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Skiurlaub
Wörter: Lawine; himmelblau; Durst; erben; Schmalzgebäck
Jürgen stieg aus seinem Jeep; endlich hatte er sein Reiseziel erreicht und bald würde er wieder die Piste herunterrasen können. Einen Moment lang genoss er den wunderschönen Anblick des Hangs. Der Schnee glitzerte in der Sonne, vereinzelte Bäume zierten die Landschaft und ließen Jürgen tief durchatmen und Ruhe spüren. Vergessen waren der Streß im Büro, der Zoff mit dem Nachbarn und der ständig abstürzende Windowsrechner.
„Jürgen!“, rief eine überglückliche Stimme aus dem Hintergrund, sie gehörte seiner Frau. Er drehte sich zufrieden um und streckte seine Arme aus, die Sekunden später seine Frau umschlossen. „Hattest du eine gute Fahrt, Schatz?“ Ihre Stimme klang liebevoll und Jürgen zog sie noch näher zu sich. Der Duft frischer Mutzen verstärkte sich mit jedem Schritt, den sie auf die kleine Skihütte zugingen. Jürgen liebte es, wenn seine Frau ihm frisches Schmalzgebäck backte.
Das Paar betrat die Hütte, die eine gemütliche Atmosphäre ausstrahlte. Über dem Kamin hing das Bild einer Winterlandschaft, die Einrichtung war schon fast antik und sehr liebevoll gepflegt. Vor dem Kamin befand sich ein Sofa, auf das sich die beiden setzten. „Was hältst du von Damian, wenn es ein Junge wird und Marleen, wenn es ein Mädchen wird?“, fragte Katrin, die nun mit ihrer Hand sanft über ihren dicken Bauch strich. Der werdende Vater legte seine Hand auf ihre, sah ihr in die Augen und nickte voller Vorfreude: „Das klingt sehr schön.“ Seine Hand glitt zu ihrem Gesicht. Sanft strich er über ihre Wange und küsste sie.
Ein Handy klingelte, Jürgen warf seiner Frau entschuldigende Blicke zu und nahm ab: „Ja? – Oh, jetzt schon? - Natürlich habe ich Lust, aber... – Moment.“ Er wendete sich wieder seiner Frau zu: „Schatz? Ich fahre jetzt zu den Jungs auf die Piste und heute Abend machen wir genau hier weiter, ja?“ Sein Lächeln wurde erwidert und von einem Nicken unterstützt. „Okay, ich komme vorbei. Bis gleich“, sprach er nun wieder in sein Handy und legte wenig später auf. Während Jürgen seine Ausrüstung zusammensuchte, packte Katrin ihm ein paar der Mutzen in eine kleine Tüte. „Hier, für den Weg“, sagte sie als er an der Tür stand und sich gerade noch einmal verabschieden wollte. Er nahm die Mutzen entgegen, gab ihr einen Kuss und verließ die Hütte mutzenessender Weise.
„Hallo Jungs“, begrüßte er seine Freunde an der Piste. „Hallo Jürgen, schön, dass du es doch noch geschafft hast. Hast wohl doch noch einen Dummen gefunden, der deine Arbeit macht, was?“, lachte Helmut und reichte Jürgen die Hand. „Hör bloß auf...“, grinste Jürgen und schüttelte Helmuts Hand. „Und? Weißt du `s schon? Himmelblau oder eher rosa für das neue Kinderzimmer?“, fragte Klaus. „Wir lassen uns überraschen“, sagte Jürgen und zwinkerte Klaus zu. „Hast du Durst? Meine Frau hat uns Kaffee gekocht – Den besten Kaffee der Welt“ , fragte Martin ohne auf eine Antwort zu warten.
Endlos lange Begrüßungsarien und Kaffeerunden später fuhren die vier Freunde die Piste hinab, die ansonsten menschenleer war. Sie liebten die Abgeschiedenheit dieses kleinen Skiorts, denn nur hier, sagen sie, kann man beim Ski fahren die Natur richtig genießen. Nach einigen Abfahrten beschlossen sie eine Wettfahrt zu machen. Kaum hatte Martin „Los“ gerufen, waren sie schon auf dem Weg nach unten. Der etwas ungeübte Jürgen lag weit zurück.
Plötzlich verlor er das Gleichgewicht und stürzte. Er überschlug sich mehrmals und krachte anschließend gegen einen Baum. Er wollte aufstehen, aber er spürte seine Beine nicht. Der Schnee färbte sich rot, während seine Freunde ungeduldig am Fuß des Hanges auf ihn warteten.
Eine Sirene heulte los, ein Teil des Schnees schien sich vom Hang zu lösen – Lawinengefahr! Doch Jürgen war nicht in der Lage aufzustehen.
„Jürgen!“, hörte er die überglückliche Stimme seiner Frau, schmeckte ihr Schmalzgebäck und fühlte ihre beschützende Hand. Er musste an sein Kind denken, das nun ohne Vater aufwachsen musste. Ob wenigstens das Erbe ausreichen würde, um den beiden eine gesicherte Zukunft zu verschaffen? Müde blinzelte er in die Sonne und blieb unbewegt im kalten Schnee liegen.