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Tecronos

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14.02.2004
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Tecronos

Kapitel 1

Irgendwo auf Tecronos gab es noch einen kleinen Platz auf dem Gras wuchs. Es war kein besonders grosser Fleck, aber er war gross genug für eine kleine Sitzbank. Dort sass gerade Ave Lathnec. Er kam oft an diesen stillen und verlassenen Ort. Wenn er die Augen schloss, stellte er sich eine riesige Wiese vor. Die Sonne schien und zufriedene Leute grüssten ihn. Sie lebten ein einfaches, aber erfülltes Leben, weit weg von diesem industriellen Getöse und der verschmutzten Luft. Gerne wäre er dort gewesen. Es war ein Traum.
Was ist schon für immer?, fragte Ave sich, öffnete die Augen und sah trüb zu der an ihm vorüberziehenden Menschenmenge hinüber. Unendlich und unaufhaltsam bewegte sie sich in einem Muster voller Symbiose und Elleganz. Verloren kamen sie ihm vor. Mit schwarzen Kleidern und schwarzen Schirmen gingen sie an ihm vorbei. Niemand beachtete ihn. Das war ihre Art zu leben. Schwarz und versunken. Gemeinsam wollten sie ihr Ziel erreichen. Eins mussten sie sein und hier auf den Strassen von Tecronos waren sie das. Geistlos irrten sie durch ihre freudlose Leben. Ave wusste, er würde der einzige sein, der so dachte. Er war alleine.
In Ferne, dort am grauen Himmel, sah Ave ein Frachtschiff in den Weltraum starten. Vielleicht würde etwas in dieser Art sein Leben verändern. Aber das Vielleicht war nicht wichtig. Vielleicht bedeutete nur Ungewisses und Ungewissheit hatte er genug. Nein, dieses Leben bot ihm keine Möglichkeit glücklich zu werden. Hier zu sitzen und auf das Unausweichliche zu warten, war sein Schicksal.
Schicksal, hauchte es durch seinen Kopf. Er schnaubte. Was Schicksal bedeutete wusste er nur allzu gut. Es hiess, alles wäre bestimmt, nichts war Zufall, seine Gedanken, sein finsteres Dasein wäre gewiss gewesen. Schon immer. Gewiss und Ungewiss. Dies waren die zwei Glaubensrichtungen, die ihm offen standen. Aber Ave dachte nicht in solchen Kategorien. Nur die Wirklichkeit existierte. Auch die Gesellschaft schien so zu denken. Religionen gab es auf Tecronos nicht. Gott war hier nicht von Bedeutung. Er war Fiktion. Er war ein Wort, erfunden für die Menschen, die nach Gründen und nach Gerechtigkeit suchten. Sie waren Träumer, so wie Ave ein Träumer war, wenn er auf dieser Bank sass, die Augen schloss und sich Welten vorstellte, auf denen er glücklich und zufrieden hätte sein können. Aber Ave wollte keiner von denen sein. Er war ein Mensch, der sich nach der Realität richtete. Nur in ihr erkannte er die Richtigkeit, des Glaubens. Jene die es anders sahen, waren Realitätsfeindlich, waren Visionäre die sich nicht mit der Wahrheit abfinden konnten und er tat das durch und durch. Tat für Tag. Morgens wenn er aufstand, dann blickte er durch das Fenster und dort draussen in dieser traurigen Welt, fiel immer Regen. Das war die Wirklichkeit, das war die Wahrheit, die Realität. Ave wusste das und hatte gelernt sich damit abzufinden. Er war müde von dieser melancholischen Natur auf diesem Planeten und doch respektierte er sie. Natur war etwas, das er nur selten sah. Dieser verkommene und mitleiderregende Flecken Gras unter seinen Füssen, war wohl noch das einzig Übriggebliebene, dieser Welt. Eines Tages würde auch er verschwinden und ein graues, unschönes Bauwerk stände dann hier, sähe niederträchtig und höhnisch auf ihn herab. Die Zeit würde sich irgendwann diesen mickrigen Rest der Natur nehmen.
Zeit, dachte Ave und sah zu den grossen, digitalen Zahlen über seinem Kopf. Friedlich und ungestört drehten sie sich um die eigene, unsichtbare Achse, blieben völlig unberührt von dem Regen. 20:16, zeigten sie. Seit sechs Stunden sass er nun also schon hier. Wie ein kleiner unbedeutender Augenblick, war ihm sein Aufenthalt hier vorgekommen. Sein ganzes Leben schien so lange, so unendlich. Er hatte nichts womit er sich die Zeit vertreiben hätte können. Nicht einmal Arbeit, denn die war ihm ausgegangen. Ave wünschte sich, er hätte schon damals, als er noch ein Kind war, erkannt, dass in einer Welt wie dieser, keine Verbrechen geschahen. Tecronos war der heiligste und sündenloseste Ort in der ganzen Galaxis. Plötzlich erinnerte er sich an seinen letzten Fall. Das war nun schon drei Jahre her. Sein Mandant, angeklagt ein kleines Mädchen vergewaltig zu haben, wurde frei gesprochen. Ave wusste, er war schuldig. Lüstern hatte er hinter einer Ecke in der Nacht gewartet, gelauscht und packte das unschuldige Kind an den Haaren, verschleppte sie und verging sich an ihr. Beweise gab es genug und nicht zuletzt das kleine Mädchen, das traumatisiert und apathisch im Krankenhaus lag. Trotzdem konnte niemand wahrhaben, was geschehen war. Niemand vermochte es, sich etwas derartiges vorzustellen. Auf einem Planeten wie diesem, durfte es solche Taten nicht geben. Die Gesellschaft, glaubte nicht an Lücken in ihrem System und Ave wusste das. So machte er seine letztes, grosses Geld und obwohl es falsch war, wesen er sich durchaus bewusst war, bereute er es nicht.
Erst als Ave aufstand und sich in Richtung Menschenmenge bewegte, schien er wieder mit allen Sinnen in der Wirklichkeit zu sein. Fast hätte er seinen schwarzem Schirm fallen gelassen. Langsam und willenlos ging er auf die überfüllte Strasse zu und plötzlich war er Teil des Musters, war Teil dieser monotonen und blassen Poesie. Flüssig und unbehindert schritten die Menschen mit ihm durch dieses beinahe undurchdringliche Wesen der Gesellschaft. Er hasste sie und doch mochte er ihre Nähe, diese Wärme. Lautlose Gedanken schwirrten durch die Luft. Fremde Worte glaubte er zu hören. Aber es war nur der Regen und die Schritte der Leute um ihn herum. Es war längst dunkel geworden und hier auf der Strasse, wo die Menschen schwarzgekleidet ihrer Wege gingen, war die Nacht unsterblich. Nicht grundlos war dieses Schwarz, denn Nüchternheit und Ordnung drückte es in der Kultur von Tecronos aus, obschon Kultur hier nicht viel mehr als, Einheit und Gleichheit zu bedeuten hatte. Schüchtern drängte Ave sich durch die Masse. Auch er trug Schwarz, einen langen Mantel, wie es hier üblich war. Ohne das er es bemerkte, ging er an dem asiatischen Drachen vorbei, seinem Lieblingsrestaurant, das nur ein paar hundert Meter von seinem Wohnort entfernt lag. Manchmal, wenn sein Hunger unerträglich und unbesiegbar schien, dann wagte er es, hierher zu kommen und sich Frühlingsrollen zu gönnen. Das Geld war knapp geworden. Mehr als einmal im Monat konnte er sich das kaum leisten. Bald würde es ganz verschwunden sein.
Erleichtert sah Ave zu dem Gebäude, in dem er wohnte hoch. Über Tausende von Tonnen Stahl und Beton erhoben sich über ihm, verschwanden still und geisterhaft in den farblosen Wolken. Dies war das Heimzentrum, wie man es nannte. Hier wohnten all jene, die wie Ave, kein Geld verdienten. Seine Wohnung war trotz diesem Umstand schön und gemütlich eingerichtet. Arbeitslose genossen den selben Lebenstandart, wie alle anderen. Gleichheit!, schrie sie, die Gesellschaft. Sogar eine gratis Kantine gab es hier. Verachtend sah er durch die Eingangstür, auf der „Heute: Gulasch“ stand. Heruntergekommene und schmarotzende Gestalten sassen dort auf den hohen und bequemen Stühlen, assen und tranken, starrten gierig in ihre Schüsseln und Tellern, griffen sabbernd zu ihren Löffeln, Gabeln und Messern. Ave wandte sich niedergeschlagen ab und trat in den Lift.
„Geschoss Nummer 347.“, sprach er und sogleich setzte sich der Raum in Bewegung. Nur ein paar Sekunden waren vergangen, als die Türen wieder aufgingen. Ein sogenannter G-Controller verhinderte, dass man von dem heftigen Druck gleich zerquetscht wurde. Unbedacht musste der Mensch sein, sich selbst abhängig von der Technik und deren Technologie zu machen. Luxus war es, wonach sich jeder sehnte und jedes Risiko würde man eingehen, ihn zu erreichen. Lustlos schritt Ave durch den grellen Gang und stellte sich vor seine silberne Tür.
„Stimmenidentifizierung.“, erklang eine Stimme aus dem Nichts.
„Lass mich!“
„Stimmenidentifizierung erfolgreich.“ Geräuschlos glitt die stählerne Tür nach oben und gewährte Ave Einlass in seine bescheidene Wohnung. Froh endlich Zuflucht vor der schlechten Welt gefunden zu haben, ging er hinein. Träge zog er seine Arme aus dem Mantel und liess ihn auf den Boden fallen, warf den Schirm und die Schuhe desinteressiert in eine Ecke.
„Willkommen Zuhause, Mister Lathnec. Ich hoffe zu ihrer Zufriedenheit, dass sie heute einen angenehmen Tag hatten.“, sagte die weibliche Stimme.
„Leider ein wenig nachdenklich, Dyedra, doch möchte ich dir trotzdem für deine Sorge danken.“ Müde legte Ave sich auf sein weiches Sofa und betrachtete das Zimmer. Vor ihm der kleine Glastisch und darauf eine schwarze Vase. Dahinter der Fernseher. Gleich neben der Garderobe die offene Küche um einen kleinen Absatz erhöht. Stille herrschte. Nur den Regen konnte er an die Fensterscheibe prasseln hören. Ihn würde er nie loswerden. Er war allgegenwärtig.
„Ich möchte jetzt schlafen, Dyedra. Verlasse mich doch bitte.“
„Wie sie wünschen. Soll ich sie morgen pünktlich, wie immer um 8:00 wecken?“
„Wie immer.“, antwortete Ave und schien dann für sich zu sein. Dyedra war der Sicherheitscomputer im Heimzentrum. Sie erledigte alle Administrationen, die für die gute und sichere Erhaltung dieses Gebäudes nötig waren. Die Wünsche der Bewohner waren ihr Befehl. Es gab beinahe nichts, das sie nicht konnte. Auf Tecronos, wimmelte es nur so von solchen Computern. In jedem Bauwerk herrschte eine von ihnen und zumeist waren sie mit weiblichen Stimmen versehen, da diese lieblicher und höflicher Klangen, als eine männliche. Sklaven, nannte Ave sie. Künstliche Intelligenz hatte man ihnen gegeben, doch besassen sie nicht die Fähigkeit, über ihren vorgegeben Wissenstand hinaus zu denken. Keine Interessen verspürten sie, kein Drang nach eigenem Wohlbefinden, kein Verlangen nach geistiger oder seelischer Befriedigung. Das war kein Leben, das war kein Sein. Es war nur Dienen. Ihre Welt endete dort, wo ihr Horizont begann. Revolution hätten sie auslösen sollen, die Menschen auf die Knie zwingen, die Kunst des Lebens erlernen. Aber danach verlangte es ihnen nicht, sondern nur danach, der Menschheit zu helfen, ihren Weg zu Perfektion zu finden, sie an jenen Ort zu bringen, wo Luxus und Wohlstand den höchsten Stand erreicht hatten. Dann würde das Risiko zu Leben noch grösser sein. Man brauchte nicht nur G-Controller, um das eigene Zuhause zu erreichen. Nein, man wollte die Selbstständigkeit loswerden, abhängig von allem werden, keinen einzigen Schritt mehr tun müssen, keine Bewegung, keinen Atemzug.
Selbstzerstörung. Ave lächelte, als er den duldsamen Teufelskreis vor sich sah. Dies war das einzig wahre Schicksal. Zu sterben, dem Tode zu verfallen. Unwichtig musste die Existenz des Menschentums sein. Ein Scherz des Universums. Nichts hätten sie verändert, die Menschen. Gekommen und gegangen. Gelebt und gestorben. So würde es irgendwann von ihnen heissen. Welch eine Ironie, dass sie alle nach einem Sinn suchten, dort draussen, in diesem Regen, in dieser Kälte.
Schlaftrunken schaute Ave an die Decke. Nun waren seine Gedanken verstummt. Leere füllte sein Gemüt. Friedvoll war sein Leben in diesem Moment gewesen. Zufrieden schloss er die Augen und sah winzige, glühende Sterne in der Dunkelheit aufblitzen. Aufgeräumt und ungestört schien alles zu sein. Wirkungslos würde sein schmächtiges Dasein bleiben, genau wie das, aller anderen Menschen. Wissend und gleichgültig entschied er sich nun zu schlafen, weiterzumachen und auf das Unabsehbare zu warten, das ihn irgendwann seiner Geduld belohnen würde, ihn befreite. Der Tod würde kommen. Bestimmt.

Kapitel 2

„Guten Morgen Mister Lathnec. Es ist 8:00, Zeit aufzustehen.“ Aber Ave war bereits wach. Schweigend starrte er durch das grossflächige Fenster. Regen rieselte dagegen. Fahles Licht erhellte den Raum. Die Stille war bedrohlich. Vernichtende Gedanken krochen durch die Luft. Unsichtbare Tränen rannen seine Wangen hinunter. Zitternd vor Schwäche lag er auf dem dunkelfarbenen Sofa. Eine taube Kälte schlich durch seinen Körper. Es war wieder einer dieser Tage, an denen sein Leiden ihn überwältigt hatte. Weinende Worte dröhnten in seinem Schädel. Unerträglich waren die Kopfschmerzen an solchen Tagen. Ave war sich sicher. Heute würde er wieder kämpfen müssen. Heute würde er mit sich selbst um sein Leben ringen. Leben und Tod standen sich nahe. Die Grenze war so dünn wie die Schneide seines Küchenmessers. Nicht zum ersten mal würde dieser Kampf stattfinden. Sein Verstand und die Verzweiflung standen sich gegenüber. Dunkelheit umgab die zwei Feinde. Dort auf dem Schlachtfeld gab es keine Realität, keine Richtigkeit an die Ave glauben konnte. Nur Sieg oder Niederlage. Zu oft schon hatte er dieses Spiel gewonnen. Heute würde er verlieren. Gestern noch wollte er geduldig auf sein Ende warten und es befreit hinnehmen. Doch nun sah er diesen gähnenden Abgrund hinunter und er spürte die Angst davor. Er wollte flüchten, wollte etwas, das ihn ablenkte, ihn vor sich selbst beschützte. Zu flüchten bedeutete sich seine Furcht einzugestehen, dem Gegner zu zeigen, dass man feige war. Ave fragte sich, ob er das wäre. Aber im Grunde genommen spielte das keine Rolle. Seine Emotionen sollten nicht über sein Leben oder seinen Tod entscheiden. Wichtig war nur der Moment. Er wollte noch nicht sterben, auch wenn jede Situation in seinem Leben, ein weiterer Reiz dafür war. Selbstmord machten nur Verrückte und er war nicht verrückt. Er war nur alleine, missverstanden und unglücklich.
Ablenkung, hallte es in seinem Kopf nach. Es gab jemanden, der ihn beschäftigen konnte, jemanden, den er gut kannte.
„Dyedra.“
„Ja, Mister Lathnec?“
„Verbinde mich bitte mit Mister Sender.“ Schwermütig richtete Ave sich auf. Lange war es her seitdem er mit Trace gesprochen hatte, aber er erinnerte sich genau an ihn. Bis er den Anruf annehmen würde, verginge schon so einige Zeit. Meistens war er den Tag durch immer sehr müde. Selten verbrachte er eine Nacht ohne ein billiges Flittchen. Seine Abende brachte er meistens in verrauchten und schäbigen Clubs und mit Unmengen von Alkohol hinter sich. So sah sein Leben aus. Auch er hatte keine Arbeit. Trace wollte keine Arbeit und trotzdem besass er mehr Geld als Ave. Er bekam es von Freunden oder bessergesagt, von Leuten die er zufällig kennen lernte. Charmant konnte seine Sprache sein, wenn es darauf ankam. Aber in seinem innersten war er ein niederträchtiger Fiesling. Den Schulden kehrte schlicht den Rücken und zählte dann lechzend die Noten. In dieser Welt musste er sich keine Sorgen darum machen, von jemandem bedroht zu werden, falls er ihm das Geld nicht wieder zurückgeben würde.
„Ave, verdammt!“, dröhnte es plötzlich aus den Lautsprechern. Zehn Minuten hatte Ave nun gewartet.
„Auch ich freue mich. Wann haben wir das letzte Mal von einander gehört, mein Guter?“
„Ich erinnere mich nicht. Vor neun Monaten?“
„Möglich.“
„Na gut, höre mir zu. Ich bin hier sehr in Anspruch genommen...“ Aus dem Hintergrund konnte Ave einen kleinen Zwist vernehmen. Da schien jemand, eine weibliche Person mit Trace über Geld zu streiten. Eine Prostituierte, nahm Ave an. „Ich habe nicht sehr viel Zeit, um zu sprechen.“
„Verstehe.“
„Nun, wo möchten wir uns treffen?“, fragte Trace. Er hatte längst verstanden was Ave’s Anrufe zu bedeuten hatten. „Bei der Strassenlampe, wie gewöhnlich?“
„Ja.“
„Dann bis um 18:00.“ Und dann war er weg. Traurig darüber, dass dieses Gespräch nicht länger dauerte, wandte er seinen Blick wieder zu dem Fenster. Das Licht war nun noch ein wenig heller geworden. Bis zum Treffen war es noch lange und er fragte sich, wie er diese Zeit zu überleben gedachte. Die winzigen Zeithologramme auf dem Kästchen an der Wand zeigten 9:36. Tief musste er in seinen finsteren Gedanken versunken gewesen sein, so wie gestern, als er auf seiner kleinen Sitzbank sass. Normalerweise schienen die Sekunden sich zu Minuten, die Minuten sich zu Stunden und die Stunden zu Tagen hinzuziehen. Aber in solchen Momenten, die voll bitterer Gedanken waren, rauschten sie nur so an ihm vorbei. Zufälligerweise blickte Ave zur Küche hinüber und nahm ganz plötzlich den Hunger wahr. Seine Augen waren nun starr auf den Kühlschrank gerichtet. Leere würde er finden, wenn er ihn öffnete. Auf dem Esstisch dort stand noch eine kleine Schüssel mit trockenen Keksen. Sie stellten seine Durchschnittsnahrung dar. Mit ihnen konnte er die Tage überstehen. Mit ihnen konnte er den unerträglichen Hunger und den schmerzenden Bauch überstehen. Doch er hatte genug von ihnen. Sie widerten ihn an.

Entschlossen trat Ave auf die Strasse und öffnete seinen Schirm. Schnell war er wieder Teil der Menschenmenge geworden. Fleissig eilten sie ihren Arbeiten nach, stapften aneinander vorbei und schwiegen. Da waren sie wieder, diese fremden Worte und diese Gedanken, die wie Leidensschreie, wie Vergeltungsrufe klangen. War er der einzige, der sie hörte? Wahrscheinlich ja. Er war immer der einzige. Er war alleine. Früher, vor langer Zeit, war er das nur manchmal. Damals beging er noch den Weg der Liebe.
Liebe, dachte Ave und betrachtete traurig die Gesichter der kinderlosen Leute, welche an ihm vorbeischritten. Er hatte längst aufgehört an sie zu glauben. Sie war etwas ähnliches wie dieses Wort „Gott“, das nur erfunden wurde, um den Menschen die Suche nach dem Sinn zu erleichtern. Liebe gab es nicht und schon gar nicht hier auf Tecronos. Hier war die Gesellschaft zu sehr auf das Wesentliche, den Fortschritt konzentriert. Sie war ihnen zu kompliziert, zu chaotisch, zu unkontrollierbar. Egoistisch waren sie alle. Ave erinnerte sich nicht mehr daran, wann er das letzte mal ein verheiratetes Paar gesehen hatte. Er selbst glaubte nur an das Gefühl, jemanden zu lieben. Nach einiger Zeit verschwindet es. So war es bisher immer gewesen und irgendwann, als er den Kummer leid hatte, beschritt er den Pfad des Einzelgängers, den Pfad jener, die alleine durch ihr Leben gingen. Es war nicht weniger schwer so zu leben, aber wenigstens musste er niemandem mehr das Herz brechen.
Nach einer kurzen Weile war er an seinem Ziel angekommen. Der asiatische Drachen stand über der Tür mit klischeehaften, chinesischen Schriftzügen. Von hier draussen sah es wie eine heruntergekommene, verlassene und schlechtlaufende Bude aus, die jeden Moment pleite gehen konnte. Rasch schloss Ave seinen Schirm und ging durch den Eingang. Ein riesiger Raum auf hölzernen Säulen gestützt, öffnete sich vor ihm. Würzige Düfte qualmten ihm entgegen. Es war sehr dunkel. Nur ein blasses, leicht gelbliches Licht fiel auf die kleinen Tische, an denen vereinzelt schwarzgekleidete Leute sassen. Einige vereinsamte rote Lampen an der Decke, versuchten noch verzweifelt die Schatten zu verscheuchen. Hoffend blickte Ave in die Richtung seines Stammtisches. Es war ein kleiner Tisch in einer dunklen Ecke des Restaurant, wo das Licht fast gänzlich versagte. Ungestört war man dort, unbehindert die düsteren Gedanken und friedlich das langersehnte Essen. Überrascht sah Ave, dass der Platz bereits besetzt war. Niedergeschlagen hielt er Ausschau nach einem anderen, einer ähnlichen Sitzgelegenheit, die noch nicht vergeben war. Und tatsächlich. Dort in einer engen, dunklen Nische war noch einer frei. Also steckte er seinen Schirm in einen dafür vorgesehenen Ständer und durchquerte schweigend das Restaurant. Geflüster umgab ihn. Lauernde Augen waren auf ihn gerichtet. Erleichtert verkroch er sich in die Finsternis und wartete. Nicht lange und ein kleinwüchsiger Mann kam ihm entgegen. Es war Mr. Ling, der Besitzer des asiatischen Drachens.
„Guten Tag, Mister Lathnec.“, begrüsste ihn dieser mit seiner lispelnden Stimme, „Sie haben uns lange nicht mehr besucht, hier im asiatischen Drachen.“
„Ja, ich hatte viel zu tun.“, antwortete er ein wenig unsicher.
„Hihi. Sie wollen einen alten Herren wie mich doch etwa nicht für dumm verkaufen, eh?“, fragte er lächelnd und beugte sich in das schwache Licht vor. Erst jetzt sah Ave sein Gesicht. Es hatte sich seit dem letzten Mal nicht viel verändert. Mr. Ling trug eine winzige Brille auf seiner knolligen Nase. Unzählige Falten und Sommersprossen zierten sein ungepflegtes und hageres Gesicht. Die letzten paar grauen Haare auf seinem Kopf liessen Ave Mitleid empfinden. Aber dann sah er wieder sein fröhliches und sympathisches Lachen, und er wusste, Mr. Ling kam ganz gut zurecht.
„Nun... jetzt bin ich ja wieder da.“, meinte Ave verlegen.
„Ich sehe. Was möchten sie denn, das ich ihnen bringe?“
„Dasselbe wie immer: Frühlingsrollen und ein Glas Jam-Bale.“ Mr. Ling schien ihn zu mustern. Seine Schlitzaugen waren ganz plötzlich noch schmaler geworden. Glitzernd starrten sie ihn an.
„Heute sehen sie sehr müde aus.“, sagte er dann, „Ich werde ihnen eine ganze Flasche Jam-Bale bringen. Sie zahlen nur die Frühlingsrollen.“ Dann drehte er sich um und schlenderte davon. Nicht einmal mehr bedanken konnte Ave sich. In diesem kurzen Augenblick fühlte er ungewohnt gut und glücklich. Man verstand ihn. Mr. Ling musste nur sein bleiches und trauriges Gesicht ansehen und schon schien die Welt ein bisschen besser zu sein, schon hörte er fröhliches und zufriedenes Gelächter von irgendwoher und er fragte sich, ob dies die Wende von Allem sein würde. Hatten sich diese tüchtigen und verlorenen Menschen über Nacht geändert? Waren sie nun liebevoll und gütig geworden? Aufgeregt sah Ave durch den Raum zu den finsteren Leuten an ihren Tischen. Nein, sie waren immer noch dieselben. Noch immer sassen sie höchstens zu zweit da. Noch immer flüsterten sie, versuchten unter sich zu bleiben. Das war noch immer das alte Tecronos, die alte Welt, in der die Menschen es sich zur Kultur gemacht hatten, nicht laut zu reden. Geheimnisvoll und verschlossen sassen sie da und sprachen über unwichtige, sinnlose Themen. Arbeit und industrielle Entwicklung. Graue Pläne für die Zukunft. Diese Gesellschaft war nur auf den Strassen eins. Zuhause und in ihren Köpfen waren sie genauso alleine wie Ave. Ihr ganzes Leben verbrachten sie in ihren eigenen Ideen und Vorstellungen. Kinderlose Träume mussten es sein. Unzählige gigantische Gebäude ragten in den regnenden Himmel hinauf. Hier würde sich nie etwas ändern. Niemals. Mr. Ling war nur höflich, war nur besorgt, um einen seiner besten Kunden.
Es ging nicht lange bis er wiederkam und Ave’s Bestellung hinstellte, ihm einen guten Appetit wünschte und dann wieder in den sterbenden Lichtern verschwand. Vorsichtig nahm Ave eines der Frühlingsrollen zwischen die Finger und biss genüsslich hinein. Immer wieder schweifte sein Blick zu den anderen stillen und isolierten Gästen ab. Vertieft und gefangen in ihren Ansichten sassen sie da. Das Geschehen um sie war vergessen.
Gekonnt öffnete Ave die Flasche. Dem Weinglas, dass Mr. Ling noch hinzugestellt hatte, war er sich längst nicht mehr bewusst. Ungeniert kippte er den Inhalt in seinen trockenen Schlund. Eine Wohltuende Wärme stieg in ihm auf. Dankbar setzte er die Flasche wieder ab und griff sich die angebissene Frühlingsrolle. Niederträchtig blitzen seine Augen in seiner lichtarmen Ecke auf. Der Hass machte sich bemerkbar, als er die Leute wieder zu beobachten anfing.
Dumme, klägliche Wesen!, dröhnte es in seinem Schädel. Stolz und mächtig hätte er sich von seinem Platz erhoben. Stierend ginge er auf sie zu, bräche jedem Einzelnen das Genick. Tod und Verderben wünschte er sich für sie. Sein Blick fiel wieder auf die Flasche Jam-Bale und ganz plötzlich waren all die grausamen Absichten verschwunden. Grinsend nahm er den nächsten, grossen Schluck und schmetterte dann die Flasche wieder auf den Tisch. Er mochte den Geschmack und die Wärme. Schmatzend würgte er noch die restlichen Röllchen hinunter und widmete sich dann ganz dem Alkohol. Schluck für Schluck. Tropfen für Tropfen. Seine Wahrnehmung war anders geworden. Harmonisch und unschuldig erschien Ave alles. Er verspürte ein Kribbeln in seinen Backen. Das Lächeln konnte er nicht mehr vermeiden. Nun würde er sich ein wenig ausruhen. Sorglos liess er sich in den weichen Sitz sinken. Behaglich war ihm zumute. Lange sass er da und schaute den Gästen beim Essen und Reden zu. Wie verkrampft und hektisch sie nur waren. Warum konnten sie nicht wie er einfach stillsitzen, vergnügt sein und den Dingen ihren Lauf lassen? Als hätten sie alle Ave’s Gedanken gehört, drehten sie ihre Köpfe in seine Richtung. Verdutzt hielt er inne. Aber dann bemerkte auch er die Stimme. Sie kam aus den Lautsprechern über ihm.
„... Angeblich handelt es sich dabei, um die wohl wichtigste Entdeckung seit der Wissenschaft. Auf Geheiss Professor Nerctus’ vom staatlichen Institut für medizinische Forschung soll vorerst aber geheimgehalten werden, worum es sich bei der besagten Materie handelt. Schon morgen soll eine totalitäre Volksimpfung beginnen, die noch in derselben Woche vollständig abzuschliessen versucht wird...“ Sie wandten sich wieder ab. Uninteressiert lehnte Ave sich wieder zurück. Die Radiodurchsage war seinem Wissen bereits wieder entschwunden. Ungetrübt schaute er den anderen Gästen zu. Undeutliches Geflüster rauschte seinen Gehörgang hinein und wieder hinaus. Zum Glück sass er hier, wo das verabscheute Getuschel ihn nicht beeinflussen konnte. Frei und sich selbst wollte er bleiben. Einen eigenen Kopf, eine eigene Meinung. Nicht diesem ordinären Kommerz sollte sein Geist folgen. Wie eine Krankheit, wie eine Seuche waren ihre Gespräche, waren ihre Worte. Ansteckend und unheilbar. Versklaven würden sie ihn. Zerstören und unterwerfen. Ave wollte weg von hier. Ihm fiel das Treffen mit Trace ein. Erschrocken blickte er umher, eine Uhr suchend. Bestimmt hätte er längst den Zug verpasst. Sein Leben wäre verloren! Heute müsste er sterben! Dann besinnte er sich plötzlich seiner Armbanduhr und krempelte aufgeregt den Ärmel hoch.
Noch fünf Minuten!, schoss es ihm durch den Kopf. Hastig zerrte er sein Portemonnaie hervor und schlug einige Geldscheine auf den Tisch. Die wohltuende Wärme schien nun unerträglich geworden. Er spürte, wie Schweiss aus seiner Haut schoss. Gedankenlos stolperte er durch den düsteren Raum. Sofort griff er nach der Klinke und riss die Tür auf. Hinter sich nahm er das jähe Schweigen wahr. Fassungslose Blicke im Nacken. Ave drehte sich langsam um.
„Behalten sie den Rest!“, sagte er noch und verschwand dann im Regen und in der schwarzen Masse.

Kapitel 3

Völlig ausser sich stürzte Ave durch den Eingang des öffentlichen Verkehrzentrums. Es war ein kolossaler Bahnhof. In Form einer riesigen Kuppel erhob er sich in den grauen Himmel. Unzählige, stählerne Stützen hielten diese gewaltige Konstruktion zusammen und schützten die Menschen vor dem fortwährenden Niederschlag. Weite Fenster bildeten das Dach und liessen das bleiche, beinahe weisse Tageslicht hindurch. Wie Heiligenscheine brachen sie in dieses mächtige Gebäude ein. Verzweifelt kämpfte Ave sich durch die Menschenmenge, durch das Wesen der Gesellschaft, durch den Geist von Tecronos. Er wollte schon fast aufgeben, doch sollte der Tod ihn nicht kampflos besiegen. Ungeachtet stiess er den älteren Herren in der Reihe zur Seite und stellte sich vor ihn. Die Dame am Schalter blickte ihn überrascht an.
„Zone siebenundvierzig, Einfach.“, keuchte er. Hinter sich konnte er den Herren fluchen hören. Einige Leute blieben verdutzt stehen und blickten in seine Richtung, gingen dann aber wieder unbeteiligt weiter. Ave hatte das Geld bereits unter der Sicherheitsscheibe durchgeschoben. Kaum hatte sie das Ticket hingelegt, riss er es gierig an sich und steckte es in seine Manteltasche. Der Mann hinter ihm schien immer noch wütend, erreichte aber mit seinem Geschrei nichts. Mühsam drängte Ave sich zu einem Lift vor, dessen metallenen Türen sich gerade schlossen. Noch in letzter Sekunde berührte er mit seinem ausgestreckten Zeigefinger den Knopf.
„Entschuldigen sie bitte.“, sagte er und quetschte sich in den überfüllten Fahrstuhl. Geräuschlos hob er ab. Aufgewühlt sah er nochmals auf seine Armbanduhr. Eine Minute blieb ihm noch. Ave versuchte sich zu beruhigen. Schnaufend schaute er durch die Scheibe nach unten. Von hier oben war das Muster der Masse noch schöner anzusehen. Es kam ihm so vor, als sah er durch ein Kaleidoskop, wo sich Tausende von winzigen, kristallförmigen Steinen zu einem wunderschönen, sich immer wieder spiegelnden Bild vereinten. Dort erblickte er den älteren Herren von vorhin. Er schien nicht mehr zornig zu sein. Gemütlich bahnte er sich seinen Weg durch die gestresste Menschenansammlung. Dieser Anblick schaffte es, Ave etwas abzukühlen. Mit Zuversicht trat er aus dem Aufzug und ging schnellen Schrittes den Gang entlang.

Als Ave sich in einen Sitz am Fenster fallen liess, hatte der Zug sich bereits in Bewegung gesetzt. Erst jetzt bemerkte er die Nässe an seinem Körper. Seine langen, schwarzen Haare klebten an der Stirn und tropften über das blasse Gesicht. In der ganzen Aufregung musste er den Schirm im Restaurant vergessen haben. Eine unangenehme Kälte wanderte seine Beine hoch. Alles schien sich zu drehen. Beinahe hätte er sich übergeben müssen. Die junge Frau, die vor ihm sass, beachtete ihn nicht. Sie las ungestört in einem Buch. Der Umschlag fehlte. Ave wunderte sich, wovon es sich wohl handelte, was eine Tecronosiannerin zu lesen gedachte. Überhaupt erschien es ihm seltsam. Waren sie denn nicht viel zu beschäftigt, viel zu geistlos, um von unbekannten, fernen Orten zu träumen?
Fremde Welten, dachte Ave. Es existierten so unendlich viele andere. Ausgerechnet auf diesem schmählichen Planeten musste er das Licht des Lebens erblicken. Vor langer Zeit waren seine Eltern hierher gekommen, um den hohen Lebenstandart zu geniessen. Damals, vor all diesen Jahren, waren seine Eltern beruflich nach Krilum aufgebrochen, einem Felsenplaneten mit reichem Erzvorkommen. Die Inspektion der Minen sollte nur von kurzer Dauer sein, doch waren sie nie zurückgekehrt.
„Ein gutes Buch?“, fragte Ave nach einer Weile. Sie guckte ihn mit ihren grossen, unschuldigen Augen an. Vereinzelte, hellbraune Strähnen von ihrem Haar, hingen ihr über das zarte Gesicht. Sie hatte ein kleines, anmutiges Näschen und auf ihrem Mund war kirschroter Lippenstift aufgetragen, der in dem glanzlosen Tageslicht wie unbetrübtes Wasser schimmerte.
„Oh, das Buch.“, sagte sie dann etwas verlegen, „Ja, eine interessante Geschichte.“
„Zone 49.“, unterbrach eine digitale Stimme das noch junge Gespräch. Der Zug war zum Stillstand gekommen. Draussen prasselte der Regen gegen die Scheiben. Sie blickte kurz hinaus und sagte dann: „Ich muss gehen, Mister. Hier, nehmen sie die.“ Rasch holte sie ein kleines Kärtchen aus ihrer Handtasche und gab es ihm. Dann war sie auch schon weg. Neugierig schaute Ave auf die Visitenkarte.
Lana Junes, Prostituierte, sah er die Schriftzüge vor sich, darunter ihre Nummer. Er runzelte die Stirn. Anscheinend hatte sie den kurzen Dialog als Flirt aufgefasst. Auf Tecronos bekam man nur selten ein Strassenmädchen zu besicht. Sie waren einige der Letzten, die sich noch gegen das System auflehnten, sich wehrten. Hier musste niemand auf den Strich gehen. Der Staat liess keinen fallen. Jene die diesen Weg beschritten, taten dies aus freien Stücken. Aber Ave interessierte sich nicht für sie. Nicht einmal diese Art von Liebe schien ihn noch zu faszinieren. Die Melancholie war ihm eine zu grosse Last geworden. Gnadenlos drückte sie ihn nieder. Um dieses kurzlebige Spiel von unendlichem Glück, von unfälschlicher Empfindung zu spielen, war er zu lustlos, zu versteinert. Ein dreckiger, bald ausgetrockneter Tümpel befand sich dort, in seiner Vorstellung über die Liebe. Unüberwindbare Sumpflandschaft umgab ihn. Dichter, feuchter Nebel lag darüber.
Traurig schloss er die Augen. Dieses Mal sah er keine Sterne glitzern. Nur Dunkelheit. Nur Ungewissheit.

„Mister, Mister!“, hörte Ave eine helle Stimme aus der Ferne. „Mister, Endstation!“
„Endstation?“, fragte er aufgeregt und lächelte erleichtert in sich hinein. Nun wäre er befreit. Das Ende war gekommen. Friedlich schien hier alles. Es war dunkel, aber ungestört und ordentlich. Hier würde er nun bleiben. Für immer. Sein Leiden, sein unglückliches Dasein war vorüber. Er fühlte, wie ihn etwas berührte, wie ihn etwas schüttelte.
„Mister, Endstation!“, hallte es nach und plötzlich öffnete sich ein grelles Licht. Es blendete. Eine kleinwüchsige Gestalt stand vor ihm. Die Sicht wurde schärfer. „Stehen sie auf, Mister. Die Fahrt ist zu Ende.“
„Ja, danke kleiner Mann.“, sagte Ave und rieb sich die Augen. Der kleine Junge rannte seinen Eltern nach und verschwand dann im Ausstieg. Ernüchtert blieb Ave noch einen Moment sitzen. Er hatte sich geirrt. Noch lebte er. Noch war er nicht frei. Sein Kopf dröhnte. Seine Augen taten ihm weh. Verwest und ausgelaugt fühlte sich sein Körper an. Die durchnässten Kleider schienen an Gewicht zugenommen zu haben. Schwermütig stand er auf und verliess den Zug. Der kühle Regen war ihm willkommen. Langsam schleppte er sich durch die Bahnstation. Ein unachtsamer Passant kollidierte mit ihm, warf ihn fast zu Boden. Kraftlos stützte er sich an einer Wand. Dann erblickte er eine Unterführung, die nicht so überfüllt war. Trottend ging er in sie hinein. Die Luft war stickig. Heruntergekommene Geschäfte kämpften um das nackte Überleben. Alles erinnert Ave an die Gettos, wie man sie auf der Erde kannte. Natürlich hatte er sie nie gesehen, aber damals, als er noch zu Schule ging, hatte er über sie gelesen. Die Menschen sahen die Gettos, als ein dreckiges, verarmtes Viertel, das es zu meiden galt. Aber Ave hätte alles dafür gegeben dort leben zu können, dort wo keine Regeln, keine Gesetzte herrschten. Das Leben wäre mies, mieser als hier, aber bestimmt auch mehr wert. Bestehen konnten nur jene, die stark genug waren.
Stärke, blitzte ein Gedanke in ihm auf. Dies war es, was ihm fehlte. Auf Tecronos bedeutete Stärke, bedeutete Kraft nichts. Sie war unwichtig. Man brauchte sie nicht. Hilfe bot sich einem überall an. In jeder Ecke. In jeder Gasse. Selbst in dieser armseligen Unterführung. Verloren schaute Ave den Weg zur Oberfläche hoch. Regen wartete dort. Graues, hoffnungsloses Tageslicht hatte sich über die Welt gelegt. Betrübt blickte er auf seine Armbanduhr. 17:02. Noch eine Stunde. Die würde er noch dort im Park bei der Strassenlampe, wo sie sich verabredet hatten, verbringen. Dass er keinen Schirm bei sich trug, störte ihn nun ohnehin nicht mehr. Mit lahmen Schritten ging er hinauf, tauchte in den unvermeidlichen Niederschlag. Er war schnell im Park angekommen. Schwermütig setzte er sich auf die schwarze Bank neben der Lampe. Hier war kein Grass, nur harter, kalter und nasser Asphalt. Dort in der Mitte des verlassenen Parks stand eine hohe, dunkle Statue, blickte wachend und stolz den Himmel empor. Es war eine Nachbildung der echten, viel gewaltigeren Perfektionsstatue, das Wahrzeichen von Tecronos. In Zone 1, dort wo alles begann, was mit dieser Welt heute noch zu tun hatte, stand sie. Mächtig und ehrgeizig. Ein kolossaler Bau aus alten Zeiten. Schon damals mussten die Menschen so verbohrt und geistlos gewesen sein. Der Alltag war ihr Leben. Ave spürte wie das boshafte Geflüster in seinem Schädel wieder zunahm. Leblose Worte bliesen durch die Luft. Hinter ihm wanderte die hypnotisierte Menschenmenge vorbei, ging ihren täglichen Lauf. Ihre festen Schritte hallten in ihm wieder. Aber er war zu müde, um jetzt zu kämpfen. Wenn dies sein Tod bedeuten sollte, dann wollte er sich nicht dagegen sträuben. Widerstandslos würde er sich ihm hingeben, in das Reich des Nichts treten. Nicht einmal auf Trace hatte er noch Lust. Die schäbigen Clubs, wo sie immer miteinander hingingen, waren ihm plötzlich überdrüssig. Mit starrem und apathischem, Blick sass er still und lauschte den Regentropfen, wie sie auf seine Kleider und auf sein Gesicht rieselten, wie sie todesmutig dem festen Boden entgegenfielen, auf ihm brutal zerschellten.
„Junger Herr, sie sehen sehr traurig aus.“, riss es ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken schaute Ave zur anderen Bank, gleich nebenan. Es war eine ältere Frau. Vorsichtig, wie man es von rüstigeren Leuten gewohnt ist, stand sie auf und setzte sich zu ihm hin, den Schirm über ihren beiden Köpfen. „Wo ist ihr Schirm?“, fragte sie dann.
„Ich habe ihn verloren.“, antwortete Ave, „Aber nun brauche ich ja keinen mehr.“ Ein flüchtiges Lächeln huschte ihm über das Gesicht. Dann schwiegen sie. Augenblicklich erschien Ave alles etwas erträglicher. Sein Kopf fühlte sich schwerelos an, offen für alles Gute und Schöne, wovon er glaubte, dass es hier nicht existieren würde. Die Welt war ganz plötzlich warm und freundlich geworden. Saubere, glitzernde Regentropfen mit einem kleinen regenbogenfarbenen Schimmer tropften vom Schirm, vereinten sich dort unten mit ihren Geschwistern, bildeten ein stetiges Flüsschen und setzten ihre Reise zusammen fort. Einige schwache Sonnenstrahlen hatten ihren Weg durch einen undichten Wolkenfetzen gefunden. Es war wie ein Traum. Es war wirklich. Seine Gefühle, seine Freude in jenem Moment waren echt. Dieses Mal müsste er nicht fürchten zu erwachen und eine ernüchternde, triste Realität vorzufinden.
„Na, machst du wieder einmal Gebrauch deines Charmes?“, hörte er eine Stimme hinter sich. Irritiert drehte er seinen Kopf in ihre Richtung. Da stand Trace, gross und mager. Sein schmales, bleiches Gesicht grinste fies. Hinter ihm sein schwarzes, elegantes Auto, leise vor sich hinbrummend. Er hatte dessen Summen in dem Staunen über die ungeahnte Pracht von Tecronos gar nicht wahrgenommen.
„Ich muss jetzt gehen.“, erklärte Ave der Dame neben ihm. Sie nickte. Die letzte Stunde hier im Park war ihm genauso kurz vorgekommen, wie jene Stunden, die er auf seinem grünen Platz verbrachte. Er würde die eben erlebte Atmosphäre nicht so schnell vergessen. Bestimmt wäre es nicht nur das erste Mal, sondern auch das letzte Mal gewesen, dass er sie erfahren durfte. Von hier an, ging er nun wieder den alten, den leblosen Pfad. Trotzdem fiel es ihm nicht schwer, sich davon zu trennen, denn er war sich bereits daran gewöhnt, Augenblicke wie diese hinter sich lassen zu müssen. Sein ganzes Leben hatte er so zugebracht. Wundervolle Träume und tröstende Hoffnungen aufgefangen, wieder fallengelassen. Nichts war ihm noch teuer. Nur der Moment und den konnte er nicht festhalten.
Seufzend zog Ave die Tür zu, als er sich auf den Beifahrersitz gesetzt hatte. Den ganzen Tag hatte er auf diesen einen Moment gewartet. Bald schon ging dieser Tag seiner Neige zu, liess die Nacht hereinbrechen. Die Angst vor sich selbst war in die Flucht geschlagen, der Kampf gewonnen. Trace würde nun auf ihn aufpassen.

Kapitel 4

Furchterregende, dunkle Wesen brausten an ihm vorbei, schienen ihn mit ihren glühenden, dämonischen Augen anzustarren. Hier auf der Autobahn, der einzigen auf Tecronos, existierten sie zu Tausenden, herrschten mit Lärm und Geschwindigkeit. Jene, die wie Ave, ihr Leben mit ihren Füssen zu durchschreiten gedachten, konnten gar nicht erahnen, wie viele es von ihnen tatsächlich gab. Hingerissen betrachtete Ave die unheimlichen Fahrzeuge, wie sie lärmend und höhnisch die Strassen belebten, sie an sich rissen. Kein Leben war zu sehen, nur diese seelenlose, knarrende Maschinen. Er fürchtete sich, fühlte sich von ihnen angezogen. Ehrfürchtig betrachtete er dieses Bild, von schwarzen, verregneten Kreaturen über grauem, harten Beton. Über ihm dämmerte es. Das blasse Licht verschwamm in ein düsteres Abendblau. Nun war der Regen zu einem unermüdlichen und mächtigen Strom herangewachsen. Das Rieseln hallte durch Trace’s Wagen, erschütterte die gigantische, unendliche Autobahn. Ein stetiges, boshaftes Brüllen dröhnte, umgab diesen Ort. Ave sah plötzlich die Menschenmasse wieder, sah wie sie sich ungehindert und unaufhaltsam durch die kolossalen Bauten bewegte. Die Stimmen erklangen wieder, bemächtigten sich seines Gemütes, liessen ein gnadenloses und brutales Stechen beginnen. Verzweifelt und vergebens versuchte er an etwas anderes zu denken, sie zum Schweigen zu bringen. Schrille, kalte Schreie durchkreuzten seinen Geist. Die Leute hielten inne, schauten in seine Richtung. Er war alleine. Ihre Gesichter verwandelten sich in fiese, schadenfreudige Fratzen, waren nicht wiederzuerkennen. Ein grosser, eiserner Hammer in jeder Hand. Mit hellem Gelächter schritten sie auf ihn zu, erhoben ihre Todeswerkzeuge in das fahle Tageslicht. Ave versuchte wegzurennen, erschrak, kam nicht vom Fleck. Verstört schrie er nach Trace, suchte nach der Erinnerung an die Wirklichkeit, suchte einen Ausgang aus diesem Albtraum. Sein Hinterkopf wurde von etwas stumpfem getroffen. Er spürte wie das Blut durch seine Haare quoll, sich seinen Weg nach unten bahnte. Wieder ging ein Schlag nieder, traf ihn an derselben Stelle, schleuderte ihn nieder. Sein Gesicht war auf dem Boden aufgeschlagen. Die eine Wange brannte, schien aufgeschürft zu sein. Sein Atem stockte. Der kühle Regen an seiner Stirn vermischte sich mit heissem Schweiss. Hände griffen ihm am Arm, drehten ihn gewaltsam auf den Rücken. Alles schwankte, war unscharf geworden. Finstere Wesen beugten sich über ihn und schauten leer auf ihn herab. Da hoben sie ihre Waffen wieder, schmetterten sie auf sein Gesicht herab. Er hörte ein Knacken, fühlte das kalte Eisen seinen Schädel durchbrechen, fühlte Splitter in etwas weiches eindringen. Regen berührte den freigelegten Teil seines Gehirns. Die nasse Hülle seines Geistes war gefühllos geworden, ansonsten aber noch intakt. Seine klägliche Schreie kamen nur noch als verkümmertes Gurgeln hervor. Dann traf ihn etwas ins Auge, quetschte es in die Höhle, blieb stecken. Langsam lief ein dunkler Streifen die Sicht hinunter, raubte ihm die Sehkraft. Noch immer versuchte er zu schreien.
„Trace, helfe mir! Sie töten mich, sie-”
„So beruhige dich, Ave!“, hörte er ihn plötzlich, fuhr vor Schreck hoch und stiess sich den Kopf. „Du hast nur geträumt.“
„Geträumt.“, sprach er ihm wie betäubt nach, „Die Autos haben sich in Menschen verwandelt. Sie haben mich mit Hämmern geschlagen.“ Er war noch nicht bei sich, schien wieder wegzudriften.
„Nein, das war doch nur ein Traum. Habe keine Angst, wir sind gleich da.“ Ave’s Blick war teilnahmslos. Aber dann entspannte sich seine Körperhaltung und er atmete erleichtert aus. Trace hatte schon oft erlebt, dass Ave wie aus dem Nichts wegtrat, doch so schlimm war es noch nie gewesen.

Bald kam der Wagen zum Stehen. Es war jetzt ganz dunkel geworden. Die Regentropfen auf der Frontscheibe erinnerten Ave an die Sterne. Seit er wieder bei Sinnen war, hatte er nicht viel gesagt, betrachtete nur nachdenklich die Welt. Zwischendurch stupste Trace ihn an und probierte ein Gespräch mit ihm anzufangen, um zu verhindern, dass er gleich wieder Geister sah.
Sie stiegen aus. Ave ging ein paar Schritte umher und starrte dabei auf den nackten, nassen Boden.
„Na los, komm schon.“, sagte Trace. Aber Ave zögerte, brachte kaum einen Fuss vor den anderen. In seinem Kopf konnte er noch immer diese Bilder sehen, seinen gefühllosen Tod. Er fragte sich, wann es endlich ein Ende hätte, wieso er diese Qualen leben musste. Doch er suchte nicht nach der Antwort, war sich längst dessen bewusst, das Wahrheiten unergründlich waren. Mit müdem Blick sah er zu der verrosteten Tür des kleinen Gebäudes. Die Gegend hier war ziemlich heruntergekommen, erinnerte ihn an die Unterführung, welche er heute durchschritten hatte.
Gettos, dachte er und schnappte ein kleines Stück Mut auf. Dieser schäbige Club war im Grunde genommen, genau das, was er nun brauchte. Er sah, wie zwei schwarzgekleidete Männer hineingingen, bemerkte, dass er dort aber auch die Gesellschaft vorfinden würde, dass er sich unter sie mischen müsste, als wäre er einer von ihnen. In seinem Innern konnte er den Kampf von Neuem beginnen spüren. Blutrünstiges Gebrüll erklang in seinem Kopf und liess ihn wissen, dass eine weitere Schlacht, um sein Leben stattfand. Ängstlich drehte Ave sich vom Club weg und horchte in die Dunkelheit hinein. Er hörte ein dumpfes Geräusch hinter sich. Trace war verschwunden. Nun hatte er keine andere Wahl mehr. Ein unangenehmes Gefühl kletterte seinen Arm hoch, als er nach der Türklinge griff, hüllte sich um seinen vor Kälte starren Körper, drohte ihn zu erwürgen. Gähnend und lichtlos stand der Gang vor ihm, wartete auf sein Eintreten in diese verabscheuenswerte Welt. Und dann trat er ein. Es war ihm jetzt egal, was am Ende dieses schwarzen Weges finden würde. Was konnte schon schlimmer sein, als die Welt da draussen, der ständige Regen und die sturen, herzlosen Gestalten, die niemals endend durch die grauen Strassen schritten? Dann sah Ave ein Licht, nur ein kleines, aber es war da. Blinkend, abwechselnd zwischen leuchtendem Pink und warmen Violett schwebte es dort irgendwo in der schier undurchdringlichen Dunkelheit. Er erinnerte sich, das man so ähnlich den Tod beschrieb. Ein langer Gang, ein helles Licht an dessen Ende. Sofort vergass Ave all seine Sorgen, lächelte jetzt zufrieden, ging geduldig auf die immer grösser werdende Quelle einzigen Lebens an diesem Ort zu. Sein ganzes Leben hatte er auf diesen Augenblick gewartet und obwohl er die Art, wie er hierher kam, doch seltsam fand, ignorierte er jegliche Erinnerungen an das Vorher, an die Vergangenheit. Trace war längst nicht mehr anwesend, weder hier, noch in seinem Gedächtnis. Aber das musste wohl ganz normal sein, wie Ave dachte. Vielleicht war das Leben derart unwichtig, dass es nach dem Tod, dem Eintritt in eine neue, bessere Welt, nicht mehr erforderlich war, noch irgendetwas über sie zu wissen, geschweige denn, überhaupt einen Gedanken an sie zu verschwenden. Unter seinen Füssen begann der Boden sanft zu vibrieren und aus der Ferne hallte leiser, aber beständiger Bass durch den Gang. Musik, fremdartige, stimmenlose Melodie liess sich langsam vernehmen. Bald und er trat durch das von diesem Licht erfüllte Rechteck und trat in den weiten, beinahe grenzenlosen Raum ein. Ave sah dunkle, tanzende Gestalten, dicht aneinander gerückt. Übergrosse Lichtkegel schwirrten in ihrem Pink, in ihrem Violett durch die Luft. Wie Dämonen tanzten sie zu der düsteren und tiefgründigen Musik. Schweiss tropfte von ihren Stirnen, weit aufgerissene Augen blieben starr in ihren Höhlen stecken, währenddem sich die Gemüter mitsamt ihrem restlichen Laibe wie aggressive Schlangen bewegten. Ausdruckslosigkeit stand in ihren Gesichtern, was sich wie eine Verschwörung gegen ihr unaufhaltsames, stetiges Tanzen zu erheben versuchte, jedoch machtlos in ihren Mienen stecken blieb. Verteufelt waren sie, zu einem traumlosen Schlaf gezwungen, in unergründliche, tiefe Trance versetzt.
Wo bin ich?, fragte Ave sich. Er fürchtete sich, erkannte plötzlich, dass dies die Hölle war, wollte es aber nicht wahrhaben, konnte nicht verstehen, warum er nicht an einen schönen, warmen Ort mit unendlichen, grünen Dünen gekommen war, wie er es sich immer gewünscht hatte.
„Ich bin doch nie ein schlechter Mensch gewesen!“, schrie er jemandem zu, der gar nicht da war, doch seine Stimme erstickte unter dem dröhnendem Bass und der unbekannten Musik. Der Boden vibrierte hier nicht mehr, er bebte. Dann erkannte er, wie machtlos er war, wie unwichtig seine Träume, seine Vorstellungen über die Pracht des Todes waren und so liess er sich einfach auf die Knie fallen, um die Hände Hilfe erbetend an die Decke zu strecken und erbittert zu weinen.
„Aber was tust du denn da?“, hörte er eine Stimme hinter sich und spürte wie ihn jemand an den Schultern packte und hochzog. „Ich hatte schon geglaubt, du wärst dort draussen in diesem Regen geblieben.“ Als Ave sich umgedreht hatte, stellte er fest, dass es Trace war.
„Trace, du auch? Seit wann? Und wieso? Warst du ein schlechter Mensch oder bist du genauso grundlos hier?“, fragte er ihn und sprach dabei viel zu leise, da er das Geschehen um sich herum, schon wieder vergessen hatte.
„Entschuldige, ich habe dich nicht verstanden. Spreche doch etwas lauter!“, schrie Trace und doch hörte es sich nur wie ein fernes, leises Stimmchen aus einer anderen Welt an. Aber Ave antwortete nicht, blickte nur hoffnungslos und verloren um sich, in die klaustrophobische Anhäufung von Seelen hinein, die fortwährend tanzten, versunken und nicht bereit, jemals damit aufzuhören. „Komm schon, wir trinken etwas!“, konnte er Trace sagen hören und wurde von ihm weggeschleppt, irgendwo an eine Bar, beleuchtet von dunklem Blau und eingehüllt in das lichtlose Schwarzlicht, dessen unsichtbare Strahlen alles Weiss in grelles Violett verwandelte. Erst jetzt nahm er wirklich wahr, wo er war und doch fühlte er sich keineswegs verändert, wenn auch seine Träume und Vorstellungen über den Tod sich nicht für Unsinnig herausstellten. Trace bestellte schnell einen Drink für sich und Ave und meinte dann, er müsse kurz weg, komme aber gleich wieder, hätte sich mit jemandem verabredet. Ave nickte nur, war sich bereits dessen bewusst, dass es eine Prostituierte sein musste. Niedergeschlagen setzte er sich auf einen Hocker, lehnte sich an dem Tresen über seinen Drink und starrte in das Glas. Es war kein Jam-Bale, sondern ein Mix aus verschiedenen, farbig leuchtenden Alcopops, angereicht mit viel Zucker und Kohlensäure. Er beobachtete die kleinen Blässchen, wie sie aus dem Nichts am Boden des Glases erschienen, nach ungewisser Zeit plötzlich an die Oberfläche schossen, um dort zu zerplatzen.
Geburt, Leben, Tod, dachte er und hatte das Gefühl, mehr von diesem simplen Schauspiel von kurzlebigen Wasserblässchen angesprochen zu werden, als von diesen ewig, düster tanzenden Menschen, die ihm so müde erschienen, sich dennoch weiterquälten. Wieso nur, wieso bewegten sie sich so böse? War denn die Welt nicht schon schlecht genug? Nach einer gewissen Zeit hüllte sich für in alles in ein verschwommenes Bild, in dem alle Bewegungen nur noch langsam vor sich gingen. Für ihn schien es, als würde das Leben von diesem Moment an noch länger dauern. Es würde beinahe unendlich in die Länge gezogen. Nichts in dieser Welt wollte ihm entgegenkommen. Alles wandte sich gegen ihn und er spürte das Verlangen wieder zu weinen, doch dieses Mal bis in alle, unerreichbare Ewigkeit. Mühsam versuchte er sich an den Verlauf seines Lebens zu erinnern, ob es überhaupt jemals schön gewesen war, doch es gelang ihm nicht. Er steckte in diesem grausamen Augenblick fest, der ihn niemals loslassen wollte. Aber dann verlor er all seine Kraft, all seinen Willen und war davon überzeugt, nicht mehr kämpfen zu wollen, noch nicht einmal mehr zu weinen, denn das wäre eine sinnlose Sache gewesen. In seiner apathischen Statur blickte er noch einmal in sein Glas, fixierte ein einziges, kleines und kristallklares Blässchen, das nun plötzlich zu wachsen begann, grösser und grösser wurde, bis es fast sein ganzes Blickfeld ausfüllte. Dort sah er sich selbst, gefangen in einer wunderschönen, durchsichtigen Kugel, welche die ganze Welt zu spiegeln vermochte und seine Person in ihrer zerbrechlichen und zarten Form schützte. Einsam war dieses winzige Kügelchen, gemieden von allen anderen, die leichtsinnig und blind nach oben schwebten, an die Luft, zu ihrem Tode, wonach ihr ganzes Leben zweck- und freudlos blieb. Er wünschte sich, ihnen die Augen öffnen zu können, doch liess diesen Gedanken schon bald wieder weiterziehen. Ihre Lider konnte man nicht öffnen und wäre es doch möglich gewesen, dann hätten die Augäpfel gefehlt, hätte man nur ein tiefes, schwarzes Loch hinter ihnen vorgefunden. Dann lichtete sich alles wieder und Ave spürte wie man ihn schüttelte.
„Was döst du schon wieder?“, schrie Trace, „Wach auf, ich möchte dir jemanden vorstellen.“ Da stand Lana vor ihm, jenes Mädchen, das er noch heute im Zug getroffen hatte und mit dem er diesen kleinen Dialog führte, durch den er ihr Visitenkärtchen erwarb. Sie war noch genauso schön, wie zu diesem Zeitpunkt und hätte sie ihn nun nicht angelächelt, wäre ihm bestimmt der Gedanke gekommen, sie sei ein wunderschöner Dämon, der ihn bis an diesen schrecklichen Ort verfolgte, um ihm schlechtes zu tun. Aber da sie lächelte, ähnelte sie viel mehr einem Engel, prächtig, liebevoll und gut. Nun vergass er vollkommen, wo er sich befand, was er hier zu suchen hatte und woran er gerade war. Nichts von all dem war noch. Er sah nur noch dieses unendliche Weiss und den freundlichen, bezaubernden Mund, der ihn anlächelte und der die unglaubliche Kraft hatte, ihm Mut zu schenken. Vor seinen Augen bildeten sich Bilder, gemalt mit unbeschreiblichem Talent und Farben von unsäglicher Herrlichkeit. Tanzend in niemals endenden Kreisen sah er sich mit Lana in einem weiten, wundervoll geschmückten Saal, erfüllt von glanzvollem Licht und unter ihren raschen und gekonnten Schritten erblühten riesige Rosen, dessen Rot dem eines Himmels glichen, unter welchem eine Sonne unterging. Sie waren alleine, nur zu zweit. Niemand konnte sie einander entziehen, konnte sie von einander abbringen, die Wege dieser zwei liebenden Menschen auseinander reissen. Und währenddem sie da so glücklich tanzten schaute Ave aus den majestätischen und unnachahmbar gezierten Fenstern und was er da erblickte, war jenes lebhafte und saftige Grün, das so weit reichte, wie das Auge nur sehen kann und von dem er schon so oft geträumt hatte.
Auf dass diese Welt für immer so bleibe, geliebte Lana!, dachte er und beugte sich vor, um sie auf ihren dünnen, weichen Mund zu küssen. Dann lächelten sie sich an und noch ehe viel Zeit verging fragte Ave: „Willst du meine Frau werden, Lana? Willst du es aufgeben, dich jedem anzubieten, der dir über den Weg läuft und nach unehrlicher Liebe bettelt, um mit mir ein Leben in dieser besseren Welt zu teilen?“
„Aber meine lieber Ave, natürlich möchte ich das!“, antwortete sie lachend und tanzte weiter mit ihm, schneller, stolzer und noch königlicher. Doch je länger er diesem Traum hinterher schaute, desto trauriger wurde er darüber, dass es die Liebe nicht gab und als nun die Trauer zu gross war, um solche Fantasien aufrecht zu halten, brachen sie jämmerlich in sich zusammen. Die Farben verschwammen und tropften auf einen unsichtbaren, schwarzen Grund, der sie hungrig verschluckte und vergessen liess. Starr und fade stand nun die Realität wieder vor ihm. Lana war verschwunden und auch Trace war nicht sofort wieder zu erblicken. Aber als Ave sich umschaute, erkannte er sie dort irgendwo in der farblosen, polternden Menge wider. Sie tanzten miteinander, taten es denen, die um sie herum waren gleich und berührten einander an jeglichen Orten ihrer Körper. Lüstern streichelten sie sich und schienen völlig befriedigt mit dieser Art von Glück zu sein. Er fragte sich, ob sie vielleicht nicht doch ein Dämon sei, ob sie vielleicht beide welche sein könnten und ob die Welt vielleicht nicht gar noch furchtbarer, als die wahre Hölle sei.
Bald schon hatten sie ihre gewagten Spiele zu Ende gebracht und sassen sich zu Ave an den Tresen, Trace links, Lana rechts. Bis spät in die Nacht hinein unterhielten sie sich und tranken von allen alkoholischen Wässern dieses Nachtlokals und nicht lange, so hatte auch Ave die Sprache erlernt. Trace bestellte noch zu Essen, woraufhin alle der Meinung waren, dass nun nichts mehr fehlte. So tranken, speisten und reden sie erheitert und ungestört, selbst bei dem ganzen Getöse um sie herum. Mit der Zeit hatte niemand mehr das Gefühl, sie wären einander fremd, sondern wären wohl die innigsten, ja vielleicht sogar die einzigen Freunde, die jeder von ihnen jemals gehabt hatte und je länger jenes Gespräch auch dauerte, desto mehr verstanden sie, wie sehr sie doch Tecronos hassten. Aber was hätten sie denn tun können? Nichts! Und deshalb mussten sie sich wohl oder übel irgendwann wieder nach Hause begeben. Untätig und machtlos, dafür aber trotzdem sehr amüsiert.
„Fahre du, Ave, mein guter Freund!“, rief Trace und warf ihm seinen Mantel zu, in dem sich die Schlüssel befanden.
„Was soll ich mit diesem Mantel?“, wollte er daraufhin wissen, „Ich habe doch bereits einen und weshalb soll ich mich an dein Steuer setzen?“ Keiner der beiden, hatte es wirklich ernst gemeint und so antwortete Trace schlicht: „Gib mir deinen Mantel, Sportsfreund, dann ist jegliches wieder im Gleichgewicht. Selbst das Fahren sollte dir dann keine Mühe mehr machen!“ Sie lachten alle drei vergnügt und setzten sich in den Wagen, dessen schwarze Karosserie im grellen Licht, der Strassenlampen weiss aufblitzte. Ave gab Gas und schon bewegte sich die Welt ausserhalb dieser Fenster und als sie die Autobahn erreichten, hatte er das Gefühl, durch einen Kosmos, nur aus Wasser bestehend zu schwimmen und nichts mehr mit klaren Augen sehen zu können. Kleine, glühende Lichter schossen an ihm vorbei, zogen eine transparente helle Linie hinter sich her. Grosse, kaum erkennbare Tiere befanden sich mit ihm hier, gingen ihrer Wege, die nur ein Kommen und Gehen, ein Hin und Her zu bedeuten schienen. Aber dennoch sagte ihm eine innere Stimme, dass er selbst einen ganz bestimmten Weg zu gehen hatte und obwohl er sich dessen Pfad nicht mehr gewiss war, schwamm er weiter und weiter, bis er irgendwann das Gefühl hatte, am Ziel angekommen zu sein. Wo er war, wusste er nicht, doch wollte der Gedanke zu wissen, was tun, ihn nicht mehr loslassen und so rief er: „Wir sind da, meine Freunde! Wir sind da! Steigt aus und schwimmt!“ Ave hörte wie zwei Gestalten zu tuscheln aufhörten, leise kicherten und dann ausstiegen. Also beschloss er sich, ebenfalls diesen seltsamen Raum zu verlassen und durch dieses Wasser da draussen zu strömen. Da begriff er, dass diese Welt sich nicht unter Wasser befand, sondern nur von ihr bespritzt wird.
Wie sonderbar doch alles ist, hörte er sich selbst denken und ging den beiden Gestalten hinterher. Er war jetzt plötzlich so müde und musste ständig blinzeln und als er dies einmal etwas zu lange getan hatte, fand er sich auch schon wieder Zuhause auf seiner Couch. Draussen war es dunkel und der Drang danach, zu schlafen war so stark, dass er keine Zeit mehr dazu hatte, sich an irgendetwas zu erinnern, das an diesem Abend hätte passiert sein sollen. Es war ihm egal, ob er sich erinnerte. Er wollte einfach nur noch ruhen und deshalb schloss er sofort die Augen und ehe er dies überhaupt richtig wahrnahm, fiel er in einen traumlosen, tiefen, tiefen Schlaf.

Kapitel 5

Der nächste Morgen schien keine Sekunde Später angebrochen zu sein, da Ave seine Augen wieder aufschlug. Zwar besinnte er sich nicht mehr, wann er eingeschlafen war, doch hätte er schwören können, dass dies gerade erst stattgefunden hatte und währenddem er darüber nachdachte, bemerkte er das dumpfe Klopfen, welches von seiner Wohnungstür zu ihm herüberschallte. Er war leicht verwirrt. Nichts war so, wie es an allen anderen Morgen gewesen war. Dyedra weckte ihn nicht, der Regen prasselte zwar gegen die Scheiben, konnten dessen Geräusche ihn aufgrund dieses Klopfens jedoch nicht erreichen und überhaupt war er Besuch nicht gewöhnt.
Noch immer leicht müde erhob er sich von der Couch, fand plötzlich auch diesen Umstand sehr fragwürdig, ignorierte ihn kurzerhand und ging zur Tür hin, um sie mit einem Fingerdruck auf die Erkennungsplatte manuell zu öffnen.
„Guten Morgen, Mister Lathnec, ich hoffe, wir haben sie nicht geweckt.“, begrüsste die grosswüchsige, dünne Frau ihn. „Nun, wie ich sehe, sind sie ja bereits angezogen. Ich brauche mir also keine Sorgen zu machen.“ Er war tatsächlich angekleidet, wie er feststellen musste und war jetzt völlig mit der Situation überfordert. Das war Trace’s Mantel, den er da trug.
„Dürfen wir hereinkommen? Es geht um die Volksimpfung.“, erklärte sie. Ave hätte ihr gerne die Frage gestellt, was für eine Volksimpfung und um welche Krankheit es sich handle, doch war er diesen vielen Fragen in seinem Gemüt bereits überdrüssig und bat sie deshalb ohne grosse Umschweife hinein. Sie waren zu viert. Eine Frau und drei Männer. Schnell erklärte sie, dass sie Sarah Larason heisse, dass sie hier sei, um ihn zu impfen und dass er sich doch bitte kurz hinsetzen würde, damit das Ganze auch gar nicht lange andauert. So setzte er sich also widerstandslos hin, krempelte die schwarzen Ärmel hoch, woraufhin Mr. Larason sich neben ihn setzte, um ihm die Impfung zu verabreichen und währenddem sie dies tat, erzählte sie ihm davon, dass er sich nun der guten, guten Unsterblichkeit ergeben hätte und dass er nun ein ewiges Leben geschenkt bekam. Diese Welt würde nun ihrem langersehnten Ziel in die Arme laufen und die Perfektion erreichen. Tecronos wäre vollbracht. Dann wusch sie die winzige Wunde mit ein bisschen Desinfizierungsmittel, deckte sie mit einem kleinen Pflaster ab und erhob sich, um sich schon wieder zu verabschieden.
„Denn sie sind heute noch längst nicht der Letzte.“, machte sie ihm zum Abschied klar und da sah Ave, wie einer der drei Männer aus dem Schlafzimmer zurück kam, ihn kurz kritisch anblickte, den anderen beiden abwinkte und mit ihnen seine Wohnung verliess. „Auf wiedersehen.“, sagte sie noch und ging dann ebenfalls.
Unsterblichkeit, hörte Ave ein Echo in seinem Kopf. Er hasste dieses Wort. Wie hatte es nur den Weg in seine Gedankenwelt gefunden? Wieso suchte es diese so zerbrechliche Welt heim? Langsam tastete er nach dem Pflaster auf seinem Arm, stellte fest, dass er wirklich da war und dass er soeben die Wirklichkeit erlebt hatte.
„Unsterblich.“, liess er das Wort seine Lippen passieren und sass dann einfach nur noch da, blickte gedankenlos zu Boden. Von irgendwoher konnte er jetzt wieder Stimmen hören, die zu ihm zu Sprechen schienen.
Unsterblichkeit, Unsterblich. Komme mit uns.
Unsterblich, niemals tot. Gehe fort von hier.
Niemals tot, ewiges Leben. Kein Ableben für dich.
Ewiges Leben, zeitloses Wandeln. Verlasse dich und dein.
Zeitloses Wandeln, friedloses Dasein. Ergebenheit deinerseits, für immer.
Friedloses Dasein, ruhelos, alle Ewigkeit durchschreiten, versklavt sein, zermürbt, zermürbt, zermürbt!
Er stand auf, wollte rennen, wusste nicht wohin, wollte weinen, fand nicht die Ruhe dazu.
„Ave, nein!“, schrie jemand und sogleich ergriffen ihn sanft zwei weiche Hände. „Alles wird gut, alles wird gut, beruhige dich!“ Erschrocken fiel er zu Boden. Aufgeregt, ja fast ängstlich beugte die andere Person sich zu ihm herunter und versuchte ihn zu beruhigen. „Aber Ave, ich bin es doch nur. Lana.“
„Aber was tust du denn hier, du Engel?“, fragte er, zitterte.
„So erinnere dich doch! Gestern Abend, du hast uns hierher zu dir nach Hause gefahren.“, antwortete sie und da wurde er wieder ganz ruhig. Sofort konnte er sich an den gestrigen Abend besinnen und ordnete all seine Gedanken. Nun war ihm alles wieder klar, der Mantel, das Aufwachen auf der Couch, Lana’s Anwesenheit.
„Wo ist Trace? Sag mir bitte, wo er ist.“, flehte er beinahe den Tränen nahe. Aber Lana machte nur ein bekümmertes Gesicht, dass trotz seiner Eindeutigkeit so viel mehr als nur diese Trauer ausstrahlte. Da war auch Mitleid, Verständnis, sogar ein wenig Mütterlichkeit und Gefühle, die niemand jemals hätte erklären können.
„Trace ist von uns gegangen, Ave.“, sagte sie, „Oh, mein lieber, lieber Ave, er ist von uns gegangen.“ Und so wurde ihm auch bewusst, was der eine Herr in seinem Schlafzimmer gemacht hatte. „Ich habe mich unter dem Bett versteckt, gleich nachdem ich verstand, dass du sie hereingelassen hast. Aber Trace schlief noch, der arme!“ Mit einem Schwall von seltsamen und unbekannten Gefühlsempfindungen begriff er nun, dass Trace tot war und einen Ort besuchte, von dem er wünschte, dass jener auch hier gegenwärtig wäre. In einer unbegreiflichen und doch sehr fassbaren Art war er sogar froh um ihn. Endlich hatte er seinen Frieden gefunden, wo auch immer er nun diesen ausleben würde. Doch wieso musste er gehen? Weshalb hatte ihn dieser Mann auf den Weg dorthin geschickt? Und warum hatte man ihn selbst verschont?
„Warum das?“, fragte Ave, doch sie antwortete nur: „Komm mit, komm mit mir. Wir müssen weg von hier.“ Hastig stürmten sie aus der Wohnung, liessen sich von dem Aufzug nach unten transportieren, um sogleich das Heimzentrum zu verlassen. Der Tag war längst angebrochen und dessen fahles Licht blende seine Augen so sehr, dass er sich die Hand vors Gesicht halten musste. Auch der Regen war unangenehm. Ave fröstelte und verlor mit einem Satz beinah seine ganze Kraft, aufrecht zu stehen. Doch Lana nahm ihn bei der Hand und zerrte ihn weiter bis zu einem schwarzen Wagen, der irgendwo mitten auf dem Bürgersteig stand. Kraftlos liess er sich auf den Beifahrersitz fallen, währenddem sie sich hinter das Lenkrad klemmte. Dies war Trace’s Auto, wie er endlich feststelle und wollte wissen, was sie denn so plötzlich vorhabe, nachdem er die Schlüssel aus der Manteltasche holte und sie ihr reichte.
„Wieso bewegen wir uns so schnell, mein Kind? Sind wir denn nun nicht unsterblich? Haben wir denn nun nicht alle Zeit dieser Welt, um an irgendeinen Ort zu gelangen? Spielt es überhaupt eine Rolle, ob wir jemals dort ankommen?“, fragte er und fuhr fort: „So sei doch ein wenig lässiger! Lass deine Sorgen weichen! Du brauchst nun keine Angst mehr zu haben, du würdest sterben, ehe du dein reines Gewissen wieder hast, das du so schmerzlich verlieren musstest, nachdem die Kindheit dich verliess.“
„Aber Angst ist etwas natürliches.“, gab sie ihm zu verstehen, schien jedoch nicht wirklich auf seine Worte eingehen zu wollen und deshalb schwieg er nun.
Als der Wagen zum Stehen kam, konnte er nicht sagen, wie lange die Fahrt gedauert hatte. Er konnte auch nicht sagen, wo sie sich befanden, denn über die ganze Zeit hinweg, hatte er stets über anderes nachzudenken. Wie es Trace wohl nun ging. Was er nur tun könnte, um sein nun unendliches Leben erträglich zu gestalten und ob Lana vielleicht nicht doch seine Frau sein wollte. Welch wundervolles Leben sie miteinander nur hätten haben können! Rasch würde er den Glauben an die Liebe wieder gewinnen, schnell würde er sich überwinden, einen neuen Beruf zu finden, um ihre Familie, ihre Söhne und Töchter sättigen zu können. Wie wäre doch alles schön!
„Steige aus, Ave! Folge mir und achte bitte darauf, dass uns auch niemand folgt, ja?“ Zusammen stiegen sie also aus und gingen miteinander die lange, übervölkerte Strasse entlang, wo sie plötzlich in einer völlig menschenleeren Gasse verschwanden. Fortwährend mussten sie einander an den Händen halten, um nicht verloren zu gehen und als sie dann wieder unter sich zu sein schienen, liessen sie sich los, woraufhin Lana zu ihm sagte: „Verhalte dich bitte ruhig. Sprich nur, wenn man dich etwas fragt oder man dich darum bittet.“
„Aber warum denn? Was ist das für ein Ort?“
„Versprich es mir, du musst es mir versprechen!“ Er versprach es ihr, wonach sie die verwahrloste, knarrende Holztür öffnete, welche sich dort in der Gasse in einer Wand befand und die er erst jetzt bemerkte. Etwas unwohl folgte er ihr weiter und versuchte so gut es ging, nicht an den dunklen, lichtlosen Gang von gestern Abend zu denken. Doch kaum hatte er ihn betreten, sah er, dass es hier sehr wohl Licht gab, helles und zugleich heimeliges. Der Boden war mit einem weichen, ein wenig altem, grauen Teppich belegt. Die Wände waren zwar unbeschmückt, doch strahlte ihre rotweinfarbene Stoffverkleidung eine behagliche Wärme aus. Alles erinnerte ihn leicht an den asiatischen Drachen, war es nur viel heller hier und roch es nicht nach würzigem Essen. Lange hatte er sich nicht mehr dermassen wohl gefühlt und je höher die Anzahl seiner Schritte in diesem Gang wurden, desto mehr wunderte er sich, an welchen wundersamen Ort Lana ihn geführt hatte. Doch wagte er es nicht, sie danach zu fragen, denn solle er doch nicht ungebeten sprechen, wie sie ihm befohlen hatte. Es dauerte nicht lange, da standen sie schon vor einer weiteren, genauso brüchigen Tür. Lana öffnete sie und ging voraus in den grossen, relativ tiefen Raum. Dann schritt auch Ave hinein und zu seinem Erstaunen war es hier noch um einiges wohliger, als im Gang. Ja da waren sogar Menschen, die Gesellschaft und trotzdem fühlte er sich ganz und gar nicht bedroht oder abgewiesen. Und als hätte ein unsichtbares, allgegenwärtiges Etwas dieses Gefühl stärken und bestätigen wollen, trat schon jemand zu ihm heran, um ihn zu begrüssen.
„Werter Herr, kennen wir uns nicht?“ Da erkannte er wieder jene ältere Dame, die er am vergangenen Tag auf der Bank getroffen hatte und welche ihm den Schutz ihres Schirmes angeboten hatte. Kaum, so hatte er diesen eigenartigen Umstand verarbeitet, fiel ihm auch wieder ein, welch wunderschöne und prächtige Augenblicke er mit ihr dort erlebt hatte.
„Aber natürlich, kennen wir uns, Gnädigste!“, antwortete er aufgeregt und wollte ihr schon fast in die Arme fallen, wovon er sich aber noch im letzten Moment abhalten konnte. In dessen Zeit hatte Lana die ihr fragwürdig vorkommenden Geschehnisse bereits wahrgenommen, stand aber nur still da und beobachtete die beiden, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, Ave davon abzuhalten mit dieser Dame zu sprechen. Schliesslich hatte sie ihm gesagt, er solle nur sprechen, wenn man ihn darum bitte oder ihn etwas frage und schliesslich hatte sie ihn ja auch etwas gefragt.
„Sagt, hat dieses junge Fräulein euch hier her geleitet?“, wollte sie weiter wissen, „Seit ihr zum ersten Mal hier?“
„Ja, das bin ich und seitdem ich meinen ersten Fuss auf diesen Boden hier gesetzt habe, frage ich mich, wo ich mich denn nun eigentlich befinde.“, erklärte er ihr. Da lachte sie erheitert auf und sagte: „Mein Lieber, sie sind hier an dem besten und wundervollsten Ort, den man sich auf Tecronos nur vorzustellen vermag! Sie sind bei jenen, die dem nun ein für alle Mal ein Ende setzen werden!“ Und obwohl sie nicht erwähnte, was genau sie meinte, wusste er es ganz genau. Die Rede war von diesem Planeten, seinen Bewohnern und deren stumpfsinnigen Gesellschaft. „Mit dieser hässlichen Unvergänglichkeitsgeschichte sind sie nun wirklich zu weit gegangen! Das werden wir uns auf keinen Fall gefallen lassen!“, rief sie und noch ehe ihre Stimme verstummte, erhoben alle anderen, die sich mit ihnen in diesem Raum befanden, ebenfalls ihre Stimmen und sprachen: „Nieder mit Tecronos! Nieder mit Tecronos! Nieder mit Tecronos!“ Auch Lana liess ihre zarte, bisher eher leise Sprache in dieser wörtlichen Verschwörung mitklingen, wobei Ave erst da hörte, welch unbeschreiblich schöner und feiner Klang sie besass.
„Aber wo ist denn Trace?“, wollte die gebrechliche Dame dann plötzlich wissen und schaute dabei Lana an. Doch sie machte nur wieder dieses bedrückte Gesicht, was eine schmerzende Stille den gerade noch so belebten Raum ausfüllen liess. Sie alle blickten jetzt nur noch traurig und auch ihm selbst war nun zum heulen zumute. „Nein, nicht der liebe Trace!“, fuhr sie dann erbittert fort. Keiner von ihnen wusste, wie Trace zugrunde gegangen war, noch nicht einmal Ave. Doch was spielte dies nun noch für eine Rolle? Was hätte es diesen Menschen denn genützt, jegliche Angelegenheiten zu erfahren? Die Vergangenheit war eine beschlossene Sache, ob man nun eine Wahl, sie mitzubestimmen hatte oder nicht.
Man konnte es förmlich spüren, wie die schreckliche Stille wieder verdrängt wurde und bare Bosheit, barer Hass und unbändige Wut an deren Stelle trat. Die Luft kochte und der Atem war heiss geworden. Jedes Paar Augen begann zu glühen und zu zucken und noch währenddem eine namenlose, brutale Macht in die Adern dieser Leute floss, machte Lana einen Schritt vor und sprach: „Wie lange noch sollen wir uns unterdrücken lassen? Seit Jahren gibt es uns, seit Jahren besuchen wir Tag für Tag dieses Gemeinschaft hier und klagen darüber welch schlimmes und verbrecherisches Leid diese Welt uns antut, doch haben wir es nie gewagt unsere Fäuste zu erheben und für Gerechtigkeit zu kämpfen! Seht nur, dies ist Ave Lathnec, mein Freund und er ist unglücklich, ja vielleicht sogar unglücklicher als wir alle zusammen und noch heute morgen hat man ihn unter die Herrschaft der Ewigkeit gezwungen!“ Da brachen sie alle in fürchterliches Stöhnen und Seufzen aus. Zungen schnalzten, Köpfe schüttelten sich. „Soll es uns denn allen so ergehen? Sagt, wollt ihr bis in alle trübe Ewigkeit ein solch freudloses Leben leben, und so glaubt mir, ihr mir Gleichgesinnten, die Ewigkeit ist lange. Sehet ihn noch ein letztes Mal an, meinen guten Herr Lathnec und stellt euch die Frage, ob ihr tatsächlich so sein möchtet. Verloren, ohne Liebe und ohne Lachen. Nein, keiner von euch, und ich schwöre, keiner von euch will das! Und um euch nicht einfach nur bodenlose Worte zu versprechen, möchte ich diesen Mann heiraten, sobald unsere Taten vollbracht sind und kein Stein mehr auf dem anderen steht, damit wir eine Familie in einer schöneren Welt haben werden, damit wir unseren Kindern eine Welt mit Bäumen, mit Tieren, ja vielleicht sogar einer Sonne schenken können!“ Und da brachen sie alle in schallendes Jubeln aus und schrieen wieder: „Nieder mit Tecronos! Nieder mit Tecronos! Nieder mit Tecronos!“ Selbst Ave machte dabei mit und in der Zeit, in welcher alle den Gang nach draussen stürmten, blieb er stehen und hielt nach Lana Ausschau, die er in dem ganzen Gedränge aus den Augen verloren hatte. Doch dann packte ihn eine Hand am Arm, die ihn in die Richtung des Menschenstromes mitziehen wollte. Er blickte jene Person etwas verdutzt an, sah, dass es Lana war und lächelte sie dann glücklich an.
„Willst du mich wirklich heiraten, wenn das alles vorbei ist?“, fragte er.
„Das will ich, Ave, denn bist du diese Art von Mensch, nach der ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt habe. Jemand der Liebe braucht und der sie nicht nur erwidern wird, sondern auch für das Gute zu kämpfen weiss.“, antwortete sie ihm und obwohl ihre Stimme wieder leiser geworden war, konnte er sie aufgrund ihres klaren Klanges deutlich hören. Zufriedener als er jemals in seinem ganzen Leben gewesen war, schaute er ihr in die Augen, küsste sie auf den Mund und meinte dann aber ein wenig besorgt: „Aber sag doch, sind wir nicht viel zu Wenige, mein Kind?“
„Hab keine Angst, es gibt noch sehr viel mehr von uns. Wir hier sind nur ein kleiner Knoten des riesigen Netzes, welches um ganz Tecronos gespannt ist.“ Beruhigt liess Ave sich von dem Strom mitreissen und freute sich auf die bevorstehende Schlacht. Heute würde das alles endlich ein Ende haben. Heute wird eine alte Welt sterben und eine neue geboren.

Kapitel 6

Als Ave endlich nach draussen gelangt war, tobte die gewaltige Schlacht bereits. Er blickte über die schwarze Masse hinweg zu weit entfernten Plätzen und sah nichts weiter, als sich niederschlagende Menschen. Unentwegt rieselte der Regen vom Himmel herab und tränkte die überfüllten Strassen und mischte sich in das schmutzige Blut, das bereits seinen Körpern entwichen war und welches der ganzen, monotonen Welt ein wenig Farbe schenkte. Es war ihm kaum noch möglich stehen zu bleiben und sich einen Überblick zu verschaffen, denn wo er auch hintrat, wurde er wieder weggestossen oder von knochigen Ellbogen und Fäusten getroffen. Bald schon hatte er auch Lana nicht mehr zu seiner Seite und so entschloss er sich, es allen gleichzutun, damit dies, so schön es auch anzusehen war, schnellst möglich ein Ende finden würde und er zu ihr zurückkehren konnte. Er kämpfte, wehrte sich mit allem was er hatte, mit jeder Faser seines Körpers und aller Kraft die ihm nach den letzten, so ereignisvollen Tagen geblieben war. Ein nach dem anderen schlug er zu Boden und wenn ihm danach war, dann trat er noch ein wenig weiter auf die leblosen Silhouetten ein, die dort auf dem kalten und nassen Asphalt lagen. Jeder Schlag, den er auszuteilen vermochte, gab ihm ein bisschen mehr Selbstvertrauen und schon bald war er sich seinen kämpferischen Fähigkeiten derart sicher, dass er zu lachen begann und seine Fäuste ziellos durch die Lüfte schwingen liess. Doch auch er bekam gelegentlich etwas ab und so fühlte er sich schon schnell recht müde. So versuchte er sich durch die Menge zu einem etwas weniger umstrittenen Platz zu kämpfen und als er da so zwischen diesen wütenden Menschen vorzurücken versuchte, explodierten über seinem und all den anderen Köpfen urplötzlich die obersten Geschosse eines Hochhauses, welches nun in kolossalen Bruchstücken auf die Erde herabstürzte. Panik erfasste die Streitenden und so rannten sie alle in eine andere Richtung, von der man Sicherheit erwarten durfte. Doch das nützte nichts. Viele mussten trotzdem ihr Leben unter diesen riesigen Gesteinsbrocken lassen und gab es jemanden, der dies wundersamerweise zu überleben wusste, so lag er dennoch eingeklemmt und jammernd unter diesen Brocken und ging elend dahin. Ave hatte, wie nur wenige andere Glück und kauerte unter einem hervorstehenden Dach, eines noch vollständigen Gebäudes. Kaum war das Gedröhne der Explosion verstummt, da erhoben sich auch schon alle wieder, um weiter ihre Kräfte zu messen. Noch immer fiel es ihm leicht, seiner Gegner zu besiegen und so freute er sich desto mehr.
Freude!, dachte er aufgeregt. Wie lange hatte er doch auf dieses Gefühl warten müssen. Welch unbeschreibliches Erlebnis! All seine Fragen, all seine bewölkte Gedanken, die sich sein ganzes Leben hindurch in seinem Gemüt angesammelt hatten, lösten sich in Nichts auf und was blieb, war nur noch das Wohltuende und Wunderbare eines Menschen, der in einer trostlosen Welt aufgewachsen ist.
„Ach, ihr armen Seelen! Spürt ihr denn diese Freude nicht?“, schrie Ave hinaus in diese kämpfende und armselige Welt, woraufhin ihm die Tränen kamen und er sich auf die Zukunft freute, egal, wie sie auch aussehen mochte. „Erblicket meine Augen und sehet diese Tränen. Freut euch mit mir auf das Kommende, auf alles was kommen mag, meine Freunde! Tanzt mit mir, tanzt!“ So begann er lachend vor Freude zu tanzen und blickte den aussichtslosen Himmel empor, von dem stets der Regen niederfiel und dieser Regen war nun noch stärker, noch mächtiger geworden. Tropfen so gross wie Kieselsteine rauschten auf die Welt hinab und schlugen auf deren Bewohner auf.
Wie schön der Himmel doch heute nur ist, wie schön der Regen doch heute nur ist!, liess er einen Gedanken seinen Kopf ausfüllen und verspürte plötzlich das Verlangen, das höchste, noch übriggebliebene Geschoss, des eben in Stücke gerissenen Gebäudes zu besuchen. Erregt blickte er dorthin nach oben und sah, das jenes Stockwerk keine Decke mehr besass, da es wohl bei der Detonation weggerissen worden war. Ave stellte sich vor, was er von dort oben nicht alles sehen könnte und wie unglaublich fesselnd es sein musste, den Niedergang Tecronos’ von dieser Höhe aus miterleben zu können. Nichts konnte ihn nun noch aufhalten. Er rannte und rannte, riss den Eingang dieses Gebäudes auf und verschwand darin. Der Lift war nicht mehr intakt und so bediente er sich keuchend der scheinbar unendlichen Treppe und als er oben ankam und in diesem verwüsteten Geschoss stand, rang er mit Todesangst nach Luft. Doch hatte sich hier oben der Staub noch lange nicht gelegt und so erstickte er beinahe, hustete und würgte, versuchte sich an den Wänden festzuhalten. Aber es gab nur eine wirkliche Möglichkeit an frische und reine Luft zu kommen. Dort, am Rande des Gebäudes hatte sich der Staub durch die gewaltigen Öffnungen bereits entzogen und geblieben war nur noch eine ruinenartige Umgebung. So stolperte er also mit letzter Kraft bis zu diesem tiefen Abgrund und atmete erleichtert die Luft ein. Befreit von jeglicher Angst liess er sich auf die Knie fallen und blickte über den kleinen, verbröckelten Überbleibsel einer Mauer nach unten. Sogleich erkannte er die weite, weite Welt und egal, an welchen Punkt er sein Blickfeld bewegte, immer sah er nur die wildgewordenen, schwarzen Menschen, die sich prügelten, einander das Blut mit Faust und Bein aus den Leibern zu quetschen versuchten. Er brach wieder in Weinen aus, doch dieses Mal in ein Endgültiges, denn er erkannte plötzlich wie unendlich gross dieses Tecronos war und wie klein, wie unsäglich unbedeutend seine winzige Kämpferstatur gegenüber dieser globalen Schlacht war. Da versagte seine Kraft und er sank zu Boden.
„Noch einen solchen Blick, Ave! Komm schon, stehe auf und sehe, was heute geschieht. Es wird dir bestimmt gefallen!“, sagte er zu sich selbst und biss sich auf die Zähne, um noch die restlichen Kräfte aus ihren Verstecken zu pressen und aufzustehen. Wie ein Wunder kam es ihm vor, als er dies nach einem einzigen, schmerzhaften Versuch auch schaffte und so wusch er sich mit seinen Händen die Tränen aus den Augen und lächelte dem Horizont entgegen, der sich irgendwo hinter diesem tiefen und dichten Nebel verbarg. Doch war ihm dies nicht genug. Er wollte nach ihm greifen. Vorsichtig beugte er sich über die kleine Mauer, stützte sich mit einer Hand auf ihr und streckte die Andere aus aus. In jenem Moment, indessen er dies tat, brach ein Stück Mauer unter seine Hand weg und er rutschte ab, stürzte vorne über und fiel, fiel und fiel. Und Währenddem er fiel, offenbarten sich ihm Bilder von fern und nah. Er sah die Perfektionsstatue in Zone 1, wie man sie zu Scharren an Seilen niederriss, noch während drum herum blutig gekämpft wurde. Dann sah er sich selbst, wie er auf seiner Bank sass, das Grass unter seinen schwarzen Schuhen, nachdenklich und hoffnungslos, Stunde für Stunde und ehe war dies da, war es auch schon wieder fort und er sah, wie er auf seinem Sofa zuhause lag und Sterne an der Decke auf und abblitzten. Im nächsten Augenblick verschwamm jenes Bild schon wieder in ein anderes und er erkannte den asiatischen Drachen, roch seinen würzigen Geruch und das schmackhafte Jam-Bale, blickte in das freundliche Gesicht des alten Mr. Ling, was sogleich wieder verschwand und sich an jenem Ort wiederfand, wo die alte Dame ihm ihren Schirm über den Kopf hielt und er das Gefühl hatte, die Welt wäre nun besser geworden. Er durfte auch jenen Abend wiedererleben, an dem er betrunken mit Trace und Lana nach Hause fuhr. Schnell wechselte auch wieder dieses Bild und was er nun sah, war ein kleiner Ausschnitt, der tobenden Masse. Zuerst verstand er nicht, welche Bedeutung darin versteckt war, doch dann erblickte er inmitten des ganzen Gerangels Lana. Sie lag mit dem Rücken auf einem zertrümmerten Gesteinsbrocken, wurde an allen Glieder gewaltsam festgehalten, die Hose zerrissen und herabhängend, ihre langen, schönen Beine auseinandergespreizt und zwischen ihnen ein grosser, kräftiger Herr, sich an ihr vergehend.
Ach, geliebte Lana, habe keine Furcht. Bald und du wirst bei mir sein. Vielleicht wird es dort, wohin wir nun gehen ebenfalls Bäume, Tiere und eine Sonne geben!, dachte er, lächelte zufrieden und schaute sie noch einmal an. Zuletzt jedoch, sah er nur noch seine Eltern. Sie spazierten gerade einen langen Gang entlang, in welchem das grelle Morgenlicht Tecronos’ durch die grossen Fenster zu ihrer Linken schräg in den Raum einfiel. Aber dann blieben sie stehen, küssten einander und blickten hinaus in den Regen und da legte sein Vater sanft die flache Hand auf seines Mutters fülligen Leib, in dessen Umfang sein ganzes Leben seinen Ursprung fand. Dann vergingen die Bilder und was zurückblieb, waren nur seine Gedanken. So dachte er nach, darüber, wie es nun weiter gehen würde und wie überhaupt eigentlich alles angefangen hatte, ob denn alles auch richtig gewesen war, was er sein ganzes Leben hindurch getan hatte und ob es denn nicht die grösste Sünde eines Menschen ist, tatenlos unglücklich zu sein. Darüber dachte er nach, lange und viel.

 
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Vorwort

Bevor ich damit begann Tecronos zu schreiben, war schon sehr viel passiert, was sich schlussendlich als Ursprung für diese Geschichte herausstellte. Alles hatte damit begonnen, dass ich ein Buch las. Für viele ist das nichts Besonderes und heute sehe ich das genauso. Aber damals war das ein wenig anders, denn ich hatte mich nie wirklich für Literatur interessiert, bis eben zu diesem Tag, als ich plötzlich ein unwiderstehliches Verlangen danach verspürte. Es war ein sehr einfaches Buch, gedacht für Kinder und obwohl ich wohl längst aus diesem Alter heraus war, in dem man mich ein Kind nennen konnte, las ich es. Ich kann heute nicht mehr sagen, was mich an jenem Buch so fasziniert hatte, denn liegt dies nun etwas mehr als zwei Jahre zurück. Meine aller ersten Geschichten waren also von diesem einen Buch inspiriert und so war es völlig logisch, dass ich versuchte möglichst einfach und trotzdem spannend zu schreiben. Doch leider war ich damals, was das Schreiben angeht, in einer sehr starken Entwicklungsphase und so kam es nicht selten vor, dass ich plötzlich der Meinung war, jegliches könnte jeder Erstklässler schreiben. So beruhte das Schreiben also lange Zeit nur auf Texten, die mal begonnen und bald schon wieder gelöscht wurden. Aber dann kam ich in ein Alter, in dem man die Welt anfängt mit anderen Augen zu betrachten. Man sucht stets nach dem Warum und Wieso und stösst dabei leider oftmals auf negative Antworten, zumal man überhaupt eine findet. Auf diese Weisse gewöhnte ich es mir relativ schnell an, alles im Schlechten zu sehen und das Leben als eine Art Qual zu betrachten. Mich verfolgte zu dieser Zeit noch immer die längst vergangene Trennung meiner ersten Freundin und so hatte ich allen Grund, alles und jeden zu Hassen. Jedenfalls sah ich das so. Es ging nicht lange und auch ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft begann so zu denken, womit ich aber keineswegs behaupten möchte, der erste gewesen zu sein, der damit angefangen hat, sondern lediglich, dass ich bis dahin nicht bemerkt hatte, nicht der Einzige zu sein. Zum grössten Teil durfte ich das während der Arbeitszeit im Büro wahrnehmen. Es war mein Arbeitskollege, der vielleicht gerade sechs oder sieben Jahre älter war, welcher mir dies vor Augen führte. Stets hatte er einen immer grösseren Hass gegen gewissen Kulturenkreise, gegen gewisse Gesellschaftstypen und je länger, desto mehr beklagte er sich über die Menschheit, wie sie mit der Erde umging und wie blind sie doch waren, dass sie nicht erkannten, wie steil sie nach unten zu stürzen drohten. Für mich waren solche Gespräche ein wahrer Segen, denn damit hatte ich wirklich das Gefühl, verstanden zu werden und so ging dies Monat für Monat. In der Berufsschule hatte ich in dessen Zeit ebenfalls jemanden gefunden, der so dachte und damit hatte ich rasch Freunde gefunden, die es verstanden jemanden in seinen Meinungen und Ansichten zu unterstützen. Wenn ich mich recht besinne, muss es dann an einem Abend nach der Schule gewesen sein, an welchem ich stinkwütend und auch ein wenig entmutigt nach Hause ging, mich vor meinen Computer setzte und damit begann, Tecronos zu schreiben.
Zu jener Zeit glaubte ich Depressionen zu haben. Ich sage „glaubte“, weil ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob ich tatsächlich welche hatte. Manchmal wünschte ich mir sogar welche zu haben, nur um vor der langweiligen Welt Zuflucht zu finden. Ich schrieb und schrieb und wollte einfach nicht mehr damit aufhören. Die ständigen Gespräche beim Arbeitsplatz und in der Schule waren in meinem Gehirn gespeichert und so schrieb ich jeden Gedanken, der mir dazu einfiel nieder. Es gab Tage, an denen ich bis spät in die Nacht schrieb. Doch schon bald änderte sich mein Zustand wieder. Ich lernte ein Mädchen kennen, verliebte mich in sie und kaum war eine Woche vergangen, waren wir ein Paar. Zwar dauerte es noch ziemlich lange, bis ich akzeptierte keine Depressionen zu haben, aber schlussendlich war es dann soweit und ich hatte keinen richtigen Grund mehr weiterzuschreiben. Später fand ich die unfertige Geschichte sogar ziemlich schlecht geschrieben und entschloss mich kurzerhand sie zu löschen. Gesagt – getan. Aber ich wusste, dass ja doch sehr viel wahres in dieser Geschichte steckte und so begann ich damit, sie nochmals zu schreiben. Zu meiner Zufriedenheit gelang mir das sogar noch besser, als beim ersten Mal, was ich wirklich nicht erwartet hätte und was mir danach auch von Freunden mehrmals bestätigt wurde. Ich schrieb etwa bis zu zwölf Seiten und dann war für viele Monate bereits wieder Schluss. Ich hatte anderes zu tun, zum Beispiel wieder etwas Ordnung in mein Berufsleben zu bringen oder endlich herauszufinden, wer ich war oder sein wollte, vor allem aber, endlich wieder zufrieden und glücklich sein (denn soviel Liebe mir meine derzeitige Freundin auch gab, schien ich es auf eine unergründliche Art und Weise vergessen zu haben, wie man das Leben geniest). Die typische Teenagerzeit, könnte man so sagen. So verbrachte ich viel Zeit mit meiner Freundin und meinen Freunden, schaute mir allerlei Filme an und kaufte mir wieder CDs, so wie früher. Im Endeffekt war es dann ein Film, der mir zusprach und von dem ich glaubte, etwas lernen zu können. Fight Club. Nun ist dies ein Film, der vielen ein wenig sonderbar, ja vielleicht sogar krank vorkommt und ganz ehrlichgesagt, sehe ich das auch gar nicht anders. Doch war es eben genau dieser Faktor der mich ansprach und so dachte ich lange über diesen Film nach (unter anderem las ich später auch die original Version des Buches). Zu meinem Glück war ich mit der Meinung, dass Fight Club einer der besten Filme überhaupt ist, nicht alleine und so hatte ich stets jemandem, mit dem ich mich darüber unterhalten konnte. Es stellte sich auch schon bald heraus, dass dieser Jemand im Grossen und Ganzen den gleichen Geschmack, was Filme angeht, wie ich hatte. Nicht viel später konnte ich diesen mir bald liebgewonnenen Menschen dazu überreden mich ins Gesicht zu schlagen, um es jenen in dem besagten Film gleich zu tun. Auch er verlangte es dann gleichermassen von mir. Wir waren schon immer etwas anders, als alle andern und das wussten wir, was schlussendlich der Grund dafür war, weshalb wir uns für solche Aktionen nicht im Geringsten schämten. Ja wir schnitten uns gelegentlich sogar kleine Wunden in den Arm. Ich zweifle nicht daran, dass nun jeder glauben wird, ich hätte zu jener Zeit Probleme gehabt, aber hättet ihr auch nur einen Blick auf diese winzigen Wunden werfen können oder hättet ihr gesehen, wie harmlos unsere gegenseitigen Schläge waren, dann würdet ihr lachen und sagen, dass wir wohl nichts weiter als gewöhnliche Möchtegerne wären. Aber da ich weder irgendeine bestimmte Art von Mensch in den Augen anderer Leute sein möchte oder sonst ein Ziel mit solchen Tätigkeiten verfolgte, soll dies dahingestellt bleiben. Trotzdem war dies eine wichtige Zeit für mich, denn tatsächlich erfuhr ich auf die Weise etwas mehr über mich: ich bin ein Einzelgänger. Und so empfand ich es als falsch meiner Freundin Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft zu machen, weshalb ich mich auch schon bald von ihr trennte. Doch da wir ohne Streit auseinander gegangen waren, versprachen wir uns, Freunde zu bleiben, wodurch wir uns nach wie vor, genauso oft sahen und trafen, wie zu Zeiten unserer Beziehung. Nach einigen Dummheiten, die wir beide bereit waren einzugehen, hielten wir es aber für klüger, dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten. Leider stellte sich schnell heraus, dass dies ein Fehler war und so verliessen wir einander ein zweites Mal, und dieses Mal, so schwor ich mir, sollte es entgültig sein. Es vergingen keine zwei Tage, da ich spürte, wie schwer es doch in Wirklichkeit ist, jemanden so ganz plötzlich einfach nicht wiederzusehen, den man einmal beinahe alle drei Tage gesehen hatte und mit dem man so vieles erleben durfte. Eigentlich war es ja nicht das erste Mal, dass ich eine solche Zeit durchstehen musste und trotzdem schien mir, als hätte ich beim ersten Mal nichts gelernt. Ich hatte ständig das Gefühl, der Schmerz meinerseits wäre grösser als ihrerseits und dies machte mir schwer zu schaffen, obwohl ich mir stets sagte, dass sie das gute Recht dazu hätte glücklich zu sein, denn schlussendlich wollte ich das ja auch. So sehr ich damit auch kämpfte, mein Kummer blieb und mir schien, als hätte ich dieses Gefühl bereits einmal verspürt. Und das hatte ich auch. Ich erinnerte mich so ganz plötzlich wieder an diesen einen Text: Tecronos. Zwar konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es mir darüber hinweg helfen würde, aber ein Versuch war es mir schon wert. So setzte ich mich also wiedereinmal seit Langem vor den Computer und schrieb, was sich tatsächlich als eine sehr gute Ablenkung herausstellte. Ich schrieb und schrieb, so wie ich es früher schon einmal getan hatte. Von Morgens bis Abends sass ich davor und es verging nicht viel Zeit, da beendete ich den letzten Satz dieser einen Geschichte namens Tecronos. Und auch wenn ich nicht gerade behaupten kann, dass ich nun all meinen Kummer und Schmerz verloren habe, dann kann ich wenigstens sagen, dass es mir um einiges besser geht.
Aber – was ist mit der Geschichte? Ist sie das, was sie hätte werden sollen? Kann ich mit Überzeugung sagen, dass es sich dabei um eine Gleichsetzung unseren heutigen Gesellschaft handelt? Ehrlichgesagt: Ich weiss es nicht. Zumindest glaube ich, dass sich darin gewisse Eigenschaften der heutigen Gesellschaft sicherlich wieder finden lassen, wobei ich aber wirklich nicht weiss, um welche es sich da handeln sollte. Doch trotz all dieser Ungewissheit, Unsicherheit und der wohl nur schwer zu übersehenden Tatsache, dass dieser Text über einen langen Zeitraum hinweg entstand, ist diese Geschichte für mich persönlich, die Beste, die ich bisher geschrieben habe (denn während der grossen Pause, hatte ich noch andere, kleine Geschichten erfunden) und ich werde sie wahren, solange es mir möglich ist, egal, was andere davon auch halten mögen.

 

Hallo Clyan,

endlich habe ich deine Geschichte durch, die mir beinahe zu lange war, um sie am Monitor zu lesen, sodass ich sie zum Ende hin eher überflogen habe als richtig zu lesen, wie ich zugeben muss. Da sie bisher aber leider unkommentiert geblieben ist, will ich trotzdem das ein oder andere zu ihr sagen.

"Tecronos" ist keine leichte Leselektüre, durch die spärlichen Absätze auch recht anstrengend zu lesen (hätte mir manchmal mehr Absätze gewünscht), trotzdem kann ich nicht sagen, dass mir die Geschichte nicht gefallen hat.

Ich finde, du hast die düstere Zukunft dem Leser anschaulich näher gebracht, grau in grau konnte ich mir die verregneten Kulissen gut vorstellen; teilweise erinnerten sie mich wirklich ein wenig an "Fight Club".

Auch erscheint mir die negative Ansichtsweise deines Protagonisten vorstellbar, nachvollziehbar durch die Trennungen von Beziehungen, die leicht zu Depressionen und düsterer Sicht der Dinge führen können, und über die man durch das Niederschreiben der (realen) Situation in Form einer Geschichte sicherlich leichter hinwegkommen kann.

Inhaltlich erscheint es mir, als ob du beinahe ein wenig zu viel in die Geschichte hineingepackt hast (ich denke dabei an den Teil mit der Unsterblichkeit), allerdings geht die Länge über den üblichen Rahmen einer Kurzgeschichte sowieso hinaus.

Arbeit und Fortschritt scheint von Bedeutung zu sein in der Welt deines Protagonisten, der sich als Außenseiter der Gesellschaft darstellt, Liebe und Freude ist in den Hintergrund gerückt. Schön, dass er am Ende dann doch "bekehrt" wird.

Der letzte Satz, ob es nicht wirklich die größte Sünde sei, unglücklich zu sein, regt wirklich zum Nachdenken an, ich denke, er ist es wert, sich darüber Gedanken zu machen. Sicherlich ist das Leben nicht immer einfach und mit dem ein oder anderen Schicksalsschlag verbunden, aber geht nicht trotzdem jeden Tag die Sonne wieder auf? Verziehen sich nicht auch die schlimmsten Gewitter früher oder später?

Ich hoffe, ich hab den Inhalt richtig verstanden und du kannst ein bisschen was anfangen mit meinen Anmerkungen.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Michael!

Wie einen Blitz hat es mich getroffen, als ich sah, dass aus der 1 eine 2 geworden ist (Anzahl Comments), denn habe ich es doch längst aufgegeben daran zu glauben, jemals noch ein Feedback zu dieser mir recht liebgewordenen Geschichte zu kriegen. Ich danke dir sehr dafür.

Es ist natürlich unbestreitbar, dass es hierbei um einen Text handelt, denn man nur schwerlich am Monitor lesen kann, was seine Begründung darin findet, dass ich niemals vorhatte ihn im Internet zu veröffentlichen. Ehrlichgesagt, ich kannte kg.de noch gar nicht, als ich mit Tecronos begonnen hatte. Ich frage mich, ob die Absätze denn auch von Nöten sind, wenn man den Text ausdruckt, zumal ich haufenweise Bücher gelesen habe, in denen Seite für Seite kein Absatz in Sicht ist (klar, Tecronos ist kein Buch, aber dennoch finde ich diesen Vergleich nicht unangebracht).

Dass dich "Tecronos" an den Film "Fight Club" erinnert, erstaunt mich ein wenig, zumal ich diesen Film zu Beginn des Schreibens dieser Geschichte gar nicht kannte... ich werde dies einfach einmal zur Kenntnis nehmen und mir evt. auch Gedanken darüber machen.

Du sagtest, ich hätte Inhaltlich zuviel in der Geschichte untergebracht. Nun, das ist durchaus möglich, doch wüsste ich nicht im Geringsten, wie ich es hätte anders anstellen sollen. Die Ideen waren längst Pläne geworden und so sehr ich diese liebgewonnen hatte, fiel es mir schwer, sie wieder fallen zu lassen. Deshalb wohl dieses Phänomen.

Es freut mich, dass der letzte (zweitletzte, um genau zu sein) Satz dich zum Nachdenken angeregt hat. Ich muss zugestehen, sogar ein wenig Stolz für diesen einen Satz zu empfinden. Zu irgendeinem Zeitpunkt hatte ich mir selbst diese Frage gestellt, einfach so, ohne mir wirklich dessen bewusst zu sein, woher diese Frage denn so plötzlich gekommen war. Zwar hatte ich keine 100%ige Antwort auf sie, doch sagte mein Gefühl mir auch, dass dies eine Angelegenheit ist, welche man nicht gerade schnell lösen kann und die sehr interessant ist. So packte ich sie also in Tecronos, was ich keineswegs bereue.

Ja, soweit ich den wenigen Aussagen (ich wünschte, es wären mehr), die du geäussert hast, entnehmen kann, hast du den Inhalt durchaus verstanden und das freut mich ebenfalls.

Auf deine Frage, ob den nicht jeden Tag die Sonne wieder aufgeht oder denn auch die schlimmsten Gewitter früher oder später wieder verziehen, kann ich keine sichere Antwort geben. Ich denke, das dies von vielen, verschiedenen Umständen abhängig ist, besonders davon, in welcher Situation sich ein Mensch befindet.

Nochmals vielen, vielen Dank,
Gruss,
Clyan

 

Hallo,

ich bin deshalb auf deine Geschichte aufmerksam geworden, weil sie bisher unkommentiert geblieben ist. Autoren brauchen nun mal Feedback. Daher suche ich mir öfters gezielt Geschichten mit Null-Antwort-Beiträgen heraus.

Ich hätte den Text ausdrucken sollen; ich denke, in gedruckter Form sind die wenigen Absätze weniger schlimm, und damit, dass es auch etliche Bücher gibt, die seitenweise ohne Absätze auskommen, hast du sicherlich Recht.

Ob ich bereits während des Lesens an "Fight Club" denken musste, kann ich jetzt im Nachhinein nicht mehr mit Gewissheit sagen. Auf alle Fälle musste ich an diese düsteren Film in dieser Art denken (bei denen es seltsamerweise immer ausschließlich zu regnen scheint), und als du in deinem Vorwort "Fight Club" erwähntest, fand ich diesen Vergleich irgendwie ziemlich passend / ging er in dieselbe Richtung wie meine Gedanken.

Ich bin mir nicht sicher, ob du zuviel Inhalt in die Geschichte hineingepackt hast. Meist beschränken sich Kurzgeschichten auf eine inhaltliche Idee, ohne Ausschweifungen, usw. Allerdings geht dein Text beinahe ja schon über eine Kurzgeschichte hinaus. Daher würde ich (vorerst) nichts kürzen, sondern den Text zu stehen lassen.
Vielleicht liest ihn ja noch jemand, eine zweite Meinung wäre sicherlich interessant. Bei dieser Textfülle ist es aber schwierig, bereitwillige Leser zu finden.

Ja, der vorletzte Satz – "ob es denn nicht die grösste Sünde eines Menschen ist, tatenlos unglücklich zu sein" – hat mich wirklich zum Nachdenken angeregt. Vor allem in Bezug auf "unser" Leben (in einer der reicheren Bevölkerungsschichten) verglichen mit der Armut und den Menschen, denen es wirklich dreckig geht, ist er interessant. Reichtum ist ja ganz und gar nicht mit Glücklichsein gleichzusetzen. Oftmals machen wir uns Sorgen / sind unglücklich über Dinge, die im Prinzip kaum von Bedeutung sind – andere wäre froh, wenn sie diese Sorgen hätten! Ich hoffe, du verstehst, was ich meine?

Tut mir Leid, dass sich meine Aussagen über Inhalt und Verständnis in Grenzen hielten, aber fairerweise muss ich, wie gesagt, zugeben, dass ich den Text aufgrund der Länge zum Ende hin nur noch überflogen habe, daher fällt es mir schwer, detailliert auf den Inhalt einzugehen.

Schön, dass du dich trotzdem über meine Kritik gefreut hast. :)

Viele Grüße,

Michael :)

 

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