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Tiefer vergrab ich meine Bedürftigkeit (Lieber Mann)
Du willst wissen, was ich fühle, während du meine Klitoris berührst?
Nichts.
Aber dafür hasse ich mich.
Es braucht viel, um dieses Nichts auszuhalten. Ich schaffe es nicht.
Wie kann ich von dir erwarten, dass du es tust?
Ich habe einen Knacks da unten. Oder überhaupt. Das dämmert mir erst jetzt so langsam. Jahrelang habe ich das so gut versteckt, dass ich mich damit selbst hinters Licht geführt habe. Und alle Männer, die ich kannte.
Aber jetzt, jetzt reicht es.
Ist es dein Interesse? Deine Fragen, die nicht da aufhören, wo ich keine Antwort weiss? Oder weil du meine Yoni berührt hast, noch ehe wir Körperkontakt hatten? Mit dir habe ich das seltene Verlangen, nackt zu sein.
Ich schiebe die Taubheit meiner Klitoris auf den Moment, in dem er sie berührt hat. Es war seine Bedürftigkeit, die mich gelähmt hat.
Eine Qualität, die mir zugestanden hätte. Denn er war erwachsen und ich erst sechs.
Wenn du mich fragst, was ich will, was mir gefällt, ich weiss es nicht.
Ich war zu schambehaftet, um es herauszufinden.
Im Teeniealter verflog das anfängliche Kribbeln just in dem Moment, als mein damaliger Freund mit seiner Hand in meine Unterhose glitt.
Sobald es unter die Gürtellinie geht, komme ich ins Freeze.
Die Jeans fiel nach 3 Monaten Rumknutschen und Obenohne, und ich habe nur wenige Tage später Schluss gemacht.
Das konnte ich nicht ewig so bringen.
Freeze heisst nicht, dass ich nur regungslos daliege. Ich habe gelernt, meinen Körper auch in der Starre zu bewegen.
Ich habe mir gemerkt, was den Männern gefällt, was ich richtig mache. Solange ich es gut mache, empfinde ich auch Lust. Ich kriege, nein, ich hol mir sogar einen Orgasmus. Manchmal. Wenn alles systemkonform ist.
Solange ich die Männer errege.
Wie damals auf dem Spielplatz, als seine Geilheit auf meine Kosten ging.
Natürlich hatte ich da keinen Orgasmus.
Ich fand ihn erbärmlich, er tat mir leid. So habe ich das in Erinnerung. Aber womöglich ist das ein Konstrukt, das erst später kam.
Ein Bild, das ich mir ausgemalt habe.
Warum mich heute erregt, was mich damals schockiert hat, ist mir ein Rätsel.
In meiner Vorstellung lasse ich die Männer mich benutzen, während ich mich innerlich über sie stelle. Immer und immer wieder. Das ist mein Highway zum Orgasmus.
Die Panik sitzt im Gewebe meiner Vulva und die Coping Strategie bringt sie zum Singen. Ich habe gelesen, dass Orgasmen ein grosses Manifestationspotenzial in sich haben, dass das, was in dem Moment präsent ist, so eine Art Turbokraft hat. Ein Teufelskreis, den ich immer tiefer verankere. Mit jedem Orgasmus werde ich selbst zum Täter und bezahle mit der Scham.
Ich träume von einem Höhepunkt auf Augenhöhe. Nicht nur mit einem Mann, auch mit mir selbst. Ohne, dass ich dafür die Geschlechter abwerten muss.
Ich werfe meinem Ehemann vor, dass er im Patriarchat verfangen ist. Tatsächlich bin ich es selbst.
Ich will da raus. Und schon nerve ich mich über mich im Angesicht der offenen Türe. Mein Körper bleibt. Das Patriarchat ist meine Komfortzone.
Es ist der Ort, an dem ein Orgasmus möglich ist.
Wenn ich die Kontrolle habe.
Als ich zum ersten Mal eine Zunge da unten hatte, das war gefühlte 5 Minuten nach dem ersten Kuss mit dem Startorwart. 2 Minuten nachdem ich splitternackt auf seinem Wasserbett lag. Ich weiss nicht, wie viele Stoppschilder ich da überfahren hatte, das Tempo war zu schnell, um welche zu sehen. Und irgendwie stand ich immer noch da an der allerersten Signaltafel: der Tatsache, dass er eine Freundin hatte. Rechte konnte ich vergessen, ich hatte nicht einmal eine Daseinsberechtigung.
Du magst sagen, ich hatte Bedürfnisse. Ich glaube, ich hatte noch nie Bedürfnisse in meinem Körper, geschweige denn, dass ich sie in den Mund genommen hätte. Meine Bedürfnisse sind Figuren und Geschichten in einem Land, das physisch nicht zu betreten ist.
Ein Ort, an dem ich flüchtete, als mein Ex weitermachte trotz meiner Neins. Er war nicht stark oder grob. Ich hätte ihn einfach wegschieben und aufstehen können.
Es klingt bescheuert, wenn ich jetzt sage, es war mir zu blöd. Zu blöd ist es einem, wenn es das kleinere Übel ist. Wenn mein Mann sein Geschirr nicht wegräumt und es mich kränkt, dass er es für selbstverständlich hält, dass ich es tue. Dann ist es mir manchmal zu blöde, eine Szene zu provozieren.
Aber sowas tut man doch nicht, wenn man eigentlich keinen Sex mit jemandem möchte.
Vielleicht wollte ich, dass er der Böse ist, dass es in ihn einfährt, wenn ich einfach nur so daliege. Dass er sich seiner Tat bewusst wird, sobald sein Schwanz ihn nicht mehr steuert.
Es ist mir gelungen. Aber es hat auch nichts besser gemacht.
Und ich gehe stark davon aus, dass auch er nicht stolz auf seine Tat war.
Er hat mir eine Zehnernote zugesteckt, er hat dafür bezahlt, dass er mich anfassen konnte. Für meinen kleinen Bruder gab es einen Fünfer Schweigegeld.
Als die fernen Rufe unseres Vaters mich aus meiner Starre erlösten, habe ich es ihm zurückgegeben. Darüber war ich später stolz. Dass mein Bruder seine Münze in die Spardose geworfen hatte, war jahrelang meine grösste Empörung.
Geschwiegen haben wir beide.
Und auch er sagte kein Wort, während seine Finger in mir wühlten. Er kannte unsere Sprache nicht.
Ich sehe ihn vor mir, wie er uns mit seiner Gestik zu sich lockt, als hätte er eine süsse Überraschung. Ich spüre seine nervösen Finger.
Worte hat er mir keine ins Hirn gelegt. Dafür könnte ich ihm dankbar sein. Er hat keine Stimme. Ich habe meine verloren.
Männer in ihrer Lust zu unterbrechen, war für mich immer eine immense Herausforderung. In meiner Singlezeit hallte in mir das Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen. Hatte ich seinen Ständer erst mal in der Hand, gab es kein Zurück. Da waren Gedanken in mir, die es vorzogen, jetzt einfach aufzuhören. Aber bis über meine Lippen, das war ein langer Weg. Wäre ich gefragt worden, ich hätte nicht gelogen. Aber die Stille zu brechen, das habe ich selten hingekriegt.
Es durchzuziehen war einfacher. Ich musste diesem oralen und manuellen Teil einfach so gut wie möglich ausweichen. Petting sagte man. War das nicht das, was ich als Frau lieben sollte? Penetration war meine Rettung. Das konnte ich geniessen. In dem Moment war die Welt da unten in Ordnung. Und ein Ende war in Sicht.
Manchmal wünsche ich mir, er wäre böse gewesen damals. Dann hätte ich mich später nicht so sehr geschämt, dass ich nicht einfach weggerannt bin. Vielleicht hätte ich es dann sogar gekonnt. Stattdessen blickte ich in seine leeren Augen und rührte mich nicht vom Fleck.
Ich weiss mittlerweile vom Automatismus der Amygdala. Ich habe gelernt, dass ein 6-jähriges Hirn alles ungefiltert aufnimmt und abspeichert. Aufgeklärt war ich nicht und Sätze wie «Geh nicht mit einem Fremden mit» wurden damals noch nicht auf den Kindergartenweg mitgegeben. Obwohl mir gerade da nur unmittelbar später ein nackter Mann im Auto begegnet ist. Meine Freundin und ich trotteten auf dem Gehsteig. Er hielt dicht bei uns, kurbelte das Fenster runter, schaute uns an und spielte mit seinem Ding. Dann fuhr er weiter, und wir gingen unseres Weges. Womöglich lachten wir darüber. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Angst gehabt hätte. Ich merke erst jetzt, wie viel davon in mir eingefroren ist.
Jetzt, wo deine Gegenwart es zum Schmelzen bringt. Jetzt, wo ich meine wirren Gedanken ausspreche, ohne von einem Augenrollen unterbrochen zu werden.
Meine Ratio schimpft mich feige und faul.
Andere wurden jahrelang missbraucht, wurden vergewaltigt. Und ich führ mich so auf wegen einer Viertelstunde und ein paar Fingern. Das ist doch nur eine Scheissausrede.
Die Scham überrollt mich einmal mehr und ich kann nicht aufhören, mich dafür zu verurteilen. Tiefer vergrab ich meine Bedürftigkeit.
Du willst das gar nicht hören, oder?
Eigentlich will ich es dir auch nicht sagen. Ich verbau mir damit meinen Fluchtweg. Jetzt durchschaust du mich. Es ist das Ende der Erotik.
Hast du noch Lust auf mich? Das Ganze hat mit Lust nicht viel zu tun, nicht wahr? Noch nicht.
Ich habe Angst, dass du mittendrin umkehrst und mich im Dunkel allein lässt.
Nein. Das wäre gar nicht so schlimm. Die Dunkelheit ist mir vertraut. Ich kann da gut alleine sitzen. Aber ich könnte dir danach nicht mehr in die Augen sehen.
Mein Mann hat dies mehrmals getan. Ich zeigte ihm meine Wunde, und er stocherte mit seiner Reaktion in ihr herum. Wir haben Sex, aber wir sind nicht mehr intim. Und meine Augen bleiben dabei geschlossen.
Wenn du wirklich erfahren möchtest, was ich fühle, dann musst du deine eigene Bedürftigkeit aussen vorlassen.
Wenn du das versuchst, dann hast du meine ganze Achtung. Dann greift mein Rollenspiel ins Leere.
Und genau diese gilt es auszuhalten.
Du hoffst, dass ich deine Berührung geniesse. Aber wenn du willst, dass ich fühle, nicht nur an der Oberfläche, sondern tiefer, dann musst du ertragen, dass ich es nicht schön finde. Noch nicht. Denn erst kommt die Angst. Und der Ekel. Und der Selbsthass.
Und dazwischen immer wieder dieses Nichts, weil ich es nicht ertrage, weil ich abhaue.
Es ist schön mit dir, aber diese Ehrlichkeit, es ist das Schwierigste, was ich je getan habe.
Ich weiss nicht, was ich fühle. Aber wenn ich mich sicher fühle, so richtig, richtig sicher, dann kann ich es herausfinden. Sex ist nicht sicher. Verbindung ist es. Kannst du die Verbindung halten, auch wenn ich die Augen schliesse, auch wenn ich in meinem Schlamm verschwinde?
Und auch dann, wenn ich hasse? Nicht dich, sondern ihn. Wenn ich ihn endlich hasse und in mir die Wut entdecke. Wenn ich ihn nicht mehr für erbärmlich halte, sondern seine Macht anerkenne, die Macht, die er missbraucht hat. Dann kann ich meine eigene Schwäche annehmen und aufhören, mich dafür mit Füssen zu treten.
Behutsam dringst du in mich ein.
Ich sehe die Auffahrt zur Autobahn, der Orgasmus winkt mir von weitem. Aber mit dir möchte ich auf der Landstrasse fahren. Dafür verzichte ich auf den Höhepunkt. Der Weg ist das Ziel.
Ich halte inne. Du auch.
Ein Schütteln im Körper, Tränen, die mir über die Wangen rinnen. Und meine Scheide, plötzlich eiskalt. Ob das gut ist, fragst du. Ich denke schon. Keine Ahnung, ich habe das noch nie erlebt.
Aber jede Veränderung ist gut, wenn man aus der Starre kommt.