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Vom Anspruch der guten Arbeit

Monster-WG
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10.07.2019
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Vom Anspruch der guten Arbeit

Vierzig Jahre Erwerbsarbeit kratzen auf Haut und im Rachen. Betriebe verschwinden, an vierzig Jahre erinnert der Lebenslauf in grauen Narben. Sie ignoriert das Brennen, der vernarbte Körper fleht, aber sie stampft: Ich kann das, von nix kommt nix, ich mache was!
Dritter Stock, endlich.
Sie schließt die Tür zum Klienten auf. Der Klient hockt in einer Masse Körper und murrt zur Begrüßung, ehe er sich Zigaretten und Fototrödel zuwendet.
Sie schaut in den Fernseher.
„Ja, das gucke ich auch gerne“, ächzt sie. „Würden Sie das kaufen?“
„Nö“, beendet er das Gespräch.
"Nie Fotos gemacht?"
"Nö."
Sie streicht und schneidet ihm die Schnitten klein. Sie hat in vierzig Jahren gelernt: Die kleinere Seite auf den Teller, die größere nach oben, dann zügig einen Schnitt kopfoben ansetzen und in einem-einzigen-Zug um das Brotinnere. Mit einer lockeren Ellenbogenbewegung das Messer an die Butter streifen und in einer einzigen kreiselnden Bewegung über das Brot streichen lassen.
Mit Hackepeter aus dem Glas ähnlich verfahren. Lockerer Ellenbogen, auch wenn er Schmerzen mag.
Sie betrachtet ihr kleines Werk und spürt etwas Stolz. Sauberschnell gestrichene Schnitte mag sie und bittet den Klienten, Fernsehen zu schauen und einen guten Tag zu wünschen. Der Klient redet selten – sie verlässt die Wohnung in der Pommernstraße 8.

*​
Der erste lohnfreie Monat hat genagt, der zweite hat gefressen und die Vermietung hat gefragt, ob etwas mit der Arbeit nicht stimme.
Der dritte lohnlose Monat hat gezwungen, im vierten hat die Sonne so schön vom Himmel geschienen. Manchmal hat sie auf dem Weg zur Arbeit die jungen Menschen gesehen, ausnüchtern, in feierfreier Stunde gegen fünf, auf den Stufen zum teuren Spätkauf und sie haben sie gegrüßt, aus einer Laune erzogener Höflichkeit.
„Hallo!“
„Hallo, muss weiter, ja?“
Nach Aufbruch der Reserve hat die Wohnungsbau-Genossenschaft einen Mietrückstand angeschrieben. Sie hat dem Betrieb gekündigt: „Ich muss ja zahlen, alles, ja, weil sonst geht das nicht“ und den Betrieb gewechselt. Die alte Chefin hat „Schade, aber viel Glück“, gesagt und sich dem Tagesplan zugewandt.
„Unbedingt klagen. Das geht gar nicht. Du musst klagen...“, hatten die neuen Kolleginnen gesagt und Kaffeeweißer in den Kaffee eingerührt. Und sie hat eine warme, süße Solidarität gespürt, einen positiven Kontaktmoment, wie die Kolleginnen sagen.
„Das ist ein echtes Biest, diese Frau, die ist schlimm, ja und auch, ich habe das ganze Ersparte verbraucht für drei Monate Miete, ja, und -“
„Ja, das erzählt jeder in der Stadt. Die sind schlimm.“
An diesem Abend hat sie sich gefragt, ob sie einen der Studenten am Späti ansprechen solle, so Jura eben, so Ideen, so eine Gesamteinschätzung der Gesamtsituation. In zehn Tagen bekäme sie den ersten Lohn des neuen Betriebs, präzise 1147 netto Grundgehalt plus Zuschläge für die Doppelschichten des Wochenendes. Sie hat sich am Geländer nicht festgehalten und hat frei von der Alfred-Kästner-Straße dreizehn einer aufstrebenden Großstadt gestanden.
„Ich arbeite, so. Von nix kommt nix. Ich bin die Kerstin, ich mache was.“

*​

In der Wohnung der Pommernstraße 8 macht sie HWS. Eingerichtet in spartanischer Demenzfreundlichkeit sitzt der Klient vor einem Fernsehgerät und kommentiert ihre Handlungen mit einem „Mmmh“, das dem Programmangebot (Silbertrödel im Wasserwerk) ebenso gelten könnte: Der Klient redet, oh wunder. Sie wählt einen Limetten-Chlorreiniger für die Badfliesen (mittleres Preissegment) und einen General-Bergfrühling für das Fake-Limitat (mittleres Preissegment). Den beutellosen Staubsauger leert sie in drei Sekunden, das Entstauben einer Gruppe Glasflamingos berechnet sie auf zwölf Sekunden, mit Staubwedel-Wechsel zwanzig. Sie schreibt abkürzend in die Akte „Kleine HO“ und wünscht einen schönen Tag. Sie will abrasen, doch:
„Viel Glück“, knurrt der Klient.
„Wie?“
„Viel Glück für den Prozess heute.“
„Ach so, woher wissen Sie denn davon? Also, das.“
„In Deutschland arbeitet man für Lohn, das geht gar nicht, was die mit Dir gemacht haben. Deutsches Arbeitsrecht. Bei Sonne, wa'?“
„Ja, bei Firma Sonne war das, die Frau, die ist ein Biest und -“
„Gut, dass du klagst. Die ist schlimm.“
Er wendet sich Silbertrödel aus dem 18. Jahrhundert zu, der auf eintausenddreihundert Euro geschätzt wird.

*​

Justitia nimmt die Augenbinde ab und prüft die Effizienz des Tagesplans. Zwanzig Minuten pro Verhandlung, die in acht Gerichtssälen stattfinden. Das Justizzentrum im Auenblick siebzehn bis fünfundzwanzig entstand für Akten und Ansprüche, also Glas und Beton samt Platz statt Eichenholz und Kreuzgewölbe samt Innenstadt.
„Ein modernes Land braucht eine moderne Justiz.“
„Der Rechtsstaat greift nicht durch, wenn Windows ein Update vorsieht.“
Justitia setzt die Augenbinde wieder auf.
Es riecht nach Zitronen-Chlorreiniger, sie merkt das, das muss der ganz billige aus dem Großhandel sein, den gibt es auch in Orange und sehr neu, in Holunder, aber alles Mist ist es trotzdem, so ein billiger Mist. Sie zupft ihre Malven-Bluse glatt, frisch textilgereinigt für zehn Euro siebzehn, denn vor einer Frau Doktor Richterin gebot der Respekt eine anständige Malven-Bluse. Die Blumen leuchteten nicht mehr. Sie haben Ende der Nullerjahre an Leuchtkraft verloren.
„Aber ich bin die Kerstin, ich mache jetzt was.“
Mit einer Atem-Technik aus dem Fernsehen beruhigt sie sich: Vier Mal lang, zwei Mal kurz, das machen auch die Tierpfleger im Leipziger Zoo, das hat sie gesehen, wenn sie dem Biest entgegentritt, vier Mal lang, zwei Mal kurz, das machen die Tierpfleger im Leipziger Zoo.

*​
Die Richterin:
„Sie sind 55 Jahre alt und haben eine Ausbildung zur, Moment, ist die Bezeichnung richtig: Facharbeiterin zur Obst- und Gemüseverarbeitung, Konserven, abgeschlossen. Sie arbeiteten in der Firma Sonne drei Jahre. Sie klagen auf Lohnzahlung der letzten fünf Monate. Sie arbeiten als Pflegehilfskraft ohne Ausbildung im Gesundheitswesen bei einem anderen Pflegedienst, richtig?“
„Ja, also, da muss ich sagen, dass ich keine Reserven, also, die habe ich aufgebraucht, deutsches Arbeitsrecht und, insgesamt, Frau Ri-, Frau Doktor“
Die Richterin dankt und fragt ihre alte Chefin, ob die ehemalige Arbeitnehmerin keinen Lohn erhalten habe. Die alte Chefin verweist auf einen Kfz-Schaden, der nicht ordnungsgemäß gemeldet worden sei.
„Stoßstange. Wie immer.“
Und dann das Hastige. Das Durchmogeln. Das Nur-auf-Zeit-Denken bei einem Pflegedienst, das Unfreundliche gegen die Klienten, die bald sterben müssen oder wollen, die so hohen Standards der Firma Sonne, die sie nie einhielt. Nie!
„Das stimmt nicht!“, haspelt sie: „Ich habe nie einen Schaden gefahren, und davon, davon haben Sie erst drei Monate später berichtet! Das war im Juli und außerdem -“
Die Richterin dankt und fragt die alte Chefin:
„Wann wurden der Schaden festgestellt?“
„Am 18. Juli 2018.“
„Und seit dem 31. März 2018 wurde kein Lohn gezahlt? Das heißt, der Schaden fiel erst vier Monate später auf? Sie begründen das Nicht-Auszahlen des Lohns mit diesem Schaden?
Die alte Chefin schweigt.
„Ich meine, Sie haben, wenn ich das richtig lese, vier Dienstfahrzeuge im Pflegedienst und der Schaden an der Stoßstange scheint beträchtlich zu sein. Das muss doch in vier Monaten einer Pflegedienstleitung auffallen? Und die Autos rotieren doch durch, wie es bei ambulanten Pflegediensten üblich ist?“
Die alte Chefin schweigt.
„Sie räumen also ein, keinen Lohn gezahlt zu haben?“
„Der Schaden ist nicht gemeldet worden...“, antwortet der Anwalt.
Die alte Chefin schweigt
„Gut“, seufzt die Richterin. „Gut, bis wann bestand ein Arbeitsverhältnis?“
„Bis zum 31. Juli 2018.“, antwortet der Anwalt.
„Muss ich darauf hinweisen, dass das Arbeitsrecht eine Vielzahl an Sanktionsinstrumenten bereithält? Lohnverweigerung aber explizit nicht dazu gehört?“
„Der Schaden ist nicht ordnungs- und dienstvorschriftsgemäß gemeldet worden.“, antwortet der Anwalt.
„Der Schaden ist nicht ordnungs- und dienstvorschriftsgemäß gemeldet worden...“, ergänzt die alte Chefin leise, hält den Blick zur Richterin nicht und streicht das glatte Aktenpapier glatter.
Die Richterin dankt nicht. Sie sagt, der Fall sei klar. Man solle die moderne Justiz eines modernen Landes nicht mit so einem Schnickschnack aufhalten, ja, sie benutzt das Wort Schnickschnack und fragt, ob irgendwer etwas zu sagen habe.
Sie drückt den Rücken durch, denn eine Frau Doktor Richterin gebietet Respekt. Vielleicht leuchten ja die Malven heller vor der alten Chefin.

*​

Sie bricht das Frühstück, eine Schnitte mit Hackepeter und fragt, ob Recht haben sich so anfühle, mit Brechen in einer zitronen-chlorgereinigten Toilette eines Justizzentrums.
In der Nachbarkabine schlägt der Deckel gegen die Wandfliesen. Sie hört das Abstreifen der Stoffhose nicht und würgt erste bittere Galle aus.
„Wir gehen in Berufung. Ist der Kühlschrank noch voll? Sind Sie flüssig? Oder Rotkreuzkaufhaus?“
„Was soll das?“, keucht sie leise.
„Wir gehen in Berufung, Landesarbeitsgericht. Das dauert, vielleicht ein halbes Jahr bis zur nächsten Runde.
Sechs. Monate.
Das Urteil ist nicht korrekt, das ist falsch. Mit 55 Jahren haben Sie Reserven, oder?
Er-spar-tes.“
„Aber, ich dachte, ich habe gewonnen, und ja, also?“
„Wir machen Ihnen ein Angebot. Vergleich, Mein Anwalt und ich. Sie erhalten zwei Monatslöhne und der Rest wird auf den von Ihnen verursachten Kfz-Schaden aufgerechnet.
Es schläft sich besser mit vollem Kühlschrank.
Und die Miete können Sie auch zahlen, ich kenne Ihren Vermieter aus der Wohnungsbau-Genossenschaft.“
Die alte Chefin betätigt die Spülung und verlässt die Nachbarkabine. Auf das Waschbecken legt sie einen Zwanzig-Euro-Schein. Sie hat auch auf Toilette gemusst.

*​

Das ewige Fernsehen versucht sie in einen warmen Kokon einzuweben. Sie zittert bei der Prüfung ihrer Post auf Rechnungen oder Mahnungen und sortiert Werbung und Wahlbenachrichtigung aus. Ein Brief der Wohnungsbau-Genossenschaft sagt: Zahle den Mietrückstand oder wir drohen mit fristloser Kündigung, Räumungsklage und sehr viel Stress.
Eine Tochter verzeiht ihrer Mutter aus Suff-Suff. Den aggressivaffinen Ex-Freund panzert die Polizei ein. Aller Streit endet im Happy-End und die Bösen verschwinden zur Werbepause. Sie lässt das Fernsehgerät angeschaltet.
Eigentlich hatte die alte Chefin ja Recht. Warum hatte sie ihr Dienstauto dem neuen Kollegen überlassen? Der gar keinen gültigen Führerschein besaß? Der Autofahren irgendwo im Hinterland gelernt hat? Zack, Delle in der Stoßstange.
Sie geht zum französischen Balkon und blickt. In der Abenddämmerung einer aufstrebenden Großstadt rauchen die jungen Menschen ihre Zigaretten selbstgedreht. Kleine rote Punkte glühen auf, wie Glühwürmchen auf irritierender Suche nach Zweisamkeit. Sie stützt sich auf das Geländer der Alfred-Kästner-Straße dreizehn ab, fünftes Stockwerk.
Ist das elend.
Ist. Das. Alles. Elend.
Zur halben Zigarette schreibt sie ihrer alten Chefin per Whats-App, sie nehme das Angebot an.
„Vielen Dank Kerstin, dass Sie Ihrer Verantwortung bewusst werden“ antwortet die alte Chefin sofort.
Sauberschnell gesetzte Schnitte mag sie. Das hat sie in vierzig Jahre gelernt. Sie raucht und sendet einen Signalpunkt an den Sonnenuntergang.
Nach Abzug der Mietrückstände, Stadtwerke-Mahnungen und Gebühreneinzugszentrale steht ihr ein geringer Geldbetrag für den kommenden Monat zur Verfügung.

*​

Mit 140km/h fährt der Express an Weinreben vorbei. Die Endstation Talca wurde bei dem Erdbeben von 2010 schwer beschädigt, ihr Verbleib als Kulturdenkmal oder Bahnhof oder beides bleibt unklar.
„Wie war der Prozess?“, fragt der Klient und nimmt die Schnitte entgegen.
„Wie, was, wie war der Prozess? Ja, ich habe gewonnen.“
„Na, ist doch gut.“
„Nee, die gehen in Berufung. Ja, das schaffe ich nicht, so lange. Ich meine, sechs Monate, nein, das schaffe ich nicht. Ich bin 55, ich schaffe das nicht.“
„Ich finde mein Brot nicht!“
„Wie, woher soll ich das wissen?“
„Wo ist mein Brot, du Kerstin!“
Talca ist der Umsteigepunkt zur einzigen Meterspur-Bahn Chiles, die nach Constitución an die Pazifikküste führt – entlang des berühmten Rio Maules, einem bekannten Weinanbaugebiet.
„Ich hab' gesehen, wie du Brot und Hackepeter klaust!“
„Ich?“
„Ich bin nicht so dumm, du Kerstin, ja? Ich bin nicht so dumm, wie die sagen! Die Ärzte und meine Dreckstochter! Die kennt euch, dieses Miststück.“
Sicherlich, Pablo Neruda hätte seine Unterschrift zum Verbleib der Bahn gesetzt. Dreißigtausend Menschen unterzeichneten eine Petition zum Erhalt der Bahn nach dem Erdbeben, mit Erfolg: Der Schienenbus fährt weiter und ist Teil der Seele der Maulinos geworden. Er verbindet viele abgelegene Siedlungen, in denen Menschen wie Oscar Gonzalez leben, Weichenwärter an der Kreuzungsstelle der Bahn.
„Und mein Geld fehlt auch, zwanzig Euro, du dumme Kuh, wo ist das?“
Oscar Gonzalez isst ein typisches Gericht Chiles, bistec a lo pobre, nach Art der Armen. So arm ist das Gericht nicht: Zu Pommes wird ein Spiegelei und ein Stück Fleisch gereicht. Seit vierzig Jahren arbeitet Oscar Gonzalez für die Bahn. "Der Arme isst, wenn er essen kann. Der Reiche isst wenig und kümmert sich um seine Gesundheit. So ist das, der Arme isst, wenn er essen kann und wenn nicht, dann isst er nicht."

*​

Auf dem nackten Körper sammeln sich die Furchen vierzigjähriger Erwerbsarbeit. Die Narben vom Weinessig ihrer Ausbildung verheilen nie. Die Ernährungsweise a lo pobre strengt Leber, Galle und Magen an. In der Ein-Raum-Wohnung einer aufstrebenden Großstadt steige der Mietendruck, skandieren die Studenten-Demonstranten vor dem Späti und halten Plakate in die Höh'.
Das stumme Blaulicht der Polizei beruhigt sie.
Sie berührt das Hämatom an der linken Schulter mit der Gelassenheit aus fünfundfünfzig Jahren Menscherfahrung. Das Fernsehgerät lässt sie ausgeschaltet, das Smartphone ebenso, die Chefin fragte ständig, wie es ihr gehe, dass das gar nicht ginge, dass dem Klienten der Pflegevertrag gekündigt worden sei.
Ihr überfärbtes Haar hat erste graue Streifen, die das Muster des Ellenbogens spiegeln. Sie hinkt an den französischen Balkon, zieht eine Zigarette und sagt:
„Ich bin die Kerstin. Von nix kommt nix. Ich mache was.“

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @kiroly

ich habe lange überlegt ob ich etwas schreibe so direkt nach dem Lesen, doch lass mich dir vorab sagen, dass mir diese Geschichte sehr gut gefallen hat. Ich mag die Themen mit denen du dich beschäftigst, und habe auch deine Geschichte "Herr Fischer giert nach Welt", die ja sogar in den Empfehlungen gelandet ist, bereits begeistert gelesen. Du hättest aus diesen beiden Geschichten beinahe eine Serie machen können, da sie rein thematisch so nah beieinander liegen. Aber zuerst was mir so beim Lesen aufgefallen ist: (Habe bestimmt etwas vergessen und nicht explizit nach Fehlern gesucht, sondern nur während dem Lesen markiert)

Betrieben verschwinden, an vierzig Jahre erinnert der Lebenslauf in grauen Narben.

Betriebe verschwinden, oder?

und sie haben sie gegrüßt, aus einer Laune erzogener Höflichkeit.
„Hallo!“
„Hallo, muss weiter, ja?“

Das finde ich irgendwie nicht stimmig. Wenn (wie ich der Geschichte entnehme) höchstwahrscheinlich Betrunkene eine Frau auf dem Weg zur Arbeit grüßen, die zudem noch 55 Jahre alt ist, sagt sie dann tatsächlich "muss weiter, ja?" Waren diese Personen wirklich auf ein Gespräch aus und haben erwartet dass sie stehen bleibt, oder hat sie das gedacht? Auch ich habe schon zu diesen Nachtschwärmern gehört und muss aus eigener Erfahrung sagen.. Nein..

hatten die neue Kolleginnen gesagt

die neuen Kolleginnen

Sie hat sich am Geländer nicht festgehalten und hat frei von der Alfred-Kästner-Straße dreizehn einer aufstrebenden Großstadt gestanden.

Was mit diesem Satz nicht stimmt kann ich gar nicht genau sagen, ich musste ihn mehrmals lesen und verstehe ihn trotzdem nicht.
'Sie [...] hat frei von der Alfred Kästner Straße dreizehn [...] gestanden'
Wie hat sie gestanden? Von was? Vielleicht liegt es auch an mir..

das geht gar nicht, was die mit Dir gemacht haben.

dir klein

Seit vierzig Jahren arbeitet Oscar Gonzalez für die Bahn.Der Arme isst,

Da hat sich ein Komma eingeschlichen, dass dort vermutlich nicht hingehört.

Zu deinem Text:

Der Text ist wunderbar geschrieben. Ich mag es, wie bestimmte Dinge in deinen Texten wieder kehren und sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen. Ich sehe sie bildlich vor mir, die Kerstin, wie sie sich immer und immer wieder selbst sagt dass sie etwas macht - von nix kommt nix! Und wie viele heikle Themen du in deinem Text veranschaulichst. Bürokratieirrsinn, Pflegenotstand, Fachkräftemangel, Justizdschungel, Geldnot, Arbeit im Alter, die miesen Maschen unfaierer Arbeitgeber und und und. Dein Text bringt es auf den Punkt. Und ohne sich bloß kritisch mit den Themen auseinander zu setzen verpackst du sie in die Geschichte einer Frau mit der man fühlen kann, und von der es wahrscheinlich so oder so ähnlich viel zu viele in Deutschland gibt. Ich habe deine Prota wirklich kennen lernen dürfen. Danke dafür!

Eine kleine Sache noch: Der Absatz, indem sie im Haus eines Klienten/Patienten ist und er sie auf die verschwundenen Lebensmittel und das Geld anspricht, der verwirrt mich. Ich habe ihn vor diesem Kommentar ein zweites und drittes mal gelesen und bin erst dann zu dem Entschluss gekommen, dass es sich bei dieser ganzen Zug-Sache wahrscheinlich um das Fernsehprogramm handelt - ist das richtig? Das kam für mich leider irgendwie nicht so ganz an. Ich dachte es wäre Teil er Handlung. Auch das ist wieder sehr subjektiv, hier gibt es bestimmt Füchse die das auf Anhieb verstehen.

Der Text gefällt mir wirklich gut und ich habe ihn gerne gelesen. Irgendwie lässt er mich ein wenig unglücklich zurück, mit der Frage was die Kerstin wohl gerade macht.
Ich freue mich schon auf weitere Geschichten von dir. Hier kommen bestimmt (und hoffentlich) noch weitere Kommentare von erfahrenen Hasen, die dir noch besseres und konstruktives Feedback zu deiner Geschichte geben können. Ich wollte aber nicht gehen, ohne dir ein paar Worte da zu lassen.

Bis zum nächsten Mal und liebe Grüße,
Karamba

 

Hallo @karamba ,

danke für dein Kommentar! Und schön, dass dir der Text, trotz einiger Ungereimtheiten, gefällt.

Oh man, gleich im zweiten Satz so ein blödes "Betrieben", das ärgert mich.

"Sie hat sich am Geländer nicht festgehalten und hat frei von der Alfred-Kästner-Straße dreizehn einer aufstrebenden Großstadt gestanden."

Ja, über diesen Satz stolpere ich auch oft, aber ich ließ ihn trotzdem stehen - sie steht vom französischen Balkon, trotzdem - er klingt seltsam.

So, so viel auf die Schnelle dazu,
Lg
kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

Der erste lohnfreie Monat hat genagt, der zweite hat gefressen und die Vermietung hat gefragt, ob etwas mit der Arbeit nicht stimme.
[...]
Justitia nimmt die Augenbinde ab und prüft die Effizienz des Tagesplans. Zwanzig Minuten pro Verhandlung, die in acht Gerichtssälen stattfinden. Das Justizzentrum im Au[g]enblick siebzehn bis fünfundzwanzig entstand für Akten und Ansprüche, also Glas und Beton samt Platz statt Eichenholz und Kreuzgewölbe samt Innenstadt.
„Ein modernes Land braucht eine moderne Justiz.“
„Der Rechtsstaat greift nicht durch, wenn Windows ein Update vorsieht.“
Justitia setzt die Augenbinde wieder auf.

Da komm ich Glockenschlag 13 (einmal also) und subtropischer Temperatur im Schweiße nicht nur meines Angesichtes ahnungslos vom Theater, setz mich nach einem kleinen Abstecher ins Badezimmer mitsamt der übriggebliebenen und aufgewärmten Mittagspampe von gestern und dem ersten Kaltgetränk versehen (natürlich nur, um die Stirn zu kühlen) aufs Sofa, um meinem täglich Stündchen Internet genau hierorts zu frönen und finde mich in dem ziemlich besten Text der Literatur der Arbeitswelt jenseits nackter Authentizität, wie sie in Polizeiprotokoll oder Gerichtsakte vorkommt, seit lange Zeit wieder –

lieber @kiroly,

wobei mir nicht erst heute einfällt, dass da noch mindestens ein Kommentar zu Deinem außergewöhnlichen Debüt offensteht ...

Ein ziemlich genaues Bild der i. d. T. i. d. R. tariflich nicht abgesicherten privatisierten Pflegewelt, präzise der ambulanten Pflege, für die das Auto ein notwendiges Handwerkszeug ist, ein Geschehen, das aktuell sogar noch gesteigert werden wird (puh, wann hab ich das letzte Mal Futur II verwendet, aber allemal besser als jede unwürdge würde-Konstruktion, hat die Pflege als Ware doch ihre Würde verloren), wenn Spahns Pflegelpläne verwirklicht werden und erst mal Heime gesperrt werden aus statistischen Vorgaben, was wiederum die ambulante Pflegelei steigern wird).

Das wird von Dir haarklein aufgeführt, wie schnell Beschäftigte in der schönen neuen Arbeitswelt in die Bredouille (eigentlich: „Dreck“) und somit in eine Abwärtssprirale geraten können. Dabei hab ich jedoch einen schwachen Punkt vor allem in der Darstellung des Arbeitsgerichtsverfahrens gefunden, wenn es zum Schluss heißt

„Aber, ich dachte, ich habe gewonnen, und ja, also?“
„Wir machen Ihnen ein Angebot. Vergleich, Mein Anwalt und ich. Sie erhalten zwei Monatslöhne und der Rest wird auf den von Ihnen verursachten Kfz-Schaden aufgerechnet.
Es schläft sich besser mit vollem Kühlschrank.
Und die Miete können Sie auch zahlen, ich kenne Ihren Vermieter aus der Wohnungsbau-Genossenschaft.“

Üblicherweise wird ein solcher Vergleich VOR dem eigentlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht versucht mit dem Arbeitsrichter in einer vermittelnden Rolle …

Auf jeden Fall werden mit dem Manchasterkapitalismus (andere sagen „Neoliberalismus“ dazu, obwohl Charles Dickens bereits über dergleichen gesellschaftliche Verhältnisse ohne Automobil, Fluhzeug und moderne Massenmedien erzählt hat) 150 Jahre Arbeiterbewegung in den Sand gesetzt und Demokratie und z. T. Allgemeine Menschenrechte hören hinter Werks- und Verwaltungsmauern auf, zu dessen grundrechtefreien Bezirken auch das Dienstfahrzeug und die Wohnung des Klienten/Kunden gehören. Villt. soll die Chile-Szene/Dokumentation auf die Globalisierung dieser Verhältnisse verweisen ...

Aber mit dem "Wagenverleih" an den jungen Kollegen zeigstu die andere Seite der Medaille: Die fehlende Solidarität unter den Beschäftigten ... Der Organisationsgrad in der Pflege ist relativ gering.

Dass mir Deine trockene Sprache gefällt, muss ich nicht extra betonen.

Betrieben verschwinden, …
nicht vergessen -es wurd schon genannt
Bissken Fluselei, hier beginnend mit dem Hinweis auf das zu streichende n durch meinen Vorredner.

"Nie Fotos gemacht?"
"Nö[./alternativ !]"

Die
Pommernstraße acht
sollte man trotz dieser lierarischen Regel, Zahlen bis zwölf auszuschreiben, mit Ziffer versehen. Oder ist die Hausnummer tatsächlich ausgeschrieben? Die Adresse ist „Pommernstraße 8“ (kommt mindestens noch einmal vor)

Die alte Chefin hat „Schade, aber viel Glück“[,] gesagt und sich dem Tagesplan zugewandt.
„Unbedingt klagen. Das geht gar nicht. Du musst klagen[...]“, hatten die neue Kolleginnen gesagt und Kaffeeweißer in den Kaffee eingerührt.
(die wörtl. Rede endet nur dann bei bloßen Aussagesetzen mit Punkt, wenn kein übergeordnete Satz folgt (gilt nicht für Ausruf, Bitte, Frage – da ist das entsprechende Zeichen vor den auslaufenden Gänsefüßchen anzubringen)

„Das ist ein echtes Biest, diese Frau, die ist schlimm, ja und auch, ich habe das ganze Ersparte verbraucht für drei Monate Miete, ja, und[…]-“
(Leertaste zwischen Gedankenstrich und letztem Wort. Gilt übrigens auch für Auslassungspunkte ...

... und kommentiert ihre Handlungen mit einem „Mmmh“, …
Wie sprichstu dieses dreifache m vor allem das Dehnungs-h aus? Lautschriftlich stünder da – so viele ms verwendet werden und noch‘n paar hs dazu kurz [m:], ein stimmloses, gedehntes „m“

„Das stimmt nicht!“[,] haspelt sie:
„Der Schaden ist nicht gemeldet worden[...]“, antwortet der Anwalt.

Er-spar-tes“
Da musstu selbst entscheiden, welches Abschlusszeichen angemessen ist von den Auslassungspunkten übern Strich oder einem Ausrufezeichen …?

Sie berührt das Hämatom an der linken Schulter mit der Gelassenheit aus fünfundfünfzig Jahren Mensch[en]erfahrung.

Der Hammer ist ja dann eigentlich die Behauptung
„Ich hab' gesehen, wie du Brot und Hackepeter klaust!“
Womit wir in eine ganz andere Geschichte geraten können ...

Sofern ein soches Thema es überhaupt zulässt "gern" gelesen vom

Friedel

 

Hallo @Friedrichard,

unhöflicherweise habe ich mich bisher nicht für deinen Kommentar bedankt, ich schätze deine Anmerkungen sehr.

lg
kiroly

 

Ich hoffe doch, dass wir die (Adels-)"Höfe" weitestgehende abgeschafft haben (sehn wir mal von ab, dass Hohenzollern ihr vermeintliches Eigentum derzeit gegen Gott und den Staat (NRW, stellvertretend für die BRD) zurückholen wollen, wenn auch nicht heim ins Reich. Aber es tut schon ganz gut, wenn man selbst die kleinste Rückmeldung bekommt - wie ja auch der Herr Fischer noch giert ...

Tschüss, danke und bis bald,

Friedel

 

Hallo @kiroly

Oh man, gleich im zweiten Satz so ein blödes "Betrieben", das ärgert mich.
Dann ändere das doch im Text ;)

„Der Rechtsstaat greift nicht durch, wenn Windows ein Update vorsieht.“
Das ist mein Lieblingssatz aus dem Text :)

Was mich etwas gewundert hat: Bei Jobs mit Dienstwagen sind Unfälle doch (vertraglich) geregelt, oder?
Hier wirkt das so willkürlich. Ja - die Chefin soll ja auch so bösartig durchkommen. Und bei Lohn-nichtzahlungen ist doch sicher auch die Krankenkasse noch mit dabei, die ja abhängig vom Lohn Geld bekommt. Oh - und das Finanzamt, was sagt das denn dazu..

Eigentlich hatte die alte Chefin ja Recht. Warum hatte sie ihr Dienstauto dem neuen Kollegen überlassen? Der gar keinen gültigen Führerschein besaß? Der Autofahren irgendwo im Hinterland gelernt hat? Zack, Delle in der Stoßstange.
Ja - das ändert einiges. Wieso stellt man im Job mit Fahrern jemand ein, der keinen Führerschein hat? Wer hat da was (nicht) gewusst - wer hat da Fahrlässig gehandelt?
hat sie eine Abmahnung bekommen? Das wäre ja das erste bei einem Fehlverhalten....
^^Oder bohre ich da zu tief in den juristichen Innereien rum, und du wolltest das so einfach wie möglich halten?

Ansonsten ein starker Text!

Gruß
pantoholli

 

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