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The Walldorf Series - Baumarkt Schicksal
Auch seine Lesebrille flog auf das Linoleum und wurde knackend von Walldorfs Fuß in Rente geschickt. Sogar der Einbauschrank seufzte angesichts dieses Schicksals. Humpelnd schaffte es Walldorf in die Küche, warf die Kaffeemaschine an, bevor er sich mit Hilfe seiner Briefmarkenpinzette daran machte, die Glasssplitter seiner Brille aus seiner Sohle zu pulen.
Er hatte an diesem Morgen noch nicht ein einziges Mal geflucht. Es war schon seit längerer Zeit sein Morgenritual, sich mit sämtlichen verfügbaren Gegenständen unbeabsichtigt selbst zu verstümmeln.
„Irgendwann verabreicht mir mein Kühlschrank noch den letzten Stromschlag.“
Dachte er.
“ Oh Mann, das wär mein Glückstag.“
Der Kaffee war fertig und schmeckte angesichts der vorrausgegangenen Torturen köstlich und schenkte ihm neue Lebensgeister. Das Leben war doch nicht so schlecht. Doch nachdem er ins Bad gehumpelt war, musste Walldorf feststellen, dass ihn das Klo völlig verstopft angähnte. Das braune Wasser stand schon bis zur Hälfte und ein Gemisch aus Wattestäbchen, Toilettenpapierresten und kleine Stückchen alter Scheiße bedeckten die Wasseroberfläche. Doch auch ein nochmaliges Spülen zeigte keine Wirkung, nur das Wasser stand jetzt bis fast zu Brille.
„Shit!“
Es war kein Klostampfer im Haus und Walldorf ekelte schon allein der Gedanke daran, mit bloßen Händen nach der Ursache der Sauerei fischen zu müssen. Außerdem war es einfach vorauszusehen, das er irgendwann mal wieder kacken musste. Doch sein Waschbecken war dazu denkbar ungeeignet. Also musste er ins Bauhaus so einen Stampfer besorgen – und zwar schnell!
Er gurgelte noch hastig, schmierte sich den Rest seines Deos unter die Arme, zog seine altes Hemd über und quälte sich stöhnend in seine Cordhose an der oben ein Knopf fehlte, fand nur zwei verschiedene paar Socken...doch drei Minuten später stand er an der Bushaltestelle – und die Sonne schlug die Hände vor die Augen!
In einer der Taschen fand er noch eine alte Packung Zigaretten – musste aber jemanden um Feuer bitten. Doch das einzige was er von einem Jungen Arschgesicht zu hören bekam war
„Alta – du stinksch ausm Maul!“
Er hasste sie alle! Die Menschen! Warum lebten sie? Warum warteten sie ausgerechnet mit ihm an der Bushaltestelle. Warum wollten sie alle in dieselbe Richtung? Warum fielen sie nicht einfach um – Tod, Aus, Schluss! Es war alles zu heulen! Es war das Einzige, an was er sich in seinem Leben nie gewöhnen konnte – den Planeten mit anderen teilen zu müssen.
Der Bus kam angerollt. Es war einer dieser viereckigen Kästen, seit den späten Siebzigern im Einsatz, die Tagsüber nonstop durch die Stadt rollten, Jungendliche, Autolose und anderen Abschaum einsammelten und die Straßen verstopften.
Walldorf bezahlte, fand einen Platz neben einer Omi die nach dem Geruch der von ihr ausging zu urteilen ihren Kompost spazieren fuhr, wandte sich etwas von ihr ab und schaute aus den halb mit Graphity beschmierten Fenster.
Die Fahrt zum Bauhaus dauerte sehr lange. In der Mitte der Fahrt stieg eine Horde Punks mit ihren Hunden zu und als sie zwei Stationen später wieder ausstiegen, roch der ganze Bus nach Tierheim. Er hasste sie. Die Kompost Omi saß immer noch auf dem Platz neben ihm. Auch sie hasste er. Wäre das mit der Gesellschaft irgendwie anders geregelt – er hätte sie umgebracht ohne irgendwelche Schuldgefühle zu haben.
Endlich hielt der Bus im Gewerbegebiet direkt neben dem Bauhaus und Walldorf stieg aus.
„Heute Vorstellung der neuen Duschkabinen!“
Stand in großen Lettern auf einem roten Transparent, das über dem Haupteingang im Wind flatterte. Der Laden war vor allem von Männern bevölkert, die fast ohne Ausnahme Schnauzbärte und blaue Overalls trugen. Vereinzelt waren auch junge Ehepaare mit Kinderwägen und alte Damen, die wohl auf der Suche nach Tulpenzwiebeln waren, unterwegs.
Es gab aber auch wirklich alles in diesem Bauhaus – Fahrradzubehör, Schrauben aller Art, Handschuhe, Lampen, Badewannen, Autobatterien, Notstromgeneratoren, alle möglichen Arten von Spezialkleber, von dem Walldorf einen einsteckte, denn so was konnte man immer brauchen...aber weit und breit war kein Toilettenstampfer zu sehen, den Walldorf angesichts der vielen anderen Sachen fast schon wieder vergessen hätte.
Walldorf drehte noch einige Runden in der Fliesenabteilung, begutachtete noch eine Heimsauna „für Küche und Bad“ und machte sich dann auf die Suche nach einem der Bauhaus Verkäufer um nach dem Klostampfer zu fragen.
Er konnte aber keinen finden bzw. alle Verkäufer waren damit beschäftigt, irgendwelchen anderen Typen die Zeit bis zum Feierabend vertreiben zu helfen, indem sie über die neuesten Betonmischungen, die Vor – und Nachteile von Schlagbohrmaschinen, Saunaöfen, Zaunhaltevorrichtungen und Kindersicherungen referierten. Doch für einen Notfall hatte niemand Zeit. Es war wie beim Zahnarzt!
Doch plötzlich erspähte Walldorf seinen Klostampfer. Als hätte der Herr persönlich ihn dort platziert, thronte er hoch über allen Köpfen auf dem dritten Regal in der Toilettenabteilung. Inmitten des grellen Weises der übereinandergestapelten Kloschüsseln hob sich das Orange des Saugnapfs geradezu majestätisch ab.
„Sieg!“
Durchschoss es Walldorf. Das nächst Problem war jetzt nur, dieses Ding runter zu kriegen. Normalerweise wären Verkäufer dafür zuständig, doch die waren alle beschäftigt oder holten sich über den Werbekalendern für irgendwelche Schlüsselkästen einen runter. Eine Leiter war auch weit und breit keine zu finden. Doch bei den Spanplatten stand einsam ein Gabelstapler. Walldorf war in seiner Bundeswehrzeit schon mal mit so einem Ding gefahren und wollte diesen Müll so schnell wie möglich hinter sich bringen.
„Ich werde ihn mit der Gabel runterstoßen.“
Dachte er und setzte sich rein. Niemand schaute hin oder schrie etwas. Da es ein neueres Modell war und deshalb etwas anders als zu seiner Jugendzeit, brauchte er etwas, um es in Gang zu bekommen. Doch schon bald schaffte er es, das Ding in Bewegung zu setzten. Er fuhr langsam durch die Regalschluchten und musste sich erst einmal wieder neu orientieren.
Endlich fand er die Gasse, an deren Ende die Toiletten aufgestapelt waren, beschleunigte etwas und suchte den Knopf um die Gabel nach oben zu fahren. Es machte ihm spaß und der Gang war menschenleer, weshalb er noch etwas beschleunigte. Das Gefährt zog ganz schon an!
Doch plötzlich bog die Familie, die er schon vorhin in der Lampenecke gesehen hatte von links in den Gang ein. Gleichzeitig ging die Gabel nach oben und nahm den Mann mit in die Luft. Der Kinderwagen geriet zwischen die Vorderachsen und wurde kratzend mitgeschliffen. Die Mutter schrie.
Walldorf wollte bremsen, gab aber noch mehr Gas und verlor die Kontrolle über den Gabelstapler welcher nach rechts ausschwenkte. Der Mann riss einige Toilettenschüsseln vom Regal und blieb an einem Vorführfernseher hängen, mit dem er sogleich krachend zu Boden ging.
Der Kinderwagen kam durch die Geschwindigkeit nun komplett unter die Räder. Eine Wascharmatur erschlug die Mutter. Am Ende des Ganges bekam Waldorf gerade noch die Kurve, doch die Bremse schien nicht zu funktionieren.
Er rammte noch einen Bauhausmitarbeiter, den Info – Stand von Black & Decker, einige Duschkabinen mit potentiellen Käufern und riss die Werbetafeln mit der hochgefahrene Gabel von der Decke.
Eine Oma, die gerade in die Lektüre eines Prospekts vertieft war, konnte nur knapp von einem Verkäufer auf Jagt nach Gehaltserhöhung gerettet werden.
„Ich muss das Ding gegen etwas steuern, um es anzuhalten!“
Schrie Walldorf zu sich selbst. Er lenkte schwankend um das nächste Hindernis und befand sich plötzlich in der Gartenabteilung.
Menschen kreischten und flohen irgendwohin. Ein Bananenbäumchen flog in das Führerhaus und nahm Walldorf die Sicht. Als er es rausgeschmissen hatte und wieder sehen konnte, sah er, dass er schon wieder einen Menschen mitschleifte und geradewegs auf einen großen Wassertank der Gardena – Präsentation zuraste.
Er sah einen Pavillon und sprang aus dem Gabelstapler. Der Pavillon brach zusammen, aber er landete eher sanft in einer Gartenliege. Überall schrieen Menschen. Von weitem hörte man schon die Sirenen der Polizei und der Krankenwagen. Die Feuerwehr musste auch kommen, denn der Stapler brannte. Doch niemand schien sich um Walldorf zu kümmern, als er aus den Trümmern des Pavillons herauskrabbelte.
Alles war mit sich selbst beschäftigt und um den Wassertank hatte sich eine Menschmenge gebildet. Der Typ war bestimmt Tod. Walldorf machte sich schleunigst auf den Weg nach draußen. Einige umgefallene Regale versperrten ihm den Weg – und da sah er ihn wieder.
Sein Orange strahlte ihn an. Er hob ihn auf, wischte den Staub ab und ging Richtung Ausgang. Komischerweise hatte die Polizei nicht abgesperrt. Es standen nur ihre grünen Wagen rum.
Die Lichter tauchten alles in ein surreales Blau. Doch die Polizisten schienen alle im Inneren des Bauhaus für Ordnung zu sorgen. Weil aber schon wieder leises Sirenenheulen das Anrücken von neuer Polizei ankündigte, rannte Walldorf schnell zur gegenüberliegenden Haltestelle. Und der Bus kam sofort. Die Woche fing doch nicht so schlecht an.
Er hatte nun einen Klostampfer und Klebstoff, mit dem er endlich die Sohlen seiner alten Schuhe reparieren konnte – und das alles zu Nulltarif.
„Ich werde mir heute Abend ein gutes Steak gönnen.“
Nahm er sich gutgelaunt vor.