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Sieh, das ist unsre Liebe

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10.03.2004
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Sieh, das ist unsre Liebe

Es ist still in ihrem Zimmer und sie liegt da, die Decke halb zurückgeschlagen.
Nach einer Weile dreht sie sich zur Seite und ihre Geräusche lassen mich an glückliche Zeiten denken. Sie sieht dünn aus in ihrem Bett und als ich sie anschaue, weiss ich, dass es zu Ende ist mit uns beiden. Die Luft ist verbraucht und mich schaudert. Dieses Zimmer ist zu einem Grab geworden.
Ich stehe noch immer da an diesem, unserem Hochzeitstag. Meine Güte, vierzig Jahre durfte ich an der Seite dieser Frau verbringen und ich bin unsäglich dankbar dafür. Ich möchte ihr gerne sagen was ich empfinde, doch ich bleibe stumm, denn ich will sie nicht wecken.
Ich glaube Schritte zu vernehmen und betrete das Zimmer schnell, schliesse die Tür hinter mir. Plötzlich ist es stockfinster und ich taste mich zum Fenster hin. Ich ziehe die Vorhänge zur Seite und der Mond, der Wächter der Nacht, schaut herein, gross und voll und taucht alles in silbriges Licht.
Ich wende mich meiner Frau zu, träume und obwohl ich weiss, dass ich es nicht tun sollte, setze ich mich auf die Bettkante. Ich schaue auf ihrem Nachttisch, wo der Zettel liegt den ich ihr geschrieben hatte. Hat sie ihn gelesen? Hat sie verstanden wer ihr die Zeilen schrieb?
Ich streiche mit dem Finger über den Zettel und nehme ihn in meine Hand. Mein Blick ruht darauf und wohl zum tausendsten Mal lese ich ihn:

"Sieh, das ist unsre Liebe.
Unsre Hände reichen sie hin und her,
unsre Lippen bedecken sie mehr und mehr
mit Worten und Küssen sehnsuchtsschwer,
unsre Seelen grüssen sich hin und her -
wie über ein Meer - wie über ein Meer -
Diese Rose vom Duft unsrer Seelen schwer:
sieh, das ist unsre Liebe." *

Ich blicke sie an, beuge mich hinab und berühre zärtlich ihr Gesicht. Ich streichle ihr Haar und dann stockt mir der Atem.
Erstaunen ergreift mich. Sie bewegt sich, öffnet die Augen, blinzelt.
Plötzlich bereue ich meine Torheit, denn nun wird sie, wie üblich, zu weinen und zu schreien anfangen. Ich weiss ich bin impulsiv und schwach, doch versuche das Unmögliche, beuge mich noch tiefer hinab.
Als ihre Lippen die meinen berühren, durchfährt mich ein angenehmes Prickeln,
wie ich es in all den gemeinsamen Jahren nie empfunden habe. Plötzlich, ein Wunder, spüre ich wie sich ihr Mund öffnet und ich entdecke ein vergessenes Paradies, unverändert nach all den Jahren, alterslos wie die Sterne.
Ich fühle die Wärme ihres Körpers und als sich unsere Zungen begegnen, lasse ich mich davontragen. Schliesse die Augen, streichle über ihre Wange und ergreife dann ihre Hand. Ich küsse ihre Lippen, ihre Wangen und höre sie seufzen.
"Jerome" flüstert sie sanft. Sie erkennt mich, das grösste Wunder von allen.
Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten. "Jerome" flüstert sie wieder. "Du hast mir so gefehlt."
Die Tränen rinnen wie Perlen über meine Wangen, während ich fühle, wie ihre Finger nach den Knöpfen meines Schlafanzugs tasten und sie langsam, einen nach dem anderen zu öffnen beginen.
Auf dem Flur höre ich das Weinen und Schreien eines anderen Patienten, doch wie durch ein fernes Echo. Ich versuche desen Moment für immer festzuhalten, denn wie oft geschehen schon Wunder?


*Gedicht: "Diese Rose von heimlichen Küssen schwer"
Christian Morgenstern

 

Hallo KittyJ,

ich fürchte, ich habe deine Geschichte nicht verstanden. Am meisten würde mir noch einleuchten, wenn der Prot seine todkranke Frau auf der Intensivstation besucht, froh, dass ihn für eine kurze Zeit mal wieder erkennt, zugleich traurig, dass sie Liebe nie mehr sein wird, wie sie in den vierzig Jahren war, für die er dankbar ist.
Aber warum versteckt er sich, wenn jemand ins Zimmer kommt? Selbst Koma Patienten darf er streciheln, berühren und als Gatte ganz bestimmt auch küssen. Und kommen könnte ja höchstens eine Krankenschwester, die ihn doch sicherlich kennt.

Wäre schön, wenn dus mir ein bisschen erklärst.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

so ganz falsch verstanden hast du die Geschichte sicherlich nicht. Natürlich hätte ich vermutlich näher drauf eingehen sollen, was mit der Frau los ist und wo sich die beiden befinden.
Um das ein bisschen aufzulösen:
Die beiden befinden sich in einem Altenheim, Jerome´s Frau ist an Alzheimer erkrankt es ist Nacht, das heisst es ist nicht erlaubt das Zimmer anderer Patienten zu betreten, eben weil es Nacht ist. Dennoch will er zu seiner Frau weil es ja ihr Hochzeitstags ist.

Hoffe das hilft dir weiter...
Liebe grüsse KittyJ

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo KittyJ,

natürlich ist es immer schön, der Fantasie des Lesers nicht alles durch zu detailierte Beschreibungen zu nehmen. Ichhatte zwischendurch auch kurz an Alzheimer gedacht. Vielleicht gelingt es dir ja trotzdem, den Ort und die Bedingungen noch dezent so einzubauen, dass der einfühlsame Stil erhalten bleibt.

Ich gebe zu, es fällt mir bei dieser Geschichte noch schwerer als bei anderen Geschichten, sie objektiv zu lesen, denn zu beiden Themen, Liebe im hohen Alter und Alzheimer habe ich ja auch hier schon Geschichten veröffentlicht.

Deine Geschichte hat mir sprachlich gut gefallen. Was ich ein bisschen monieren möchte ist das Gedicht von Christian Morgenstern. Es ist zweifellos sehr schön, nimmt mir aber bei der Kürze deiner Geschichte zu viel Raum ein, ohne dass es vielleicht auf eine Bedeutung für die beiden in früheren Tagen Bezug nimmt. Dein Prot könnte ja damit mal um ihre Hand angehalten haben.

Insofern empfinde ich das von dir gemalte Bild noch nciht als ganz stimmig. Es ist schon sehr schön, aber die eine oder andere dezent hinzugefügte Nuance könnte noch etwas Besonderes draus machen.

Aber das ist natürlich nur mein sehr subjektiver Eindruck.

Lieben Gruß, sim

edit: achja, und an die Leser der Kritik, die jetzt meinen, ich hätte ja aber auch an allem etwas auszusetzen. Nein. Gerade wenn mir etwas sehr gut gefällt, finde ich, es lohnt sich, noch einmal zu sehen, wie man es eventuell noch weiter verbessern kann. :)

 

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