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Vergeblicher Brief

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28.08.2004
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Vergeblicher Brief

Vergeblicher Brief an die Vergangenheit

Leise, lieber Stift, leise! Bändige die Lautstärke deines Kratzens auf dem Papier. Ich weiß, dass es schlechtes Papier ist, dass du besseres gewohnt bist, aber in meiner jetzigen Situation kann ich dir kein elegantes weißes Papier bieten, sondern eben nur dieses harte Papier, dass ich aus dem Gemeinschaftsbaderaum geklaut habe. Leise! Der Wächter, der draußen seine nächtliche Runde macht, darf dich nicht hören. Schreiben ist verboten, denn Tote schreiben nicht. Und alle Gefangenen hier sind schon offiziell tot, obwohl sie es erst in einigen Tagen sein werden. Und ich weiß, lieber Stift, auch der Inhalt, den du aufs Papier bringen sollst, behagt dir nicht sonderlich. In früheren glücklicheren Zeiten durftest du poetische Liebesschwüre aufs das Weiße zaubern. Voller Schwung hast du diese Aufgabe jedes Mal zu meiner vollsten Zufriedenheit erledigt. Aber damals waren wir in Freiheit – und ich hatte die Wahl, über was ich schreiben möchte. Nun bin ich gefangen und dem Tode geweiht und ich muss über die Gründe schreiben, die mich in diese Situation brachten.

Ach, wie schön die Freiheit ist weiß nur der Gefangene ohne Aussicht auf Entlassung.
Wie schön ist doch die Welt. Früher liebte ich es, nachts die Sterne zu beobachten, in die Endlosigkeit des Universums zu blicken. Und nun ist das Gefängnis mein Universum, jede Zelle ist ein Planet mit einem einzigen Bewohner, die trüben Lampen auf dem Gang sind meine Sterne.

Dieser Brief ist an die Vergangenheit gerichtet, an diese barbarische Zeit, in der Menschen in überfüllten Gefängnissen gelagert wurden statt…aber ich greife vor, setze einen Leser aus meiner eigenen Zeit voraus, der sich für meinen Brief, auch wenn er ihn besser verstehen könnte, allerdings niemals interessieren würde. Aber wie könnte ein Brief in die Vergangenheit gelangen? Vergeblich ist diese Hoffnung. Ich glaube nicht, dass solche, von vielen Schriftstellern geäußerten, Visionen jemals Wirklichkeit werden. Niemals werden Menschen in der Zeit reisen können, weder vorwärts noch rückwärts. Also: warum schreibe ich überhaupt? Wahrscheinlich weil diese vergebliche Hoffnung das einzige ist, das mich am Leben erhält.

Aber ich muss mir einreden, dass es möglich ist. Und so muss ich auch schreiben. Ich muss dem Empfänger, der in der Vergangenheit lebt unsere Welt erklären.
Doch mir bleibt nicht viel Zeit und nicht viel Raum. Ich kann weder auf alles eingehen, noch meine eigene Geschichte detailreich erzählen. Mein Urteil wird bald vollstreckt und ich habe nicht viel Papier. In wenigen Sätzen werde ich mich auf die Umstände beschränken müssen, die mich hier in das Gefängnis brachten – alles andere ist unwichtig. Obwohl ich soviel noch gerne sagen würde. Wie gern würde ich mich unsterblich machen, indem ich mein ganzes Leben auf Papier banne. Sonnenuntergänge, Küsse, Liebesnächte (ach Johanna – ich weiß, du verachtest mich Verbrecher jetzt, aber ich liebe dich noch immer)– aber von Romantik soll hier nicht die Rede sein. Nur von einigen nackte Tatsachen.

Gegenwärtig wird in meinem Land und in vielen anderen Ländern des Erdballs jeder Verbrecher mit dem Tod bestraft. Die Todesstrafe gibt es wahrscheinlich schon solange es Menschen gibt. Aber früher wurde sie nur bei Kapitalverbrechen eingesetzt. Heutzutage steht allerdings auf jedes Verbrechen der Tod, mag es so klein sie es will.

Der Trend am Ende des 20.Jahrhundert und zu Beginn des 21.Jahrhunderts ging eigentlich eher dahin, diese grausame Strafe gänzlich abzuschaffen. Ein Land mit dieser Strafe galt als unmodern, zu sehr veralteten Traditionen verhaftet. Heutzutage werden die extremen Länder als mittelalterlich verschrien, die die Todesstrafe nicht benutzen. Zumindest mit Skepsis betrachtet werden solche Länder, die zwar die Todesstrafe verwenden aber nur in Fällen wie Mord, es werden also Unterscheidungen vorgenommen. Doch solche Schattierungen werden in der heutigen Zeit als obsolet betrachtet. Jedes Verbrechen wird gleich bestraft. Man bestraft die Ausübung des Prinzips „Verbrechen“, nicht ein spezielles Vergehen. Es wird nicht mehr unterschieden zwischen Mord und Totschlag, Mord oder Vergewaltigung – allerdings auch nicht zwischen Mord und Ladendiebstahl. Jedes dieser Vergehen hat dieselbe endgültige Konsequenz, an Resozialisierung ist nicht zu denken.

Die Gleichstellung von Vergewaltigung und kleineren Verbrechen wie z.B. Mundraub mag seltsam anmuten. Allerdings muß ich dazusagen, dass es so etwas wie Verbrechen, die Armut als Motiv haben, einfach nicht mehr gibt. Es gibt einfach zuwenig Leute für Armut. Es gibt nur eine verschwindend kleine Anzahl von Arbeitslosen, die unser Sozialsystem, das wahrscheinlich das beste ist, das je existierte, mühelos wieder auffängt.

Nein, ich will die positiven Seiten dieses inhumanen Systems nicht leugnen. Überbevölkerung, überfüllte Gefängnisse, überarbeitete Gerichte – diese Dinge gehörten schon kurz nach der Einführung dieses Systems der Vergangenheit an. Dies waren ja auch die Dinge, die das Faß des Hasses gegen das alte System zum Überlaufen gebracht haben, der Grund, warum man sich für diese Lösung entschieden hat.

Ich will auch nicht verhehlen, dass unsere Gerichte und unsere Polizei hervorragend arbeiten. Aufgrund der wenigen Fälle können sie sich intensiv mit diesen befassen. Gegen unser Gerichtssystem wirken die Gerichte des 20.Jahrhunderts wie Standgerichte. Es wird wohl sehr, sehr selten jemand verurteilt, der eine Tat nicht begangen hat. Selten kann sich jemand ein Schuldiger ein Alibi besorgen, da seine Verwandten und Freunde Angst davor haben, aufgrund eines Meineides dem Tode anheim zu fallen.

Viele gute Seiten hat unser System. Doch wie schon bei anderen Ideologien hat man den Faktor „Mensch“ vergessen. In den Paradiesträumen der Kommunisten kam ja auch niemals ein fauler, egoistischer Mensch vor, der das System ausnutzt.

Durch die Einführung ist ein neuer Menschentypus entstanden. Ich bin einer, aber wohl nicht der erste, dieses Schlages.

Ich habe jemanden umgebracht – ich will es nicht leugnen. Dies ist nicht die Geschichte eines unschuldig Verurteilten. Doch sie, geliebter Leser aus der Vergangenheit, dürfen mich nicht falsch beurteilen. Ich bin schuldig – und doch unschuldig. Ich bin anders als ein Mörder ihrer Zeit, mich trieben andere Gründe. In einer Zeit wie unserer ist ein Gefühl in den Menschen entstanden, das, wenn es auch in ihrer Zeit schon bestand, nun weiter gereift ist. Das Gefühl, durch diese vielen Gesetze in einem diamantenbesetzten Käfig zu vegetieren. Die Welt ist zwar sehr schön, doch frei ist man nicht. Dieses klaustrophobische Gefühl der Gefangenschaft lastet auf den Menschen wie ein riesiges Gewicht. Und dieses Gewicht ist ungleich schwerer, weil es nur eine Strafe für alles gibt, keine Graustufen.

Sie werden sich fragen, warum ich gleich ein Kapitalverbrechen verübt habe?
Wenn die Strafe immer gleich ist, werden auch irgendwann alle Verbrechen moralisch gleich gewertet. Also war es mir egal, ob ich jemanden umbringe oder ein Auto stehle.
Ich habe gemordet um mich für einen Augenblick meines Lebens als freier Mensch zu fühlen, einmal frei atmen zu können, ohne diese unendliche Schwere die mich herunterdrückt.
Wen ich umgebracht habe ist unwichtig. Er war weder Freund, noch Feind. Ich habe für ihn weder Liebe noch Haß empfunden als ich ihm die Waffe an den Kopf hielt. Es war keine Rache, keine Eifersucht im Spiel.

Aber als ich ihn ermordete fühlte ich mich frei. Es war dieses Gefühl von Freiheit, dass ich mir immer erträumt hatte. Nur: es dauerte nicht so lange an wie in meinen kühnen Träumen. Nach wenigen Minuten fühlte ich mich unendlich schuldig. Mein lächerlicher Fluchtversuch wurde nach wenigen Tagen von der Polizei beendet. Dies war aber keine Überraschung für mich sondern unausweichliche Folge. Mir war schon beim Töten des Mannes klar gewesen, dass ich Freiheit nur für diesen kurzen Moment der Tat verspüren werde- danach nie wieder. Es war ein Pakt mit dem Teufel, eine Liebesnacht mit einer schwarzen Witwe.

Ich richte meinen Brief an Sie, Leser der Vergangenheit, in der Hoffnung, dass sie versuchen werden, die Entwicklung, die zu unserem Strafsystem geführt zu stoppen versuchen. Wahrscheinlich werden sie keinen Erfolg haben, der Fels den sie mühsam hoch rollen, wird zurückrollen und sie unter sich begraben. Aber versuchen sie es bitte, wehren sie sich. Ich glaube so wie ich werden in naher Zukunft noch viele denken, viele werden sich in der Falle dieses Systems fühlen und werden versuchen auf ähnliche Art und Weise aus diesem diamantenbesetzten Käfig zu entkommen. Die Gesellschaft wird sich selbst verschlingen wie eine Schlange die ihren eigenen Schwanz für ein fremdes Tier hält. Sie tötet, um das Töten zu bestrafen, das doch nur aus ihrem stetigen Töten resultiert.

Bitte, lieber Leser, beachte diese Warnung. Es ist die Warnung eines Mörders. Doch dadurch verliert sie nicht, nein, dadurch gewinnt sie an Eindringlichkeit.

Schritte erklingen auf dem Gang des beinahe leeren Gefängnisses. Sie kommen.

 
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Hallo fabianch,

und wieder mal: SHOW DONT TELL! Auch wenn du versucht hast, einen Kunstgriff anzuwenden, der in letzter Konsequenz absolut unlogisch ist, denn niemand - und sei er auch noch so verrückt oder verzweifelt - würde ernsthaft ein Gesuch an die Vergangenheit schreiben. Klar, ich verstehe die Idee dahinter, Ein Mensch aus der Zukunft schreibt uns Lesern, aber wie gesagt, das funktioniert von der Logik her nicht.

Also keine Handlung, obwohl zwei gute Ideen drinstecken, die man in einem Plot verarbeiten könnte:

1) Wenn alles mit dem Tode bestraft wird, kann man ja auch töten, nachdem man einen Lolly geklaut hat. Tot ist tot. :thumbsup:

2) Keiner hilft dem anderen, denn auch sie würden den Tod riskieren.

Da kann man einiges draus machen, Stichpunkte wären soziale Gefühlskälte, Paranoia BLOSS nichts falsches zu machen etc. pp.

Fazit: wieder ein Bericht ohne Spannung, in sich unlogisch. Aber gute Ideen, die zu einer interessanten Geschichte, einem interessanten Szenario taugen würden.

Grüße

Dante_1

P.S.: Wenn er so wenig Platz auf dem Papier hat, warum verschwendet er dann soviel davon, um zu erklären, warum er dies und das eben nicht schreiben kann??? :dozey:

P.P.S: Und das kommt mir irgendwie bekannt vor: ;)

diamantenbesetzten Käfig zu vegetieren. Die Welt ist zwar sehr schön, doch frei ist man nicht.

 

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