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Sie war einfach nach Hause gefahren
Rosa war nach Hause gefahren. Sie war einfach nach Hause gefahren.
Sie warf die Autoschlüssel in eine Ecke und ließ sich auf einen Stuhl niedersinken. Es gab kein Zurück mehr, das wusste sie.
Noch einmal durchlebte sie die letzten Stunden. Sie war gegen vier bei ihrer Schwester Judith weggefahren. Die Straße war ruhig gewesen, wenig Verkehr. Um sie herum war es langsam dunkel geworden.
Sie hatte Radio gehört. Das ruhige Ende eines stressigen Tages. Eigentlich war sie ganz entspannt und konzentriert gefahren. Eigentlich nicht zu schnell.
Und dann war er da gewesen. Sie hatte ihn zu spät gesehen, ihn einfach umgefahren.
Sie hatte ihn einfach umgefahren und niemand hatte es gesehen.
Es war nicht nur irgendein Mann. Sie kannte den Mann. Es war Karl. Der Mann, der seit ein paar Jahren mit ihrer Schwester zusammen war. Sie mochte ihn. Er sammelte Parkscheine. Sie musste schmunzeln, wenn sie daran dachte.
Rosa hatte nicht angehalten. Sie war einfach weitergefahren. Sie hatte ihn auf der Straße liegen lassen inmitten hunderter Parkscheine, die ihm aus der Tasche gefallen waren. Vielleicht lebte er ja noch.
Sie stand auf und ging ins Schlafzimmer. Sie musste sich umziehen. Ihre Kleider klebten an ihr. Es war nur Schweiß, doch es fühlte sich an wie Blut. Der blaue Pullover, ihr Lieblingspullover. Sie warf ihn achtlos zu Boden. Sie würde ihn nie wieder tragen.
Sie wich ihrem Spiegelbild aus und ging sie zurück in die Küche. Es war nicht mehr zu ändern. Sie versuchte zu lesen. Es lenkte sie ab, wenngleich sie nicht verstand, was sie las. Sie las ohne Interesse. Draußen wurde es langsam dunkel.
Rosa legte das Buch zur Seite. Sie machte kein Licht, sie wartete darauf, dass die Sonne beschloss, von selbst zurückzukehren. Sie wartete vergebens.
Ein Geräusch vor der Tür ließ sie hochschrecken. Sie verließ die Küche, um nachzusehen. Judith stand im Flur. Sie weinte.
"Karl ist tot.", sagte sie.
Rosa drehte sich weg und schwieg.