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Torschluss
Ein Geräusch, draußen vor dem Haus, lässt mich aufstehen.
Müde zwänge ich zwei Finger zwischen die Lamellen der heruntergelassenen Jalousie und blicke hinaus. Das Tor zur Straße steht wieder auf. Ein kleines, eisernes Gartentor. Nichts Besonderes und doch spüre ich, dass es mich traurig macht. Ich ziehe die Finger zurück und streife den Staub ab, der auf meinen Knöcheln haften geblieben ist.
«Machst du mal bitte das Tor zu? Es steht schon wieder auf.» Der Klang ihrer Stimme ist noch immer lebendig.
Wir haben uns oft gestritten, wenn sie mich rausschickte, um das Tor zu schließen.
Und jetzt?
Was würde ich darum geben, noch einmal von ihr hochgescheucht zu werden.
Langsam gehe ich zur Tür und ziehe meine Schuhe an.
Mein Blick fällt auf den Schuhschrank. Seit drei Monaten steht er eingepackt in der Ecke. Immer wieder habe ich einen Grund gefunden, ihn nicht aufbauen zu müssen und sie hat es hingenommen. Sie war immer geduldig mit mir und ich habe es meistens ausgenutzt. Wenn ich es nur ungeschehen machen könnte.
Gedankenverloren nehme ich den Hausschlüssel und gehe hinaus. Mein Kopf dreht sich über die Schulter hinweg zum Fenster. Fast meine ich, sie dort stehen zu sehen. Sie lächelte mir immer dankbar zu, obwohl ich zuvor mit ihr gestritten hatte.
Damals ahnte ich nicht, wie krank sie war. Ob sie es gewusst hat? Sie hat nichts gesagt, wenigstens nicht direkt. Hätte ich doch nur besser zugehört, vielleicht ... ich weiß es nicht. Ich bin sicher, sie wollte mich nicht beunruhigen. So war sie immer gewesen. Sie konnte nur zufrieden sein, wenn es den Menschen um sie herum gut ging. Und sie tat alles dafür, dass es so war. Ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit.
Ich schließe das Tor. «Siehst du Liebes, heute hast du nicht mit mir schimpfen müssen», murmele ich vor mich hin und starre auf den Parkplatz vor unserem Haus.
Ich sehe sie dort stehen und die Einkaufstüten aus dem Auto heben, während ich auf sie zugehe.
«Lass mich das machen. Die sind doch zu schwer für dich.»
«Was glaubst du, wie die ins Auto gekommen sind?», fragt sie mich kopfschüttelnd.
Eine Nachbarin geht vorbei und grüßt zaghaft. Ich nicke ihr zu. Früher hat sie oft mit meiner Frau hier gestanden und ein Schwätzchen gehalten. Gut, dass sie heute nicht stehen bleibt.
Ich gehe wieder ins Haus und ziehe die Schuhe aus.
Auf dem Karton des Schuhschranks liegt Staub. Morgen werde ich ihn aufbauen, gleich Morgen.
«Das Tor ist zu», rufe ich laut in den Flur und spüre, wie mir die Tränen über das Gesicht laufen.
Ich vermisse sie!