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Weiße Wäsche
Weiße Wäsche
Hanna fühlte, wie ihr Unbehagen in nackte Angst umschlug. Zögernd betrat sie den schmalen Gang, der zum Umkleideraum der Wäscherei führte. Mit schweißnassen Händen stieß sie die Tür zur Wäscherei auf, hinter der auch heute wieder das Martyrium auf sie lauerte. Woher sie die Kraft nahm, an jedem Arbeitstag diesen bitteren Weg zu gehen konnte, Hanna sich schon lange selbst nicht mehr erklären. Doch sie musste da hinein! Musste den hämischen, lauernden Blicken ihrer Kolleginnen standhalten, das zischelnde Getuschel hinter ihrem Rücken überhören und die offenen Feindseligkeiten erdulden. Sie musste – denn ihr Überleben hing davon ab und das Leben ihrer kleinen Tochter. Diesen Job durfte sich nicht auch noch verlieren, Arbeitsstellen für alleinstehende Mütter waren nicht so dicht gesät.
Mit lautlosen Schritten hastete Hanna den unbeleuchteten Gang entlang und lauschte mit angehaltenem Atem auf jedes Geräusch. Plötzlich klang ein helles Lachen durch das Morgengrauen und ihre verkrampften Züge entspannten sich ein wenig. Tanja war da! Der einzige Mensch in einer geifernden Meute, der noch ein warmes, mitfühlendes Herz zu haben schien. Niemals beteiligte sich Tanja an der Treibjagd gegen Hanna. Und immer wieder schenkte sie der Gepeinigten Gehör, wenn sie zu verzweifeln drohte. In diesem Moment schien Tanja einen verbalen Angriff gegen Hanna abzuwehren. Ganz deutlich konnte sie ihren Namen durch die halb geöffnete Tür zum Umkleideraum hören. Schon wollte sie beherzt den Raum betreten. Da ließ ein falscher Ton, ein einziger, kurzer Satz der Freundin, sie zurückschaudern. „Hanna, diese Gans, glaubt noch immer, dass sie mir alles erzählen kann.“ Diesmal klang Tanjas Lachen schrill und grausam. Hanna riss die Tür auf und dann fühlte sie nur noch, wie tief in ihrem Inneren Wut, Enttäuschung und Hass explodierten und ihr den Atem nahmen. Beinahe tonlos schrie sie die Frage in das feixende Gesicht der Freundin: „Warum? Warum hast du das getan Tanja? Du bist doch meine Freundin!“
Tanja warf ihre roten Locken in den Nacken und lachte aus vollem Hals: „Du bist aber die Einzige, die das glaubt. Deine Freundin war ich nie. Du Schaf hast gedacht, nur weil ich dir zuhöre, kannst du mir alles anvertrauen. Und ein paar deiner rührseligen Geschichten waren ein gefundenes Fressen für mich und meine Freundinnen." Tanja drehte sich beifallheischend nach den Kolleginnen um, die grinsend im Hintergrund herumstanden, sich mit den Ellbogen anstießen und miteinander tuschelten.
„Hast du noch immer nicht begriffen - du passt nicht zu uns. Deine Sorgen interessieren uns nicht. Dass der Erzeuger deiner Tochter abgehauen ist, was geht uns das an? Dass dein Vater dir nichts als Schulden hinterlassen hat – wen kümmert das? Wenn du deine Ruhe haben willst, verschwinde hier. Keiner wird dir eine Träne nachweinen.“ Tanjas Stimme war kalt, kalt wie ihre Augen, die Hanna mit offener Verachtung musterten.
Hannas zitternde Hände ballten sich zu Fäusten. Ihr seltsam entschlossener Blick ließ jedes Gekicher und Getuschel verstummen. Eine nach der anderen versuchten die Frauen nun möglichst unauffällig den Raum zu verlassen. Ein bitteres Lächeln spielte um Hannas Lippen. „ Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Nein, keine von euch muss um mich weinen. Ihr solltet Eure Tränen aufsparen. Vielleicht müsst ihr bald schon um Tanja weinen. Verräter wie sie haben kein Recht zu leben!“ dachte sie, verwundert darüber, dass dieser Gedanke sie amüsierte. „Du gehst nicht!", sagte sie ruhig, als Tanja verstohlen zur Tür blickte. „ Nein, du gehst nicht!“
Bekümmert betrachtete Kommissar Burger noch einmal das tote Gesicht der jungen Frau. Sie war wohl hübsch gewesen, gestern noch – jetzt klebten nasse rote Strähnen um eine verzerrte Grimasse. Hüsch war sie gewesen - und leichtsinnig. Eine andere Erklärung konnte es für ihren makaberen Tod in einer der riesigen Waschmaschinen nicht geben. Ein Unfall! Ungewöhnlich und selten aber eindeutig ein Unfall. Das ergaben seine Ermittlungen ohne Zweifel. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Bestürzte Gesichter, Schulterzucken, abgewandte Blicke. Keine Tränen, keine Trauer. Einzig Hanna Becht schien fassungslos und beunruhigt zu sein, konnte aber nichts zur Aufklärung beitragen. Resigniert nickte Burger seinen Kollegen zu. Der Sarg wurde geschlossen und hinausgetragen, die Absperrung um den Unfallort entfernt – der normale Ablauf in der Wäscherei begann mit einiger Verzögerung. Morgen schon würde der Alltagstrott den Arbeitern dabei helfen, das hier zu vergessen.
Langsam legte sich auch Hannas Unruhe. Befreit fühlte sie, dass es nie mehr so sein würde wie gestern und all die entsetzlichen Tage vorher. Tanja war tot und es schien, als wären damit auch all die Probleme mit den Kolleginnen verschwunden. Scheue Blicke begleiteten sie auf dem Weg zum Umkleideraum. Man trat zur Seite, machte ihr Platz. Ohne Hast nahm Hanna die Arbeitskleidung aus dem Kasten. Lächelnd und behutsam entfernte sie ein langes rotes Haar von ihrem feuchten Mantel, ehe sie ihn zusammengeknüllt in den Sammelbehälter warf und in einen neuen, blütenweißen Kittel schlüpfte.