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- 05.02.2004
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Was ist Liebe?
Ich kenne meine Mutter seit ich klein war immer mit einem Frisiercape um die Schultern, wie sie mit dem Rücken zum Wandspiegel steht und mittels eines Handspiegels kontrolliert, ob auch die kahlen Stellen in ihrer Frisur bedeckt sind. „Verkämmen“ nannte sie das immer und fragte mich, ob die kahlen Stellen – durch den kreisrunden Haarausfall, den sie schon als Kind hatte – auch nicht zu sehen seien.
Vor ungefähr zehn Jahren fielen meiner Mama dann die Haare komplett aus. Es ging rasend schnell. Das Kopfkissen war jeden Morgen mit unzähligen Haaren bedeckt. Wenn sie nur etwas daran zog, fielen sie büschelweise aus. Binnen weniger Wochen war sie komplett kahl und unglaublich unglücklich darüber. Kein Arzt fand je die wirkliche Ursache. Kein Arzt und keine noch so aufwändige und ausgeklügelte Behandlung zeitigte wirklich Erfolg. Sie nahm an einer Studie der Uniklinik teil. So wie die Haare kamen, fielen sie nach einiger Zeit auch wieder aus.
Die Perücke war Erleichterung und Last zugleich.
Die Augenbrauen zeichnete sie sich per Augenbrauenstift an. Wimpern hatte sie zeitweise auch keine mehr. „Ich hab ja kein Haar mehr am Körper.“, sagte sie manchmal zu mir. Ich wusste nichts darauf zu erwidern. Keine Ursache zu finden ist manchmal beunruhigender als die Wahrheit. Was für ein Trost sind schon Phrasen? Phrasen sind ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Das Schlimme daran ist, dass sie so fürchterlich banal klingen. In den eigenen und in den Ohren der anderen.
Wenn es für Männer schon eine Qual war, ihre Haarpracht zu verlieren, für Frauen ist es eine Katastrophe.
Im Sommer wird es unter der Perücke unerträglich heiß. Es müssen sehr mutige Frauen sein, die sich mit blankem Schädel auf die Straßen trauen. Ich würde mich auch nicht trauen. Wer will schon angestarrt werden? Die Leute würden es vielleicht nicht mal aus Bosheit tun. Manche aber schon...
Als meine Mama wieder einmal unglücklich über den Verlust ihrer Haare war, sagte mein Vater:
„Mir ist das egal. Für mich bist du immer schön!“