Was ist neu

Was darf ich Ihnen bringen?

Seniors
Beitritt
12.02.2004
Beiträge
1.233
Zuletzt bearbeitet:

Was darf ich Ihnen bringen?

In den verwinkelten Gassen einer seltsamen kleinen Stadt, deren Namen ich hier nicht nennen will, hatte ich Fotos geschossen. Es gab dort einen Dom, einen mittelalterlichen Turm und etliche Bürgerhäuser.

Weil mir die Füße wehtaten, setzte ich mich auf den Rand eines Brunnens.
Und zog mir die Schuhe aus. Und beobachtete eine Weile das Treiben der Touristengruppen.

Da kam plötzlich ein Oberkellner mit Jacket, dicker Geldbörse, Block und allem auf mich zu, und fragte: "Was darf ich Ihnen bringen?"
Das war seltsam, denn es gab weit und breit kein Kaffeehaus! Ich bestellte trotzdem einen großen Braunen.

Nach dieser Szene nahm ich endlich zur Kenntnis, dass zwischen all den Touristenhorden immer wieder ein Kellner auftauchte, der ein voll beladenes Tablett bei sich trug, oder einer, der das schmutzige Geschirr abräumte, das auf allen waagrechten Flächen herumstand. Auch das war seltsam und hätte mir eigentlich längst auffallen müssen!

In meinem Blickfeld gab es einen gut bestückten Zeitschriftenstand. Von Zeit zu Zeit holte sich dort jemand eine Zeitung oder eine Zeitschrift, ohne zu bezahlen. Einen Verkäufer gab es nicht. Ich nahm auch das stirnrunzelnd zur Kenntnis, da sah ich, wie jemand eine großformatige Tageszeitung zu dem Stand hintrug, und sie fein säuberlich zwischen all die anderen Zeitungen einreihte. Neben mir saß eine Frau, die einige Illustrierte neben sich abgelegt hatte. Jemand trat zu ihr, nahm eine davon in die Hand und fragte: "Brauchen Sie die noch?" - Die Frau schüttelte den Kopf.

So trank ich also meinen Kaffee und wartete. Aber der Oberkellner kam nicht mehr. Der Reisebus, der mich und all die anderen aus meiner Gruppe herangekarrt hatte, würde in einer Viertelstunde abfahren. Also musste ich wohl oder übel gehen, ohne zu bezahlen.

Zehn Minuten später traf ich meinen Sitznachbarn und erzählte ihm von dem unbezahlten Kaffee. Er sah mich mich an, als zweifelte er an meiner Zurechnungsfähigkeit, und legte mir nahe, den Kellner doch einfach zu rufen.
Wir standen auf dem großen Parkplatz am Rande dieser kleinen Stadt. Überall parkten Reisebusse und Fremdenführer leiteten ihre Gruppen, indem sie Fähnchen in die Luft hielten.

Um die Lächerlichkeit des Vorschlags zu demonstrieren, rief ich einmal versuchsweise: "Herr Ober, zahlen bitte!"

Wenig später kam auch schon derselbe Kellner, der mir den Kaffee gebracht hatte, zwischen zwei Reisebussen hervor, trat auf mich zu und kritzelte die Rechnung auf seinen Block. Ich zahlte. Er fragte noch: "War's recht?"
Ich nickte nur.

Fassungslos über dieses Erlebnis stand ich noch eine Weile da, bis mein Sitznachbar mich mit den Worten "Komm, wir müssen fahren!" in das Innere des großen Reisebusses schubste.

 

Hallo Fritz,

diese Geschichte ist m.E. wirklich nur seltsam, und ich konnte mir keinen Reim drauf machen.

So ist die Wirklichkeit, aber nicht die Literatur, finde ich. In der Wirklichkeit gibt es viel Ungereimtes, aber wenn wir einem Freund ein solches Erlebnis erzählen, dann meistens doch so, dass es einen Sinn ergibt. Ich hätte einem Freund zum Beispiel nichts von dem Zeitungsstand erzählt - das gehört m.E. nicht zur Geschichte. Oder ich hätte den Zeitungsstand anders integriert: Ich hätte (sinngemäß) gesagt: Dadurch, dass ich an dem Zeitungsstand gesehen hab, dass so etwas auch ohne Geld funktioniert, hab ich geglaubt, mit dem Kaffee wäre es genauso. Wenn ich die Geschichte so erzählt hätte wie du deine Story, dann würde er die Stirn runzeln und sagen: Seltsam. Und damit hätte sich die Sache, wir würden zu was anderem übergehen, weil ihm dieses Erlebnis nichts sagen würde, glaub ich.

Das Erscheinen des Kellners erinnert mich an eine Sache aus Kafkas Prozess: Da erscheint K. als Angeklagter zu einer Anhörung genau zur rechten Zeit, obwohl ihm niemand gesagt hat, wann er zu erscheinen habe. Aber bei Kafka hat das Sinn, weil man das Gericht auch als eine Veranstaltung in K.s Geist sehen kann - wenn ich das mal so platt interpretieren darf. Vielleicht könntest du aus dieser Episode eine Geschichte machen, in der es um den Bezahl-Zwang des Ich-Erzählers geht?

Grüße,
Stefan

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fritz

Also ich find die Geschichte gut, so wie sie ist.

Der Erzähler schildert aus der Sciht deines Prots. Demnach ist es nur logisch, wenn er eigene Zweifel und Unsicherheiten nennt. Auch kann er ja nicht alles erfassen.

Der Leser liest also diese GEschichte und wundert sich parallel mit dem Prot über diesen sehr zuvorkommenden Kellner. Der Aspekt wirkt äußerst unheimlich und ziemlich seltsam. Der Spannungsbogen ist gesetzt.

Dann wird er des kassenlosen Zeitungsladens gewahr, und man kann sich fragen, ob an diesem Platz nicht etwass vor sich geht, hinter dessen Logik dein Prot noch nicht gekommen ist. Die Stufe des Seltsamen wird somit wieder auf eine ganz normale Alltäglichkeit zurückgeschraubt.

Doch als letztes folgt die Bezahl-Szene am Bus. Wieder wird die Seltsamkeit des Kellners hervorgehoben und diesmal nicht ausreichend geklärt. Dem hinzu gesellt sich das offensichtliche Wissen des Sitznachbarn, der dies aber nicht weitergeben will.

Alles in allem eine für mich recht stimmige Geschichte, die ich, wenn ich sie so erlebt hätte, ebenso widergeben würde:)


mfg Hagen

PS:
Im ersten Absatz verwendest du zweimal "etliche". eines bitte rausnehmen wegen Wortwdh.
Und im zweiten Abschnitt lesen sich diese "Und"-Sätze besch...eiden. Mach da lieber ein durch Kommatas getrennte Aufzählung draus.

 

Hallo!

Danke für Eure Stellungnahmen! Der Gedanke, der dieser Geschichte zugrunde liegt, ist so abwegig, dass es ungemein interessant ist, zu sehen, wie andere Leute darauf reagieren. Er lautet: Diese gesamte kleine Stadt IST ein Kaffeehaus.

Eure inhaltlichen und stilistischen Kommentare nehme ich erst mal zur Kenntnis ;)

lg Fritz

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom