Wenn der Hund nach Hause kommt
Sie sah mich an und lächelte, eine Frau, ihr Name war mir bereits entglitten. Ihr Lächeln verging nicht, es stand zu lange auf ihrem Gesicht, beinahe fratzenhaft, das Lächeln eines Perversen, der nur darauf wartet, seiner fleischlichen Lust zu frönen. Ich lächelte zurück, obwohl ich mich ein wenig vor ihr ekelte. Es herrschte Schweigen, ein beurteilendes Schweigen. Ich hörte das Klicken der Maus und Tastatur, welches, von Zeit zu Zeit, mich irritierte und die Stille rhythmisierte. Es war exakt elf Uhr, also wie vereinbart, ich war da. Eigentlich wollte ich gar nicht hier sein. Ich wollte bloß in Ruhe gelassen werden und schlafen, weil ich vom gestrigen Tag müde war. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit mir. Das war, als das Handy frühmorgens geklingelt hatte und meinen Schlaf geraubt hatte. Ich fand es nicht sofort, denn das gestrige Besäufnis hatte üble Spuren hinterlassen, nicht nur in der Wohnung, sondern auch bei mir, denn ich drückte wild auf den Tasten der Fernsehbedienung und wollte abheben – vergebens. Und das Handy klingelte weiterhin. Ich fand es schließlich im Aschenbecher, eingezwängt zwischen Zigarettenstummel, und hob ab. Am Handy meldete sich die Frau, die mir nun gegenüber saß.
Uns trennte ein Tisch, recht groß, und die Frau wirkte angespannt, ihr Gesicht blass und leer, ohne jedes Merkmal abgesehen von ihrem trostlosen Dauergrinsen. Das Klicken endete jäh, und das Grinsen verging. Die Frau wollte losstarten, mich mit Fragen bombardieren. Sie war mit tiefem Ernst bei der Sache. Ich sah es ihr an, indem sie sich gerade hinsetzte, nach Luft schnappte und die wahrscheinlich vom jahrelangen Kaffeetrinken und Rauchen gelblich gefärbten Zähne aufs Höflichste fletschte. Auch ich setzte mich gerade hin, kongruierte mit meinem Gegenüber (weil man das so macht, um sympathisch zu wirken) und prüfte, ob hinter meinem linken Ohr keine Zigarette klemmte. Sie klemmte nicht.
„Erst einmal Guten Tag, Herr S.“, sagte die Frau, lächelte kurz und nickte verlogen. Ich schaute mir kurz ihren Körper an, so wie ich das bei Frauen immer mache, bevor ich überhaupt etwas sage. Sie war vielleicht Ende vierzig, nicht besonders schön, streng gekleidet, ihre Arme waren vor ihren Brüsten verschränkt und ihr blond gefärbtes Haar war zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden.
Ich begrüßte sie; es war sehr unangenehm, ich mochte es nicht. Warum war ich nochmal hier? Ach ja, die Sache war nämlich die, dass ich eine Zeitlang tun und lassen konnte, was ich wollte (vor allem aber lassen). Das war jetzt anders, zumindest heute. Nun wollte das Arbeitsamt, dass ich etwas arbeite und vermittelte mir ein bescheuertes Vorstellungsgespräch, bei dem ich erscheinen musste. Nicht, dass ich es unbedingt wollte, sondern weil ich es musste, damit der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht verfiel.
„Herr S., wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden und was war Ihr Beweggrund sich zu bewerben?“, fragte sie. Wir einigten uns auf ein sekundenlanges gemeinsames Schweigen, um den nötigen Ernst herbeizuführen.
In erster Linie geht es mir um die Kohle, wollte ich rausposaunen, doch ich verhielt mich wie ein kriecherischer Feigling und sagte, dass ich mich online beworben habe und dass die Jobbeschreibung mein Interesse geweckt hat. Ich log wie gedruckt, an Einfällen mangelte es mir nicht.
„Arbeiten Sie gerne mit Menschen und Tieren?“, fuhr sie fort. Dabei zuckten ihre nahezu verwelkten Lippen wild und ein verächtliches Lächeln huschte über ihr Gesicht, als hätte sie mich durchschaut. Ich spiegelte ihr Lächeln wider. Ich wusste nicht, warum. Ich hatte bloß so ein Gefühl, ich könnte Sympathiepunkte brauchen.
Und ich musste schon wieder lügen, um den Job zu bekommen, den ich nicht wirklich wollte. Ich sagte Ja und meinte Nein. Sie verstand meine Ironie nicht, die darin bestand, dass ich am falschen Ort war, eigentlich nicht arbeiten wollte und die meisten Menschen und auch Tiere rein physisch nicht ausstehen konnte. Bei den Tieren war es klar, eine Tierallergie.
Die Frau biss sich auf die Lippen und überlegte. Ich konnte spüren, dass sie mir auf die Pelle rückte. Dann nahm sie ein paar lose Zettel in die Hand und fing an zu blättern. Ich sah, dass sie meine Bewerbungsunterlagen durchwühlte. Ihre Augenbrauen, buschig und borstig, die Augenbrauen eines Wildschweins, hoben sich und sie sagte: „Herr S., vielleicht erzählen Sie etwas über sich – privat sowie beruflich.“
Auch ich überlegte kurz, blickte in ihre ziemlich zugewachsenen Augenbrauen und sagte: „Gerne. Privat bin ich ein ausgeglichener Typ und mache viel Sport, um fit zu bleiben. Und beruflich“ – nach einer kleinen Pause, um möglichst nachdenklich und seriös zu wirken – „bin ich natürlich auch sehr engagiert, zwar habe ich noch nicht den richtigen Job gefunden, aber deshalb war ich in mehreren Bereichen tätig, wie Sie es aus meinem Lebenslauf entnehmen können.“ Ich versuchte, meinen Lebenslauf hübsch zu reden, ich spielte Theater und ließ mir allerlei Verschönerungen einfallen. Ich konnte doch schlecht sagen, dass ich privat zu postkoitalen Depressionen neige und dass ich ein Dienst-nach-Vorschrift Typ bin, der bereits vor Dienstantritt innerlich kündigt.
„Okay“, sagte die Frau. Nach kurzem Zögern setzte sie taktvoll und resistent fort: „Ja, wie ich aus Ihrem Lebenslauf erkennen kann, waren Sie in vielen Bereichen tätig. Ich kann aber auch ein paar Lücken erkennen. Können Sie dazu etwas sagen?“
Jedes einzelne Wort verriet, dass sie sich ihr Geplapper vorher zurechtgelegt hatte; auch sie spielte Theater, und das besser als ich, denn – verdammt – ich wusste nicht, was ich sagen sollte. So blickte ich einen Augenblick lang schweigend in ihr Dekolleté, bis sich mein Interesse verflüchtigt hatte, und ich antwortete philosophisch und leicht erregt: „Ja, ich hatte bereits mehrere Jobs, das stimmt, und daraus resultieren auch die Lücken. Das Arbeitsleben ist ein langes, man sollte offen für Neues sein. Wichtig ist große Offenheit. Wer weiß das besser als ich. Ich weiß, was ich weiß.“ Klar war jedoch auch, dass ich noch nie einen großen beruflichen Ehrgeiz hatte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto unmöglicher erschien mir, dass ich eine Arbeit fand, geschweige denn eine längerfristig behielt. Die Schwierigkeiten wurden mir immer deutlicher.
Jede Sekunde rechnete ich damit, aufzufliegen und fertiggemacht zu werden. Aber es passierte lange Zeit nichts, bis ich anfing zu schwitzen. Nicht, weil ich nervös war, sondern weil ich bis sechs Uhr morgens gesoffen hatte und weil es ein heißer Höllentag mitten in der Woche war. Also einer der besonders guten Tage für Selbstmörder. Die anderen sind Montag, Freitag, Donnerstag, Dienstag, Samstag und Sonntag.
Die Frau unterbrach meinen Gedankengang, indem sich unsere Blicke flüchtig trafen. „Nun, haben Sie bereits einmal in diesem Bereich gearbeitet, in der Tierindustrie?“, fragte sie mich. In ihren Augen war nicht der Hauch von Sex.
Mein Gott, was für ein Schauspiel, konnte die Braut etwa nicht lesen? Siehe Lebenslauf, wollte ich sagen, unterließ es aber. „Nein, aber ich liebe es, neue Erfahrungen zu sammeln.“
„Sie sind dann quasi Neueinsteiger?“
„Ja!“
„Mögen Sie Tiere?“, fragte mich die Frau nochmals.
„Ja, insbesondere tote!“, rutschte es aus mir heraus. Einen Moment lang dachte ich, dass mich die Frau für verrückt hält, wenn ich das sage, aber dann fiel mir ein, wo ich hier war.
„Möchten Sie mich jetzt noch etwas fragen?“, sagte sie, neigte sich vor und tippte mit dem Zeigefinger auf den Tisch.
„Nein.“
„Okay. Um das Gespräch abzurunden, möchte ich Ihnen noch etwas über uns erzählen. Wir arbeiten Klientenzentriert. Das heißt, dass wir nicht nur jedes Tier einzeln kremieren, sondern auch die Angehörigen vor, aber auch nach der Einäscherung begleiten. So gewährleisten wir, dass sich ein jeder Mensch von seinem Liebling, sei es eine Katze oder ein Hund, friedvoll verabschieden kann. Weiters stellen wir auch Urnen zur Verfügung, damit die Asche – zu 100% nur die Asche des jeweiligen Tieres – mit nach Hause genommen werden kann.“
Plötzlich wurde es mir schwarz vor Augen, und ich saß schwankend da, als wäre ich noch betrunken. Ich war es wohl auch noch. Da kam es mir gelegen, dass die Frau sich von mir verabschieden wollte. Schwitzend, von der Hitze und einem Kater geplagt, stand ich auf von dem Tisch, an dem ich mich selbst belogen hatte, verabschiedete mich und verließ die Szenerie.