du wirklich als Autor eines tiefschwarzen Menschenbilds Kult werden? Sex, Alkohol, Gewalt: Sind das ausschließlich die Ingredenzien deines zukünftigen Autorenlebens? Dann hast du eine Leserin verloren. Das Leben bietet aber beides, Elend und Glanz, und ganz viel dazwischen. Das ist auch ein Stück Realität.

Du hast mir mal geschrieben, eine Story aus weiblicher Sicht würdest du nie und nimmer schreiben. Nun hast du es doch probiert, dafür kriegst du meine Anerkennung. Aber ausgerechnet zwei pubertierende Mädchen! Das ist ein Wagnis, auch für Autorinnen, die ja möglicherweise auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können. Immerhin.

Aber leider schimmert auch hier dein eindimensionales Bild von Frau durch: sexbesessen von der Wiege bis zur Bahre. Hier hättest du zumindest mit einer der beiden Kusinen eine Variante, wenn schon keinen Gegenentwurf, kreieren können. So musste ich die mir selber zimmern. Aber dann schreib ich lieber selbst eine neue Geschichte.

Freundliche Grüße

wieselmaus

 

Eva Luise Groh,

danke dir für deinen Kommentar. Mit der Weinflasche hast du Recht, das ist mir auch aufgefallen. Das werde ich ändern. Manchmal siehst du echt den Wald nicht vor lauter Bäumen!
Für mich ist der Onkel am Ende unwissend. Er weiß nichts über das Treiben der Mädchen. Er denkt an den Fluss, vielleicht kommt er ja auch aus der Ecke, er sieht nicht das, was die Mädchen in dem Fluss. sehen. So ein wenig zerstört das ja auch die Unschuldigkeit, die es im Grunde nie gibt. Was passiert wirklich? Ein Spiel mit Wahrheiten auch.

Du erwähnst aber die Beiläufigkeit, und das ist mir sehr wichtig: Ja, diese Geschichte ist sehr beiläufig, das ist bewusst so gemacht, die Wirkung kommt wahrscheinlich eher im Nachhinein, so wie es bei dir geschehen ist, ein Nachgeschmack, und dann denkt man drüber nach. Das funktioniert nicht bei jedem, aber das muss es ja auch nicht.

Geschichtenwerker,

auch dir danke ich für deinen Kommentar.

Ich hätte da auch keinen Mißbrauch herausgelesen, es ist schon so, wie du es sagst: Sexualität als Währung, als Probe, als Provokation. Aber warum kommst du sonst nicht mit meinen Texten zurecht?

wieselmaus

Schön, dass du vorbeigeschaut hast.

Oder möchtest du wirklich als Autor eines tiefschwarzen Menschenbilds Kult werden?
Unbedingt!

Wieselmaus. Du siehst, ich halte deinen Kommentar für eine geschmacklich subjektive Abrechnung. Auch du sagst nichts konkret zum Text, sondern bewertest einfach rein emotional den Autoren und seine Weltsicht. Das finde ich erstens nicht fair, und zweitens zum Kotzen, weil das seltsamerweise nie bei anderen Autoren passiert, sondern immer nur bei mir und unter meinen Texten.

Übrigens habe ich schon vor einiger Zeit Texte aus weiblicher Sicht geschrieben, eine stand hier: "Wir brechen das Brot gemeinsam", sie ist jetzt publiziert, deswegen habe ich sie rausnehmen lassen. Damals war es auch ein pubertierendes Mädchen, und es gab keinen Aufschrei. Ehrlich gesagt, kann ich auch nirgends eine "Sexbesessenheit" aus diesem Text herauslesen. Ich glaube, du machst es dir etwas zu einfach. Du kannst mich ja gerne in die Ecke des dirty old man stellen, wenn du damit glücklicher wirst, okay, aber wie du siehst, sehen das andere Kommentatoren vollkommen anders.

Tjo, wieselmaus, trotzdem nett, dass du dir den Text angetan hast.

Gruss, Jimmy

 

Hallo jimmysalaryman,

wenn hier jemand ausweicht, dann bist du es. Ich habe sowohl zur Struktur als auch zum Inhalt einige, wenn auch kurze, Anmerkungen gemacht, auf die du nicht eingegangen bist. Nun gut. Mit Kritik darf man dir also nicht kommen. Aber du hast ja deine Leser, wie ich bei Amazon sehen kann.

wieselmaus

 

Hallo jimmysalaryman,

Aber warum kommst du sonst nicht mit meinen Texten zurecht?

Tja, das ist schwer zu beantworten. Wenn ich anfange Deine Texte analytisch zu lesen, dann fange ich an die Lücken zu sehen, die Du bewusst lässt und ich fülle sie nicht mehr mit Emotionen, Bildern, Stimmungen, etc. sondern mit Fragen, die dann nicht beantwortet werden. Dann fange ich an, nach Hinweisen im Text zu suchen, nehme jeden Satz auseinander, jedes Wort und dann macht es mir einfach keinen "Spaß" mehr, mich mit Deinem Text zu beschäftigen, weil das in ein Detektivspiel ausartet, wo der Autor Hinweise gesetzt hat. Das braucht es aber gar nicht, denn beim assoziativen Lesen erzeugt man eben selbst ein vollständiges Bild der Geschichte.

Daher lese ich Deine Texte lieber assoziativ, lasse mich voll darauf ein, finde es spannend, welche Eindrücke Du erzeugst, belasse es aber auch dabei und hinterfrage nicht weiter und zerlege die Texte nicht (doch mache ich schon, aber nur um zu Decodieren, wie Du die Effekte erzeugst ;-)).

Das ist übrigens keine Kritik an Deinem Text oder Stil, sondern einfach meine Art, damit umzugehen. Ich finde das auch nicht schlecht, sondern eher ungewöhnlich und sehr spezifisch.

Ich glaube auch, dass mich beim analytischen Lesen Dein minimalistischer Stil irgendwann nerven würde, beim rein assoziativen Lesen stört mich das aber nicht, weil ich einfach mein Gehirn den Rest ergänzen lasse.

Ich finde das sehr spannend, daher lese ich auch Deine Texte ganz gerne, weil Dein Stil eben anders ist. Auch wenn andere hier Dich dafür kritisieren, was ich merkwürdig finde, denn die Kunst/Literatur lebt doch von der Vielfalt und nicht von der Einfalt (letzteres hätte ich vielleicht streichen sollen, weil das wieder eine nicht textbezogene Meinung ist, lasse es aber trotzdem mal stehen, kann ein Moderator ja streichen, wenn es stört).

Gruß
Geschichtenwerker

 

Mit Kritik darf man dir also nicht kommen.

Nee, wieselmaus, das ist einfach ein weiteres Totschlagargument, dass sich zur Polemik eignet.


Du überlässt es dem Leser, die Lücken zu füllen und beförderst damit eine Beliebigkeit.

Viele andere Leser haben kein Problem mit diesen Lücken. In ihren Kommentaren lese ich auch nichts Beliebiges. Nicht in allen, aber in den meisten.

Wenn ich Texte lese, möchte ich Bilder, Visionen und sprachliche Brillanz, aber keine Lückentexte lesen.

Du gehst hier von dir aus: Ich möchte. Aber so ein Text ist das eben nicht. Wenn du nur Texte gelten lassen kannst, wie du sie möchtest, dann bist du hier denke ich falsch.

Du bist ein Könner auf dem Gebiet der Dialogführung in einem eng begrenzten sozialen Umfeld.. Dies hast du des öfteren bewiesen, aber auch, wie ich meine, ausgereizt.

Was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun? Wie kann man so etwas überhaupt ausreizen? Was heißt das: ausreizen, in diesem Kontext? Du bist doch Lehrerin, erkläre es mir bitte. Ich finde, man nennt das einen eigenen Stil finden. Soll ich jetzt blumige Liebesgeschichten schreiben, nur weil du das für richtig hälst?

Viele Kommentatoren sind am Text geblieben und haben diesen kritisiert, was total in Ordnung ist, dafür sind wir hier. Du aber gehst hin und erhebst dein persönliches Geschmacksurteil zu einer Kritik, was ich ja für einen Kardinalsfehler halte. Aber auch dazu hast du natürlich das Recht, wieselmaus.

Gruss, Jimmy

 

Geschichtenwerker,

ich finde das auch seltsam, dass man hier für seinen Stil und sein Sujet kritisiert und an den Pranger gestellt wird, bin es aber auch irgendwie gewohnt, das ist ja nicht erst seit dieser Geschichte so. Aber diese Reaktionen sagen ja an sich auch mehr über die Kommentatoren, als über den Text aus, denn der scheint ja auf irgendeine Art und Weise schon zu funktionieren, sonst bliebe er ja egal.

Ich gebe dir absolut Recht: wenn du mit analytischem Lesen das wirklich genau Lesen meinst, dann ist es eine Konzentrationsleistung. Genussvoll lesen ist schwierig, und wird auch mit dem eigenen Schreiben nicht einfacher. Danke dir also für deine Rückmeldung.

Gruss, Jimmy

 

Hallo jimmysalaryman,

ich muss zugeben, ich habe ein wenig Hilfe gebraucht. Vor allem Novaks Kommentar hat mir dabei geholfen, deinen Text besser zu verstehen. Ich sage verstehen, denn erfühlen konnte ich doch einiges.

Das Wechselspiel zwischen den beiden Mädchen hat mir gefallen. Das hast du gut und eindringlich dargestellt, erfahrbar gemacht. Ich bin selbst in einem Dorf groß geworden (auch wenn es verhältnismäßig recht groß war) und weiß, wie schnell dort Gerüchte die Runde machen. Ich war auch zwei Jahre lang die Auserwählte von einer Gruppe, da war ich zwölf/dreizehn. Ironischerweise aber, weil ich keine Schlampe war, sondern die Streberin. Es ist wichtig, in so einer Zeit Halt zu haben. Bei mir waren es meine Eltern und enge Freundinnen. Die Erzählerin hat niemanden. So habe ich das empfunden. Melissa, ja, die gibt ihr ein wenig Nähe, aber auch auf eine sehr zwiespältige Weise. Es gibt Mädchen, die sind so, denen bin ich auch schon des öfteren begegnet, die bohren gerne, die wollen dir nahe kommen, stochern aber gleichzeitig auch gerne in deinen Wunden. So habe ich sie empfunden. Als jemand, der deiner Erzählerin eigentlich nahe kommen will, aber doch auch immer wieder dahin geht, wo es weh tut.

Der Impuls, die Sehnsucht nach Nähe mit Sexualität zu kompensieren, ist hier ganz logisch und bettet sich gut in die Geschichte ein. Ohne die Erzählerin dadurch als übersexualisiert oder gierig darzustellen. Nein, hier geht es um viel mehr. Die Eltern geben ihr nicht die Nähe, vermutlich haben sie ihr die nie gegeben, die ein Kind, egal ob Junge oder Mädchen, braucht, um später die Unterschiede zwischen Nähe, Geborgenheit, Sex, Verlangen, Vertrauen und Liebe zu erkennen. Das alles kann die Erzählerin (für mein Empfinden) nicht. Sie identifiziert sich über ihren Körper, bzw. über das, was sie damit (vermeintlich) bekommen kann, nur um dann schmerzhaft zu erfahren, dass sie genau dafür dann verurteilt, ja sogar geächtet wird. Und zwar genau von denen, die sich davor gerne bei ihr "bedient" haben. Das ist schon sehr bitter. Aber leider auch sehr realistisch. Ich brauche jetzt nicht damit anfangen, dass da immer noch zweierlei Maß genommen wird, was das sexuelle Verhalten von Männlein und Weiblein betrifft.

Der Onkel ist mir ehrlich gesagt gar nicht so unsympathisch. Er kommt mir irgendwie noch am ehrlichsten von allen vor. Ich fand auch die Szene am Schluss gar nicht sexuell. Sondern eher traurig. Ein neuer Anlauf der Erzählerin, irgendwie zu einem Gefühl von Nähe zu gelangen.

Ich glaube, mir gefällt dieser Text von dir bisher am besten, ich fand ihn sehr einfühlsam. Möglicherweise, weil ich nachempfinden kann, was in der Erzählerin so alles vor sich geht.

Viele Grüße
RinaWu

 
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Hallo jimmysalaryman,

ich habe einige Kommentare gelesen, bin dann aber ausgestiegen, da mir das zu querbeet ging.
Ich hatte von Anfang an keine Missbrauchs-Geschichte darin gesehen. Letztendlich ist das doch nur eine Geschichte über zwei Teenager, die beide in einem Kaff leben, die eine mit Fluss, die (der) andere mit Wald. Beide verbindet die Verwandschaft, Erlebnisse des letzten Sommers und schwierige Elternhäuser.
Und irgendwann wirds halt so langweilig, dass man sich eben anderweitig Zerstreuung sucht, und wenns die Entdeckung der eigenen Sexualtität ist. Und vielleicht der Cousine. Oder Cousin? Das war nämlich für mich das eigentlich Spannende an der Geschichte, dass es mit Erzählerin funktioniert, sowie mit einem Erzähler. Ein schwuler junger Mann. Oder vielleicht nicht? Liegt doch dann auch die Cousine mit nacktem Bauch im Bett und träumt süß... Dann verschieben sich manche Anspielungen im Text auf interessante Art und Weise. Das war für mich das Beste an der Geschichte!!!

Du hast seit gestern das Ende der Geschichte nochmal verändert. Nun kommt es mir zu brav rüber. Ich fands vorher besser..

Interessante Geschichte, trocken erzählt. Dem tristen Ort mit rostiger Hollywoodschaukel angepasst. Mir hat sie gefallen.

Grüße
Lind

 

Hallo RinaWu

danke für deinen sehr interessanten Kommentar. Texte werden immer durch einen subjektiven Filter gelesen, den man nie ausschalten kann. Du liest den jetzt mit einer eigenen Vergangenheit und einer Erinnerung, dadurch wirkt der Text natürlich völlig anders. Für mich ist das auch der Hauptgrund, warum Texte oft so unterschiedlich auf Menschen wirken: die einen mögen etwas, weil sie ein persönliches Fundament haben, und so noch einmal etwas erleben oder nacherleben. Die anderen verfügen darüber eben nicht. Und ich glaube, je weniger der Autor versucht, das zu erklären, desto mehr wird der Leser in diese Tiefe reingezogen, er fällt sozusagen auf sich selbst und seine eigene Biographie zurück.

Du erwähnst die Gerüchte. Das ist ja auch so etwas, was hier im Text nie gesagt wird, aber eigentlich doch spürbar wird - über sie wird auf jeden Fall geredet, der Text beleuchtet das nur nicht, der zeigt eben eine kurze Sequenz, vieles ist schon passiert. Aber du kannst es greifen, du benennst es ja sogar, für dich wird das zu einer Tatsache, die zum Text einfach zu gehört, die implizit ist. Dazu kommt auch, dass Sexualität natürlich immer noch vollkommen anders bewertet wird, was die Geschlechter angeht. Vor allen Dingen weiß man ja nicht, was mit dem Blonden noch so war, vielleicht waren sie ein Paar, hatten sich verliebt. Dazu sagt der Text nichts, aber man könnte spekulieren, ob es so gewesen ist.

Ja, danke für diesen tollen Kommentar.

Lind,

danke auch dir für deinen Kommentar. Klar, man kann diese Geschichte auch mit einem männlichen Erzähler lesen, das ist krass, das habe ich mal versucht, dann liest sie sich natürlich so richtig doppelbödig, da wäre ich aber selbst nicht drauf gekommen. Sieht man mal, wie so ein Text sich dreht und wendet, interessant. Das Ende. Das erste Ende war etwas fleischiger, um es mal so zu sagen, ich mochte es auch, aber ich finde das aktuelle besser, weil es eben subtiler ist, nicht so aufdringlich. Ganz bin ich aber noch nicht zufrieden, deswegen überlege ich noch etwas weiter.

Murdoc, Chutney und Eva Luise Groh, ich habe den Text verändert; Kippen raus, Wein rein, lang lang lang, ich hoffe, er liest sich jetzt besser. Danke nochmals!

Gruss, Jimmy

 
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Lieber jimmysalaryman,

nach ein bisschen Internet-Abstinenz habe ich gestern im Flugzeug deinen neuen Text gelesen. Und heute morgen dann die Kommentare dazu.
Zuerst einmal möchte ich loswerden, dass ich das ganz toll finde, wie hier kommentiert und diskutiert worden ist, durchaus auch kontrovers. Das zeigt mir wieder einmal das Niveau dieses Forums. Da ist viel Offenheit, aber auch Kenntnis und Bereitschaft, sich mit eingestellten Texten auseinanderzusetzen dabei. Das nur vorneweg.

Von mir nur ein paar Anmerkungen:
Am Anfang stolperte ich etwas in deine Geschichte hinein:

Wir sitzen auf der verrosteten Hollywoodschaukel hinterm Haus. Aus dem Küchenfenster zieht Zigarettenrauch. Onkel Harry raucht Kette. Ich höre ihn lachen. Er lacht oft.

Diese ersten Sätze waren mir einfach zu knapp, irgendwie zu stakkatoartig, aber ohne Rhythmus. Später habe ich das dann nicht mehr so empfunden, aber hier am Anfang fand ich diese recht einfachen Satzkonstruktionen doch sehr ‚unschön’, wie MM sagen würde.

Sie öffnet ein Auge und fragt: „Was ist mit den Feldern?“
„Der Fluss ist über die Ufer getreten.“
Und an dieser Stelle habe ich mich gefragt, ob irgendjemand, den ich kenne, wirklich so sprechen würde. Ich kann mir einfach kaum jemand vorstellen, der das so sagen würde. Die meisten Menschen würden vermutlich antworten: ‚Die (Felder) waren überschwemmt’ oder 'Die stehen unter Wasser'.

Danach hat mich deine Geschichte dann einfach reingezogen und ich war beeindruckt, wie du es schaffst, mit sehr wenigen Worten exakte Bilder zu zeichnen, die mir die ganze Szenerie eindringlich vor Augen führen:

Meine Mutter öffnet die Tür zum Garten und hält sich mit beiden Händen am Treppengeländer fest. „Alles gut?“
Fand ich grandios. So schnell habe ich selten ein vollständiges Bild einer Person vor Augen gehabt.

Sie lässt ihre Hand an seiner Schulter herabgleiten und folgt ihm in die Küche. Das Tuch lässt sie auf der Couchlehne liegen.

Ich mag diese feinen Beobachtungen. Hier bin ich übrigens voll im Text und akzeptiere deinen Sprachstil. Ich nehme ihn jetzt als gegeben hin und achte nur noch auf die in ihm enthaltenen Mitteilungen.

Melissa setzt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch.
„Soll ich dir die Nägel lackieren?“ Sie nimmt einen Bleistift aus dem Behälter und schlägt mit dem Ende gegen die Schublade.
Und hier kommt mein Kritikpunkt an deinem Text: Ich bewege mich bis zu dieser Stelle in einem ‚luftleeren Raum’, was den Erzähler angeht: Er könnte alles sein. Bisher weiß ich nur, dass er (sie?) größer ist als Melissa, ich weiß, dass er ‚geschluckt’ hat, und ich assoziiere, weil es deine:D Geschichte ist, dass das ein sexueller Bezug ist. Ich weiß etwas über die Familie, die Mutter, den Vater, den Onkel, aber ich weiß bis zu dieser Stelle wirklich noch nicht, ob er männlich oder weiblich ist. Das ist mir ein bisschen zu viel Leerstelle, weil ich mich an dieser Stelle gezwungen fühle, mit diesem neuen Wissen alles Bisherige noch einmal zu lesen, weil sich dann manche Äußerungen besser einordnen lassen. Ich verstehe nicht ganz, warum ich als Leser erst an dieser Stelle diese Information bekomme. Was hätte sich an dem Gespräch, an der Szene geändert, wenn der Hinweis darauf, dass es sich um eine Erzählerin handelt, schon früher gegeben worden wäre?

Ich folge ihrem Mittelscheitel mit meinen Fingerspitzen, berühre dabei die weiße Kopfhaut. „Wird alles wieder.“
Das ist eine berührende und zärtliche Geste, die mir die Erzählerin sehr nahe bringt. Allerdings deutet sich hier ja auch schon ihre Ambivalenz an.

Das Scheppern der Motoren unten im Tal zerreißt die Stille, zerreißt den Moment.

Auf der anderen Seite des Kanals liegt die Groov, eine lange, flache Wiese, die sich zum Ufer hin absenkt.

Ich habe ein Problem, mir das Gelände vorzustellen: Da ist ein Kanal, zu dem sie gehen, mit einer flachen Wiese. Aber vorher hören sie das Scheppern der Motoren unten im Tal.

süß wie der ein kleinen Kinds.
süß wie der eines kleinen Kindes.

Und noch etwas:

„Hast ja bestimmt auch von der Sache mit der Marion gehört … aber na ja, jetzt ist’s auch okay. Kommt wieder alles in Ordnung.“ Er leckt sich mit der Zungenspitze über die Lippen und schiebt die Zigarette in den Mundwinkel.

Vielleicht habe ich ja irgendetwas überlesen. Aber diese Konkretisierung ‚Marion’ kann ich nicht einordnen. Wer ist hier gemeint? Über wen redet der Onkel hier mit der Ich-Erzählerin? Oder ist das gar nicht so wichtig?

Resümee:

Zum Schluss bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich verstanden habe, was du mir hier eigentlich erzählt hast. Du beleuchtest ein junges, unsicheres und introvertiertes Mädchen, spiegelst sie in ihren Interaktionen mit ihrer Freundin. Ich sehe die Zärtlichkeit, die sie Melissa entgegenbringt, interpretiere sie später als homoerotische Geste und spüre ihre Suche nach Nähe.
Das Ganze scheint mir eine Momentaufnahme einer Heranwachsenden zu sein, die sich wohl schon mit einem Jungen ausprobiert hat (‚geschluckt’), aber unsicher ist, weil ihr weder ihre Familie noch Freunde Halt geben können.
Aber das sind alles nur Deutungsansätze. Als Leser bin ich gezwungen, mir aus dem, was du mir als Autor anbietest, eine Vorstellung zu entwickeln. Dass die am Ende eher vage bleibt, liegt mMn daran, dass du die Zugänge zu deiner Ich-Erzählerin stark reduziert hast und sie deshalb für mich schwer fassbar ist und mehr oder weniger verschlossen bleibt. Aber auch damit charakterisierst du sie ja.
Gefallen haben mir die sehr sensibel gezeichneten Szenen.
Probleme hatte ich nur mit dem beschriebenen Gelände: Fluss und Tal. Das konnte ich mir nicht so recht vorstellen.

Ich habe für mich beschlossen, auf eine konkrete Deutung der Einzelheiten deines Textes zu verzichten und mich mit dem gezeichneten Bild, so wie ich es wahrgenommen habe, zufrieden zu geben.
Gerne gelesen habe ich deine Geschichte, weil mich die Art und Weise, wie du die Personen in ihr skizzierst und sie mit minimaler Wortwahl lebendig werden lässt, angesprochen hat.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Geschichtenwerker - Zitat: „Auch wenn andere hier Dich dafür kritisieren, was ich merkwürdig finde, denn die Kunst/Literatur lebt doch von der Vielfalt und nicht von der Einfalt (letzteres hätte ich vielleicht streichen sollen, weil das wieder eine nicht textbezogene Meinung ist, lasse es aber trotzdem mal stehen, kann ein Moderator ja streichen, wenn es stört).“
jimmysalaryman, Antwort an Geschichtenwerker – Zitat: „ich finde das auch seltsam, dass man hier für seinen Stil und sein Sujet kritisiert und an den Pranger gestellt wird, bin es aber auch irgendwie gewohnt, das ist ja nicht erst seit dieser Geschichte so. Aber diese Reaktionen sagen ja an sich auch mehr über die Kommentatoren, als über den Text aus, denn der scheint ja auf irgendeine Art und Weise schon zu funktionieren, sonst bliebe er ja egal.“

Das will ich nicht so stehen lassen. Die Kritik an deinem minimalistischen Stil, der hier dazu führte, dass diese Geschichte so oder auch anders interpretiert werden konnte und kann, war berechtigt, sonst hättest du nicht so viele essentielle Änderungen vornehmen müssen. Allein wie verschieden das Ende interpretiert wurde und wird: Vom sexuellen Missbrauch, Inzest bis gar nichts davon ist alles dabei. Selbst die Erzählerin könnte auch ein Erzähler sein, was zur Folge hat, dass die in der Geschichte implizit vorhandene (wahre) Beobachtung – dass die Sexualität geschlechtsabhängig beurteilt und verurteilt wird – in sich zusammenbricht. Das nur als Beispiel.

Ich erwarte von der Literatur, dass sie mir etwas liefert, was ich noch nicht weiß. Oder etwas, was ich zwar weiß, aber dies auf eine andere, neue Weise beleuchtet. Klar, du hast kein Interesse am Rätselraten, trotzdem hast du hier eine Rätselgeschichte abgeliefert.

Sich im Nachhinein über die Kritiker zu beschweren – siehe obiges Zitat –, sie würden mehr als den Text dich kritisieren, halte ich für bedenklich. Dies vor allem, weil ich dich für einen Großen halte. Und Große beklagen sich nicht, egal ob die Kritik berechtigt oder unberechtigt ist. Sie schweigen und gehen weiter ihren Weg. Und du hast deinen Weg gefunden. Es ist der des Noir-Genres. Viel Glück dabei!

 

Hallo Manlio,

danke dir für deine Zeit.

Hollywoodschaukel finde ich nicht abgelutscht, die Dinger heißen einfach so. Ich habe da auch ein Bild im Kopf, ein eigenes Bild, Garten von meinem Opa, die Datscha, dann diese verrostete Hollywoodschaukel. Vielleicht ein persönliches Ding. Aber ich denke, Schaukel wäre zu unpräzise. Hollywoodschaukel, da schwingt mehr mit, das ist hintergründiger.

Wie Melissa eingeführt wird, das ist bewusst so gemacht. Es klärt sich ja durch die Geschichte auf, und hier die Erzählerin ist ja sehr knapp und berichtend, etwas teilnahmslos, da würde es den Sound sprengen, wenn sie jetzt die Figur Melissa einführt.

Das Bild mit der Fliege. Was ist denn da zu erklärend? Ich verstehe das nicht. Sie beschreibt doch nur, was sie sieht, sie erklärt doch das Bild nicht? Oder meinst du das mit den Feldern und dem Fluss?

Die Mutter. Ich weiß, was du meinst, wenn du sagst, das Bild hängt etwas in der Luft. Ich hatte auch darüber nachgedacht, sie zuerst drüber sprechen zu lassen, aber das wirkt auf mich zu konstruiert. So hat die Mutter ihren ersten Auftritt, und man weiß ja gar nicht, warum sie sich da festhält, das wird erst durch den Dialog danach aufgeklärt. Beides geht nicht, und ich habe mich jetzt so entschieden, weil ich es auch in diesem Setting für realistischer halte, die Mutter platzt da rein, und dann reden die Mädchen über sie.

Das mit Vater und Mutter, wo sie am Tisch sitzen, ich verstehe da auch nicht, was du damit meinst, der Erzähler würde eingreifen - auch hier beschreibt sie nur, was sie sieht. Eingreifen wäre doch, wenn sie jetzt etwas bewerten würde, wenn sie sagen würde: Ich sehe in die glasigen Augen meiner Mutter, ich weiß, das sie schon wieder betrunken ist. Oder Ähnliches.

Plattenbauidyll. Also, ehrlich, da gehe ich null mit. Fluss, Felder, Kühe - da sehe ich aber den Plattenbau nur in ganz weiter Ferne. Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, du bist auch der Erste, der das so sagt, ich denke da drüber nach, aber ich lese das nicht aus diesem Text, wirklich nicht.

Gruss, Jimmy

 

Hallo barnhelm,

danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar.

Ich spreche hier auch mal direkt Dion mit an, weil es sich um die Art und Weise des Kommentierens geht, und wie wir, oder besser, wie ich mit der Kritik dann umgehe.

Ich finde die Art und Weise, wie im Speziellen mit meinen Texten, und damit auch immer irgendwie mit meiner Person, hier im Forum von einigen wenigen Leuten (!) umgegangen wird, nicht kontrovers, sondern im Grunde einfach schäbig. Andere Kommentatoren werden zurechtgewiesen, ihnen wird eine Meinung einfach abgesprochen, dann muss ich mich dafür rechtfertigen, wenn andere Leser in meinen Texten Mißbrauch oder Inzest glauben erkannt zu haben. Ich habe nie etwas über Mißbrauch und Inzest gesagt, wenn das jemand daraus liest, kann ich nichts dagegen tun. Seltsamerweise ist es ja so, dass das nie unter den Texten anderer passiert. Das passiert meistens oder leider unter meinen Texten. Mir wird dann mit schöner Regelmäßigkeit vorgeworfen, ich könnte mich mit Kritik nicht fair auseinandersetzen, mir wird Arroganz unterstellt, oder ich würde glauben, ich sei sowieso etwas Besseres. Ich weiß nicht: sieh dir hier die Kommentare an, ich gehe auf alle ein, ich nehme vieles an, ich diskutiere immer fair und konkret am Text, weil auch ich nur ein Lernender bin. Dass ich nicht zu allem Ja und Amen sage, ist doch wohl auch klar, das macht kein Autor. Mir wird aber eine feste Meinung und ein eigener Stil, und wie ich damit umgehe, von einigen Mitgliedern hier negativ ausgelegt. Ich spüre da eine gewisse Feindseligkeit. Mir ist so ein kleingeistiges Verhalten fern. Und Dion, ich beschwere mich nicht. Jeder kann hier schreiben, was er möchte, aber ich habe das gute Recht, mich zu wehren. Vor allem wenn die Kritik sich nicht auf den Text konzentriert, sondern persönlich wird. Da kannst du mich gerne tausendmal für einen Großen halten, auch Große halten nicht immer ihre Schnauze.

Und noch was: Klar, du hast kein Interesse am Rätselraten, trotzdem hast du hier eine Rätselgeschichte abgeliefert. Das siehst du so. Viele andere Leser und Kommentatoren haben da überhaupt keine Schwierigkeiten, die müssen kein Rätsel raten. Das ist dein persönlicher Wunsch, wie du gerne eine Geschichte sehen würdest, was für dich Literatur ist, die du jetzt auf diese Geschichte von mir projizierst. Ich bin aber keine Wünscherfüller, kein Geschichtenautomat, sorry. Da überträgst du etwas, und das finde ich nicht besonders fair, das ist mir schon ein paar Mal aufgefallen. Ich möchte aber eine So und So Geschichte, und jetzt bin ich aber entäuscht, weil deine Geschichte mir das nicht liefert - that is not my fuckin problem.

So, barnhelm ...

das ist ein sehr hilfreicher und konstruktiver Kommentar. Ich werde dir zeitnah antworten, bitte habe ein wenig Geduld.

 
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Hallo jimmysalaryman

Du bist doch Lehrerin, erkläre es mir bitte.

Zuerst möchte ich ein Missverständnis klären. Mit ausgereizt meine ich etwas Positives. Die bist ein Meister des Dialogs von Geschichten, die im Umfeld von Sex, Alkohol, Drogen und Gewalt spielen. Ich würde zu gerne lesen, ob sich dieses Können auch in einem anderen sozialen Umfeld entfalten würde.
Nichts anderes habe ich gemeint.

Weiteres Minimalisieren geht mMn auf Kosten des Zusammenhangs und führt zu Beliebigkeit, bzw. zu einem Wettlauf, wer hat die schönste Interpretation. Für mich ist es jetzt die Geschichte von Novak oder Fliege oder RinaWu, aber nicht deine, hinter der du als Autor mit deiner Persönlichkeit stehst.

Du forderst Transferleistung für etwas, das genuin eine Leistung des Autors sein sollte: Ein Angebot an Weltsicht, Haltung und Richtung, in der die Geschichte erdacht wurde. Da kann ich als Leser mit meinen Bildern, meinen Wertungen und, ja auch, meinem Geschmack vergleichen und daraus Zustimmung oder Ablehnung entwickeln. Da hat der Leser noch genügend Spielraum für analytische und/oder assoziative Aneignung.

Im Grunde bist du rigoroser als die vielen DeutschlehreInnen, die ihre SchülerInnen entweder mit endlosen werkimmanenten Spekulationen ratlos und frustriert zurückgelassen haben, weil man den Autor keinesfalls als Urheber mit in die Diskussionen einbringen durfte.

Reine Rezeptionsgeschichte, wie du durch das minimalistisch ausgelegte Experiment förderst, finde ich merkwürdig. Ich frage mich, warum du diese Geschichte geschrieben hast. Was ist dein innerer Antrieb? Reaktionen deiner Leser auszutesten, um was dann damit zu tun?

Hier geht es dann für mich auch um Inhalte. Und das sollte in einem literarischen Forum, das auch, aber nicht nur Werkstatt ist, selbstverständlich sein. Der Verlag präsentiert dich als Vertreter des Noir, einer Stilrichtung in Film/Literatur, die derzeit im Gespräch ist. Kennzeichnend für die neuere Entwicklung dieses Genres ist eine zunehmend politische Orientierung, mit der weltweite gesellschaftliche Verelendungsprozesse in allen sozialen Milieus ins Auge gefasst werden, in der Regel mit eindeutigen Wertehaltungen. Dies habe ich gemeint, wenn ich mir von dir eine Öffnung auch für weitere Themenbereiche erhoffe. Ich weiß nicht, was daran kränkend sein soll. Du willst deinen Stil weiterentwickeln. Warum nicht auch deine Themen?

In deinem vorliegenden Text kann ich an einer eindeutigen Wertehaltung nichts erkennen. Das erledigen für dich deine wohlwollenden Interpretinnen. Ich behaupte garantiert nicht, dass du eine ethisch indifferente Haltung hast, sondern nur, dass sie durch den minimalistischen Duktus ins Nirvana rauscht.

Schließlich wundere ich mich, dass du bei Dions apodiktischer ambionierter Scheiße so stoisch reagierst und bei mir so ungehalten. Soll ich das als (implizites) Kompliment nehmen:D

Gruß wieselmaus (Lehrerin)

 

Hi jimmysalaryman,

hab gerade noch einmal die aktuelle Fassung gelesen (aber nicht jeden Kommentar im Thread, sorry, hoffentlich wiederhole ich jetzt nix).

„Aber der Papa war doch ganz woanders, der is‘ ja zuerst mitter‘ Èlektrozange an die ran, und dann …

Schau mal, auf der Elektrozange, da ist dir so ein Akzent reingerutscht.

Vater und Onkel Harry sitzen im Wohnzimmer, trinken Dosenbier und hören alte Schallplatten.

Ich bin ja überrascht, dass sie beim Essen Wein trinken. Hier nun Dosenbier. Ist das vom Discounter, oder ist es vielleicht eine bestimmte Marke? Hab überlegt, ob es was bringen würde, die Marke zu nennen. Na ja, wahrscheinlich hast du Recht und der/die jungendliche Erzähler(in) würde die Marke nicht spezifizieren? Nur so eine Idee ...

Auf und Ab, immer wieder diese Bewegung, und dann ihr Atmen, leise und ganz gleichmäßig.

Das "Ab", müsste das nicht kleingeschrieben werden?

Das Bild vom Erzähler, dass ich hatte/habe, und jetzt lass ich dich doch daran teilhaben, das ist ein junger Mann, der sich seiner (bi-)sexuellen Identität und Orientierung noch nicht voll bewusst ist, der sich feminin kleidet/gibt. Dass er (sorry, ich schreib jetzt einfach mal "er") beim Nagellack zögert, sich nur den kleinen Fingernagel lackieren lässt, dass man einen Stein nach ihm wirft, dass er den Nagellack dann wieder abkratzt, dass er sagt, er könne Melissas schmale Handgelenke zerbrechen, dass er Melissa umschlingt ...

Is schon klar, das steht da nicht drin. Liegt daran, dass dieses Thema auf mich selbst einen gewissen Reiz ausübt.

LG, Anne

 
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Nur kurz, und dann würde ich es echt sehr gerne sehen, wenn wir uns wieder um den Text kümmern. wieselmaus

Ein Angebot an Weltsicht, Haltung und Richtung, in der die Geschichte erdacht wurde.

Nichts davon muss ich als Autor anbieten. Das klingt für mich nach einer sehr deutschen Auffassung von Literatur. Du bemängelst eine eindeutige Wertehaltung. Damit kann ich leider nicht dienen. Für mich muss Literatur keine Wertehaltung und auch keine Moral vermitteln. Moral habe ich selbst und kann für mich persönlich entscheiden. Und was hat mein Verlag jetzt genau damit zu tun? Warum musst du das erwähnen - Amazon und der Verlag, was haben die mit der hier vorliegenden Geschichte zu schaffen? Was sollen diese Anspielungen? Verstehe ich nicht.

Und das sollte in einem literarischen Forum, das auch, aber nicht nur Werkstatt ist, selbstverständlich sein.

Ich glaube, du machst dir die Welt, ein wenig so, wie sie dir gefällt. Was ist denn dieses Forum? Gibt es hier ein Regelwerk, das ich noch nicht gelesen habe? Ob und wie ich meine Themen weiterentwickle, das ist doch meine rein persönliche Entscheidung, und hat als Kommentar unter einer Geschichte überhaupt nichts zu suchen. Du kannst mir eine solche Frage gerne persönlich stellen, als PN. So hat das immer etwas von einer öffentlichen Vorführung, einem Kreuzverhör. Ich werde mich weder für meinen Stil, noch für meine Methodik, noch für irgendwelche Haltungen, die ins Nirvana rauschen, rechtfertigen.

Und ganz ehrlich, ich wüsste auch nicht, wo ich ungehalten reagiert haben sollte. Du hast mich hier erstmal schön öffentlich belehrt, was ich doch gefälligst tun sollte, nämlich mal meine negative Ecke endlich verlassen, und mal Haltung bekennen, und als ich dir daraufhin, übrigens in einem ganz normalen Tonfall, geantwortet habe, hast du mir gleich noch mal vorgeworfen, dass ich nicht mit Kritik umgehen kann. Nein, es ist ganz anders: Ich kann sehr gut mit Kritik umgehen, wenn sie konstruktiv ist und nicht auf einer persönlichen Ebene stattfindet.


So, jetzt aber wieder mal zum eigentlich Wichtigem, nämlich dem Text. barnhelm

Das mit den Ufern ist super, da hast du mich voll erwischt, in der Tat würde sie viel eher etwas sagen, wie: "Stehen unter Wasser." Da haut es einen raus, das werde ich ändern.

Zur Erzählerin wurde schon einiges gesagt. Einige andere Leser, die nicht hier im Forum sind, haben sie sofort als weiblich identifiziert. Ich denke, vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass man bei meinen Texten schon so eine gewisse Erwartungshaltung hat. Ich habe das ja auch bei anderen Autoren. Ich denke, das ist zu einem großen Teil auch normal. Auf der anderen Seite mag ich aber bei solchen Texten wie diesem hier das Uneindeutige. Weniger wegen irgendeiner Verrätselung, sondern einfach, weil ich es mag, wie sich der Text ganz langsam ins Eigentlich entfaltet. Es ist eine, bestenfalls!, eine Entwicklung, die nachher ein Ganzes ergibt.

Marion ist die Frau von Harry. Ich habe das hier so konkretisiert, weil ich denke, ich würde auch nie sagen: Du hast das ja mit meiner Frau gehört. Die nennen sich beim Namen, und nachher wird klar, dass es Melissas Mutter ist und daraus schließt man, es ist Harrys Frau. (So habe ich es mir gedacht.)

Noch eine Sache, wo du mich voll erwischt hast: Tal und Wiese, und überhaupt Örtlichkeiten. Da bin ich viel zu unsorgfältig. Ich habe das bei der Arbeit am Roman gemerkt, wo meine Lektorin mich immer wieder auf die Geographie hinwies, die unklar ist, und wenn du dann als Leser einmal dich daran stößt und dir etwas unklar wird, dann bist du raus. Also das sind Hinweise, die für mich extrem wichtig sind, weil sonst die Geschichte schnell wirr und unpräzise wird.

Zu deinem Resümee: Die Erzählerin wirkt sehr verschlossen, das ist richtig. Das ist ja auch beabsichtigt. Wir nehmen alles durch diesen kleinen Filter wahr, der uns wirklich auch nicht viel zeigt. Sie wirkt emotionslos, sie reagiert und agiert, aber nie kriege ich das Gefühl, dass ich sie verstehe, dass da etwas ist, was ich Identifikation nennen könnte. Auch so eine Art Rollenprosa, nur halt anders als bei diesem versoffenen Ekelpaket (Text war auch mal hier online), der seine Frau stranguliert im Keller liegen lässt, sondern halt total zurückgenommen, isoliert. Ich bin ja auch der Meinung, eine Geschichte muss ich nicht immer deuten, die muss nicht immer konkret werden. Manche, wie Dion, die legen das dem Text als Schwäche aus, ich finde nicht, dass dies eine Schwäche ist oder sein muss. Es gibt viele Texte, die ich lese, wo ich denke: Da gibt es eine Oberfläche, die liest sich einfach, kompakt, aber es gibt noch einen Subtext, etwas brodelt direkt darunter, und ich denke, so etwas möchte ich auch versuchen. Der Verzicht auf eine ethische Haltung wirft ja den Leser auf sich selbst zurück, denn jetzt muss er entscheiden, er muss sich damit befassen, der Text serviert dann eben keine Lösungen, keine Urteile, keine Karthasis.

Also, barnhelm, ein wirklich konstruktiver Kommentar, für den ich mich noch einmal bedanken möchte.

Gruss, Jimmy

 
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Hey Jimmy

Wir haben noch nicht viel miteinander gesprochen.

Das miteinander kann evtl. weg

Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel, und die Haut ist ganz hell dort, die Fliege sieht aus wie ein Leberfleck.

Vor Novaks berechtigtem Einwand war der Satz rund, der hat mir sehr gut gefallen. Jetzt nicht mehr so ganz. Zumindest würde ich das „und“ nach dem Oberschenkel streichen.

Seit letztem Jahr ist sie nicht gewachsen. Immer noch einen Kopf kleiner als ich.

Ein erster Hinweis auf ein Ungleichgewicht, eine mögliche Konkurrenz zwischen den beiden Mädchen. Sehr schön gesetzt.

Ein paar Kühe stehen auf dem Feld gegenüber.

Kann evtl. weg

„Echt immer noch?“, fragt Melissa und legt ihre Füße auf den Plastiktisch.

Hab ich beim ersten Mal lesen nicht kapiert. Einfach als Info.

Ich sehe ihr Lächeln, während sie das fragt. „‘ne Kur, wegen ihren Nerven.“
Melissa schüttelt den Kopf und will noch etwas sagen, aber ich starre sie an, bis sie so tut, als würde die Sonne sie blenden.

Finde ich eine sehr interessante Passage, ich sehe da wieder so eine Konkurrenz, als fühlte sich die Erzählerin genötigt, Rechenschaft abzulegen über ihre Mutter, als wäre sie verantwortlich für deren Trinkerei. Da schwingt was Aggressives mit in diesem Lächeln und natürlich im Starren.

„Immer wenn wir hier sind, gibt‘s das Gleiche.“ Melissa hält ihre Augen geschlossen, während sie spricht.

Und schon wieder diese Stichelei!

„Ich mag Hühnchen“, sage ich. „Den Knorpel vom Bein zerbeiße ich als Erstes.“

Hehe. Und die Erzählerin kontert mit was Ekelhaftem, mit ihrer Bereitschaft, sich das Eklige mit Genuss einzuverleiben. Überhaupt finde ich diese Überblendung von Fleischkonsum und Sexualität, die der Text vornimmt, sehr stark, nicht nur, weil sie zu dieser sinnlichen Atmosphäre beiträgt, die der Text bietet.

„Aber du hast ja auch geschluckt.“

Insofern ein natürlicher Übergang.

„Ja, ist gut“, sage ich und stehe von der Hollywoodschaukelauf.

Kann evtl. weg.

Später sitzen wir am Tisch in der Küche. Melissa sieht an mir vorbei aus dem Fenster. Auf ihrem Teller liegt ein Hähnchenflügel, von dem sie mit der Gabel das Fleisch abgezogen hat.

Die Hühnchen am Tisch in Lynchs „Eraserhead“ werde ich nie vergessen! Musste ich dran denken, weil die Szene hier in einem ähnlichen Kontext steht.

Meine Mutter trinkt das zweite oder dritte Glas Wein.

Weshalb so unbestimmt? Die Erzählerin ist eine unheimlich genaue Beobachterin, die registriert alles. Generell finde ich, dass ein Text in solcher Hinsicht Wahrheit schaffen soll. Drei Gläser. Punkt. Oder war es dir wichtig, hier zu zeigen, dass die Erzählerin „schon nicht mehr mitzählt“?

Ich öffne den Mund. Das Fleisch zwischen meinen Lippen ist warm und fettig. Der Knorpel ist weich. Ich löse ihn vom Knochen ab und schiebe ihn an der wulstigen Rückseite der Zähne vorbei in die Mitte des Gaumens. Melissa sieht mich an, und ich warte einen Moment und schlucke dann alles herunter.

Hier dann ganz explizit, die Parallelisierung. Sehr stark.

„Was denkst du eigentlich von mir?“

Für mich die zentrale Frage des Textes. Also, ich hab diese Unsicherheit der Erzählerin vor allem als Unsicherheit im Verhältnis zur Cousine gelesen, für mich bleibt das alles in dieser Blase zwischen den beiden, alles ist darauf bezogen, wie die beiden sich wahrnehmen, vor allem, wie die Erzählerin wahrgenommen wird.

Sie schraubt das Fläschchen zu und stellt es zurück auf den Tisch. „Du bist komisch“, sagt sie und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.

Hier die (verspätete) Antwort, die sich ja eigentlich und direkt aufs Nägellackieren bezieht. Und gleich darauf, in der Geste, eine Art Wende im Text. Klar ist vorher schon eine Nähe zwischen den beiden, aber ich hab das immer so in diesem Konkurrenzkontext gelesen. Nun aber dieses Anlehnen, das hat schon eine andere Qualität.

Ein Radio läuft im Hintergrund. Ich nehme Melissas Hand, lege sie auf meine Hüfte, dann ziehe ich ihren Körper an mich heran. Ihre Brust ist noch ganz flach.
„Der Blonde“, sagt sie, ihre Stimme zittert, „was hat der mit dir gemacht?“
Ich vergrabe meine Nase in ihrem Haar und lasse meine Hand über den Po zwischen ihre Beine gleiten. Sie zuckt, und ich kann sehen, dass sie dabei lächelt. Diesmal ist es ein anderes Lächeln.
„Warte“, sagt sie, als ich die Hand wegnehmen will, dann stehen wir da, eng umschlungen, und ich kann ihre feuchte Hitze an meinen Fingern spüren. Das Scheppern der Motoren unten im Tal zerreißt die Stille, zerreißt den Moment. In fünf Minuten werden sie da sein, ich kenne den Platz, eine Lichtung an der Groov, dort treffen sie sich, dort treffen sie sich immer.

Hast du die Szene überarbeitet? Die kommt mit jetzt weicher, wärmer vor. Bei der ersten Lektüre hatte ich eher den Eindruck, dass die Erzählerin Melissa überrumpelt, das hatte was Übergriffiges, Aggressives. Jetzt finde ich die Passage viel stimmiger.

. Ich folge den Stimmen. Melissa folgt mir. Der Fluss stinkt hier nach Öl und Benzin. Ein Schlepper fährt unter der Brücke hindurch, und die Stimmen werden leiser, bis sie verschwunden sind. Auf der anderen Seite des Kanals liegt die Groov, eine lange, flache Wiese, die sich zum Ufer hin absenkt. Das Gras ist braun und platt getreten, an den Pflanzenkübeln aus Beton hängen Reste von Plastiktüten. Überall Glasscherben.

In der ganzen (sehr interessanten, da stimme ich barnhelm zu) Diskussion über Minimalismus etc. ging m.E. einiges vergessen. Zum Beispiel wie gut gelungen solche atmosphärischen Beschreibungen sind.

Das Mädchen streicht ihm über die Haare. Ich suche ihre Augen, aber sie sieht nur in sein Gesicht.

Wieder eine kleine Wende im Verhältnis der beiden Cousinen.

Ich glaube, es sind dunkle Augen.

Den Satz konnte ich nicht zuordnen. Unmittelbar zuvor erwähnst du Melissas Augen. Sind hier die des Blonden gemeint?

Im Zimmer ist es dunkel und ruhig. Ich sitze am Schreibtisch und kratze den Rest Nagellack von meinem kleinen Finger. Melissa schläft seit einer Stunde. Sie liegt da wie tot. Ich ziehe die Bettdecke zur Seite und betrachte ihren Bauch. Auf und Ab, immer wieder diese Bewegung, und dann ihr Atmen, leise und ganz gleichmäßig.

Ende Melissa. Danach zeigt sich, wie sich die Erzählerin verhält, wenn Melissa nicht unmittelbar vor ihr sitzt, welche Konsequenzen sie aus dem Tag zieht, gewissermassen.
Ich möchte noch einmal über die Änderung nachdenken, die du vorgenommen hast. Zunächst dachte ich, ja, sehr gut, das hat der Text nämlich nicht nötig, das bekommt ein zu starkes Gewicht, jetzt ist es subtiler.
Aber was genau ist eigentlich subtiler geworden? Was zeigt die Schlussszene mit dem Onkel genau? Also, so eine explizitere Annäherung an den Vater der Konkurrentin/Überlegenen/Geliebten, was auch immer, fände ich gut, das fände ich eine stimmige Konsequenz. Das muss nicht so sexuell aufgeladen sein wie in der ursprünglichen Version, aber mir fehlt da noch etwas Körperliches.

Ja, Jimmy. Ich musste den Text ein paar Mal lesen. Habe ich aber gern gemacht. Erkläre mehr und der Text verliert einen grossen Teil seines Zaubers.

Ich habe deinen letzten Text empfohlen, auch den, der grad ganz oben in der Liste steht, und halte mich mal etwas zurück. Ich will dir aber gerne sagen, dass der Text in meinen Augen eine Empfehlung mehr als verdient hätte.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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