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Warum die Berge an manchen Stellen höher sind

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24.01.2009
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Warum die Berge an manchen Stellen höher sind

Schön hat es Martina hier, denke ich und inhaliere den Anblick der Berge, die frische Luft und das Kuhglockengebimmel. Bayrisches Alpenland wie gemalt und ich mittendrin. Man könnte gleich und hier eine Kamera aufbauen und einen Heimatfilm drehen. Frau im Dirndl trifft auf neu eingetroffenen Tierarzt, natürlich ist der Junggeselle, und gemeinsam retten sie eine Gämse, die angeschossen zurückgelassen wurde. Happy End mit rosa Herzen und im Hintergrund des Abspanns üppig blühende Geranien an den Balkonen eines Holzhauses. Ja, genau so einen Film könnte man von Martinas Terrasse aus drehen.
Meine alte Schulfreundin legt mir ihre Hand auf die Schulter und holt mich aus meiner Gedankenwelt zurück in die Realität.
„'Tschuldigung. Wollt dich nicht erschrecken“, sagt Martina und reicht mir einen Pott Kaffee.
Ich schwenke den Blick von den Bergen zum Pool. Mein Sohn Finn tobt nach stundenlanger Autofahrt seinen Hippeldrang aus. Ja, Martina hat es schön hier. Schöne heile Welt. Familie, Haus, Garten, Pool. Einer der Gründe, warum ich noch nie von fast Dänemark bis nach fast Österreich gefahren bin. Ich wollte keine Auszeit aus meinem Leben für einen Schnupperkurs im: So könnte es auch sein - Leben.
Ausreden erfand ich viele; Finn krank, ich krank, Sturmwarnung, meine Pension ausgebucht, Handwerker im Haus, Auto kaputt, ein Regenwurm hat sich ein Bein gebrochen, weiß der Fuchs.
Dabei gönne ich das alles Martina. Ich freue mich für sie. Gerade jetzt freue ich mich für sie.

„Schön, dass die Jungs sich so gut verstehen“, sagt Martina, nachdem wir die Kinder ins Bett verfrachtet haben. Sie öffnet eine Flasche Merlot, stellt Käse, Obst und Brot auf den Tisch.
„Ja“, sage ich und fühle mich gleichfalls erleichtert. Finn ist fünf, Martinas Sohn Aron acht. Ob sich der Große mit dem Kleinen abgibt, war das unbekannte x in der Reiseplanung. Ich konnte nur hoffen, die zwei würden sich vertragen und mir dadurch ein paar Momente der Ruhe bescheren.
„Aron hat nicht viele Freunde“, sagt Martina. „Ich glaube, es liegt irgendwie daran, dass er seinem Alter voraus ist.“
„Voraus?“, frage ich.
„Na ja. Er ist seinen Spielgefährten einfach überlegen. Cleverer als sie, also nicht unbedingt intelligenter, weiß Gott nicht, aber irgendwie, ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, soziale Intelligenz trifft es vielleicht.“
„Das ist sicher auch hart für dich“, sage ich. Für mich wäre es jedenfalls furchtbar, wenn Finn niemanden zum Spielen fände.
„Mir tut es einfach für Aron leid. Er kann doch nichts dafür.“
„Nein“, sage ich und sehe Aron vor mir, der groß und kräftig für sein Alter ist. Vielleicht gibt er sich ja tatsächlich mit einem Fünfjährigen ab, weil er ein ausgeprägtes Sozialverhalten hat. Aber warum meiden ihn Kinder seines Alters dann? So ganz kann ich mir keinen Reim drauf machen, aber ich nicke mitfühlend.
„Lass uns über dich reden. Du bist ja zum Entspannen hier, nicht um für mich die Psychotante zu spielen. Wie geht es dir?“
„Ich bin müde“, sage ich ehrlich, weil der Wein mir gerade den Rest gibt. „Von der langen Fahrt, von der Luft, von meiner Pension, vom Alleinsein, von allem eigentlich.“
Martina legt ihre Hand auf meine. "Eine Woche nur wir beide. Wie früher."
Ich lächle. Das ihr Mann gerade auf einem Kongress weilt, war mir mehr als recht.
„Ich verwöhne dich und du redest dir den ganzen Ballast von der Seele. Guck, der Watzmann da drüben, auf den schaufeln wir all deine Sorgen und die Bergsteiger freuen sich, weil sie noch ein paar Meter höher kraxeln können.“
Ich lächle über die Idee, die Alpen wären Sorgenberge. Wie viele beschissene Leben es wohl brauchte, sie zu dieser Größe aufzutürmen?
Martina lässt meine Hand los und schenkt uns Wein nach.
Ihre Bemutterung fühlt sich gut an und erst jetzt, in diesem Moment, stelle ich fest, was für ein Wrack ich eigentlich bin. Ein bisschen Wein, ein bisschen Käse, ein paar liebe Worte und ich könnte vor Rührung losflennen.

Am nächsten Tag fahren wir mit den Kindern zur Wimbachklamm. So mit dem tosenden Wasser unter uns und nur noch Rauschen in den Ohren, da denke ich an zu Hause. An die stürmischen Tage und Nächte bei uns am Meer und an das marode Dach meiner Pension, für das ich kein Geld habe. Ich sehe mich bei Unwetter am Fenster zittern, weil ich mich vor einer Ladung herabfallender Ziegel fürchte.

Nachmittags liegen Martina und ich faul in der Sonne. Mit eiskaltem Zitronenwasser, Melone und Schokoladeneis. Wir baden in Kindheitsgeschichten und stellen fest, wie grausam wir zu manchen Verehrern aus Jugendzeiten waren. Als das Telefon klingelt, verschwindet Martina im Haus. Ich schließe die Augen und genieße die Stille. Einfach nur Ruhe, wie schön sich das anfühlt, bis die Kinder auftauchen. Ich weigere mich, die Augen zu öffnen, den Moment wieder herzugeben und doch springe ich auf, als ich Arons Stimme höre.
„Setz dich und friss Gras! Wenn du nicht frisst, gibt es drei Stockhiebe!“
Um Finns Hals liegt eine Hundeleine. Mein Sohn kauert auf dem Rasen und zupft Löwenzahnblätter. Aron steht hinter ihm, einen Knüppel durch die Luft schwingend. Er hat sich ein Bettlaken um den Körper geschlungen, während mein Sohn nackt ist.
„Du musst das Gras in echt fressen“, herrscht Aron ihn an.
„Hör sofort damit auf“, schreie ich, während ich mich auf Finn stürze. „Lass die Leine los. Hörst du! Und leg den Knüppel weg.“
Ich nehme meinen Sohn in den Arm und öffne das Halsband.
„Du musst kein Gras essen“, sage ich und streichle sein Haar.
Finn guckt mich an, als wäre ich eine Irre.
„Aber wir spielen doch nur“, sagt er schließlich.
„Und was soll das für ein Spiel sein?“, frage ich.
„Aron ist Cäsar und ich bin sein Sklave“, erklärt mein Sohn mir stolz. Mir kommt die Galle hoch. Aron grinst und Finn befreit sich aus meiner Umarmung, legt sich die Leine wieder um den Hals. Ich nehme sie ihm erneut weg. „Geh ins Haus und zieh' dir was an. Das Spiel ist zu Ende.“
„Aber warum denn?“
„Weil ich es sage. Und jetzt geh. Bitte!“
Finn steht auf, zieht einen Schmollmund und stampft bockig davon.
„Und du mein Freund“, ich versuche ganz ruhig zu sprechen, was mir nur kläglich gelingt, „du unterlässt solche Spielchen. Hast du mich verstanden!“
„Du darfst mir nichts verbieten. Du bist nicht meine Mutter“, sagt Aron.
„Ich bin nicht deine Mutter, aber ich verbiete dir, Finn zu befehlen, er solle Gras essen. Ich verbiete dir, ihn nackt an einer Leine herumzuführen und ihm Stockhiebe anzudrohen.“
Aron beginnt zu schreien, als hinge sein Leben davon ab. Martina stürzt aus dem Haus, das Telefon noch am Ohr. Verdattert trete ich einen Schritt zurück und beobachte, wie sich Arons Gesicht tiefrot färbt und irgendwie aufbläht.
„Was?“, fragt Martina, als sie bei uns ist.
„Sie wollte mich schlagen“, heult jetzt Aron und zeigt mit dem Finger auf mich.
Mir bleiben vor Entsetzen alle Worte weg, und weil ich sprachlos bin, wedle ich wie bekloppt mit den Händen.
„Das ... ich wollt' nicht. Ich würde doch nie ...“, stammle ich schließlich.
Martina mustert mich, als wäre ich ein Schwein und sie muss jetzt entscheiden, ob es fett genug zum Schlachten sei. Ich gebe mir alle Mühe, ganz dünn auszusehen.
„Wirklich nicht“, beteuere ich nochmals.
Eine Frauenstimme quäkt aus dem Telefon: „Hallo? Alles in Ordnung? Was ist da los?“ Martina würgt kurzerhand das Telefonat ab und kniet vor ihrem Sohn nieder. Aron quetscht sich ein Tränchen aus dem Auge.
„Du darfst Mama jetzt nicht anlügen. Wollte Lena dich wirklich schlagen?“ Dabei streicht sie sanft über seine Wangen.
„Bestimmt wollte sie das. Sie war total gemein.“
„Schon gut. Mama ist jetzt da. Niemand wird dich schlagen, hörst du? Ich verspreche es dir.“ Dann gibt sie Aron einen Kuss. „Du darfst dir jetzt eine Tafel Schokolade holen. Aber gib Finn davon ab.“
Kaum hat Martina den Satz beendet, stürmt Aron in Richtung Küche.
„Ich hab, … ich wollt' wirklich nicht. Ich habe ihn nicht angerührt“, setze ich erneut an, aber Martina winkt ab.
„Er macht gerade eine schwierige Phase durch. Er ist so unglaublich sensibel“, sagt sie, aber ich kann hören, wie ein Rest Unsicherheit in ihrer Stimme mitschwingt.
Sensibel ist eine hübsche Umschreibung für sadistische Spielchen, denke ich, halte es aber aus irgendeinem Grund für unklug, Martina jetzt über die Situation aufzuklären. Ich werde es ihr sagen, später, wenn die Unsicherheit aus ihrer Stimme fort ist.

„Man könnte glauben, sie sind Geschwister“, sagt Martina.
Ich lege mir eine Decke über Beine und Füße, ich friere, während Martina noch immer im T-Shirt neben mir sitzt. Die Kinder sind im Baumhaus, wir sehen die Lichter ihrer Taschenlampen durch die Fenster tanzen. Seit heute Nachmittag bin ich unter Hochspannung, wenn Finn nicht in meiner Nähe ist. Der Abend im Baumhaus war die beste Idee, die ich hatte. Von der Terrasse aus habe ich die beiden im Blick. Finn und Aron. Vor allem Aron. Ich gucke ständig auf die Uhr und hadere, weil Finn schon seit einer Stunde ins Bett gehört. Aber auch er hat Urlaub, ich will ihm nicht den Spaß verderben.
„Und? Hast du dich schon ein bisschen erholt?“, fragt mich Martina und ich greife das Stichwort dankbar auf, schließlich muss ich ihr noch von den grausamen Spielchen ihres Sohnes erzählen. Als ich meinen Bericht abgeschlossen habe, verzieht Martina das Gesicht. Ich weiß nicht, wie ich es deuten soll, ob sie mir glaubt oder ob sie es mir übel nimmt, das Thema nicht als beendet anzusehen. Schließlich lacht sie.
„Was ist daran komisch?“, frage ich.
„Kinder sind grausam. Weißt du doch.“
„Das finde ich auch nicht komisch.“
„Du hast recht.“ Martina wird ernst. „Erinnerst du dich, wie wir deine Schwester am Wäscheleinenpfosten, am Marterpfahl, angebunden haben und dann zum Baden gingen?“
Natürlich erinnere ich mich. Am Abend schlug mein Vater mir zwei Mal ins Gesicht. Eine rechts, eine links. Es war das erste und einzige Mal, dass er mich schlug. Ich schweige.
„Wir haben sie in der prallen Sonne stehen lassen“, fährt sie fort.
Ich sehe Mutter vor mir, wie sie mit Karin aus dem Krankenhaus kam. Krebsrote Haut und einen Sonnenstich, so endete es damals für meine Schwester. Karin war sechs, ich neun. Ich wollte Karin einfach nur nicht mit zum Strand nehmen, einmal nicht meine kleine Schwester am Rockzipfel haben.
„Aber wie kommt Aron auf solche Spiele?“, frage ich. Meine Beweggründe von damals kenne ich, Arons dagegen sind mir ein Rätsel.
„Vielleicht hat er es von einem anderen Kind. Vielleicht aus irgendwelchen Geschichtsbüchern, Bildern aus dem Fernsehen, was weiß denn ich. Guck dir die beiden doch an. Sie sind ein Herz und eine Seele. Warum sollte Aron Finn etwas antun?“
Ich überlege, ob ich vielleicht doch zu dünnhäutig bin. Ob ich nicht zu sehr die Übermutter spiele? Aber verdammt, es war nicht in Ordnung, was wir damals mit Karin machten und heute war es mein Sohn, der Gras fressen sollte, der an der Leine hing und über dem Aron seinen Knüppel schwang. Vielleicht würde Martina es anders sehen, wenn die Rollen vertauscht gewesen wären.
„Bitte, Lena“, sagt Martina. „Du reibst dich auf. Du bist alleinerziehend, selbstständig, immer an der Kante zum finanziellen Desaster. Du kannst nicht die Welt verbessern, Kinder sind nicht immer nur niedlich.“
„Ich will die Welt nicht verbessern“, sage ich trotzig.
„Doch, das willst du. Und Hilfe kannst du auch keine annehmen.“
Wie kommt Martina jetzt darauf? Wieso sitze ich jetzt auf der Anklagebank? „Das ist nicht wahr!“
„Ach?“ Martina legt den Kopf schief und guckt mich skeptisch an. „Und warum wolltest du dann nicht, dass Karin für eine Woche in der Pension einspringt?“
„Es ist Karins Urlaub“, sage ich. „Sie braucht ihn doch auch, bei ihrem Job.“
„Sie selbst hat es angeboten. Für sie ist es in Ordnung. Verstehst du? Das Problem hat nicht Karin, sondern du.“
„Sonst noch was?“, frage ich und hoffe, wir können das Thema als beendet ansehen.
„Ja.“
„Was?“
„Geh' zur Bank und nimm eine Scheißhypothek für die Dachreparatur auf. Warte nicht, bis das Haus über deinem Kopf wegfault.“
In mir zieht sich alles zusammen. Die Kälte kriecht durch Decke und Strickjacke.
„Ich denk drüber nach“, sage ich. Zu mehr fühle ich mich nicht in der Lage. Es ist höchste Zeit Finn ins Bett zu bringen.

Den ganzen nächsten Tag verbringe ich damit, mich zurückzuhalten, meinen Sohn nicht der totalen Kontrolle auszusetzen. Martina quält mich nicht mit Vorwürfen. Aron spielt keine komischen Spiele. Am Abend fühle ich mich wirklich schon viel besser als bei meiner Ankunft. Die Kinder sind wieder im Baumhaus, aber heute schicke ich Finn doch eher ins Bett, ich hatte den ganzen Tag das Gefühl, er sei nicht ganz fit.
Als ich später selbst hochkomme, ist mein Sohn noch wach. Alle Lampen im Zimmer sind angeknipst.
„Was ist denn los?“, frage ich.
„Ich habe so Angst vor dem Müller.“
„Vor welchem Müller denn?“
„Vor dem, der kleine Kinder isst.“
„Hat dir Aron von dem Müller erzählt?“
„Ja“, sagt Finn. „Der Müller hat nur ein Bein, ist aber trotzdem ganz schnell. Und er hat Glasaugen, mit denen er ganz gut gucken kann. Auch in der Nacht. Und er hat nur vier Zähne. Die sind aber von einem richtigen Löwen, gar keine Menschenzähne.“
„Das ist aber ein gruseliger Müller“, sage ich und wiege Finn sacht hin und her. „Und weißt du was? So einen Müller gibt es gar nicht. Das ist ein Märchen, was Aron dir erzählt hat.“
„So ein Märchen wie das von Hänsel und Gretel?“
„Genauso ein Märchen. Und es beginnt mit: Es war einmal.“
„Nein. Aron hat gesagt, der Müller lebt und holt sich jeden Monat ein Kind.“
Verflucht sei dieser Bengel. Kein Wunder, dass Aron keine Freunde findet.
„Da hat der Aron aber ganz kräftig geschwindelt. Glaub' mir, es gibt keinen solchen Müller. Man kann mit einem Bein auch überhaupt nicht laufen. Da fällt man nämlich um.“
„Aber er kann hopsen. So wie ein Känguru. Ganz schnell und ganz weit.“
„Das ist alles ausgedacht. Das stimmt nicht. Verstehst du? Es ist nur eine Geschichte.“
„Wirklich?“
„Ganz bestimmt“, sage ich. „Es gibt keinen Müller hier.“
„Bleibst du jetzt hier?“
„Ja. Ich passe auf uns auf. Versprochen.“
Finn kuschelt sich in seine Decke. Ich nehme seine Hand in meine, warte bis er eingeschlafen ist, lausche seinem Atem und bewache den kleinen Körper.
Gruselgeschichten gehören zu einem Sommerabend. Alles normal. Ja, genau das wird Martina sagen, wenn ich ihr von der Müllergeschichte erzähle, und genau deshalb werde ich ihr davon nichts erzählen. Am Ende zeigt ihr Finger nur wieder auf mich.

In der Küche schnipple ich den Salat, Martina bastelt Grillspieße, und wir lachen über jeden Scheiß, albern wie Teenager sind wir.
Und mitten hinein in meine gute Laune fragt Martina, ob ich es mir überlegt hätte, das mit der Hypothek. Bei dem Grundstück sei das mit der Bank ja nur eine Formalität.
„Und wenn ich die Raten nicht aufbringe?“, frage ich und meine gute Laune landet mit den Zwiebelschalen in der Schüssel für den Kompost.
„So arg?“
Ich nicke.
„Wenn du die Rate mal einen Monat nicht aufbringen kannst, zahle ich sie für dich. Zinnloser Kredit. Ich weiß, ich werde das Geld von dir zurückbekommen“, sagt Martina.
„Danke“, sage ich, und weiß, ich werde ihr Angebot nicht annehmen.
Aron rettet mich davor, das Thema weiter auszudiskutieren. „Finn hat mein Autogramm vom Neuer schwarz gemacht!“
Mein Sohn steht hinter ihm.
„Hast du das?“, frage ich ihn. Finn nickt. „Warum?“
„Weil Aron zu mir gesagt hat, ich bin ein blöder Schlappschwanz.“
Martina stöhnt, ich rolle mit den Augen.
„Wie? Schwarz gemacht?“, fragt Martina.
„Er hat es übermalt. Und jetzt sieht man die Schrift nicht mehr.“
„Oh“, sagt Martina. Zu mir sagt sie: „Das Autogramm hat er von ihm persönlich bekommen. Aron ist ein großer Bayern-Fan. Wie sein Vater.“
„Und nun?“, frage ich, irgendwie an alle in diesem Raum gerichtet.
„Finn muss mir ein neues Autogramm besorgen. Aber der Neuer muss es mir selbst geben, sonst zählt es nicht.“
Martina seufzt, ich stöhne.
„Und warum hat der Aron zu dir gesagt, dass du ein blöder Schlappschwanz bist?“, frage ich jetzt Finn.
„Weil ich immer beim Boxen verliere.“
„Ihr boxt?“ Sofort schrillen in mir die Alarmglocken.
„Playstation“, sagt Aron.
Ich atme auf. „Und wieso hast du es nicht verhindert, dass Finn das Autogramm bemalt hat?“
„Weil ich gespielt hab.“
„Allein?“, frage ich.
„Natürlich allein. Mit ihm macht das ja keinen Spaß.“
Martina holt eine Tafel Schokolade aus der Schublade und schickt die Kinder aus der Küche.
„Wir haben ein Problem“, sagt sie.
„Ich habe ein Problem. Weil ich nicht weiß, wie ich den Neuer dazu bringen soll, deinem Sohn persönlich ein Autogramm zu übergeben“, sage ich halb im Scherz, halb im Ernst.
„Du nimmst das nicht wirklich ernst, oder? Du hast ja keine Vorstellung davon, was diese Karte für Aron bedeutet.“
Nein, habe ich nicht. Aber es ist mir auch Schnuppe. Soll er doch froh sein, dass er ständig gegen den kleinen Finn gewinnt. Aber nein, der große Aron muss ihn auch noch beleidigen. Das alles sage ich nicht. Stattdessen sage ich: „Ich kann mich nur für Finn entschuldigen.“
„Das macht es für Aron nicht besser.“
„Was soll ich deiner Meinung nach tun? Eine Schokoladenfabrik ausrauben?“ Das hätte ich nicht sagen sollen, denn Martina dreht sich weg und bastelt weiter an ihren Fleischspießen. Ich schnipple, nein hacke, weiter Salat. Wir schweigen eine gute Stunde und beim Abendessen versuchen wir so zu tun, als hätte das Gespräch in der Küche nie stattgefunden.

Am nächsten Tag wandern wir mit den Kindern zu einer Alm. Finn ist von all den Kühen ganz angetan, obwohl es die bei uns im Norden ja auch gibt. Nur stehen die Kühe hier nicht hinter Zäunen und bimmeln mit ihren schweren Glocken, wenn sie umherziehen. Martina ist in der Almstube, um Buttermilch, Kaffee und belegte Brote zu kaufen. Ich sitze an einem der Tische draußen und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Die Jungs spielen direkt hinter mir auf der Wiese.
„Hast du Lust auf eine Mutprobe?“, höre ich Aron fragen.
„Mutprobe?“, fragt Finn.
„Das ist eine Aufgabe und wenn man die erfüllt, ist man ein Held.“
„Ja“, sagt Finn.
„Siehst du die Kuh mit den Hörnern und dem Ring in der Nase?“
„Was ist mit der?“
„Geh zu der hin und ziehe ganz kräftig an dem Ring“, sagt Aron.
Entsetzt springe ich auf: „Auf keinen Fall machst du das!“
„Aber, dann bin ich ein richtiger Held“ strahlt Finn.
„Du sollst nicht jeden Mist glauben, den Aron dir erzählt.“ Mein Puls ist auf 180, innerlich sehe ich ein Rindvieh meinen Sohn zertrampeln. Der kleine Psychopath steht mit verschränkten Armen vor mir und grinst.
„Was soll der Scheiß?“, frage ich ihn.
„Schlag mich doch, wenn du dich traust.“
Und genau das tue ich. Ich hole aus und pfeffere ihm eine.
Hinter mir klirrt Geschirr. Martina muss in diesem Moment herausgekommen sein. Sicherlich liegen da jetzt eine Menge Scherben auf dem Boden.
Ich drehe mich nicht um. Ich suche nicht Martinas Blick oder nach Worten, die um Verzeihung bitten. Ich sehe die Alpen, die Wiese, die Kühe mit ihren Glocken, ich höre den Bach plätschern, mein Sohn weicht drei Schritte von mir, Aron brüllt los.

 

Hey Frau Jo,

und vielen Dank für Deinen Besuch.

Bei deinen Geschichten geht es mir meistens so, dass ich total mitfiebere und richtig mitfühle, ...

Wusste ich gar nicht. Aber ist ... *hüpf*.

... ich habe richtig gejubelt, als sie den Spruch mit der Schokoladenfabrik rausgehauen hat.

Da verliert sie zum ersten Mal die Kontrolle über sich. Ich hab mich beim Schreiben auch sehr für sie gefreut und fand den Spruch gleich hübsch böse.

Die meisten deiner Ich-Erzählerinnen sprechen gerade mal 10 Prozent aus, was sie eigentlich denken. Das hat einen wahnsinnig starken Effekt bei den Lesern - bei mir zumindest. Man weiß, dass sich die Prota über die Situation im Klaren ist, aber sie ändert es nicht.

Das ist mir noch nie so bewusst gewesen. Also, ich mache das nicht absichtlich. Da kann man mal sehen, wie gleich sie doch alle sind, meine Figuren.

Ich glaube, die Geschichte hätte mir sogar besser gefallen, wenn man auch ein paar erheiternde Momente mitbekommt - diese werden zwar behauptet, aber ich bekomme sie nicht so szenisch mit ... Einfach um für mich nachvollziehen zu können, warum sie eigentlich nicht früher ausrastet, wo sie doch so unter Strom ist.

Ich guck mal, wenn ich mich an die Generalüberholung mache, wann auch immer das sein wird. Kann ich auf jeden Fall nachvollziehen und nicke hier vor mich hin. Aber die Geschichte ist doch schon so lang ... Na gut. Muss Leser eben durch, und so paar Entspannungsmomente sind ja immer gut.

Mir hätte es wirklich gefallen, wenn ich Martina sympathisch gefunden hätte - das hätte es mir erschwert, mich so über sie aufzuregen.

Steht ja schon auf der Liste. Aber ich glaub, das fällt mir schwer. Also, so rein persönlich.

Lieben Dank noch mal für all das "gut" und die ausbaufähigen Dinge. Hat mich sehr gefreut.


Hallo jobär,

Dir ist sicher bekannt, dass ich Heile-Welt-Geschichten oder wenigstens Happy-end-stories mag.

Wie so viele andere. Und ich manchmal auch :)

Sie tut weh in ihrem knallharten Realismus.

Mich freut es, auch wenn es für Dich vielleicht jetzt nicht so die schöne Nachmittagsunterhaltung war.

Und bei derart schwerwiegenden Problemlagen mit den Eltern zu reden, endet nach meiner Erfahrung auch nicht mit einem befriedigenden Ergebnis.

Sagt mein Bauch auch. Und wahrscheinlich der von vielen Pädagogen hier im Land.

Ich weiß schon, warum ich den Fernseher kaum einmal einschalte und das Radio abgeschafft habe - ...

Ich finde auch, dass Nachrichten echt eine depressive Wirkung haben. Und damit mein ich gar nicht mal die öffentlich-rechtlichen Vorsortierten.

Man sieht die Entwicklung voraus und steht hilflos daneben. Auch Deine Geschichte kann in derartigen Situationen nicht weiterhelfen. Höchstens: so etwas widerfährt auch anderen Menschen. Also resignieren und weitermachen? Ich hoffe, ich konnte mein Unbehagen deutlich machen.

Konntest Du. Ich wollt Dir nicht den Tag versauen, aber Heile-Welt-Geschichten verändern auch nichts. Sie helfen uns "nur" bei der Flucht aus dem Alltag, was durchaus wie Medizin sein kann. Opium fürs Volk halt. Wie RTL und so :).

Lieben dank auch Dir! Hat mich gefreut.


Hey dotslash,

Boah, ich hab grad wirklich ein Backflash, Fliege.

Hehe. Tja, das liegt dann sicher an der gemeinsamen Erfahrung. Ich hab auch paar Jahre lang nebenbei im Verein als Handballtrainer gearbeitet, aber ich glaub, dass hatten wir schon mal. Wobei Aron und Finn jetzt nicht aus dieser Zeit als Vorlage stammen. Aber die rennen ja überall rum.

Aber nun zu deiner Geschichte. Ich fand die wirklich klasse!

Das freut natürlich.

Ich liebe das Ende, das in seiner Konsequenz zwar logisch, dann aber doch überraschend heftig ausgefallen ist. Fast hätte ich erwartet, du lässt es so in einer nachdenklich und überstürzten Abreise enden, aber nein, - BAMM -,

Wahrscheinlich passt so eine Abreise auch eher in die Reihe von Ende, die ich sonst so schreibe. Aber Frau Lena - die musste halt explodieren, die hatte keinen Platz mehr, irgendwas zu schlucken. Die war bis oben hin voll.

Es gibt auch keine Komparsen, jede Person in deinem Stück spielt eine Hauptrolle, sogar die unsichtbaren Väter der beiden Racker haben da irgendwie in der Nebenhandlung (hier die Villa mit Pool, dort die Pension mit Wellengang) ihren Part. Jedenfalls schwingt da ganz viel Nebenschauplatz mit, ohne dass viel dazu gesagt wird.

Ich brauch die Väter da auch nicht so direkt im Geschehen. Andere Leser wünschen sich da mehr. So unterschiedlich ist das. Ist aber schön, wenn sie eben jemanden nicht fehlen. Gibt mir ja irgendwie Recht und Recht haben fühlt sich immer besser an.

Klar, ist Handwerk, aber nicht jeder beherrscht sein Instrument auch in den Pausen. ;)

Das hast Du aber schön gesagt. Das freut doch.

... unter all den jüngsten Gesellschaftsdingern hier.

Und dabei ist er doch als Alltag getagt *tse* :D

Hab Dank für Zeit und Worte und *schön*.

Liebe Grüße an Euch Drei. Habt eine möglichst entspannte Vorweihnachtszeit!
Fliege

 

Du, Schatz?
Hm?
Wir sollten uns das mit dem Kinderkriegen noch mal überlegen.
Wieso?
Das Problem sind nicht die eigenen. Sondern die a-anderen.
Häh? Bahnhof.
Die anderen Kids, mit denen unsere zu tun haben werden. Ach, und deren Eltern.
(Kann hören, wie sie mit den Augen rollt.) Komm erst mal, Brunch ist fertig.
Moment, muss erst mal den Kommentar an Fliege –
Wolltest du nicht "nie mehr ..."; du weißt wie Beiträge auf leeren Magen ausgehen, gell?

Liebe Fliege,

so, jetzt aber ... für diese Geschichte mache ich doch gerne mal Pause von der Pause. ;)

Kongenial. So Geschichten sorgen dafür, dass ich nicht abheb ob der eigenen im Vergleich mickrigen Erfolge. Manchmal bin ich versucht zu sagen, so, ich häng die Schreiberei an den Nagel, hat sich erledigt, andere können das besser und ich sollte meinen Beitrag gegen die Papierverschwendung leisten. Aber das ist am Ende doch nur kokett, da es jedem, durch die Bank weg Profi wie Amateur, so gehen dürfte mit den Werken der anderen.

Auch für mich war Martinas Spruch mit dem Sohn ohne Freunde und der sozialen Intelligenz das Ausschlaggebene, da ist dir wirklich eine subtil atemberaubende Stelle gelungen. Ich kenne mich jetzt nicht wirklich als Menschenkenner ersten Ranges, nur ist das in literarischer Hinsicht die Steilvorlage für eine Geschichte über die kindliche Grausamkeit, mal abgesehen von etwaigen psychosozialer Anlagen und frühkindlichen Erfahrungen seitens Aron, die in diesem Thread zwar noch nicht zerspekuliert wurden, die dem aber auch gar nicht bedürfen. Ich musste mir an die Stirn fassen und mich fragen, "so flo, bist du bereit für harten Tobak mit Kinderbezug?" und mich besänftigen mit "es ist eine Fliege. Wird die Kurve kriegen". Also pure Spannung. Es war damit für mich aber schon klar, dass es mit der Heimatfilmidylle vorbei ist.

Und meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

Die Mutter, Lena, vollkommen überreizt und kopfhysterisch, so kommt sie bei mir an. Martina: Etwas selbstgerecht und herrisch gegenüber Lena, und ihrem eigenen Sohn ... man liests in der Geschichte. Aron selbst ist ja bei meinen Vorkritikern schon nicht gut weggekommen und hat auch mit Verlaub nicht verdient, dass ich den noch verteidige. Bin froh, dass er nur deinem Kopf entsprungen ist und es sich damit erübrigt mir auszumalen, was da mal für ein Mensch aus diesem "Noch-ein-Kind" schlüpfen muss. Finn: Hier hängt die Geschichte etwas, meiner Meinung nach ...

Lenas Sohn kommt bei mir an wie ein Statist. Als willfähriger, willenloser Spielball für Aron und eigentlicher Dreh- und Angelpunkt, wegen dem Lena am Ende austickt. Ist er demgebührend in der Geschichte repräsentiert? Ich weiß nicht. Da bleibt keine Individualität an ihm kleben, er ist austauschbar, nicht weglassbar allein wegen des Plots. Andererseits ist es schwierig, das zu ändern. Ein Fünfjähriger hat eben noch nicht wirklich einen konkreten Charakter, den man hätte in den ein paar Zeilen umreißen können, oder immer mal so dazwischen. Kann Aron in seinem Alter schon Ironie und Sarkasmus? Dann könnte er ja den Babysitter raushängen lassen, ihn vor allen Anwesenden artig fragen, was er denn spielen möchte, und Finn daraufhin altersentsprechende Vorschläge macht, die auf seinen Charakter hindeuten (Autos, irgendwas bauen, malen, oder – das macht aber ein anderes Fass auf, Vorsicht – was mit Puppen).

Detailkritik

Wie immer: Alles natürlich nur Vorschläge, eingedenk es nicht wirklich viel an der Geschichte zu bekritteln gibt, ich aber meinen Ruf als Korinthenkacker *abstaub* *hust* verteidige aus Jux, Tollerei und Selbstironie. Also alles zeichengetreu umsetzen, klar? ;)

Schön hat es Martina hier, denke ich und inhaliere den Anblick der Berge, die frische Luft und das Kuhglockengebimmel.
Dieser Satz hat mich persönlich nicht wirklich gestört, da ich den metaphorischen Sinn von "inhalieren" auf Anhieb begriff, aber da das mehrmals angemerkt wurde und dich das vielleicht doch verunsichert, ein Vorschlag >> Schön hat es Martina hier. Ich versenke mich in ... – Habe es in zwei Sätze aufgetrennt, weil denken und versenken sich so bar einer Rhythmik unschön reimen.

Ich schwenke den Blick von den Bergen zum Pool.
Ich denke da an Kameraschwenk. Ist das gewollt? Ungewohnte Formulierung, da "schwenken" eine gewisse, verfolgbare Langsamkeit ausdrückt, Augen sich aber so schnell bewegen, dass davon nicht die Rede sein kann. Vielleicht bewusst plakativer?>> Vor den Bergen am Pool tobt sich mein Sohn Finn aus. Nach der stundenlangen Autofahrt ...

Mein Sohn Finn tobt nach stundenlanger Autofahrt seinen Hippeldrang aus.
Das Verb ist reflexiv: sich austoben. Ein transitiver Gebrauch ist mir partout noch nicht unter die Augen gekommen, und ja ich weiß, das tut man gern als dichterische Freiheit ab, aber... Also, um meinen Verbesserungsvorschlag eben zu vervollständigen >> Nach der stundenlangen Autofahrt konnte er sich keine Sekunde nach dem Abschnallen auf dem Sitz halten. Das mit Hibbeldrang und so kann sich der Leser selbst dazudenken.

ein Regenwurm hat sich ein Bein gebrochen
Herrlich; weiß der Geier ob das jetzt typisch Berliner Schnauze ist oder frei nach Fliege. Mir auch egal, merk ich mir, wenn es ums Ins-Lächerliche-Ziehen dämlicher Ausreden geht. :D

Ob sich der Große mit dem Kleinen abgibt, war das unbekannte x in der Reiseplanung.
Substantive groß >> das unbekannte X in der Reiseplanung. Diese Regel macht auch vor Einzelbuchstaben nicht halt.

Finn steht auf, zieht einen Schmollmund und stampft bockig davon.
Eins kann weg, denke ich: bockig. Ein Kind kann nach meinem Verständnis schmollen (vorwurfsvoll kleinbeigeben) oder bocken, wobei letzteres – für mich – ein Begriff zwischen "schmollen" und "trotzen" ist.

Ich gebe mir alle Mühe, ganz dünn auszusehen.
Wäre bestimmt lustig. In einer Parodie oder so. ;) Ich schließe mich den Vorkritikern dazu an. Könnte weg, finde ich.

„Du darfst Mama jetzt nicht anlügen. Wollte Lena dich wirklich schlagen?“
Boah, so eine F... Habe ich diesen Abschnitt »Detailkritik« genannt? Martina, das ging an dich. Sowas klärt man unter vier Augen, alles andere ist derb kindisch. Ein skeptisch-warnender, vorwurfsvoller Rückblick beim stummen Weggehen, das wäre erwachsen gewesen. (Man stelle sich vor: flo, mit Plüsch-Heiligenschein auf dem Kopf, skeptisch-warnend beim Abgang. :lol: )

Die Kinder sind im Baumhaus, wir sehen das Licht ihrer Taschenlampen durch die Fenster tanzen.
Auch möglich >> die Strahlen ihrer Taschenlampen. Licht klingt hier irgendwie etwas zu singular für zwei Taschenlampen.

Dann nehme ich Finns Hand in meine, warte bis er eingeschlafen ist, lausche seinem Atem und bewache seinen kleinen Körper.
Hier ist die einzige Stelle in der ganzen Geschichte, in dem du einem Satz eine kitschige Note gibst. Als ob der "kleine Körper" ... du verstehst mich, lass das vielleicht weg, geht auch.

Nein, habe ich nicht. Aber es ist mir auch Schnuppe. Soll er doch froh sein, dass er ständig gegen den kleinen Finn gewinnt. Aber nein, der große Aron muss ihn auch noch beleidigen. Das alles sage ich nicht. Stattdessen sage ich: „Ich kann mich nur für Finn entschuldigen.“
Schnuppe gehört hier kleingeschrieben. Außerdem aus meiner Sicht überflüssig >> Das alles sage ich nicht. Stattdessen sage ich:

Nur stehen die Kühe hier nicht hinter Zäunen und bimmeln mit ihren schweren Glocken, wenn sie umherziehen.
Das "nicht" bezieht sich durch die Subjektellipse auch aufs Bimmeln, was die Satzaussage verkehrt, oder soll das so? >> Nur stehen die Kühe hier nicht hinter Zäunen, und sie bimmeln beim Umherziehen mit ihren schweren Glocken. (Drittes "sie" eliminiert durch Adverbialisierung)

„Aber dann bin ich ein richtiger Held“ strahlt Finn.
Erstens könnte der Satz noch ein Komma vertragen. ;) Zweitens nehme ich dir dein Draufgängertum nicht ab, lieber Finn. Als Fünfjähriger hast du gefälligst eine Urangst vor so Kolossen, die gut und gerne zwanzig von dir auf die Waage bringen.
Liebe Fliege, nach meinem Dafürhalten – dem eines jemanden allerdings, der sonst noch nie mit Kindern wirklich zu tun hatte und der das folglich eigentlich nicht wissen kann außer aus einer gewissen Empathie mit dem Kind heraus, das er mal war – solltest du ihm hier nichts oder was anderes in den Mund legen. Zumindest nicht strahlend, allenfalls verzagt à la "Bin ich dann wirklich ein Held, Mama?" Das wiederum würde aber den Plot ins Wanken bringen, die Wut auf Aron und die Ohrfeige möglicherweise etwas aufgesetzt und gezwungen wirken lassen. Hm, schwierig. Vielleicht wenigstens leise Zweifel anbringen >> "Aber dann bin ich ein richtiger Held, oder?", fragt Finn, seine Stimme schlottert. Die Augen verdrehend wendet Aron uns den Rücken zu. (Ja, ich weiß, Knie schlottern, nicht die Stimme, aber ... dichterische Freiheit [/räusper])

Und genau das tue ich. Ich hole aus und pfeffere ihm eine.
Entweder der eine oder der andere Satz – reicht.

Das Ende wiederum: Filmreif. Absolut. Lob! Vergiss meine Kritik, außer die Punkte, die dir wirklich einleuchten, der Rest ist eh mehr für die Neueinsteiger gedacht, so zum eigenen Reflektieren ob das wirklich Korinthen sind oder nicht doch was dran. ;)

Viel Spaß beim Überfliegen der Geschichte wünscht

floritiv.

 

Hey floritiv,

und hab Dank für die Pause von der Pause :). Hab mich gefreut von Dir zu hören.


Wolltest du nicht "nie mehr ..."; du weißt wie Beiträge auf leeren Magen ausgehen, gell?[/i][/right]

Aber das ist am Ende doch nur kokett, da es jedem, durch die Bank weg Profi wie Amateur, so gehen dürfte mit den Werken der anderen.

Ja, ich kenne das auch gut. Und wahrscheinlich viele andere auch.

Ich musste mir an die Stirn fassen und mich fragen, "so flo, bist du bereit für harten Tobak mit Kinderbezug?" und mich besänftigen mit "es ist eine Fliege. Wird die Kurve kriegen". Also pure Spannung. Es war damit für mich aber schon klar, dass es mit der Heimatfilmidylle vorbei ist.

Hehe. Freut mich. Und ja, Idylle ist für Postkarten und Urlaubsfotos vorbehalten. Die kann Lena ja trotzdem mit nach Hause nehmen :).

Andererseits ist es schwierig, das zu ändern. Ein Fünfjähriger hat eben noch nicht wirklich einen konkreten Charakter, den man hätte in den ein paar Zeilen umreißen können, oder immer mal so dazwischen. Kann Aron in seinem Alter schon Ironie und Sarkasmus? Dann könnte er ja den Babysitter raushängen lassen, ihn vor allen Anwesenden artig fragen, was er denn spielen möchte, und Finn daraufhin altersentsprechende Vorschläge macht, die auf seinen Charakter hindeuten (Autos, irgendwas bauen, malen, oder – das macht aber ein anderes Fass auf, Vorsicht – was mit Puppen).

Und Du meinst, wenn Finn dann sagt, er möchte gern mit Autos spielen, dann hat er mehr Charakter? Ist schon ein Dilemma mit den kleinen Zwergen. Auf der einen Seite sind sie natürlich alle schon Individuen, auf der anderen Seite auch nicht. Die lernen noch vom Nachmachen und viele Sachen sind für die einfach noch total abstrakt.

Dieser Satz hat mich persönlich nicht wirklich gestört, da ich den metaphorischen Sinn von "inhalieren" auf Anhieb begriff, ...

Da es bei 50% aber gut funktioniert, lass ich es einfach. Es wäre so ein "Kill your Darling" und damit hat man sich bekanntlich schwer.

Ich denke da an Kameraschwenk. Ist das gewollt? Ungewohnte Formulierung, da "schwenken" eine gewisse, verfolgbare Langsamkeit ausdrückt, Augen sich aber so schnell bewegen, dass davon nicht die Rede sein kann.

Es ist ein Kamaraschwenk. Ortswechsel, Stimmungswechsel, Figurenwechsel - ich denke, so ein Kameraschwenk (wenn das Wort eben diese Assoziation hervorruft) ist durchaus angebracht.

Herrlich; weiß der Geier ob das jetzt typisch Berliner Schnauze ist oder frei nach Fliege.

Frei nach Fliege :).

Erstens könnte der Satz noch ein Komma vertragen. ;) Zweitens nehme ich dir dein Draufgängertum nicht ab, lieber Finn. Als Fünfjähriger hast du gefälligst eine Urangst vor so Kolossen, die gut und gerne zwanzig von dir auf die Waage bringen.

Er ist ja auch noch nicht losgegangen. Natürlich würde er nie und nimmer. Aber das ist ja vorausschauend gedacht und das ist Kindern nicht gegeben. In diesem Augenblick ist einfach nur das Wort "Held" in seinem Kopf.

Zumindest nicht strahlend, ...

Okay, darüber lässt sich reden.

Danke für die Liste. Wenn ich auch nicht auf jeden Punkt einzeln eingegangen bin, so werde ich sie jetzt doch nochmal anhand des Textes durchgehen und mich am Buffet bedienen. Danke fürs Decken :).

Hab eine schöne Vorweihnachtszeit! Auch vielen Dank für die viele Zeit und Gedanken. Und falls Du doch mal wieder Pause von Pause, dann mache doch einfach. :bib:

Liebe Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Fliege, deine Geschichte hat gerade ein Lächeln in mein Gesicht gezaubert.

Man nehme zwei Mütter mit ihren Kindern und schon beginnt eine Handlung, die sowohl Begeisterung, als auch Empörung in mir hervorruft. Ich kenne diese Mütter aus der Nachbarschaft. Die eine etwas zurückhaltend und ängstlich, die andere stolz und belehrend.

Auch die Kinder, die in der Geschichte mitspielen, kenne ich. Dieser Aron, vor dem sich die Kinder fürchten, der wohnte gar nicht weit. Und Finn? Das könnte mein kleiner Andreas gewesen sein. Bei der Rutsche stand er immer höflich in der Schlange an, bis er dran kam. Der Aron rutschte gerade das dritte Mal.
Ich war so glücklich, als deine Lena dem Jungen eine gescheuert hat. Richtig froh war ich!

Und geschrieben hast du die Geschichte wunderbar. Ich war mitten drin in der Handlung.

Es gibt so viele schöne und einfühlsame Momente. In meinem Kopf ist ein Film abgelaufen. Großes Kino!

Liebe Fliege, ich wünsche dir einen besinnlichen dritten Adventsonntag!
Amelie

 

Hi Fliege!

Nette Story - Aron wächst einem richtig ans Herz!:) Darf ich mir den Charakter mal für ne Horror-Geschichte ausleihen, wenn er 20 Jahre älter ist?:D

Dir gelingt es sehr gut, das Alpenidyll darzustellen und die vielen kleinen Fehlerchen, die die schöne Atmorphäre demontieren. Lenas Sorgen mit ihrem Leben und dazu natürlich die ständigen Probleme zwischen den beiden Kindern. Gefällt mir! Besonders, weils realistisch ist - heutzutage soll man ja auch nicht mehr Grenzen aufzeigen, sondern eher an die Einsicht und Vernunft eines Dreijährigen appellieren, doch bitte bitte damit aufzuhören, Nachbars Kind anzuzünden ;)

Allerdings kann ich in einem Punkt Lena nicht verstehen - Urlaub hin oder her, aber wenn sie mitkriegt, wie der kleine Psycho ihren Sohn quält, warum bleibt sie denn dann noch da? Ein, zwei Vorfälle und dann "Adios". Aber das ändert ja nichts an der coolen Geschichte!

Grüße

 

Hey Amelie,

lieben Dank an Dich für die Zeit und Deine Worte. Hat mich ja sehr gefreut.

deine Geschichte hat gerade ein Lächeln in mein Gesicht gezaubert.

Wie schön.

Man nehme zwei Mütter mit ihren Kindern und schon beginnt eine Handlung, die sowohl Begeisterung, als auch Empörung in mir hervorruft.

So zwiespältige Gefühle ja toll. Wenn die Geschichte das erreicht, bin ich sehr zurfrieden.

Das könnte mein kleiner Andreas gewesen sein. Bei der Rutsche stand er immer höflich in der Schlange an, bis er dran kam. Der Aron rutschte gerade das dritte Mal.

Oh je :(

Und geschrieben hast du die Geschichte wunderbar. Ich war mitten drin in der Handlung.

Es gibt so viele schöne und einfühlsame Momente. In meinem Kopf ist ein Film abgelaufen. Großes Kino!


Danke für die Blumen. Die hebe ich mir auf.

ich wünsche dir einen besinnlichen dritten Adventsonntag!

Den hatte ich. Vielen Dank. Ich wünsche Dir auch eine wunderschöne restliche Vorweihnachtszeit und ein tolles Weihnachtsfest.

Lieben Gruß, Fliege


Hey Eisenmann,

... Aron wächst einem richtig ans Herz!:) Darf ich mir den Charakter mal für ne Horror-Geschichte ausleihen, wenn er 20 Jahre älter ist?:

Nur zu!

Gefällt mir! Besonders, weils realistisch ist - heutzutage soll man ja auch nicht mehr Grenzen aufzeigen, sondern eher an die Einsicht und Vernunft eines Dreijährigen appellieren, doch bitte bitte damit aufzuhören, Nachbars Kind anzuzünden.

Vielen Dank und :D

Allerdings kann ich in einem Punkt Lena nicht verstehen - Urlaub hin oder her, aber wenn sie mitkriegt, wie der kleine Psycho ihren Sohn quält, warum bleibt sie denn dann noch da? Ein, zwei Vorfälle und dann "Adios".

Lena ist da nicht so entscheidungsfreudig und straight wie Du es vielleicht wärst. Und Finn, der fühlt sich ja gar nicht so gequält, ich glaub nicht, dass er unbedingt nach Hause will. Das sieht sogar Lena ;).

Dir auch lieben Dank fürs Vorbeischauen, ich komme auch gleich zu Dir.

Lieben Gruß an Euch,
Fliege

 

Liebe Fliege,

was für eine nette Geschichte, die du durch ein paar Bosheiten gewürzt hast! Da ich seit vielen Jahrzehnten mit Kindern und Jugendlichen arbeite, hatte ich auch gleich so einen blöden Aron vor Augen :-). Ich habe sie sehr gerne gelesen,deine Story, die Alpenluft geschnuppert und den ansteigenden Muttergroll gespürt.
Die anderen Kommentare habe ich nicht gelesen, vielleicht wiederholt sich was, aber du streust so wunderbar treffende Formulierungen ein, die regelrecht glücklich machen, z. B.
"Ich wollte keine Auszeit aus meinem Leben für einen Schnupperkurs im 'So könnte es auch sein' - Leben."
oder
"... und meine gute Laune landet mit den Zwiebelschalen in der Schüssel für den Kompost."
Also, meine gute Laune traute sich nach dieser Lektüre überhaupt erst wieder hervor ;-).

Ciao,

Eva

 

Liebe Eva,

Da ich seit vielen Jahrzehnten mit Kindern und Jugendlichen arbeite, hatte ich auch gleich so einen blöden Aron vor Augen :-).

Langsam glaube ich, die Welt ist voll mit Arons. Oh weh! Die sind ja praktisch überall :).

Ich habe sie sehr gerne gelesen,deine Story, die Alpenluft geschnuppert und den ansteigenden Muttergroll gespürt.

Freut mich sehr zu hören.

Die anderen Kommentare habe ich nicht gelesen, vielleicht wiederholt sich was, aber du streust so wunderbar treffende Formulierungen ein, die regelrecht glücklich machen, z. B.

Ach, wiederholt das ruhig. Obwohl, so viel Wiederholung ist das jetzt gar nicht. Genau genommen - keine.

Vielen lieben Dank für deine Zeit und die Zeilen. Hat mich sehr gefreut.

Frohe Weihnacht für Dich und im neuen Jahr viel mehr ICHZEIT :xmas:

LG Fliege

 

Hallo Fliege,

deine Geschichte kann man zügig durchlesen. Obwohl ich eigentlich noch den ganzen Tag in der Beschreibung der Alpenidylle hätte verweilen können. (War ein wenig wie Kurzurlaub beim Lesen.) Aber Kurzgeschichten gehen halt recht schnell weiter...
Aber der Kontrast Heimatfilmidylle – sadistisch Kind funktioniert meiner Meinung nach gut.
Die Dialoge sind wirklich wie aus dem Leben gegriffen. Nichts ist holperig.

Fazit: eine runde Geschichte, die mir gefallen hat.

Grüße
Lind

 

Hey Lind,

vielen lieben Dank für die Rückmeldung. Wenn sie so hübsch sind, freut das natürlich ungemein.

Mein Lieblingssatz ist dieser:

Obwohl ich eigentlich noch den ganzen Tag in der Beschreibung der Alpenidylle hätte verweilen können. (War ein wenig wie Kurzurlaub beim Lesen.)

Das finde ich toll!

Aber Kurzgeschichten gehen halt recht schnell weiter...

Das Gefühl kenne ich auch. Und ja, manchmal würde einem selbst Idylle völlig genügend. Nur leider ist die auf Dauer wenig spannend. Das war schon im Paradies so.

Die Dialoge sind wirklich wie aus dem Leben gegriffen.

Freut mich auch zu hören.

Vielen Dank nochmals und eine zauberhafte Restweihnachtszeit für Dich :xmas:

 

Liebe Fliege,

Ich habe Deine Geschichte mehr als einmal gelesen, weil ich von Deinem Schreibstil lernen kann. Es fasziniert mich, wie durch Deine Beschreibungen Personen und Landschaften lebendig werden.
Eine gelungene Geschichte.

Für das neue Jahr wünsche ich Dir alles Liebe und Gute.
Marai

 

Liebe Marai,

Ich habe Deine Geschichte mehr als einmal gelesen, weil ich von Deinem Schreibstil lernen kann.

Wow. Was für ein schönes Kompliment. Vielen Dank!

Für das neue Jahr wünsche ich Dir alles Liebe und Gute.

Das wünsche ich Dir auch! Ein richtig gutes Marai-Jahr soll es werden.

Hab Dank fürs Lesen und die netten Zeilen,
Lieben Gruß, Fliege

 

Hallo Fliege,

ein interessantes ethisches Dilemma hast Du da gebaut. Gefällt mir total gut. Das ist für mich sicher eine der besten Geschichten der letzten Monate. Du machst handwerklich so viel richtig, dass es mir schwer fällt, Kritikpunkte oder Verbesserungsmöglichkeiten zu benennen. (Ich bin aber auch schon ein bisschen betrunken.)

Aus den bereits von Kritikern angeführten Punkten möchte ich drei herausgreifen (glaube von Schwups/ Maria, Holg und Chris), die mich am meisten beschäftigen. Am schwersten wiegt für mich die Frage nach dem Schlagen von Kindern.

Was müsste passieren, mich dazu zu bringen, ein Kind zu ohrfeigen? (Mit Befremden habe ich gelesen, dass das in irgendeinem Kommentar begrüßt wurde, aber vielleicht irre mich ...) Sicher nur rasende Wut, Angst, Verzweiflung. Aber selbst dann ... Also kurzum, der Knall am Schluss war sicher effektvoll, aber so ganz bekomme ich diese Reaktion nicht in Übereinstimmung mit dem Bild, das ich von der Erzählerin bis dahin hatte.

Dann diese Geschichte mit der sozialen Kompetenz/ Intelligenz. Wie eine Mutter auf die Idee kommen kann, ihr Kind wäre in sozialer Hinsicht besonders intelligent, obwohl es keine/ nicht viele Freunde hat, ist mir ein Rätsel. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie meint, ihr Kind würde die Schwachstellen anderer besonders schnell erfassen und wissen, wie man dieses Wissen ausnutzt. Aber ist das nicht etwas sehr um die Ecke gedacht?

Der gängigen Bedeutung des Begriffs nach würde soziale Intelligenz doch eher umgekehrt bedeuten, den anderen das Gefühl zu geben, ebenbürtig zu sein (selbst wenn das nicht zuträfe), um miteinander zu harmonieren und tragfähige Freundschaften zu entwickeln. Oder verstehe ich da was falsch?

Und dritter Punkt: Wenn das Ende der Geschichte den Zusammenbruch von Lenas Selbstbeherrschung zeigt, welcher Konflikt wird da eigentlich aufgelöst? Chris hat den Punkt angesprochen, glaub ich. Müsste man daraus nicht folgern, dass die Geschichte Lenas psychische Situation thematisiert? Bis zum Ende hatte ich aber den Eindruck, das Thema wäre Arons Problematik. Doch diese Problematik/ dieser Konflikt wird schwerlich durch eine Ohrfeige von Lena gelöst.

Aus diesem Grunde habe ich angenommen, Aron würde etwas zustoßen, etwas erleben, das in einem Zusammenhang mit seinem Verhalten steht. Und das ist hier nicht der Fall. Denn das wäre ethisch ein Problem: Die Geschichte würde sagen, dass Lenas Reaktion gewissermaßen die karmische Gerechtigkeit für Arons Verhalten darstellt. Das stimmt aber nicht. Lenas Reaktion ist Lenas Problematik, nicht die Arons.

Naja, wie anfangs gesagt, ein spannendes ethisches Dilemma. Die Empfehlung kann ich nur unterschreiben,

Wünsche Dir einen guten Rutsch, Fliege!

Gruß Achillus

 

Hey Achillus,


und Danke für deine Rückmeldung. Hat mich sehr gefreut.

ein interessantes ethisches Dilemma hast Du da gebaut. Gefällt mir total gut.

yeah!

Was müsste passieren, mich dazu zu bringen, ein Kind zu ohrfeigen? ... Sicher nur rasende Wut, Angst, Verzweiflung. Aber selbst dann ... Also kurzum, der Knall am Schluss war sicher effektvoll, aber so ganz bekomme ich diese Reaktion nicht in Übereinstimmung mit dem Bild, das ich von der Erzählerin bis dahin hatte.

Ich hoffte, Wut, Angst und Verzweiflung in der Geschichte für Lena untergebracht zu haben. Für dich (u.a.) reicht es aber dennoch nicht. Wieder anderen Kommentatoren schon. Existenzängste zerren auf jeden Fall an den Nerven und nicht gerade wenig. Dazu die "Spannung", die sich zwischen den Frauen aufbaut, Aron, der seine Spielchen mit Finn treibt, der Lena geradezu noch auffordert - also, ihre Nerven sind mehr als dünn und die Selbstkontrolle versagt halt irgendwann, wenn der berühmte Tropfen fällt. Der Tropfen ist für mich Arons Aufforderung. Natürlich ist Lena kein Schlägertyp, sie ist alles andere als das, aber genau der Punkt war das spannende für mich. Was muss zusammenkommen, damit eine Person die Nerven verliert und eine Grenze überschreitet? Für Dich nicht überzeugend, muss ich schlucken. Ich glaube aber, und deshalb werde ich das Drama auch nicht zusätzlich aufpuschen, so weit weg vom Alltag in all seinen Facetten ist es nicht. Manche ticken schon viel eher aus, manche nie. Die Nie-Menschen sind aber echt in der Unterzahl. Wenn nicht sogar Heilige.

Wie eine Mutter auf die Idee kommen kann, ihr Kind wäre in sozialer Hinsicht besonders intelligent, obwohl es keine/ nicht viele Freunde hat, ist mir ein Rätsel.

Oh, ich kenne so eine Mutter. Sorry, aber der Spruch ist echt. So manche Mutter verliert den kritischen, selbstreflektierenden Blick in Hinblick auf den Nachwuchs. Das ist wie verliebt sein. Da sieht man auch die Pickel nicht. Aber ich finde schön, dass du so ein Urvertrauen in die Mütter und deren Selbstwahrnehmung hast.

Der gängigen Bedeutung des Begriffs nach würde soziale Intelligenz doch eher umgekehrt bedeuten, den anderen das Gefühl zu geben, ebenbürtig zu sein (selbst wenn das nicht zuträfe), um miteinander zu harmonieren und tragfähige Freundschaften zu entwickeln. Oder verstehe ich da was falsch?

Das verstehst Du durchaus richtig. Aber versteht das eine Mutter, die ihr Kind selbst nie in ein schlechtes Licht stellen würde, das auch? Oder fängt sie an, Begriffe nach ihrem eigenen Gutdünken zu definieren? Wir bauen uns die Welt, wie sie uns gefällt ...

Und dritter Punkt: Wenn das Ende der Geschichte den Zusammenbruch von Lenas Selbstbeherrschung zeigt, welcher Konflikt wird da eigentlich aufgelöst?

Keiner. Welcher Konflikt scheint Dir in der Geschichte denn überhaupt lösbar? Wäre nicht eine Konfliktlösung (egal welcher) hier abseits aller Realität? Lösen wir denn immer alle Konflikte im Alltag auf?

Müsste man daraus nicht folgern, dass die Geschichte Lenas psychische Situation thematisiert?

Unter der Prämisse hab ich sie geschrieben. Genau das ist mein Thema.

Bis zum Ende hatte ich aber den Eindruck, das Thema wäre Arons Problematik.

Ich wüsste aber nicht, an welcher Stelle ich Aron thematisiert hätte. Er ist ein Stichwortgeber, ein Handlungsreiz, aber die Geschichte dreht sich doch nicht um ihn? Er ist doch nicht die Hauptfigur. Ich bin total verwirrt, wie ich den Leser auf diese Fährte bringen konnte. Aber gut, Du hast es so gelesen, also wird da sicher auch was dran sein. Ich kann es gerade nur überhaupt nicht nachvollziehen.

Lenas Reaktion ist Lenas Problematik, nicht die Arons.

Absolut! Und wenn Du am Ende auf diesen Schluss kommst, dann habe ich doch alles richtig gemacht :p.

Eine Geschichte zu schreiben, in der Kind eine Ohrfeige einfängt, ist von Anfang an ein Wagnis, weil es eben auf Unverständnis beim Leser stoßen muss, weil es ein absolutes Tabu ist. Das den Weg nicht alle mitgehen, war absehbar. Mich hat diese Grenzüberschreitung interessiert, das war meine Motivation für die Geschichte. Ich seh die Lenafigur aber so, dass sie sich diese Impulshandlung noch ewig vorwerfen wird. Gerade weil sie so ist wie sie ist.

Jetzt bin ich noch ein wenig verwirrt, aber das legt sich bestimmt wieder ;).
Ich danke Dir auf jeden Fall!

Ich wünsche Dir ein tolles 2016!
Beste Grüße, Fliege

 

Hallo Fliege,

ich habe deine Geschichte schon vor einiger Zeit und gerne gelesen.

Aron ist schon ein ganz schön gewiefter und durchtriebener Schlingel. Kein Wunder, dass der keine Freunde findet. Aber solange das bei seiner Mutter alles in Ordnung zu sein scheint - oder sie interessiert sich nicht wirklich, wie ihr Sohn tickt - kann er ja machen, was er will.

Du baust einen schönen Spannungsbogen auf und die Geschichte geht zielstrebig auf das Desaster zu. Die heile Welt, die deine Prot. anfangs noch vorzufinden scheint, bröckelt in sich zusammen und am Ende ist die Frage, wer von beiden mehr Hilfe bräuchte.

Sehr gerne gelesen!

Schönen Gruß
Khnebel

 

Hallo Fliege,

wenn einer in Bayern schon Aron heißt, dann kann das nicht gut ausgehen :D.
Habe zufälligerweise gestern Abend die Monika Gruber auf BR gesehen, bayr. Kaberettistin falls nicht bekannt.

Lustig, denn auch bei ihr ging es u.a. um Eltern, die nur Hochbegabte aufziehen, die durch das Geben von ausgefallenen Namen dafür sorgen wollen, dass ihr Kids ebenso ausgefallen und einzigartig und eben nicht 'normal' werden.

Perfekt geschrieben und das dieses Anti-Happy-End find ich ohnehin grenzgenial :lol:

lG aus den Tiroler Bergen,

Luigi

 

Hey khnebel,

vielen lieben Dank für Zeit und Kommentar!

ich habe deine Geschichte schon vor einiger Zeit und gerne gelesen.

Du baust einen schönen Spannungsbogen auf und die Geschichte geht zielstrebig auf das Desaster zu. Die heile Welt, die deine Prot. anfangs noch vorzufinden scheint, bröckelt in sich zusammen und am Ende ist die Frage, wer von beiden mehr Hilfe bräuchte.

Die Lesart freut mich doch! Da hab ich mich gleich um so mehr über Deinen Besuch gefreut.


Hey Luigi,

und auch Dir vielen Dank für Zeit und Worte.

Lustig, denn auch bei ihr ging es u.a. um Eltern, die nur Hochbegabte aufziehen, die durch das Geben von ausgefallenen Namen dafür sorgen wollen, dass ihr Kids ebenso ausgefallen und einzigartig und eben nicht 'normal' werden.

Ah, schau an! Jetzt erklärt sich mir so mancher Name :D. Verrückte Welt ...

Perfekt geschrieben und das dieses Anti-Happy-End find ich ohnehin grenzgenial

Jetzt werd ich ein bisschen rot und freue mich still.

Wenn es in den nächsten Tagen bei mir wieder etwas ruhiger zugeht (hoffe ich zumindest), dann arbeite ich mich in der TdM-Liste weiter vor. Bis die Tage also.


Beste Grüße an Euch beide!
Fliege

 

Hallo Fliege,

stylistisch ist es eine perfekt erzählte Geschichte. Die Atmosphäre ist packend, man ist sofort in der Story.

Mir persönlich ist die Story von den Stereotypen her viel zu dick aufgetragen.

1. Die Frauen reden kaum über ihre unterschiedlichen Ansichten, schweigen Probleme tot,
2. Die Jungen haben nur Quatsch im Kopf und sorgen für die Probleme
3. Natürlich ist der Böse der andere.


--> Klingt ein bisschen nach den Meldungen der letzten Tage. Hättest du die Vorgeschichte nicht erwähnt, könnte man denken, Männer seien grundsätzlich böse und Frauen die Opfer. (Die Kölner Sylvester-Nacht reloaded quasi)

Aus der Genderperspektive langweilen mich daher diese Stereotypen.

Du nutzt sie allerdings perfekt und kreierst eine gute Atmosphäre.
Allerdings ist nichts Neues dabei.

Deine Protagonistin entstammt für mich exakt dem Rosamunde-Pilcher Universum, das du kritisierst, gepaart mit dem Fall der Woche aus "Der Bergdoktor", allerdings ohne Lösung. Allein Aron bringt ein bisschen "Psycho" und etwas "Shining" in die Story.

Super kompakte Story, aber mir ist es zu plakativ.
Für mich bleibst du leider auf der sicheren Seite und riskiert nichts, außer mit der Ohrfeige, die ich aber für zu erzwungen halte. Ich kann sie nicht nachvollziehen.

 

Genderperspektive.

Müssen wir demnächst auch Judith Butler lesen, bevor wir hier was kommentieren dürfen?

 

Den Titel „Warum die Berge an manchen Stellen höher sind“ finde ich nichtssagend bis irreführend, obwohl sich der Satz so ähnlich in der Geschichte findet. Besser wäre vielleicht „Weißglut“ oder „Mutprobe“. Oder eben der ursprüngliche Titel.

Aber die Geschichte selbst ist toll. Ich habe Mütter gekannt, die ihren Söhnen alles durchgehen ließen. Sie waren selbstverständlich gegen jede Gewalt, aber ihr Sohn durfte, ja musste sich schon im Kindergarten mit anderen Kindern schlagen, weil aus ihm halt ein „richtiger“ Mann werden sollte und kein Schlappschwanz. Und dann wundert man sich, dass es männliche Gewalt gibt, deren Opfer überwiegend andere Männer sind. Dabei sind sich diese Mütter keiner eigenen Schuld bewusst, denn Schuld sind immer die anderen Kinder, Jugendliche, Männer.

Die Geschichte ist gekonnt geschrieben: Aus einer anfänglichen Idylle wird eine Katastrophe - in den Augen der Mütter. Ich sehe das nicht so dramatisch, denn dass sich Mütter für das eigene Kind über Gebühr einsetzen, das kommt sehr häufig vor, dies vor allem dann, wenn es das einzige ist. Aber die Geschichte ist aus der Sicht der Ich-Erzählerin geschrieben, und die darf natürlich denken, dass das andere Kind ein Psychopath ist, während seine Mutter denkt, ihr Sohn ist den anderen Kindern im sozialen, d.h. zwischenmenschlichen Bereich überlegen, was auch stimmen dürfte: Es gibt halt Cäsaren und Sklaven auch heute noch, wenn auch nur im übertragenen Sinn, und was einer mal werden wird, zeigt sich schon sehr früh.

Und das gilt für alle Personen: Sie sind, was sie sind. Man muss sie auch so nehmen – eine Geschichte ist kein Wunschkonzert, politische Korrektheit wäre hier falsch.

Das Ende, das manche so super finden, finde ich schon ein bisschen dick aufgetragen. Ich meine: Ich-Erzählerin knallt dem Aron eine, dessen Mutter kommt genau in dem Moment hinzu, und ihr eigener Sohn weicht von ihr weg, das wirkt schon ein wenig konstruiert, wenn auch nach wie vor glaubhaft. Und das ist das Hauptkriterium: Eine Geschichte muss glaubhaft sein, es sei denn, sie ist ein Märchen.

Insofern ist alles okay: Toller Plot, toll geschrieben – was will man mehr?

 

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