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Treuepatzer

HGD

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11.12.2001
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Treuepatzer

„Sag mal, warum sind wir eigentlich zusammen?“ „Weil ich dich gefragt habe, ob du mich heiraten willst!“ Ungläubig starrte er in ihre Augen. Wieso stellte sie jetzt diese Frage? Muffensausen vor dem großen Tag, der sie für immer unzertrennlich machen sollte. Rituale konnte sie noch nie ausstehen.

Aber ihm war die Hochzeit zu wichtig, in diesem Charakterzug eine ausreichende Begründung zu finden. „Hast du Zweifel?“ Sie wollte nicht so richtig damit heraus und ließ die Schultern sinken. „Jetzt sag schon? Was ist los?“ „Wie heißt sie?“ Ihr Blick wich seinem aus. Er starrte sie an. Woher konnte sie davon erfahren haben? Wer? Wie? „Es stimmt also. Noch mal: Warum sind wir eigentlich zusammen?“ Er konnte den offenen Mund nicht bewegen, um Wörter zu formen. Sein Hirn arbeitete zudem viel zu langsam, um ihr auch irgendetwas zu begegnen. Es war doch fast nichts passiert.

Eine alte Jugendfreundin hatte sich bei ihm gemeldet und wollte sich mit ihm treffen. Natürlich verheimlichte er seine Exfreundin vor seiner Verlobten. Vielleicht konnte man darin auch den Grund finden, warum er es überhaupt in Erwägung zog, sich auf einen Trip längst ausgestandener Gefühle und Schmerzen einzulassen. Verlobt. Unsicher wippte er auf der Couch auf und ab. „Wie lange geht das schon zwischen euch?“, fragte sie ihn nun mit festem Blick.

Seit acht Jahren? Er wusste nicht wie lange es vorbei war, dass es bei ihnen anfangen hatte. Für gewöhnlich machte er sich nichts aus den Beziehungsfragmenten vor seiner Verlobten. Doch wo sie jetzt mit festem Blick seine Seele erkundete wusste auch er, sich in den falschen Sitten geübt zu haben. Dieses Verlangen noch einmal sich selbst und der Welt zu beweisen: ja, ich kann’s noch, der Blick zieht weiterhin hervorragend beim anderen Geschlecht. Hierfür erfüllte die Verflossene ideale Vorrausetzungen. Schließlich zog der Blick bei ihr ja schon in früheren Tagen, machte sie wild, wie sie selbst einst gesagt hatte. Nur noch einmal probieren; und dann Schluss. Den Schlussstrich erwog jetzt die Verlobte. Noch sagte sie nichts, aber die routinierten Jahre kamen um diesen Gedanken nicht herum.

In der Hotelbar muss er gesehen worden sein, das leuchtete ihm jetzt ein. Ideal eigentlich, um ein einsames, reisendes Herz für eine Nacht zu besänftigen. Wie eben jene Exfreundin, die am nächsten Morgen nach Basel weitereisen musste. Soweit sollte es nie kommen. Konnte er ihr erzählen, dass es auch nie so gekommen ist? Die Falten um ihre Nase sagten eher: Nein. „Hör zu! Ich will nicht mal wissen, ob und was da lief zwischen euch. Und da du die ganze Zeit ja eh nichts sagst, gehe ich davon aus, dass du es ähnlich betrachtest.“ Sie stand auf und ging. Allein saß er nun vor dem flimmernden Fernseher und kauerte sich in seiner Gefühlswelt zusammen. Warum dürfen Frauen zwei Maßstäbe ansetzen?

Im letzten Jahr hatten sie sich für eine kurze Zeit getrennt. Und der Grund war ganz deutlich zu erkennen. Im tiefen Männergerausche am Telefon, als er am Morgen danach, durchzecht und völlig betrunken ihren Anrufbeantworter beschimpfen wollte. Horst! Was für ein bescheuerter Name und seit Helge Schneider heißen so nur Wellensittiche. Doch Horst war etwas völlig anderes! Der passierte in ihrem Singledasein. Aha, also in den ersten zwölf Singlestunden. Das ist OK. Nun war er regelrecht wütend, wollte ihr erklären, dass er sie liebte, es gar nichts bedeutet hat und er sie über alles liebte. Horst sollte erst als Trumpfkarte ausgespielt werden. Er öffnete seine Wohnungstür, rutschte aus und fiel auf den Hinterkopf. Als er wieder zu sich kam sah er Grund dafür neben seinen Füßen liegen. Der Verlobungsring. Das sah sehr endgültig aus.

Eine Woche blieben seine Rollläden geschlossen, das Leergut auf dem Balkon. Sie meldete sich nicht. Er sich auch nicht. Die Angst vor Horst und Konsorten war zu groß. Sein bester Freund sah dann wohl seine Chance gekommen und klingelte ihn aus seiner Lethargie. „Hör zu, Kollege. Das war jetzt nicht das erste Mal, dass sie dich verlässt. Die Bitch sieht dich als Spielzeug und hatte nur Schiss nichts besseres abzukriegen. Glaub doch mal den Menschen um dich herum!“ Das hatte er noch nie getan. Seine Liebe als Oberluder der Nation. Er als dummes Spielzeug. Nee! Betrunken ließ sein Kumpel dann Stunden später von ihm ab. Er hatte schließlich allen guten Ratschlägen jahrelang widerstanden.

Auch Wochen später verweilte er in seiner Opferrolle und ignorierte jede Form von Leben in seiner Vegetation. Ein Telefonat traute er sich dann doch noch zu. Versöhnung? Nein! Rituale konnte sie noch nie ausstehen. Sie heiratete einen Geldsack am Tag ihrer geplanten Hochzeit. Nicht ihn, nicht Horst.

 

Hi HGD,
die eine darf, der andere nicht?
Eine stets neu gestellte Frage. Eine Geschichte, wie sie jeden Tag tausendfach passiert.
Deine Dialoge gefallen mir und auch die Gefühle, die Du beschreibst. Deine Charaktere sind mir etwas zu unscheinbar, da man kaum etwas über sie erfährt. Ansonsten eine schöne Geschichte.
Den Schluß habe ich zwar verstanden, aber nicht diesen Satz:

Auch Wochen später verweilte er in seiner Opferrolle und ignorierte jede Form von Leben in seiner Vegetation.
Soll das heissen, dass er nun zwischen seinen Alpenveilchen sitzt und sich selbst bedauert? :confused:
(Vegetation, die;-, -en = Planzenwelt, -wuchs) :D

Bis denn
Liebe Grüße, die Kürbiselfe Susie :)

 

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