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Was darf ich Ihnen bringen?
In den verwinkelten Gassen einer seltsamen kleinen Stadt, deren Namen ich hier nicht nennen will, hatte ich Fotos geschossen. Es gab dort einen Dom, einen mittelalterlichen Turm und etliche Bürgerhäuser.
Weil mir die Füße wehtaten, setzte ich mich auf den Rand eines Brunnens.
Und zog mir die Schuhe aus. Und beobachtete eine Weile das Treiben der Touristengruppen.
Da kam plötzlich ein Oberkellner mit Jacket, dicker Geldbörse, Block und allem auf mich zu, und fragte: "Was darf ich Ihnen bringen?"
Das war seltsam, denn es gab weit und breit kein Kaffeehaus! Ich bestellte trotzdem einen großen Braunen.
Nach dieser Szene nahm ich endlich zur Kenntnis, dass zwischen all den Touristenhorden immer wieder ein Kellner auftauchte, der ein voll beladenes Tablett bei sich trug, oder einer, der das schmutzige Geschirr abräumte, das auf allen waagrechten Flächen herumstand. Auch das war seltsam und hätte mir eigentlich längst auffallen müssen!
In meinem Blickfeld gab es einen gut bestückten Zeitschriftenstand. Von Zeit zu Zeit holte sich dort jemand eine Zeitung oder eine Zeitschrift, ohne zu bezahlen. Einen Verkäufer gab es nicht. Ich nahm auch das stirnrunzelnd zur Kenntnis, da sah ich, wie jemand eine großformatige Tageszeitung zu dem Stand hintrug, und sie fein säuberlich zwischen all die anderen Zeitungen einreihte. Neben mir saß eine Frau, die einige Illustrierte neben sich abgelegt hatte. Jemand trat zu ihr, nahm eine davon in die Hand und fragte: "Brauchen Sie die noch?" - Die Frau schüttelte den Kopf.
So trank ich also meinen Kaffee und wartete. Aber der Oberkellner kam nicht mehr. Der Reisebus, der mich und all die anderen aus meiner Gruppe herangekarrt hatte, würde in einer Viertelstunde abfahren. Also musste ich wohl oder übel gehen, ohne zu bezahlen.
Zehn Minuten später traf ich meinen Sitznachbarn und erzählte ihm von dem unbezahlten Kaffee. Er sah mich mich an, als zweifelte er an meiner Zurechnungsfähigkeit, und legte mir nahe, den Kellner doch einfach zu rufen.
Wir standen auf dem großen Parkplatz am Rande dieser kleinen Stadt. Überall parkten Reisebusse und Fremdenführer leiteten ihre Gruppen, indem sie Fähnchen in die Luft hielten.
Um die Lächerlichkeit des Vorschlags zu demonstrieren, rief ich einmal versuchsweise: "Herr Ober, zahlen bitte!"
Wenig später kam auch schon derselbe Kellner, der mir den Kaffee gebracht hatte, zwischen zwei Reisebussen hervor, trat auf mich zu und kritzelte die Rechnung auf seinen Block. Ich zahlte. Er fragte noch: "War's recht?"
Ich nickte nur.
Fassungslos über dieses Erlebnis stand ich noch eine Weile da, bis mein Sitznachbar mich mit den Worten "Komm, wir müssen fahren!" in das Innere des großen Reisebusses schubste.