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Taubenfänger
Taubenfänger oder
Down in a hole
Alles was ihm geblieben war, war ein Block und ein Stift. Da saß er nun, allein, in einem Loch und trauerte der Zeit nach, in der seine Umgebung grün und lebendig gewesen war. Das Loch war sandig, staubig, trocken. Es hatte nichts Lebendiges an sich. Überhaupt war das Loch sehr frustrierend. Das schrieb er auf ein Blatt: Das Loch ist frustierend. Jeder sollte es wissen. Er faltete das Blatt geübt zu einer Brieftaube und gab ihr einen kurzen Stoß. Die Taube machte sich gemächlich auf den Weg, krächzend, gurrend, schwer zu vertreiben wie ihre Stammesgenossen in der Fußgängerzone. Er fuchtelte mit dem Bleistift in der Luft herum und sie verschwand. Einige Meter über ihm rannten Menschen die Straße entlang, dann und wann schaute einer mitleidsvoll nach unten und ging anschließend weiter. Er hörte nur ihre Schritte, hörte wie sie kurz einhielten, um bald weiter zu eilen, doch das Mitgefühl schmeckte er süß auf seiner Zunge zergehen und schrieb eine kurze Zeile auf das nächste Blatt.
Wie war er hier hingekommen? Nun, das wusste er selber nicht so genau. Dennoch war er sich sicher, dass man ihn gestoßen hatte, angerempelt. Jemand hatte dieses Loch nur für ihn ausgehoben. Jemand wollte, dass er hier unten sitzen musste, für ewig verdammt, mit Block und Stift. Das Loch war Alles. Er hasste das Loch.
Eine neue Taube torkelte ins Freie, ließ sich auf einem von Kaugummi beklebten Pflasterstein nieder und plusterte ihr Gefieder auf, halb gelangweilt, halb beleidigt, sicher in der Erwartung, aufgehoben, entfaltet und weggeworfen zu werden. Alle Tauben, die er faltete sahen gleich aus und hatten das gleiche Schicksal. Genauso gleich, wie sie ihm waren. Er bekam nicht mit, was mit ihnen geschah. Er sah sie nur durch die Luft schweben und achtete darauf, dass sie ja den Rand des Loches erreichten und nicht in einer Fuge stecken blieben. Es wäre schade gewesen um das schöne Papier. Er betrachtete den Block. Das Papier war nicht schön, nein. Wenn er es sich recht ansah, war es sogar sehr hässlich, nicht weiß, sondern grau-braun, die Ecken schienen verknickt, angerissen. Und er musste darauf schreiben. Ohne das Loch wäre alles anders gekommen. Doch was mit ihm geschah war allen egal. Er blinzelte dem Lichtschein entgegen und hob drohend seine geballte Faust. Mein Leben ist die Hölle und ihr seid schuld daran, dachte er, und schrieb es auf ein blankes Stück Papier.
Als er gerade damit beschäftigt war, das Blatt zu einer Origamitaube zu falten, fiel das Ende einer Strickleiter stumm auf den schmutzigen Boden vor ihm. Misstrauisch betrachtete er die geknoteten Stricke mit den Holzsprossen. Bilder gingen ihm durch den Kopf. Er sah sich die Leiter hochklettern, Block und Stift unter den Arm geklemmt, hinaussteigen vor hunderten von Leuten, alle mit einer säuberlich gefaltenden Taube in der Hand und einer Träne im Gesicht. Langsam kletterte er aus dem Loch hinaus, das gar nicht so tief war, wie er es haben wollte. Oben angelangt lugte er vorsichtig über den Rand. Aber da war niemand, außer Menschen, die vorbeiliefen und Autos, die vorbeifuhren. Eine Papiertaube kreiselte langsam vor ihm nieder und entfaltete sich. Kein Weg führt nach oben, stand darauf geschrieben. Die Straße sah hart und unbarmherzig aus und nur kleine grüne Unkrautstengel reckten ihre Köpfe mutig in den kalten Wind. Der Sand dagegen wirkte warm und schenkte Geborgenheit. Unten angekommen zerrte er an der Leiter, bis die Stricke rissen. Die Leute haben keine Ahnung, was es bedeutet in einem Loch zu sitzen. Schrieb´s und warf´s in die Luft. Doch die Taube hatte nicht mehr genug Muße bis an das Ende des Loches zu flattern und so nistete sie sich in einer Nische zwischen den herabhängenden, gerissenen Stricken ein und baute sich ein Nest. Zu ihr gesellten sich die folgenden Tauben, dass es bald eine ganze Kolonie war, die fröhlich gurrend auf den übrig gebliebenen Sprossen saß und gar nicht daran dachte hinaus zu fliegen, um gelesen und in den Rinnstein geworfen zu werden. Ihre Kinder flogen in die Freiheit und weit über die Dächer der Stadt, doch waren sie immer unbeschrieben.