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Verlassen
Die Wolken schmiegen sich an die grünen Hügel des Tals, wie die Soldatenbraut sich an ihren Geliebten schmiegt in der letzten Nacht, bevor er in den Krieg zieht, als Held für sein Vaterland und nicht wiederkehren wird.
Und tief unten im Tal schmiegt auch sie sich an ihren Liebsten, bittet ihn zu bleiben, fleht, weint, schreit.
Doch als hörte er sie nicht schreitet er unbeirrt den schmalen Pfad entlang, dreht sich nicht um, senkt nicht den Kopf.
Erhobenen Hauptes kehrt er ihr den Rücken. Und sie, sie bricht zusammen.
Er hatte sie besessen, hatte sie beherrscht, sie war sein. Und nun hatte sie nichts mehr für das es sich zu leben lohnte.
Er, er würde neue Frauen haben. Er würde sie beherrschen und besitzen. So war er. Er erschlich sich ihr Vertrauen, dann ihre Liebe, und dann machte er sie abhängig von sich. Und wenn sie nichts mehr hatten, was sie ihm geben konnten, als ihren Körper, wenn er ihren Willen besaß, dann war er satt. Sie hatten ihren Reiz für ihn verloren, waren nur noch leere Hüllen, leere Körper. Schöne Körper allesamt, doch leer. Und er verließ sie, auf der Suche nach neuem, frischem Leben.
Dann wanderte er fort, hörte sie nicht weinen und schreien, nicht klagen, nicht drohen. Er schritt stetig hinfort. Er kannte kein schlechtes Gewissen. Er hatte sie geliebt, mit jeder Faser seines Körpers, mit allem was er war. Und seine Liebe hatte sie zerstört, doch das war nicht seine Schuld.
Immer wieder wollten sie hören, dass er sie wirklich liebe. Und immer wieder konnte er ihnen dies aufrichtig bestätigen. Doch auch die Liebe lässt nach, wenn es nichts mehr gibt zu lieben.
Und so läuft er auch heute durch den tiefen Wald. Sucht nach einer Frau, nach einem Mädchen, dass er lieben wird. Vielleicht einen Tag, vielleicht einen Monat, vielleicht ein Jahr.
Bei aufgehender Sonne erreicht er ein neues Dorf. Klein und beschaulich liegt es vor ihm. Er durchschreitet das hölzerne Tor und spaziert über den Markt.
Dort herrscht schon geselliges Treiben. Die fleißigen Kleinbürger bauen ihr Verkaufsstände auf. Der Bäcker bestäubt seine Brote mit Mehl, der Metzger hängt seine Wurstwaren aus und der Blumenhändler steckt herrliche Sträuße.
Da sieht er sie. Schon von weiten bemerkt er sie.
Ihr kurzes helles Haar ist zerzaust, ihre Kleidung die eines Jungen und er will schon wieder wegsehen, denn das ist kein Mädchen für ihn. Nein. Er sucht die vollbusigen, die kräftigen, aber zerbrechlichen Mädchen. Sie wirkt so dürr in ihren viel zu großen Knabenkleidern, und so wenig weiblich mit ihrem kurzen Haar und ihrem forschen Gang.
Doch er kann seine Augen nicht von ihr lassen. Etwas an ihr hält seinen Blick gefangen. Und wenn es nur die Neugier ist, die wissen will wie sie wohl von vorne aussähe.
Und sein Zögern wird belohnt, sie dreht sich in seine Richtung.
Das blonde Haar fällt ihr strähnig ins Gesicht. Ihr Antlitz ist von seltsamer Schönheit.
Ihre vollen, geschwungenen Lippen verleihen ihm einen wunderbar zarten und weichen Ausdruck, doch ihr kantiges, Gesicht scheint nicht dazu zu passen. Ihre Augen sind von einem warmen Rehbraun, ihre Nase gerade und ihre Haut schimmert in einem warmen Bronzeton. Ihr Hals, lang und schlank, sitzt auf geraden, starken Schultern. Ihr Dekolletee ist nur zu erahnen, und obwohl sie keineswegs vollbusig ist, durchläuft ihn bei dem Gedanke an ihre verdeckte Brust ein wohliges Schaudern.
Sie ist von schlanker Gestalt, hat schmale Hüften, doch keineswegs wirkt sie schwach.
Einen einzigen flüchtigen Blick kann er erhaschen. Und dieser Blick, der so warm und gütig war, lässt ihn erneut schaudern. So wenig sie sich wie eine junge Frau bewegt, so sehr hat sie die Augen einer solchen.
So steht er da. Verträumt blickt er ins Leere.
Doch er wird jäh aus seinen Gedanken gerissen.
"Warum starrst du mich so an? Denkst du ich bin blind, dass ich das nicht merke? Wohl noch nie ein Mädchen gesehen, was?"
"Ich, es tut mir leid, ich wollte nicht", fängt er an zu stottern, überrascht, wie barsch diese junge Frau mit einem Mann spricht.
Doch nach einer kurzen Zeit, die er braucht um wieder zu sich zu kommen, setz er sein Lächeln auf. Sein Lächeln mit dem er sie alle verführte.
"Was gibt es da so dumm zu grinsen?"
Er meint sich verhört zu haben. Er weiß dass er sich verhört haben muss. Doch gerade als er ihr sagen will, sie sei ein so hübsches Mädchen, läuft sie davon, ohne sich umzusehen.
Ungläubig starrt er ihr nach. Sie dreht sich nicht ein einziges Mal um.
Kopfschüttelnd geht nun auch er fort, auf der Suche nach einem bessern Mädchen. Dort vorne steht eine vollbusige Rothaarige, er lächelt und nickt ihr zu und sieht in ihren Augen, wie sie schon zu schmelzen beginnt. Wieder so selbstsicher wie immer schlendert er weiter, grüßt hier und zwinkerte da, und scheint die Geheimnisvolle schon vergessen zu haben. Doch plötzlich marschiert sie weit vor ihm in einer engen Gasse, zielstrebig und sicher.
Und als könne er nicht anders läuft er ihr hinterher. Er. Ihr.
Sie verlangsamt ihren Schritt, bis sie endgültig stehen bleibt.
Sie reißt den Kopf herum und starrt ihn an. Kneift ihre braunen Augen zusammen, runzelt die Stirn. Doch das Funkeln in ihrem Augenpaar ist warm und macht es ihr unmöglich wirklich böse auszusehen. Er schmunzelt.
"Was..."
Doch er unterbricht sie.
"Schscht", macht er und ist ihr so nahe, dass er ihr den Finger über die Lippen hätte legen können.
Dann sieht er ihr in die Augen, wie er es schon so oft getan hatte. Tief in ihre Augen. Als wolle er in sie hineinsehen.
Doch sie scheint ihr Inneres gut verwahrt zu haben. Mehr noch, sie scheint sein Inneres zu sehen. Und dann schmunzelt sie.
Ihr Schmunzeln wird zu einem Lächeln, und sie entblößt ihre weißen Zähne und ihr helles Zahnfleisch. Er sieht weg. Doch nur ganz kurz, denn er will diesen Anblick, dieses Lächeln nicht verpassen.
Doch so unerwartet ihr Lachen kam, so unverhofft verschwindet es auch wieder.
Sie scheint ihn durchschaut zu haben, scheint gesehen zu haben was für ein Spiel er trieb. Und plötzlich bereut er. Bereut all die Jahre, die er damit verbracht hatte Frauen auszusaugen. Er bereut sie benutzt zu haben und mehr als alles andere bereut er, die Zeit vergeudet zu haben. Bedauert, dieses Mädchen nicht vorher getroffen zu haben. Und ihre wunderschönen braunen Augen und ihr Lächeln hatten ihm ein schlechtes Gewissen gemacht.
Und der Blick, den sie ihm nun zuwirft ist kalt, so kalt wie er noch nie angesehen wurde. Selbst wenn er seine Frauen verließ, schauten sie ihn noch warm an. Verzweifelt, doch warm. Bemüht kalt zu wirken, doch immer noch voller Liebe.
Sie jedoch ist eiskalt. Kein Funken Wärme. Kein Leuchten. Sie hat gesehen was er getan hatte. Und sie verabscheut ihn dafür.
Doch noch gibt er die Hoffnung nicht auf. Er muss diese Mädchen haben. Er würde sie nicht verlassen. Nicht sie. Nein. Sie hatte so viel Energie, so viel Leben in sich, nie würde er sie aussaugen können, nie satt an ihr werden. Er würde ihrer nie müde werden, ihr Lächeln würde immer neu und schön für ihn sein.
"Ich würde dich nie verlassen", bricht es aus ihm heraus und Verzweiflung schwingt in seiner Stimme mit.
"Ich würde dich nie verlassen", wiederholt er und spricht damit aus tiefstem Herzen.
"Ich würde dich nie verlassen", weint er nun.
Und er sieht, wie die Kälte aus ihren Augen weicht und langsam ihr warmes Glänzen wiederkehrt. Sie neigt den Kopf und lächelt ihn zart an.
"Nein, du würdest mich nie verlassen", spricht sie ihm nach.
Hoffnung durchströmt seinen Körper.
"Nein, das würdest du nicht. Aber du würdest an mir zugrunde gehen. So wie all die Frauen an dir zerbrachen wirst du an mir zerbrechen. Und dann werde ich dich verlassen, und du wirst nichts sein, als eine leere Hülle, ein schöner Körper ohne Geist und Willen".
"Ich werde dich nicht verlassen", fleht er sie an.
"Nein, das wirst du nicht".
"Ich bin bereit alles für dich zu geben. Bitte, liebe mich".
"Ich liebte dich schon als ich dich sah, und es macht mich traurig dich so zu sehen. Ich will dich nicht zerstören, geh fort".
"Du kannst mich nicht zerstören, du bist alles was ich will", spricht er und fällt vor ihr auf die Knie.
Und sie bückt sich und hilft ihm auf. Sie küsst ihn. Sie schlendern zu zweit die lange Gasse entlang, Hand in Hand.
Doch sie immer einen Schritt schneller als er.
Sie verbrachten eine Nacht zusammen, und nie hatte er sich so gut gefühlt.
Als er am Morgen erwacht sieht er, wie sie sich ihr weites Hemd überwirft. Wie der Stoff über ihre Hüften fällt, ihren zarten Körper wieder verhüllt.
Dann ohne sich umzusehen, als hörte sie ihn nicht schreitet sie unbeirrt die schmale Gasse entlang, dreht sich nicht um, senkt nicht den Kopf. Erhobenen Hauptes kehrt sie ihm den Rücken. Und er, er bricht zusammen.