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Taxi nach Hause

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14.10.2004
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Taxi nach Hause

Ich verlasse das Gebäude und steuere den Taxistand schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite an, steige in das Taxi ein und lasse mich in die tiefen Polster der Rückbank sinken. „Nibelungenweg“, weise ich den Fahrer, einen schwitzenden dicken Kerl mit buschigem Schnurrbart, an. „Rauchen erlaubt?“ frage ich noch. Der Fahrer nickt zu beidem, greift sich in die Brusttasche und schwenkt statt einer Antwort seine Schachtel Marlboro hin und her, bevor er sich eine Zigarette herauszieht und ansteckt. Ich folge seinem Beispiel, öffne das Fenster einen Spalt und schließe die Augen. Mein Körper entspannt sich allmählich. Der Wagen rollt los.

Erst vor einer Stunde bin ich hier angekommen, wie jeden Dienstag in den letzten Monaten. Es war zur Gewohnheit geworden, ein fester Bestandteil meiner Woche, nicht anders als der tägliche Gang zur Arbeit oder der Sex mit meiner Frau am Sonntagmorgen, freudlos und hastig und gedämpft, damit unsere Tochter nebenan nur nichts hört. Dienstag ist günstig, meine Frau holt das Kind aus dem Kindergarten und fährt dann zu meiner Schwiegermutter. Vor acht wird sie nicht wieder zu Hause sein. Nach siebzehn Uhr verlasse ich mein Büro. Bleibt ein Spielraum von reichlich zwei Stunden. Zwei Stunden für mich. Zwei Stunden, die mich die nächste Woche überstehen lassen.

Die Annonce fand ich damals in einem Anzeigenblatt, dass in der Kaffeeküche der Bankfiliale herumlag, die ich inzwischen leite. Ich war allein, und während ich träge die braune Brühe schlürfte und eine Zigarette rauchte, fiel mein Blick auf die privaten Kleinanzeigen. Da durchfuhr es mich. Urplötzlich, aus heiterem Himmel, ohne den Schatten einer Vorahnung. Wie ein Habicht in den Rücken eines Kaninchens krallte sich dieser eine Gedanke in meinen Kopf, schüttelte ihn durch und ließ ihn nicht mehr los. Ich schnellte hoch, hielt die Luft an und lauschte. Niemand. Ich öffnete meine Aktenmappe und ließ die Zeitschrift darin verschwinden. Dann drückte ich die Zigarette aus, schüttete ich den restlichen Kaffee in den Ausguss und verließ die Küche. In meinem Büro angekommen, schloss ich die Tür, setzte mich an den Schreibtisch und holte die Zeitung wieder heraus. In wilder Entschlossenheit blätterte ich mich zu den Inseraten vor. Ich war selbst darüber erstaunt, mit welcher Energie und Zielstrebigkeit ich zu Werke ging. Es hatte mich gepackt.

Ihr Name ist Ildikó. Ungarin, Anfang oder Mitte Zwanzig, langes schwarzes Haar, dunkle, melancholische Augen und ein graziler Körper, keine Einstichstellen. Bei meinem ersten Besuch sind die Frauen des Hauses nacheinander in den Raum gekommen, in dem ich verloren hockte und bereute, hierher gekommen zu sein. Man hatte mich darüber informiert, dass ich alle Frauen begutachten und in Ruhe eine Wahl treffen könne. Ich entschied mich für Ildikó in ihrem schwarzen Samtkleid. Sie war die Letzte, die sich mir vorstellte, und nachdem ich alle verfügbaren Frauen besichtigt hatte, war es mir unangenehm, sie alle ein zweites Mal an mir vorbeiziehen zu lassen. Also nickte ich ihr zu. Daraufhin nahm mich Ildikó sanft am Arm und führte mich die Treppe hinauf in ein Zimmer. Sie schloss die Tür hinter uns und lächelte ihr professionelles Lächeln. Routiniert und in gutem Deutsch erklärte sie mir, wo ich meine Kleidung ablegen und wo ich mich waschen könne. Dann einigten wir uns auf das Programm, ich bezahlte, und anschließend taten wir es. Eine Stunde lang, wild und leidenschaftlich. Ildikó wusste es gut zu verstecken, dass sie sich mir hingab, weil die Bezahlung stimmte. Ich verdrängte es. Seit diesen Tag, Woche für Woche, acht Monate lang.

Ich weiß bis heute nicht wirklich, warum ich es tue. Möchte ich aus dem Trott meines Ehelebens fliehen? Ist es notwendig, um weiterleben zu können wie bisher? Ich habe Angst. Ich liebe meine Tochter. Und ja, ich liebe auch meine Frau. Und doch kann ich nicht aufhören, die beiden Menschen, die mir am meisten bedeuten, Woche für Woche aufs Spiel zu setzen. Ildikó liebe ich nicht. Nicht mit meinem Herzen. Und trotzdem muss ich sie sehen und spüren, jeden Dienstag nach der Arbeit. Hinterher, im Taxi nach Hause, geht es mir gut. Ich bin befriedigt und entspannt und auch froh, keinem Kollegen begegnet zu sein, der zufällig über die Straße gelaufen kommt. Dieses Hochgefühl, weiß ich, ist jedoch nicht von Dauer. Später, wenn meine Frau nach Hause kommt und meine Tochter mir freudig um den Hals fällt, schwenkt es augenblicklich ins Gegenteil um. Dann hasse ich mich. Dann schwöre ich innerlich, die Sache auf der Stelle zu beenden. Und doch ahne ich, dass es Ildikó ist, die mich bei meiner Familie hält. Sie gibt, was mir fehlt und verlangt nichts als mein Geld. Ein System, das funktioniert, stabil und verlässlich. Ich weiß nur nicht, wie lange noch.


(2004)​

 

Hallo Tarnopol,

zuerst einmal: Willkommen bei kg.de. Ich liebe es, das sagen zu dürfen :D

Jetzt aber zu Deiner Geschichte. Ist es überhaupt eine Geschichte? Für mich liest sich das Ganze wie ein Tagebucheintrag. Wie der Tagebucheintrag eines Mannes, der seine Frau betrügt und sich mit diesem Tagebucheintrag vor sich und seinem Gewissen reinwaschen will. Jemand, der nicht nur seine Frau betrügt, sondern vielmehr sich selbst. Die Geschichte (wenn es denn eine ist - aber das sollen andere entscheiden) ist gut geschrieben, allerdings fehlt irgendwie die Würze, der Pfeffer, das gewisse Etwas. Spannungsarm ist das Wort, das mir nach dem Lesen zuerst in den Sinn kam. Alles ist vorhersehbar. Wenn Du noch eine überraschende Wendung eingebaut hättest - aber so?
Dennoch - gut geschrieben, auch wenn mir noch zwei Vertipper aufgefallen sind:

Die Annonce fand ich damals in einem Anzeigenblatt, dass in der Kaffeeküche der Bankfiliale
...in einem Anzeigenblatt, das ...
Häferl wäre stolz auf mich, dass ich das gefunden habe :bounce:
Seit diesen Tag, Woche für Woche
Seit diesem Tag

Das war's auch schon von meiner Seite.

Liebe Grüße
George

 

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