Wassermännchen
Wassermännchen
Tropf, tropf, platsch.
Plitsch, platsch, plitsch, platsch.
Susanne kniete auf der Eckbank vor dem Fenster, die Ellbogen auf dem breiten Fensterbrett aufgestützt, den Kopf in den Händen. Sah den Regentropfen zu, die herunterfielen und die Pfützen da draußen immer größer werden ließen.
Plitsch, platsch, plitsch.
Die Blütenköpfchen ihrer Blumen wurden immer schwerer und bogen sich immer mehr zur Seite, bis sich auf ihnen genug Wasser angesammelt hatte, um wieder weiter auf den Boden zu tropfen. Alles grau in grau, man konnte kein Stückchen Himmel sehen. Und das schon seit Tagen. Susannes Stimmung näherte sich langsam aber sicher dem Nullpunkt.
„Hach ja!“ Sie konnte nicht anders, musste einfach seufzen. So ein Dauerregen machte die Tage schrecklich langweilig, wenn man es liebte, draußen zu sein.
Tolle Ferien waren das, seit drei Tagen regnete es! Herrlich, wirklich herrlich! Am Anfang hatte es noch Spaß gemacht, mit den Gummistiefeln in die Pfützen zu hüpfen, aber drei Tage lang?
Tropf, tropf, platsch.
Plitsch, platsch, plitsch, platsch.
Plaaaaaaaaaatschschschsch!
Was war denn das? Sie beugte sich nach vorne, um besser sehen zu können.
Ein Riesen-Regen-Tropfen war auf den Boden geplatscht. So einen riesigen Tropfen hatte sie noch nie gesehen, das Wasser aus der Pfütze war ein paar Meter weit gespritzt!
Nanu! Was war das?
Susanne rieb sich in den Augen, sah noch mal hin. Das Wasser in der Pfütze bewegte sich. Es bewegte sich ja immer, wenn es regnet, aber das war etwas anderes! Es sah aus, als ob das Wasser aus der Pfütze wieder rauswollte. Wo gibt’s denn so was?
Sie rieb sich noch einmal in den Augen, aber danach konnte sie es immer noch sehen. Das Wasser reckte und streckte sich aus der Pfütze in die Luft. Gespannt sah sie zu, wie das Wasser die Form eines kleinen Männchens annahm.
Ein Männchen aus Wasser! Es stieg aus der Pfütze und schimpfte vor sich hin. Jetzt hätte sie wirklich gern das Fenster offen, um zu verstehen, was es denn sagte.
Das musste sie sich unbedingt aus der Nähe ansehen! Susanne rutschte schnell von der Eckbank hinunter, schlüpfte in die Stiefel, schnappte sich die Regenjacke und riss die Tür auf. Hoffentlich war das Männchen in der Zwischenzeit nicht verschwunden!
Aber es stand noch da, winkte Richtung Himmel und schimpfte vor sich hin.
„So ein Mist aber auch, wie konnte mir denn so was nur passieren!“
Das hatte sie deutlich verstanden.
Langsam und vorsichtig schlich sie näher an das Männchen heran. Sie versuchte, ganz leise aufzutreten, was ja mit den Stiefeln bei diesen vielen Wasserpfützen nicht so einfach war. Sah sich das Männchen genau an und stellte fest, dass sie sich nicht getäuscht hatte, denn das Männchen war tatsächlich ganz aus Wasser!
Plötzlich trat sie in eine Pfütze, es platschte ein bisschen und das Wassermännchen drehte sich um.
„Na aber hallo, das ist ja tatsächlich ein Mensch!“
„Natürlich bin ich ein Mensch! Aber was bist du denn? So etwas wie dich habe ich ja noch nie gesehen!“
Susanne ging langsam näher zu dem Männchen hin, zu gerne hätte sie es berührt.
„Ich bin ein Wassermännchen, sag bloß, das hast du nicht gleich gesehen!“
Natürlich hatte sie das gesehen, aber schließlich war sie niemals zuvor so einem Wassermännchen begegnet.
„Bist du tatsächlich ganz aus Wasser?“
„Natürlich, das haben Wassermännchen so an sich. Du kannst ruhig hinfassen, da passiert nichts!“ Das Männchen streckte ihr seine Hand entgegen.
Sie berührte sie ganz, ganz vorsichtig mit ihren Fingern und spürte nur Wasser. Es war ein Gefühl, als würde sie in eine Pfütze greifen und das Wasser bewegte sich bei dieser Berührung auch wie in einer Pfütze. Als sie die Finger wieder zurückzog, formte sich die Hand des Männchens wieder.
„Toll“, sagte Susanne.
„Und wie kommt das, dass du das erste Wassermännchen bist, das ich hier sehe? Gibt es noch mehr von euch?“
„Natürlich gibt es mehr von uns! Sonst wäre ja wohl kaum so ein schöner Dauerregen möglich! Denkst du etwa, das schafft einer alleine?“
„Ihr macht den Regen? Ich dachte, der kommt aus den Wolken.“
„Natürlich kommt er aus den Wolken, Dummerchen, aber was denkst du, wer die Wasserhähne auf- und zudreht? Keine leichte Arbeit, das kannst du mir glauben!“
„Ihr dreht Wasserhähne auf?“
„Klar, die Hähne oben auf den Wolken. Und dabei ist mir dieses Missgeschick passiert. Und jetzt sitze ich hier unten und habe damit so meine Schwierigkeiten!“
„Bist du etwa ausgerutscht? Oder warum bist du jetzt hier unten?“
„Erraten! Da oben wird es ziemlich rutschig, wenn so ein Dauerregen angesagt ist. Und ich war heute morgen zu faul, Gummistiefel anzuziehen, weil ich dachte, es geht auch so. Und prompt... Na, du weißt ja, was passiert ist.“
„Und jetzt?“
„Genau, das ist es! Was nun? Ich sitze jetzt nämlich hier unten und komme nicht wieder hinauf. Ein Wassertropfen fällt nun einmal von oben nach unten auf die Erde und nicht umgekehrt.“
„Stimmt!“ Sie überlegte eine Weile: „Aber wir könnten doch ....“
„Was könnten wir, sag doch!“ Das Wassermännchen platzte vor Neugier, vielleicht konnte ihm dieser Mensch tatsächlich helfen.
„Ich habe da so eine Idee, Wassermännchen, warte mal eben kurz.“
Sie rannte zurück ins Haus, das Wassermännchen blieb gespannt stehen. Was für eine Idee dieser Mensch wohl hatte?
Da kam sie auch schon wieder nach draußen, hatte da so ein riesiges Ding in der Hand. Was sie damit wohl wollte?
„Schau mal, Wassermännchen! Ich habe hier eine Wasserpistole und zwar eine besonders große. Wenn wir dich damit in die Luft schießen, dann fliegst du bis zum Himmel, das ist mal sicher!“
„Wie willst du mich denn mit diesem Ding in den Himmel schießen?“
„Na schau doch! Hier ist der Wassertank, da musst du rein, und dann muss ich ein bisschen am Hebel pumpen und schon bist du wieder oben. Komm, wir probieren es.“
Das Wassermännchen stieg in den Tank, Susanne pumpte und schoss.
Oje, zu wenig gepumpt, das Wasser flog nicht hoch genug.
Und plaaaaatschschschsch!
„Ich dachte, du schießt mich in den Himmel und jetzt stehe ich schon wieder hier unten!“
„Das war nur der erste Versuch, wir probieren es noch mal.“
„Was denkst du, wie viele Versuche du brauchst? Es ist nicht gerade angenehm!“
„Na, ich hoffe, ich schaffe es gleich beim zweiten Mal.“
„In Ordnung, eine andere Möglichkeit habe ich ja auch nicht.“
Wieder stieg er in den Tank und Susanne pumpte. Sie pumpte lange, denn das Wasser musste sehr, sehr weit fliegen. Dann hob sie die Wasserpistole in die Luft und schoss. Und dieses Mal flog das Wasser weit nach oben und sie konnte sehen, wie das Wassermännchen ihr zuwinkte, bevor es in den Wolken verschwand.
„Schade“, dachte sie bei sich, denn das Wassermännchen hätte ihr bestimmt noch viele komische Sachen von da oben erzählen können.
„Wasserhähne! Die drehen Wasserhähne auf da oben!“
Kopfschüttelnd ging sie wieder ins Haus zurück.