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Warum ich einem Österreicher in die Fresse schlug

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19.06.2001
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Warum ich einem Österreicher in die Fresse schlug

WARUM ICH EINEM ÖSTERREICHER IN DIE FRESSE SCHLUG


"Name?" Gelangweilt läßt der Polizist den Kugelschreiber zwischen seinen Fingern kreisen. Immer wieder spitzt er seine spröden Lippen zu einem Kußmund, streckt dann kurz die Zungenspitze heraus und räuspert sich. "Name?", wiederholt er seine Frage. Es riecht nach abgestandenem Kaffee.
Die Tür ist offen, und ich kann Menschen sehen, die schnell über den Gang laufen. Manche tragen Uniformen und halten Kaffeetassen in ihren Händen. Andere sind zivil gekleidet. Kriminelle vielleicht?
"Name!" Der Polizist legt das Formular auf den Tisch. "Ihren Namen! Bitte!"
An der mit graugelben Tapeten beklebten Wand hängen Poster, auf denen die 'Zwanzig meistgesuchten Verbrecher 1997' abgebildet sind. Dazwischen Bilder mit kitschigen Landschaftsaufnahmen, über dem kleinen Waschbecken hat jemand einen Kalender des Jahres 2004 angebracht, der ein nacktes Mädchen zeigt, welches sich lustvoll auf der Kühlerhaube eines Sportwagens räkelt und sich Miss Juni nennt. Kurz sehe ich aus dem Fenster. Draußen schneit es. Januar. Möglicherweise ist Miss Juni die Frau im Kalender, die alle anderen durch pure Schönheit aussticht. Es kann auch daran liegen, dass man mit ein wenig Phantasie ihre rasierte...
"Name!" Der Polizist steht auf und klatscht in die Hände. "Hallo? Ich rede mit Ihnen!"
Aus den Augenwinkeln heraus erkenne ich, wie die zwei anderen Beamten, die im Hintergrund auf zwei Plastikstühlen sitzen, hilflos mit den Schultern zucken. Es ist ein Schulterzucken der Sorte 'Nicht mein Problem, ich bin nur da, um da zu sein, falls es eskaliert'. Natürlich wird es zu keinem Zwischenfall kommen. Ich bin die Ruhe in Person.
Der Polizist steckt seine Hände in die Hosentasche und stößt einen tiefen Seufzer aus. "Ich kann auch anders...", droht er.
Das will ich selbstverständlich vermeiden. "Berger", sage ich klar und deutlich. "Karl-Äugen Berger. Äugen mit Ä, nicht mit E." Ich lächle.
"Geht doch", brummt der Polizist und setzt sich wieder. Mit krakeliger Schrift füllt er die entsprechende Zeile auf dem Formular aus. "Äugen? Wie kommt man zu so einem Namen?"
"Da müssen Sie meine Eltern fragen", antworte ich. Die beiden Männer hinter mir kichern. Warum, wissen sie wohl nur selbst.
"Alter?"
Ich nicke. "Sehr alt..."
Überrascht hebt der Polizist den Kopf und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. "Wie war das?"
"Siebenundzwanzig."
Er wartet einen Moment, scheint nachzudenken, aber dann schüttelt er nur kurz den Kopf und setzt den Kugelschreiber wieder an. "Alter... Siebenundzwanzig..."
Die dünnen Plastikriemen an meinen Handgelenken schmerzen. "Kann man die nicht abmachen?"
"Nein!", sagt der Polizist. "Nachher vielleicht, wenn die Kripo sich mit Ihnen beschäftigen wird. Jetzt sind Sie erstmal bei uns. Wir nehmen die Formalitäten auf, und damit hat es sich."
Selbstverständlich wäre es für ihn kein Problem, mich von diesen neumodischen Folterinstrumenten zu befreien, aber vermutlich spielen in dieser Angelegenheit die Faktoren Angst und Unsicherheit eine größere Rolle. Ich räuspere mich. "War nur eine Frage." Ich kann ihn und die anderen beiden gut verstehen. Es ist keine zwei Stunden her, dass man mich von diesem Typen wegzerren mußte, damit ich nicht auch noch die Ohren von seinem Kopf reißen konnte.
"Wohnort?"
Ich muß mich überwinden, nicht 'Mal hier, mal da' zu sagen. "Berlin." Es muß einfach raus. "Mal hier, mal da."
"So? Straße?"
"Obdachlos!" Ich spucke ihn geradezu an. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie aus meinem Mund kleine, mit Milliarden von Bakterien bevölkerten Speicheltröpfchen auf seine aufgedunsene Haut prallen. "Keine Wohnung, leider. Hat nicht gereicht."
Der Polizist legt den Kugelschreiber zur Seite und greift nach der mit dem Logo irgendeines Kegelvereins geschmückten Kaffeetasse. Bedächtig nippt er und schluckt die kalte Brühe herunter.
Sie muß furchtbar schmecken, ich habe es riechen können, als mich die zwei anderen in den Raum führten. Ihm scheint es nichts auszumachen.
"Kein Pass, keine Adresse... Das nennt man wohl Pech, was?" Sein Mund verformt sich zu einem selbstgefälligen Grinsen.
"Wenn Sie das so nennen wollen..." Ich grinse noch selbstgefälliger zurück. Für die drei Polizisten muß ich wie ein Verrückter wirken, der keine Ahnung hat, was auf ihn zukommen wird.
"Na, Sie sind mir ja einer, Herr Berger." Kopfschüttelnd legt der Polizist das Formular zur Seite, steht auf und geht zum Fenster. "Wissen Sie eigentlich, was Sie getan haben?"
Ich lege meinen Kopf etwas quer. "Er hat es verdient." Hinter mir wieder das Tuscheln der beiden anderen. "Was?", rufe ich nach hinten.
"Die Kripo wird Sie hart rannehmen, Herr Berger. Der Melchinger ist ein harter Hund. Schlimmer als im Fernsehen!" Der Polizist dreht sich zu mir um. "Und Sie tun so, als ob die ganze Sache Ihnen am Arsch vorbeigeht."
Ich zucke mit den Schultern. "Tut es auch. Und außerdem, es war nur ein Österreicher." Der erste gelungene Witz, seit wir vier in dem Raum sitzen. Wir lachen alle herzhaft, zwar nur kurz, aber es ist ehrlich, kommt von ganz tief innen.
"Einzelzelle!", sagt der Polizist.
Ich werde von den beiden anderen aus dem Raum geführt. Im Gang stinkt es, ich habe Mühe, mich nicht übergeben zu müssen.

Der Abend hatte eigentlich gut angefangen. Ich saß in einer der dunkleren Ecken, nahm ab und zu einen Schluck lauwarmes Bier zu mir. Angenehm süffig. Genau richtig. Dann kam sie die Treppe hinunter. Wie ein Stern erleuchtete sie die allgegenwärtige Trostlosigkeit. Männer und Frauen gleichermaßen schauten sie bewundernd an. Ohne Zweifel hätte ich sie bis in die frühen Morgenstunden von einer Explosion zur nächsten getrieben, wenn nicht er an ihrer Seite gewesen wäre. Ich hatte ihn früher schon einmal gesehen. Prag vielleicht. Oder Warschau. Er war Österreicher, behielt das allerdings für sich. Verständlich. Er hatte sich im Gegensatz zu mir kaum verändert. Immer noch die buschigen Augenbrauen, das breite Kreuz, der bullige Stiernacken, die funkelnden Augen. Auch er erkannte mich, hob sogar die Hand zum Gruß. Ich nickte ihm zu und verkroch mich wieder in das Halbdunkel der Eckbank. Als er schließlich irgendwann auf die Toilette ging, folgte ich ihm. Die Frau, diese mehr als begehrenswerte Perle der Welt, saß aufrecht am Tisch und lächelte, jedoch waren ihre Augen kalt. Es mußte innerhalb von Sekundenbruchteilen passiert sein. Auf der Toilette überraschte ich ihn, als er gegen den großen, von kleinen Glühbirnen umrundeten Wandspiegel pisste. Er konnte mich nicht sehen. Damit hatte ich gerechnet. Warum er mich nicht sofort spürte, war mir jedoch ein Rätsel. Möglich, dass er zu sehr mit der Größe seines Schwanzes beschäftigt war. Ich trat ihm von hinten mit der Stiefelspitze in die Stelle, wo der Sack aufhört, und der Arsch anfängt. Kreischend ging er in die Knie. Ich schlug ihm mit der Faust gegen das rechte Ohr. Winselnd kippte er um. Zufrieden setzte ich mich auf seine Brust und schlug zu. Immer wieder. Bis nur noch ein Klumpen aus Fleisch mir entgegen jammerte. Als ich seine Ohren packen wollte, wurde ich weggerissen. Hände umklammerten mich, zerrten an mir. Schnell beruhigte ich mich und wurde abgeführt.

"Sie kommen zurecht, ja?" Mitleidig sehe ich dem Beamten zu, wie dieser einen Schlüssel nach dem anderen ausprobiert.
Irritiert starrt der Polizist schließlich auf das Schlüsselbund. "Das verstehe ich nicht."
"Gib mal her!", sagt der andere und nimmt das Schlüsselbund an sich. "C-15!" Fast triumphierend hält er seinem Kollegen den Schlüssel unter die Nase.
Ich pfeife anerkennend. "Sie sind ein fähiger Mann!"
"Halt du bloß die Schnauze!", faucht er mich an. Die Tür geht auf. Wir starren in die Dunkelheit. "Los, rein mit dir! Vielleicht hast du die Stunde Zeit, um über einiges nachzudenken. Warte nur, bis der Melchinger..."
"Ich weiß!", unterbreche ich ihn sanft. "Ein harter Hund." Ich nicke in die Zelle hinein. "Können Sie mir das Fenster öffnen? Es stinkt!" Die beiden glotzen mich mit offenen Mündern an. "Oh... In Erfurt gibt es in jeder Zelle ein Fenster. Ein schmales, kaum größer als ein A3-Blatt. Drei dicke Eisenstäbe davor. Keine Chance zur Flucht. Verhält es sich in der Hauptstadt anders?"
Wortlos betätigt der eine den Lichtschalter, der gut zehn Zentimeter neben dem Türrahmen installiert ist. Schlagartig wird es hell. Es blendet mich. Dann geht er in die Zelle hinein, steigt mühsam auf einen hohen Mauervorsprung und öffnet das Fenster.
"Danke!", sage ich, als er wieder außerhalb der Zelle ist. Ich meine es ernst.
"Rein da! Jetzt!"
Ich werde in die Zelle gestoßen. Die Tür schließt sich. Das Licht geht aus. Ich atme tief durch. Es stinkt nach Schweiß, Kotze, Pisse und Scheiße. Mir wird schlecht. An den Wänden sind unzählige Sprüche von unzähligen Menschen eingeritzt worden: 'Moni fickt den Islamisten', 'Hertha BSE tut weh', 'Kalle war hier und hat in alle vier Ecken gewichst', 'Scheiß Bullerei' Mir fehlt die Zeit, um sie alle zu lesen. Kurz ziehe ich meine Hände auseinander, und die Plastikriemen zerbrechen, fallen zu Boden, wo sie ein kaum hörbares Geräusch verursachen. Dennoch halte ich für einen Moment inne. Nichts geschieht. Ich gehe zum Fenster, es sind nur drei Meter, trotzdem laufe ich im Zickzackkurs. Ich verspüre keine Lust, in verblichene Blutlachen zu treten. Bald wird die Sonne aufgehen. Ich kann es spüren. Unter meinem T-Shirt klebt die Briefbörse des Polizisten mit der aufgedunsenen Haut. Natürlich haben sie nicht mitbekommen, wie ich sie aus der Innentasche seines Mantels an mich genommen habe. Für das menschliche Auge sind viele Dinge einfach nicht realisierbar. Ich saß schneller wieder auf dem Stuhl, als die drei Polizisten blinzeln konnten. Vielleicht werde ich ihn bald besuchen. Vielleicht werde ich ihn besuchen und nur beobachten. Vielleicht werde ich ihn aber auch besuchen und töten. In Berlin sind es vier Eisenstäbe, stelle ich lächelnd fest. "Tja..." Ich drehe mich zur Tür um und verbeuge mich. "Das wars dann wohl..." Ich gehe in die Hocke, stoße mich vom Boden ab und verschwinde, lautlos und schnell.


ENDE


copyright by Poncher (SV)

27.02.2004

 

warum in deckung gehen? sind doch alles *menschen* hier, oder? :D

und buji ... du darfst dir weiter blöd vorkommen, solang du nicht mal weisst, wie man den titel dieses films schreibt. *g*

 

Hey Poncher,

danke für den Titel! Er hat mich dazu gebracht, diese exzellent geschriebene Geschichte zu lesen.
Billige Provokation funktioniert.
Wenn unser Erzähler ein Vampir ist, sollte er Probleme im Tageslicht bekommen, auch wenn es durch ein winziges Fenster in seine Zelle sickert. Mir ist nicht ganz klar, WO die Geschichte spielt. Hübsch wäre es, die Polizisten ein wenig nach Knoblauch stinken zu lassen.
Handelt es sich bei dem Österreicher um einen österreichischen Vampir? Den Gewaltausbruch verstehe ich nicht. Wenn ich Zeuge werde, wie jemand einen Spiegel anpisst, löst das bei mir nicht unbedingt Hassgefühle aus, und wenn mir die Freundin eines Anderen gefällt, besteht die beste Methode der Annäherung nicht unbedingt darin, den Betreffenden zusammenzuschlagen. :rolleyes:

Fazit: Abgesehen von logischen Unstimmigkeiten und einigen albernen Provokationen eine unterhaltsame Geschichte.

Es grüßt,

Der gute Fritz

aus dem schönen Tirol

 

Die Geschichte spielt in Berlin. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, "moderne" Vampire können durchaus auch Neonlicht vertragen. (Obwohl mir diese Erklärungen, sorry, zu doof sind.) Ja, es ist ein Schluchtenscheißer-Vampir, also der Typ, der mit der Super-Frau die Bar betritt. Unser Held wird wütend, weil der Ösi die Frau gekillt hat, daher auch der Gewaltausbruch.

Die sogenannten Provokationen fand ich nicht albern. Stellt euch vor, ich hätte die Geschichte "Warum ich einem Juden in die Fresse schlug" genannt... :rolleyes:

Ob Schluchtenscheißer ein Beruf ist, weiß ich nicht. Müssen wir mal die Ösi-Fraktion fragen. Jedoch ist Schluchtenscheißer von uns Deutschen ja eher lieb gemeint... ;) Schwamm drüber.

Bedauerlich, dass sich fast alle nur wegen des Nationalitätendingsbums aufregen. :( Naja, also fast alle, die Hälfte vielleicht, ein Drittel, ganze drei Prozent (?) ;)

 

Wer vernünftige Kommentare will, sollte nicht solche komischen Titel verwenden, die Provozierte anlocken aber Leute wie mich vom Lesen abhalten. Purer Zufall, daß ich jetzt doch mal reingeschaut habe.
Der Stil ist etwas länglich, Gernots Vorschlag ist genial. Da mir deine Reaktionen auf Kritik hinlänglich bekannt sind, spare ich mir die Arbeit des Zerpflückens irgendwelcher Stellen.
Daß der Kerl irgendwie widernatürlich ist, war irgendwie die ganze Zeit klar, die Hinweise sind weder zuviel noch zuwenig, sie sind genau richtig.
Daß er ein Vampir sein könnte, habe ich assoziiert, als er nicht im Spiegel zu sehen war, als er blitzeschnell war (Anne Rice kam mir in den Sinn), und als er das Aufgehen der Sonne vorausahnte.
Was mir nicht einleuchtete, war, wieso er sich überhaupt hatte festnehmen lassen. Das hätte er ja mit seinen Fähigkeiten wohl nicht nötig gehabt.

r

 

Na, immerhin hast du dich zu einem Kommentar herabgelassen, auch wenn es natürlich bloßer Zufall war. :) Gernots Vorschlag mag für dich genial erscheinen, paßt aber nicht zum Text. Was Reaktionen auf Kritiken anbelangt: Es ist nicht so, dass sie mir am Arsch vorbeigehen, vielmehr versuche ich, Hinweise auf Stilblüten etc. in dann kommende Geschichten mit einzubeziehen. Das mag manchmal gelingen, manchmal auch nicht.

Hm, dass ausgerechnet du die Formulierung "komische Titel" verwendest...

Gruß,
Poncher

 

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