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Was ich noch sagen wollte...

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29.03.2004
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Was ich noch sagen wollte...

Was ich noch sagen wollte...
Er war lange gefahren, hielt nur selten. Schliesslich war er auf dem Berg oben, der sich von der Stadt aus gut erkennen liess und ziemlich nah schien, aber um den man zu erreichen doch einen halben Tag einberechnen musste. Er hatte etwas Zeit zum Sinnieren, hier oben auf einer alten Sitzbank, weit über der nächtlich erleuchteten Stadt. Die Drogen unterdrückten den Schmerz und sein Verstand erfasste seine Ziele mit voller Rationalität. Er wollte nicht einfach so klaglos abtreten, einerseits weil sein Ego dies nicht zuliess, andererseits weil er es nicht mochte, eindrückliche Ereignisse zu vergessen. Deshalb mochte er auch die Gedanken ans Universum ab einem bestimmten Punkt nicht mehr, das Bewusstsein, dass einst alles verschwinden könnte, ohne dass irgendeine Erinnerung auf irgend einer Ebene zurückblieb, war ihm einfach zuwider. Aber was konnte er tun ?

Er musste die vorhandenen Mittel nutzen. Er erinnerte sich an die Fernsehserie "McGyver". Er konnte sie noch nie ausstehen, so schlecht und klischeehaft war sie realisiert. Dennoch faszinierte ihn der Grundgedanke daran. Und gerade als er darüber nachdachte, kam ihm die Idee. Er stand auf und ging die zwei Schritte über knirschende Kiesel zu seinem Motorrad hin. Zum Glück nahm er sein kleines Notebook immer mit. Er zog es aus der Satteltasche raus, kontrollierte den Batterieladestand, steckte es dann zurück und betrachtete dann die kleine Bar an der Strasse. Die Angestellten würden bald schliessen, zu dieser Zeit trieben sich nicht mehr viele Leute hier rum. Er zündete sich einen vorgedrehten Joint an und setzte sich seitwärts auf den Sattel. Er musste was tun, die Drogen ermatteten gerade etwas in ihrer Wirkung und Zigaretten mochte er nicht. Er hoffte, seine leichte Euphorie angesichts des eben gefassten Planes zu verstärken zu können.

Es klappte. Er beobachtete, wie die Angestellten die Putzarbeiten abschlossen, das Licht abdrehten und sich anschickten, die Bar zu verlassen. Zufrieden drehte er sich um und schaute noch ein wenig die Stadt an. Bald hörte er das Anlassen von Motoren, Scheinwerfer gingen an, knirschende Kiesel ertönten. Ideales Timing. Letzten Zug nehmen, Kippe wegschnippen und den letzten Rest Rauch ausatmen. Kam doppelt gut, in dieser Höhe bei der sauberen Luft. Er strich noch kurz über die Stoppeln in seinem Gesicht, dann stieg er ab seinem Motorrad, griff den Lenker und schob es zur Bar hin.

Wie er erwartet hatte, hatte die kleine Bar auch einen Hintereingang. Es würde zwar schwieriger sein, über diesen in die Bar zu gelangen, aber die Reperatur der gläsernen Eingangstüre (die ganze Front der Bar bestand aus Glas, damit man die Aussicht geniessen konnte) würde wohl teurer sein als die des Hintereingangs. Die Tür ging nach innen auf, ungewöhnlich, aber für ihn gerade passend. Es ist so, dass in vielen Filmen der Held eine verschlossene Türe mit Rafinesse oder genau dosierter punktueller Gewalt öffnet - aber im Leben wird erstmal probiert, ob sie überhaupt verschlossen ist. Das Personal hatte gut gearbeitet, also liess er den Motor an und fuhr etwas von der Bar weg, wendete und fuhr auf die Türe los. Wozu hatte er eine verstärkte Gabel ? Scheiss auf die Kältesprays und dergleichen Hollywood-Gadgets, das hier war das Leben und der Rahmen der Türe von der billigeren Sorte. Kaum verwunderlich, denn allzuviele Ausflügler und damit Umsatz gab es hier oben nicht.

Die Türe hielt, ihr Rahmen nicht. Nachdem er das Motorrad wieder draussen abgestellt hatte, schaltete er drinnen hinter der Theke ein, zwei kleine Lampen an. Die Kasse war demonstrativ geöffnet, so dass man von draussen sehen konnte, dass hier nichts zu holen war. Aber das Geld brauchte er sowieso nicht, stattdessen griff er zielsicher ins Regal und holte sich einen italienischen Likör raus. Während er sich sachte einen kleinen Drink mixte, glitt sein Blick durch den Raum. Von draussen kam das schwache Mondlicht herein. Wie üblich in Betrieben dieser Art, fand er neben den Toiletten, was er suchte: ein Telefon. Er nahm einen Schluck, kam hinter der Bar hervor und betrachtete den Apparat an der Wand. Es war ein solid verarbeiteter, metallener Münzfernsprecher. Er nahm den Hörer ab und vernahm das Freizeichen. Ein Apparat ohne Eigenlogik also. Praktisch.

Eine Viertelstunde später hatte er sich auf einer Eckbank eingerichtet, von der er die Front der Bar und den Weg vom Hintereingang in die Bar überblicken konnte. Er kontrollierte seine schwere Desert Eagle und legte sie neben das Notebook auf den Tisch. Er musste unwillkürlich wieder an Filme denken, in denen die ganze Computerei laienhaft dargestellt wurde - sogar wenn es Filme waren, in denen es hauptsächlich ums Hacken ging. Er lächelte innerlich darüber. Er verband Telefon und Notebook mit einem Akustikkoppler. Dann spielte er eine Tonfolge ab, die ihm ein Freund, der sich mit der Telefontechnik auseinandersetzte, gegeben hatte. Es funktionierte, er hatte sein Freigespräch. Er suchte ein wenig auf seinem Notebook - er war da nicht viel ordentlicher als im realen Leben - und hatte bald die Nummer des Rechenzentrums des TV-Kabelnetzbetreibers der Stadt. Wieder fand er sich dank Angaben von Freunden (denen er auch schon einige Dienste erwiesen hatte) zurecht. Was er vorhatte, war möglich. Nicht einfach, aber möglich. Er klinkte sich schnell aus dem System aus, klappte sein Notebook zu und lehnte sich zurück.
Die Augen mussten sich nach dem hellen Bildschirm erstmal an die veränderte Lichtsituation gewöhnen. Draussen schien immer noch der Mond, bloss etwas stärker als vorher. Er hörte seinen Atem, etwas schneller als sonst, aber völlig normal bei solchen Unternehmen. Er überlegte sich, wie er seine Botschaft verfassen sollte, wie präsentieren. Er konnte zwar gut beurteilen, ob ein Film gut oder schlecht war, welche Schnitte verbesserungswürdig und welche gelungen waren. Aber selbst einen kurzen Spot zu generieren, war leichter gesagt als getan, eine Tatsache, der er sich jedoch völlig bewusst war. Er beschloss, dem Rechnung zu tragen und einfach zu bleiben.

Nach einer weiteren Viertelstunde hatte er seine Botschaft verfasst und lud sie hoch. Ein Glück, dass technische Einrichtungen nur so sicher sind wie die Menschen, von denen sie erschafft wurden. Er schaute auf seine Uhr und startete die Wiedergabe des Spots. Nun musste er nur noch zur rechten Zeit ein paar Register auf dem zentralen Verteilerknoten ändern, ein paar Bits hier, ein paar da, und dann würde die ganze Stadt auf allen Kanälen sehen und hören, was er und nicht irgendwelche steifen schlipstragenden Moderatoren zu sagen hatten. Er nahm einen Schluck, stand auf und schaltete den Fernseher über der Theke mit einem Griff ein und regelte instinktiv gleich die Helligkeit herunter. Danach sass er wieder an sein Notebook, hielt kurz inne und startete dann mit einem entschiedenen Druck auf eine Taste die vorbereitete Sequenz.

Er betrachtete, wie sich ein paar Zahlenkolonnen auf dem Bildschirm änderten und das Bild auf dem Fernseher plötzlich schwarz wurde und eine synthetische, warme Stimme zu sprechen begann. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie dasselbe nun in der Stadt auf Millionen Schirmen gleichzeitig geschah. Ein angenehmener Gedanke, welcher ihm Wohlbehagen bereitete, eine leise Ahnung dessen, was er früher zu empfinden imstande war. Er öffnete die Augen wieder und schaute durch die Fensterfront auf die Stadt, deren Licht einen kleinen Teil des Nachthimmels erleuchtete. Das Bild des Fernsehers spiegelte leicht im Glas. Er brauchte nicht hinzuschauen, er wusste ja bereits, was auf dem Bildschirm abgebildet wurde. Die Stimme endete gerade, und es erschien eine weisse Schrift; im oberen Drittel des Bildes ihr Name, im unteren Drittel, zeitlich etwas verzögert, die Zeile

ICH LIEBE DICH

Die Worte wurden ausgeblendet, und es erschienen einzigartige Aufnahmen eines Sternenhimmels, über den sich ein Nordlicht zog. Dann bewegte sich die Kamera auf den Himmel zu, immer schneller, um sich am Schluss zu wenden und langsam die Erde aufzunehmen. Das Ganze war noch mit Musik hinterlegt, die direkt ins Herz ging - und von der er wusste, dass sie sie besonders mochte. Dann wurde das Bild etwas unscharf und langsam tauchte im Vordergrund ein weisser Schriftzug auf:

IMMERNOCH.

Die Schrift blieb stehen, während sich das Bild im Hintergrund langsam ins Schwarz verlor und schliesslich auch die Schrift verschwand. Nach 10 Sekunden knackste es, und es flimmerte wieder das ursprüngliche Programm über die Mattscheibe. Er stand auf, schaltete den Fernseher aus und leerte den Rest seines Getränkes. Er betrachtete noch einmal das Bild der Stadt, die in die Nacht hinaus leuchtete, stellte dann sein Glas auf die Theke, räumte zügig seine Sachen zusammen und ging nach draussen. Das Notebook und die anderen Sachen steckte er in die Satteltaschen des Motorrades, danach kehrte er nochmals in den Raum zurück. Holte etwas Geld aus seiner Hosentasche, zählte ungefähr den Betrag ab, den die Reparatur der Hintertüre benötigen würde und legte es ein wenig versteckt unter die Theke, damit es von draussen nicht zu erblicken war. Dann schaltete er das Licht aus, ging nach draussen, griff nach der Türe und lehnte sie an die Überreste des Rahmens. Vor Morgen früh würde sowieso niemand mit unlauteren Absichten hierherkommen. Er stieg auf sein Motorrad und hielt inne kurz inne, bevor er mit einem kräftigen Tritt auf den Kickstarter den Motor in Gang setzte und ohne einmal zurückzublicken die Strasse unter die Räder nahm.

 

Vielen Dank für dein Feedback.

wollte er der Welt nicht etwas von sich hinterlassen? So kam es bei mir an, erster Absatz. Und nun bezahlt die Kanaille auch noch den Türrahmen?
Er wollte nicht im destruktiven Sinn "die Kurve kratzen" - sondern eben ein Zeichen setzen. So von wegen "edler Ritter" / "mit Stil abmelden"...ich meine, was in die Luft jagen tut doch heute jeder ;) (dieser Satz bezieht sich nicht auf die kürzlich geschehenen Terroranschläge)...mehr dazu unten.

Wo war das Laptop, als er die tür aushängte? Das müsste doch echt einen Schuss haben, wie der Kerl.
Das war in der Satteltasche - die Dinger halten einiges aus. Meins hat mittlerweile 4 Jahre und einige Schrammen aufm Buckel, läuft aber noch tadellos. Der Kerl hat allerdings einen Schuss - aber nicht so, wie die meisten wohl meinen...da muss ich wohl etwas an der Bildung des Charakters schleifen. *merk*

Das mit dem Joint rauchen - vorbildlich finde ich es gerade nicht - aber Literatur erlaubt das Abbild der Wirklichkeit - manchmal leider.
Eeehja, ist mir ehrlich gesagt auch zu "kitschig" dargestellt geraten. Aber Vorbildwirkung bezwecke ich mit meinen Geschichten sowieso nicht.

... das liest sich seltsam:
was er suchte: ein Telefon. Er nahm einen Schluck - danach wieder Telefon.
einfach Satzumstellung nur Telefonsätze und dann den Schluck. irgendwie umbauen.
Ich glaube, ich weiss was du meinst. An dieser Stelle habe ich beim Schreiben sogar mehrmals rumgebastelt, aber es scheint so, als müssten die einzelnen Makro-Handelsstränge (gibt's das Wort überhaupt? :D ) klarer getrennt sein.

... das der Text da flüssiger wird, obwohl ich mir unter dem technischen Anschlusszeugs nichts vorstellen kann...
Interessant. Genau an dieser Stelle habe ich den Textfluss tatsächlich beschleunigt, da ich mich nicht in technischen Details und damit auch den Leser verlieren wollte.

Jedenfalls wirds ab da spannender, während man im ersten Absatz noch denkt, der will sich da oben auf dem Berg die Kante geben.
Ziel erreicht - der Leser wird am Anfang absichtlich in seinem Glauben gelassen. :)

Ist doch eine Kurzgeschichte - warum steht sie hier?
Ehm ? Du meinst sie ist zu lang ? Oder wegen der Rubrik ? Von daher passte sie mir irgendwie nirgendwo hinein...wo, meinst du, gehört sie hin ?

 

Handelsstränge wohl eher nicht, gigger, Handlungsstränge aber ja.
Au peinlich - ich sollte spätabends die Finger lieber nicht in die Tasten setzen. Ausserdem meinte ich eigentlich Mikro (und in diesem Bezug: Telefon/Drink). Klassischer Einheitenfehler... *rolleyes*

 

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