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- 03.04.2004
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Sonntagmorgen
Bevor die Sonne aufging, sprach nichts dagegen, dass es ein ganz normaler Tag werden würde.
Bevor die Sonne ihre helle Wahrheit über den Horizont schickte, war es ein ganz normaler Tag.
Doch schon im ersten Grau des Morgens spürte man eine Andersartigkeit.
Kein Geräusch verriet sie, eher die Abwesenheit jeglicher Geräusche. Bald fuhren die Finger der Sonne tastend über die ersten Umrisse, die sich ihren staunenden Augen darboten.
Das war nicht die Welt, die sie im Abendrot zurückgelassen hatte.
Ruinen, nichts als Ruinen.
Die Werke der Menschen von der Erde getilgt.
Und so auch der Mensch selbst.
Im Zwielicht des Morgens hätte man glauben können, sie versteckten sich nur. Versteckten sich vor der Wahrheit, klammerten sich an die Gnade der Nacht,
als könnten sie sie durch ihre Gebete dazu bringen ihren Mantel noch einmal über die Folgen ihrer blinden Wut zu decken.
Was man nicht sieht, das ist nicht.
Doch Sinne sehen mehr als Augen, und die Atmosphäre unter dem gelblichgrünen Himmel war so gespannt, so verdichtet, dass selbst die Steine, früher einmal eine sicherheitsverheißende Straße, zu zittern schienen.
Zittern auf Grund einer Erkenntnis, die an diesem Morgen über die Welt kam.
Vielmehr kam sie nicht, sie war einfach da.
Hing über den über Nacht verdorrten Bäumen:
Der Mensch hatte der Erde sein Zeichen eingebrannt. Endgültig.
Er hatte immer versucht, sie neu zu gestalten, die Natur zu brechen. Nun war es ihm gelungen. Nun hatte er seine neue Welt, eine, die ihm würdig war.
Doch es ist niemand mehr da, um sein Werk zu bewundern.
Nur die Sonne, die inzwischen hoch am Himmel stand und Ruinen, Wüsten und tote Wälder wärmte.
Nur die Sonne, die sich in ihrem jahrhundertealten Gleichmut schon an das neue, menschenlose Bild gewöhnt hatte.
Ein Bild des Friedens.