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Taucher

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27.06.2019
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Taucher


Taucher
Am Freitagabend sitzen Ennio und sein Sohn Alessio vor dem Fernseher. Es hat Streit um dieses Thema gegeben, sowie über das meiste andere auch. Aber hier haben sie wenigstens einen Kompromiss gefunden, Ennio und seine Ex. Unter der Woche darf Alessio keine Medien konsumieren, wie sie es nennt. Nur an den Wochenenden darf er etwas schauen, wenn er bei seinem Vater ist. Nicht zu lange natürlich, sagt sie, und nur pädagogisch Wertvolles.

„Vor allem aber keine Gewalt, hörst Du Ennio? Ich möchte das nicht.“

Ennio und Alessio sehen eine Doku über Bangkok. Thaimädchen tänzeln in geblümten Blusen und mit Kettchen an den Füßen in ein Buddha-Heiligtum. Auf dem Marktplatz schütten Streetfood-Akrobaten ihren Tee von einer Kanne in die andere. Der Reporter findet, dass das nicht nur großartig aussieht, sondern sich auch geschmacklich auswirkt: „Dieser Tee ist“ – der Reporter schlürft aus dem Becher und schmatzt, dann sucht er nach dem richtigen Wort – „eine Explosion auf dem Gaumen!“, ruft er in die Kamera.

Das ist der Moment, in dem Ennio von der Couch aufsteht und sich ein neues Bier holt. Als er wiederkommt, zeigen sie einen Schatztaucher, wie er sich morgens von seiner Frau und seinen vier Kindern verabschiedet, die nach Größe aufgereiht in der Küche stehen. Man sieht ihn, wie er seine ärmliche, aber saubere Holzhütte verlässt, wie er am Heck eines Holzbootes hockt, die Hand am Außenborder und zusammen mit seinem Begleiter den Chao Phraya hochtuckert. Eineinhalb Stunden brauchen sie für diese Fahrt. Im Zentrum der Stadt angekommen, werfen sie den Anker aus und der Taucher reckt seinen messingfarbenen Helm in die Kamera. Er sagt, dass er diesen Helm selbst gebaut hat.

„Der Helm“, sagt er, „ist mein Ein und Alles.“

Der Helm sieht scheußlich aus, findet Ennio, ein klobiges und furchterregendes Teil, aber er bewundert den zierlichen Körper des Asiaten, den kugeligen Bizeps, kein Gramm Fett zu viel. Die Kamera folgt dem Taucher nur den ersten halben Meter unter die Wasseroberfläche. Dann verschwindet der Taucher in der undurchsichtigen Brühe des Flusses. Die Augen nutzen ihm nichts hier unten. Seine Schätze muss er tasten, fünfzehn Meter tief am Grund des Flusses. An Deck erzählt unterdessen der Begleiter, dass er darauf achtet, dass sie nicht mit anderen Booten kollidieren. Er warnt den Taucher, wenn die Polizei kommt, denn die Schatzsuche im Fluss ist nicht ganz legal. Und er passt auf, dass der Luftschlauch nicht abknickt.

Bei Gott, denkt Ennio, als die Kamera auf den dünnen, unscheinbaren Schlauch hält, der sich über den Rand des Bootes schlängelt. Jetzt versteht er die Gebetsrituale vor dem Tauchgang.
Ennio und Alessio essen Kartoffelchips. Das ist ein Verstoß gegen die Regeln, die Alessios Mutter aufgestellt hat für die Zeit, die er bei seinem Vater ist. Aber Ennio weiß, dass sein Sohn keine Gemüsechips isst, er braucht es gar nicht zu versuchen, er mag sie selber nicht, auch wenn sie zehnmal gesünder sind als Kartoffelchips. „Pass doch auf, wo Du hin krümelst“, sagt er. Ohne die Augen vom Bildschirm zu lassen hebt Alessio die Hand und darunter liegt ein Kartoffelchip-Mosaik. Ennio klaubt die Krümel vom Stoffbezug und wischt mit den Fingern über die Stelle, da sieht er auch einen Schatten von Fett. Ihm wäre das eigentlich egal, das bisschen Dreck, die paar Krümel. In der Zeit nach der Trennung, diesen schweren und dunklen Monaten, gab es immer wieder einmal Augenblicke kurzen Glücks, wenn er sich seiner neuen Freiheit bewusst wurde. Er konnte wieder in Bierdosen aschen, das Geschirr tagelang stehen lassen und beim Masturbieren im Bett auf das Taschentuch in der anderen Hand verzichten. Aber seit einigen Wochen hat er eine Freundin, die sehr reinlich ist.

Er überlegt, ob er noch Fleckentferner im Haus hat, dieses kleine grüne Fläschchen, und ob der bei Fettflecken hilft.

Sie zeigen den Taucher, wie er nach einer Stunde der Schatzsuche mühsam die Reling erklimmt. Sein Begleiter nimmt ihm den Helm ab und gemeinsam ziehen sie aus dem Beutel des Tauchers zwei Teetassen und einen Napf mit abgebrochenem Rand. „Die Teetassen stammen aus der chinesischen Zeit“, sagt der Taucher, „sie sind über 80 Jahre alt.“ Er ist sehr zufrieden mit seiner Ausbeute und als er lacht, sieht man seine schlechten Zähne. Er erzählt, dass er heute Abend die Tassen bei Facebook zum Verkauf stellen wird und vom Erlös seine Familie ein, zwei Wochen ernähren kann. Er ist ein erfolgreicher Mann, sagt er, er weiß, was seine Kunden wünschen und er geht mit der Zeit. Er sagt: „Ein Mann, der immer tugendhaft ist, verdient sich sein Glück.“ Dann küsst er seinen Helm.

Alessio ist fasziniert von dem Taucher. Das ganze Wochenende über malt er Bilder von ihm: Ein Mann an einem Faden, der durch Landschaften aus Wracks schwebt.

Am Sonntagabend, Alessio ist wieder bei seiner Mutter, bezieht Ennio das Bett frisch, in dem er und sein Sohn gelegen haben. In seinem eigenen Zimmer, das Ennio für ihn eingerichtet hat, mag er nie schlafen. Ennio drückt seine Nase in das Kopfkissen seines Sohnes und genießt mit Wehmut den Geruch, den das Gesicht seines Kindes, seine Haare, hinterlassen haben. Dann entschließt er sich, die Bilder aufzuhängen, die Alessio gemalt hat. Der Entschluss verlangt ihm etwas ab. Er weiß nicht, wie seine Freundin auf die Zeichnungen reagiert, ob sie die Bilder über dem Bett als Einbruch in ihre Zweisamkeit empfinden wird, ob sie überhaupt irgendetwas sagt und nicht nur komisch schauen wird. Er steckt jedes der Bilder mit einer Heftzwecke in die Wand. Die Ecken wellen sich ein wenig, aber das stört Ennio nicht.

Er betrachtet die schwebenden Figuren über seinem Bett und unwillkürlich atmet Ennio tief ein, bis auf den tiefsten Grund seiner Lungen.

 

Hallo @Schneider.Florian.1972,
und erstmal Willkommen bei den Wortkriegern.

Ich steige gleich mal in die Geschichte ein und zwar streng chronologisch mit dem Anfang.

Am Freitagabend sitzen Ennio und sein Sohn Alessio vor dem Fernseher. Es hat Streit um dieses Thema gegeben, wie über das meiste andere auch. Aber hier haben sie wenigstens einen Kompromiss gefunden, Ennio und seine Ex.
Dieser Einstieg finde ich überhaupt nicht gelungen. Es weckt bei mir absolut kein Interesse und ließt sich nicht wie eine Geschichte, sondern wie ein nüchterner Begriff. Gerade der Anfang der Geschichte darf auf keinen Fall langweilig sein.

Nun, leider wird es im Verlauf der Geschichte nicht besser. Es wird die Handlung heruntergebetet ohne das viel Raum für Ausschmückungen bleibt. Es ließt sich, wie bereits gesagt, schlicht wie ein Bericht und nicht wie eine Erzählung.

Das ist besonders Schade, da das Thema, wenn auch nichts super innovatives, durchaus Potential für interessante Erzählungen liefert. Das hier geht für mich aber kaum über ein Konzept hinaus.

Gruß,
Henrik.

PS: Ist die Formattierung am Ende so gewollt oder ist da beim Übertragen etwas schief gelaufen?

 
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Hallo @Schneider.Florian.1972,

erst Mal ein Herzlich Willkommen im Forum,

Formal gibt es wenig auszusetzen an deinem Text, du scheinst in der Rechtschreibung sicher zu sein. Ab und an würde ich dir noch Absätze empfehlen, besonders vor wörtlicher Rede, das lockert den Text auf und macht ihn besser lesbar.

Nicht zu lange natürlich, sagt sie, und nur pädagogisch wertvolles.
Wertvolles

dann sucht er nach dem richtigen Wort – „eine Explosion auf dem Gaumen!“ ruft er in die Kamera.
Komma vor ruft.

„Der Helm“, sagt er, „ist mein ein und alles.“
… ist mein Ein und Alles.

Er warnt den Taucher, wenn die Polizei kommt, denn die Schatzsuche im Fluss ist, sagt er, nicht ganz legal.
Könntest du begradigen: ... denn die Schatzsuche im Fluss sei nicht ganz legal. Das Komma nach Taucher kann weg.

Zum Inhalt gibt es wenig zu sagen, denn es ist wenig da. Ich vermute, dass es diese Bangkok-Doku wirklich gibt und wenn ich deinen Bericht darüber mal abziehe, bleibt von deinem Text nicht viel übrig. Und was dann bleibt, wirkt wie ein Rahmen für die Taucherstory. So hat der Text eher den Charakter einer Schreibübung, was ich persönlich nicht schlimm finde. Wenn du jedoch Ambitionen Richtung Kurzgeschichte hegst, sollte da mehr kommen.

Peace, linktofink

 

Tach @Schneider.Florian.1972,

ich finde deinen Schreibstil nicht schlecht; Satzanfänge und –konstruktionen sind abwechslungsreich, der Plot folgt einer verständlichen Linie, samt exotischer Nebenhandlung. Außerdem hat die Geschichte einen Konflikt und dein Prot erfährt eine gewisse Entwicklung.

Du ahnst schon, jetzt kommt das aber: Die Gewichtung passt für mich nicht. Die Kernaussage sehe ich in der Vater-Sohn-Beziehung und die Befürchtung des Vaters, die neue Partnerin akzeptiere das nicht. Aber warum nicht? Das solltest du weiter ausführen, um den Konflikt zu begründen. Und wozu die Schlammschlacht mit der Ex im ersten Absatz? Das bringt deiner Geschichte mMn nix positives und könnte nüchterner abgehandelt werden. Btw, mir sind alle Figuren total unsympathisch. Herrje, eigentlich sehe ich nicht einmal einen Grund, Alessio süß zu finden. Ennio hätte Potential, von mir gemocht zu werden, wäre da nicht diese Stelle:

Zeit nach der Trennung, diesen schweren und dunklen Monaten, gab es immer wieder einmal Augenblicke kurzen Glücks, wenn er sich seiner neuen Freiheit bewusst wurde. Er konnte wieder in Bierdosen aschen, das Geschirr tagelang stehen lassen und beim Masturbieren im Bett auf das Taschentuch in der anderen Hand verzichten. Aber seit einigen Wochen hat er eine Freundin, die sehr reinlich ist.
Dieser Einblick in den bevorzugten Lebensstil von Ennio macht ihn für mich nicht menschlicher oder nahbarer. Wozu stellst du den Vater so da? Das ist ein schreckliches WE-Zuhause für Alessio. Ich möchte lieber einen netten, wenn auch etwas planlosen, relaxten Teilzeitpapa sehen, der sich eine stärkere Bindung zu seinem Sohn wünscht.


Textkram:

Es ist der Moment, in dem Ennio von der Couch aufsteht und sich ein neues Bier holt.
Das ist der Moment… klingt für mich stimmiger, nicht so historisch bedeutsam.

Du könntest an einigen Stellen kürzen. Z.B hier:

Als sie im Zentrum der Stadt angekommen sind, werfen sie den Anker aus

aber er bewundert den zierlichen Körper des Asiaten, den kugeligen Bizeps, kein Gramm Fett zu viel.
Vllt. „drahtigen“?


Die Kamera folgt dem Taucher nur den ersten halben Meter unter der Wasseroberfläche.
Unter die Wasseroberfläche.


Er warnt den Taucher, wenn die Polizei kommt, denn die Schatzsuche im Fluss ist, sagt er, nicht ganz legal.
Das „sagt er“ ist überflüssig, wenn er bereits warnte: … denn die Schatzsuche im Fluss ist nicht ganz legal.


Ennio und Alessio essen Kartoffelchips. Das ist ein Verstoß gegen die Regeln, die Alessios Mutter aufgestellt hat für die Zeit, die er bei seinem Vater ist.
Alessio darf sie wahrscheinlich auch z.H. nicht essen.


„Pass doch auf, wo Du hin krümelst“, sagt er.
Wie unfair, jetzt den Überkorrekten raushängen zu lassen. Passt auch nicht wirklich zu dem anschließenden Charakterbild.


Er ist ein erfolgreicher Mann, sagt er, er weiß, was seine Kunden wünschen und er geht mit der Zeit. Er sagt: „Ein Mann, der immer tugendhaft ist, verdient sich sein Glück.“
Streichpotential bei „er“ und wieder bei „er sagt“, obwohl klar von seiner Person aus erzählt wird.
Vorschlag: Er ist/sei ein erfolgreicher Mann, weiß, was seine Kunden wünschen und geht mit der Zeit: „Ein Mann, der immer tugendhaft ist, verdient sich sein Glück.“


Am Sonntagabend, Alessio ist wieder bei seiner Mutter, bezieht Ennio das Bett frisch, in dem er und sein Sohn gelegen haben. In seinem eigenen Zimmer, das Ennio für ihn eingerichtet hat, mag er nie schlafen. Ennio drückt seine Nase in das Kopfkissen seines Sohnes und genießt mit Wehmut den Geruch, den das Gesicht seines Kindes, seine Haare, hinterlassen haben. Dann entschließt er sich, die Bilder aufzuhängen, die Alessio gemalt hat.
Guck, wie süß – wenn auch wenig innovativ. Also mach weg, den masturbierenden Dreckfink!

Er betrachtet die schwebenden Figuren über seinem Bett und unwillkürlich atmet Ennio tief ein, bis auf den tiefsten Grund seiner Lungen.
Nicht übertreiben. :Pfeif:


Viele Grüße
wegen

 

Liebe Kollegen, vielen Dank für Euer Feedback. Habe dieses Portal erst vor einigen Tagen entdeckt und bin sehr angetan, von der schnellen und straighten Rückmeldung.
Viele Grüße und bis demnächst - als Autor oder Kommentator
Florian

 

Hey Kollege,

Viele Grüße und bis demnächst - als Autor oder Kommentator

... vlt. auch als Dialogpartner, Texttüftler und Wortschieber?
Es steht dir selbstverständlich frei, deine Geschichte nach Anregungen anderer Wortkrieger inhaltlich zu bearbeiten - orthografische Fehler sollten allerdings im Text unter "bearbeiten" ausgebessert werden, auch damit weitere Leser nicht darüber stolpern. Aber, warum willst du den Schlagabtausch im Keim ersticken?
Du wolltest doch nicht nur hochladen und Lob kassieren, oder? Verteidige deine Standpunkte, erkläre deine Intentionen. Das bringt dich und deine Geschichte weiter.
Vielleicht verstehe ich deine kurze Antwort falsch und eine ausführliche Reaktion folgt?
Nach einigen weiteren Tagen hier im Forum, nach dem Lesen und Schreiben von eigenen Kommentaren – schön, dass du das vorhast – wirst du meine Rückmeldung verstehen, denke ich. :shy:

Viele Grüße
wegen

 

Hallo wegen,
danke dir für deine Einladung, über meine Text noch etwas zu streiten. Ich liebe Textdiskussionen, aber offen gestanden finde ich es ein schwieriges Unterfangen, seinen eigenen Text zu verteidigen. Schließlich hat man doch das, was man sagen wollte, gesagt und wenn einem das aus welchen Gründen auch immer in den Augen der Kritiker nicht gelungen ist, dann kann man deren Gründe aufgreifen und noch mal ran oder auch nicht.

Aber ich steige dennoch gerne noch mal ein.

Einer der Kritikpunkte war, dass Du dir Ennio als weichen, relaxten Teilzeitpapa wünschst und nicht als „masturbierenden Dreckspatz“ Ich würde sagen, dieser Ennio ist beides. Er ist ein emotionaler Vater (das Kind schläft bei ihm im Bett, er vermisst ihn am Sonntagabend) UND er macht gerade eine schwere Phase in seinem Leben durch. Eine Phase, in der ihm nach dem Ende seiner Beziehung eine Freiheit zufällt, die auf denkbar schlechte Weise auslebt, nämlich in der Form, sich gehen zu lassen. Außerdem gibt es aber schon eine neue Beziehung, mit der der Protagonist allerdings fremdelt, eine Beziehung, die von Misstrauen, schiefen Blicken und Distanz geprägt ist. Eine Beziehung, die ihn unter Druck setzt, was in der Episode von den Chipskrümeln und der Fleckenentfernung angedeutet ist.

Der Taucher ist als Schatzsucher zunächst einmal ein Symbol für die Suche nach Glück und damit auch ein Symbol für Ennios Glückssuche. Und Ennio arbeitet sich an dieser Figur ab: den Helm des Tauchers findet er scheußlich, aber er bewundert seinen Körperbau. Der Taucher ist eine Figur, die ihr Leben trotz widriger Umstände und Gefahren meistert. Er ist eine Figur, die mit sich im Reinen ist, was dem Protagonisten auf vielerlei Ebenen nicht gelingt.

Schließlich ist es das Kind, das die Wahrheit über das Leben seines Vaters intuitiv auf den Punkt bringt: Leben als ein Schweben zwischen Wracks.

Das sind meine Gedanken, die mich beim Schreiben dieser Geschichte geleitet habe. Es würde mich freuen, wenn Dich diese Zeilen zu einer neuen Sicht auf „Taucher“ animieren würden. Schreib mir, wenn es so sein sollte!

Rechtschreibfehler und sonstige Ausdrucksanmerkungen sind aktualisiert.
Herzliche Grüße
Florian

 

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