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Suja
Vidane war zwar sauer, dass er es wieder machen musste, aber er wusste auch, daß es irgendjemand machen musste.
Als er durch den hölzernen Torbogen schritt, grüßte ihn Queiner, der alte Lagerwächter.
"Wo willst du den jetzt so spät noch hin?", schnaubte er ihn mit seiner brummeligen Stimme an.
Vidane sah hoch zum Wächter und antwortete kleinlaut:
"Es ist so unfair, ich muss mal wieder Wasser holen. Peter musste noch nie Wasser holen, obwohl er drei Jahre älter ist."
Darauf lachte ihn Queiner aus, Vidane verliess schnell das Dorf und trat auf das freie Feld.
"Sei vor Sonnendämmerung aber wieder zurück, sonst musst du draußen schlafen", hörte Vidane noch im Hintergrund, gefolgt von einem hämischen Lachen.
Hätte er doch nicht so lange mit den anderen Kindern Murmeln gespielt. Er hatte immer verloren und hatte gehofft, doch noch irgendwann zu gewinnen. Aber Zeit hatte er nicht gewonnen, schon viel zu früh war es dunkel geworden und seine Mutter hatte ihn gerufen. Warum er bis jetzt noch kein Wasser geholt habe? Er solle nicht den ganzen Tag mit Mumeln spielen. Ob er nicht gemerkt habe, wie spät es ist, usw.
Schließlich war Vidane mit einem leeren und großen Eimer aufgebrochen.
Jetzt ging er mit diesem Eimer den kleinen Trampelpfad entlang und konnte schon die ersten Wasserläufe erkennen. Den alten Wächter konnte er nicht mehr sehen, alleine seine Siluette war nur noch neben der wehenden Stadtfahrne erahnbar.
Er beeilte sich, weil er noch vor dem Abendessen da sein wollte. Aber noch viel mehr fürchtete er sich davor, alleine vor der Lager die Nacht zu verbringen. Es kam öfters vor, daß es Reisende nicht rechtzeitig bis vor der Abenddämmerung schafften, ins Dorf zu kommen. Dann riefen sie und baten rein gelassen zu werden, aber immer lachte Queiner nur mit seinem hässlichen Lachen. Auch war es schon vorgekommen, daß am nächsten Morgen der Platz vor dem Tor leer war, obwohl am Abend noch Fremde um Einlass gebeten hatten.
Der Wächter hatte das als Beweis der Richtigkeit seiner Methode gesehen. Es hätte sich ja nur um Formwandler oder Werwölfe oder ähnliches Gesindel handeln können.
Vidane glaubte, daß der schreckliche Suja die armen Reisenden geholt und gefressen hatte.
Die älteren Kinder hatten die Geschichte vom Suja nur erzählt, um ihm Angst einzujagen, doch konnte er diese Angst nicht von sich legen. Angeblich soll er riesige Reißzähne haben und damit im Kopf seiner Opfer die Gehirne langsam raussaugen. Aber dieser starben nur ganz langsam, und weil er immer mehr vom Gehirn absaugte, wurden sie immer dümmer, bis sie dann doch irgendwann der Tod umfing.
Nach einem kurzen Fußmarsch kam er endlich bei der Wasserstelle an. Ein kleines Flüßchen, welches sich durch das Gehölz des dunklen Waldes schlägelte, versorgte den Bach immer weiter mit frischem Wasser aus den Bergen. Früher hatte es auch im Dorf eine eingene Wasserstelle gegeben, doch wegen der großen Hitzewelle, die noch vor seiner Geburt gewesen war, war sie verschwunden. Man hatte auch überlegt, einen Kanal bis ins Dorf zu legen, aber die Dorfältesten hatten vor der Rache des Bachgottes gefürchtet, deswegen mussten seitdem die armen kleinen Kinder das Wasser holen.
Vidane ging zum Ufer und tauchte den Eimer tief ins Wasser ein, bis dieser so voll war, daß er ihn noch zurück tragen können würde. Mit Mühe hievte er den vollen Eimer an Land. Er hoffte, seine Mutter würde nicht schon wieder ekelige Klöße darin kochen, denn das wäre pure Arbeitsverschwendung gewesen.
Vidane sah noch einmal auf den ruhigen Bach zurück. Das Wasser war wunderbar sauber und er konnte bis auf den grünen Grund sehen. Zu gerne wäre er mal in ihm geschwommen, aber das war von den Ältesten verboten. Sein älterer Bruder Peter hatte sich angeblich mal Nachts getraut. Aber Vidane glaubte ihm nicht, weil er auch angeblich schon gegen Werwölfe und Bären gekämpft und in einem anderen weit entfernten Land wäre er wegen großen Heldentaten ein berühmter Ritter.
Aber seine Waffen und Rüstungen konnte er ihm nie zeigen, da sie noch dort liegen würden.
Vidane drehte sich um und wollte eigendlich wieder zurück nach Hause. Die Sonne färbte sich im Hotizont schon tiefrot und war dabei, hinter den großen Bergen unterzugehen.
Er machte drei Schritte und glaubte ein Geräusch zu hören. Es hörte sich an wie ein Blubbern, als wäre jemand aus dem Wasser aufgetaucht. Erst beachtete er das Geräuch nicht und ging weiter, aber dann blubberte es wieder, dieses mal sogar noch heftiger als beim letzten Mal.
Er drehte sich langsam um und suchte nach dem Blubbern. Mitten im Bach passierte etwas, das Wasser war mit einmal unruhig geworden und Vidane ließ den Eimer fallen, als er merkte, was der Ursprung für das Geräusch war.
"Guten Abend, Menschenkind", sagte ein dunkelgrüner Kopf zu ihm.
Die Fratze ragte gerade noch aus dem Wasser raus und ließ einen ebenso abscheulichen Körper erhahnen.
"Wer, wer bist du?", fragte Vidane das Wesen. "Du solltest lieber aus dem Wasser kommen, Baden ist hier verboten!"
Das Wesen schien den Rat des kleinen Jungen erfüllen zu wollen und näherte sich dem Ufer, wo Vidane stand. Er schien sich überhaupt nicht zu bewegen, aber er kam immer näher auf ihn zu. Seine Füße waren nur erahnende Gebilde.
"Sollte ich das?", sagte er, gefolgt von einem dumpfen Lächeln, und schien die erste Fragen von Vidane gar nicht gehört zu haben.
Das Wasser wurde zum Ufer immer niedriger, und mit jeder Sekunde kam sein grüner Körper immer weiter herraus.
Er sah weich aus, wie Gummi. Das Wasser um ihn herum brodelte, als ob es kochen würde. Aber jetzt konnte Vidane erst das Gesicht richtig erkennen.
Man konnte riesige Zähne erkennen, die aus seinem Mund hervorragten und fast sein eigenes Kinn streiften. Sein Körper war von einem dicken Gemisch aus Algen und anderen Meerespflanzen verdeckt.
Jetzt begriff der Junge erst, was er vor sich hatte.
"Suja", stammelte er so leise, das er sich selber kaum verstehen konnte.
Er sah zwar nicht aus wie in seinen Albträumen, aber er musste es trotzdem sein. Nur Suja konnte so böse gucken.
"Wie schmeckt dir das Wasser", sagte er mit der gleichen Stimme, die Suja auch in seinen Albträumen benutzte. "Ich werde dich jetzt töten."
Jetzt wusste Vidane, das er unbedingt weglaufen musste. Den Trampelpfad entland, durch das Tor direkt nach Hause. Und er versuchte auch zu laufen, aber es ging nicht.
"Hast du denn keine Angst, Menschenkind?"
Vidane hatte natürlich riesige Angst, doch waren seine Beine vor Schrecken wie gelähmt.
Er glaubte sie nicht einmal mehr zu spüren. Was er spürte war eine fast ohnmächtige Angst vor dem langen Zähnen, die im letzten Sonnenlicht blitzten.
"Bitte nicht, bitte töte mich nicht. Meine Mutter wartet auf mich und das Wasser, ich will nicht das sie weint", flehte Vidane das Wesen verzweifelt an.
Das Lächeln von Suja formte sich zu einem grausigen Grinsen und er entblöste zwei weitere Reihen Zähne, die seinen Mund fast auszufüllen schienen. Und jetzt konnte er auch seine Beine erkennen.
Vidane sah voll Entsetzen dünne Beine, die dem gewaltigen Körper des Wesens eingendlich gar nicht tragen dürften. Aus ihnen wucherten kleine Pflanzen heraus.
Wie in Zeitlupe sah er, wie das grüne Geschöpf auf ihn zukam. Das Wasser im Hintergrund war jetzt wilder als vorher und auf einmal wusste Vidane, woher er die Farbe des Monsters kannte. Es war das gleiche Grün, daß er vorher auf dem Erdboden des Baches gesehen hatte.
"Tut mir Leid", sagte er und Vidane konnte schon seinem fauligen Atem spühren, "aber so, wie du mein Wasser trinkst, werde ich nun dein Blut trinken. All die Jahre hab ich es nur mit angesehen, wie ihr mir das Wasser gestohlen habt, aber jetzt werde ich mir mein Recht nehmen und dich aussaugen." Dann nahm das Monster einen von Vidanes Armen und sah sich gierig die Pulsader an. Er beugte sich ganz nah an Vidane, schnupperte genussvoll, und der Junge fühlte wieder Kraft in sich aufkommen. Neben sich sah er den Eimer, der umgestürtzt im Gras lag. Das Wasser war ausgelaufen. Vidane packte, ohne genau zu überlegen, nach dem Griff des Eimers und holte zu einem Schlag gegen die Kreatur aus.
Die neue Waffe des Jungen traf das grüne Gesicht und es wich etwas zurück, doch blieb weiterhin in bedrohlicher Nähe. Das Wesen wollte sich zu einem neuen Angiff bereitmachen und knurrte Vidane grimmig an: "Du willst mich mit einem Eimer aufhalten, ich habe schon gegen ganz anderes gekämpft", lachte es.
Vidane konnte ängstlich auf dem Boden gekauert erkennen, wie Suja sich langsam neben ihn kniete. Speichel tropfte dem Monster aus dem Maul. Er spürte einen heftigen Schmerz in seinem rechten Arm, das Monster musste ihn mit einem seiner Reiszähne gebissen haben.
Dann glaube er wieder Wasser laufen zu hören, aber dieses mal war es eine andere Flüssigkeit, sein eigenes Blut tropfte ihm vom Arm und Suja fing es gierig mit seinen Händen auf.
"Nein, Hilfe", flüsterte Vidane, aber niemand konnte ihn hören, "HILFE", schrie er diesmal.
Suja blickte den Jungen plötzlich mit seinen schwarzen Augen wie versteinert an.
Das Blut tropfte immer noch.
Vidane konnte hören, wie sich etwas näherte. Jetzt merkte er auch, das der versteinerte Blick nicht ihm galt, sondern etwas, was sich durchs Gebüch ihnen näherte.
"Halt ein, ich komme", hörte er eine Stimme rufen.
Dann hörte er etwas durch dir Luft zischen und es schien, als würde er keinen Atem mehr bekommen, so stark war der Luftdruck.
Das Monster sah Vidane wieder mit seinem großen schwarzen Augen an, bevor es rückwärts weggeschleudert wurde. Es hörte sich wie das Aufplatschen eines Schwammes an.
Vidane blieb regungslos liegen, doch konnte er eine Person an ihm vorbei und zu dem Wesen laufen, hören.
"Was..." sagte Suja und der Junge hörte Erschrecken und Angst in seiner Stimme. Ein Speer steckte mit der ganzen Spitze in seinem Brustkorb. Dann erkannte er Queiner, er war noch nie so froh, den mürrichen Soldaten zu sehen.
"Das", sagte er gefolgt von seinem gewohnten Lachen. Mit zwei Schritten hatte er das auf dem Boden liegende Moster erreicht und zog den Speer mit voller Wucht wieder heraus, dann starch er erneut zu, dieses mal durchborte die Waffe den Körper so weit, daß er aus dem Rücken wieder rausragte.
Das Monster taumelte, Queiner zog den Speer wieder zurück und eine dicke Flüßigkeit schoss aus der Wunde herraus. Der letzte Blick des Monsters galt Vidane, dann setzte der Soldat zum Todesstoss an.
Er hieb mit solcher Wucht auf Suja ein, daß er durch die Luft ins Wasser geschleudert wurde. Er war tot.
Der Junge sah mit großen Augen seinen Retter an und wusste kein Wort zu sagen.
"Zeig mal deinen Arm her, ist er schwer verletzt?" sagte Queiner und feuchtete ein Tuch an, das er aus seiner Tasche hervorholte und verband Vindanes Arm.
Der Wächter bückt sich zu ihm runter und hob ihn hoch.
"Ich werde dich jetzt nach Hause tragen"
Vidane wollte zwar nicht, aber trotzdem sah er noch einmal zum Bach hinunter. Dort lag Suja in dem Element, aus dem er auch gekommen war. Es fing wieder an zu blubbern, das Wasser wurde unruhiger und schließlich zerfloß das Monster, bis es nicht mehr zu sehen war. Mit einem mal wurde das Wasser wieder still und nur der plätchernde Bach, der sich immer noch durch den Wald schlängert, war zu hören.
Vidane dachte oft über das Wesen nach. Irgendwann kam er zu dem Ergebniss, daß es nicht Suja gewesen war.
Der Fluß, der irgendwo in einer namenlosen Gegend entspringt, musste ihn bis hierher gespült haben.