wenn du kämst
Du sagst, du hast dasselbe auch kürzlich gesagt. Du findest es gar nicht so schön, dass wir uns so ähnlich sind, nicht wahr? Man achtet nämlich nur dann so penibel auf solche Dinge, wenn man jemanden ziemlich mag oder ziemlich scheiße findet. Ich weiß, dass du mich so sehr nicht magst, du kannst es auch gar nicht und das weiß ich und das weißt du und trotzdem lächeln wir uns an, wenn wir uns begegnen und unser Lächeln sieht so gespielt gar nicht aus. (Eigentlich gar nicht.)
Weißt du, ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich über diese Buche schon geschrieben habe. Sie ist das zweite, das ich sehe, wenn ich aus dem Fenster schaue. Sie hat sich versteckt, hinter der Birke, die ewig trauern muss. Und die Buche sehe ich nur dann, wenn der Himmel grau ist und durch die Farbe ihrer Blätter erscheint er jedes Mal lila und rosa, auch wenn das natürlich nicht stimmt.
Wenn man Musik an ihren Stamm hält, hören die Blätter auf, sich zu bewegen, als würde die Musik ihr Tanzen stoppen. Als würden sie der Musik lauschen. Dabei ist es egal, welche Musik. Die Buche ist nicht sehr wählerisch.
Einmal ging ich hin, legte eine Decke um sie (genauer, ich warf sie hinauf in die Krone), weil es schon so kalt war und ihre Blätter so zitterten. Und die Decke blieb da oben, die Blätter wuchsen um sie herum, die Äste schlossen sie ein und die Zweige legten ihre Köpfe auf sie. Sieht so Liebe aus?
Ich putze nie Fenster. Einmal habe ich es getan und ich konnte nicht hinaussehen, weil die Scheibe wie ein Spiegel mein Zimmer reflektierte. Das machte mir Angst, ein Mensch muss sehen können, was außerhalb seiner Grenzen liegt. Seitdem lasse ich solche Dinge. Der Regen genügt und von innen wird die Scheibe sowieso nicht so dreckig.
Sie wollte einmal diese Stimme sehen. Die so traurig ihre Lieder weinte. Vor allem bei dieser Musik lauschten die Blätter, wir beide sitzen da und atmen kaum noch. Ich kann nie zu lang bei der Buche bleiben, habe immer Angst, sie würde ersticken.
Sie ist älter als ich. Aber ich weiß nicht, ob sie sich als Überlegene sieht. Jedenfalls zeigt sie es nicht. Irgendwie ist sie sowieso der bescheidenste Baum, den ich kenne. Sie ist launisch, ja, natürlich, aber wer wäre das nicht, wenn er gezwungen wäre, so fest am Boden zu stehen, völlig dem Wind ausgeliefert zu sein. Ich meine, sowas gefällt niemandem, nur für eine Weile vielleicht.
Du könntest einmal zu mir kommen, wenn du willst. Weißt du, ich könnte dir einiges erzählen. Von mir und meinen Launen (tatsächlich übertragen sich die Launen der Buche so oft auf mich...) und davon, wie wenig man beidem glauben darf. Vielleicht würdest du mich verstehen.
Vielleicht ... komm mal zu mir, ja?