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Wer wird Millionär?
Freitag abend, die überdachte Einkaufspassage in der kleinen, aber sympathischen Großstadt Moers war rammelvoll.
Werner Paluschke stand in seinem hellblauen Aldi-Jogger an dem kleinen Stehtisch der Lottoannahmestelle und füllte akribisch einen Spielschein aus. Ein ums andere Mal ritzte er mit der farbarmen Mine des angeketteten Kugelschreibers von „Rosis Lottobude“ so tiefe Furchen in die kleinen Zahlenfelder, daß man die Auswertung seines Tipps getrost einer blinden Lottofee in der Dunkelkammer hätte überlassen können.
„Sieben – dreizehn – neunzehn – vierund – nee, fünfundzwanzig – hmm...“
Gar nicht so einfach, auf die richtigen Zahlen zu kommen. Erschwert wurde sein Unterfangen noch dadurch, daß er mit dem rechten Handballen den Spielschein justieren mußte, während die linke Hand seinen kommenden Millionengewinn gegen neugierige Blicke schützte.
Da stand nämlich noch so ein junger Schnösel mit ihm am Tisch, so ein dunkler Typ mit drei Pfund Gel in den Haaren, da wußte man ja sofort, wie die waren.
In der Schule hatten sie Paluschke wegen dieser alles zurückhaltenden Art stets Werner, das Kameradenschwein, genannt. Später dann, auf Maloche unter Tage, war daraus Werner, die Kollegensau, geworden. Sein Lottokonkurrent schien dagegen erfreulicherweise keine Neigung zu verspüren, ihn ähnlich zu titulieren.
„Fünfunddreißig? Hmm...“
Wie es so seine Art war, knabberte er an dem Klipper des Kulli. Sein mißtrauischer Blick fiel auf den Pomadejünger. Der tat natürlich so, als würde er selber nachdenken. Soeben steckte er sich seinen Kugelschreiber ins rechte Ohr und puhlte darin herum.
Rasch nahm Paluschke den Kulli aus dem Mund und drehte sich um. Hilde stand immer noch an der Brottheke und verstaute gerade ihr Quarkbrot in der vollgestopften Einkaufstasche. Paluschke winkte seine Holde hektisch zu sich.
„Was ist denn?“
„Hilde, gib mir schnell so´n Lutschbonbon.“
„Jetzt? Die sind ganz unten in der Tasche...“
„Ich will jetzt aber sofort so´n Lutschbonbon.“
„Reg dich doch nicht gleich so auf, Werner.“
Hilde schlängelte ihren Arm an Quarkbrot, Kopfsalat und Dosenravioli vorbei.
„Hier“, meinte sie und hielt Werner eine handvoll bunte Bonbons hin.
„Himbeer und Zitrone? Hast du kein Erdbeer mit?“
„Auch noch Extrawünsche, der Herr! Pack doch deine Bonbons nächstes Mal selber ein.“
„Reg dich doch nicht gleich so auf, Hilde.“
Werner entschied sich für Zitrone. Der Lottospion mit dem glänzenden Haupthaar fühlte sich wohl ertappt, jedenfalls machte er den Abgang.
„Hast du Lotto schon fertig?“
„Nee, zwei Zahlen noch.“
„Immer noch? Du stehst schon zehn Minuten hier.“
„Ja, und? Meinst du, ich kreuz einfach irgendwelche Zahlen einfach so an?“
„Welche fehlen denn?“
„Woher soll ich das wissen, die Ziehung ist erst morgen.“
Hilde beugte sich vor und linste durch ihre rahmenlose Fielmannbrille.
„Hast du Mutti?“
„Was soll das denn jetzt wieder, Hilde? Ich hasse deine Mutter nicht.“
„Ich mein doch ihren Geburtstag.“
„Ach so... Wann hat die nochmal?“
„Jedes Jahr am zehnten Januar.“
„Echt? Jedes Jahr?“
„Natürlich jedes... Sag mal, willst du mich jetzt verkackeiern?“
„Nee, Hilde, will ich nicht."
„Dir muß man doch immer alles dreimal sagen, damit du was merkst.“
„Ach, mit dir streit ich mich doch gar nicht.“
„Dann mach jetzt endlich voran. Die Tasche wird schwer, und ich wollte doch noch auf Gudrun ihren Geburtstag rüber.“
„Ja ja... Also, welche Zahl jetzt?“
„Die von Mutti.“
„Aber die kommt nicht oft.“
„Jetzt schlägt´s aber Vierzehn. Sonst nörgelst du immer, weil Mutti dauernd bei uns ist, und jetzt...“
„Die Zahl, Hilde, ich mein die Zahl. Die zehn ist nicht so oft.“
„Ach, und das weißt du wieder? Hast die Weisheit wohl mit der Gabel gestochen, was?“
„Löffel, Hilde, Löffel.“
„Wie Löffel?“
„Schon gut. Jedenfalls ist die zehn selten.“
„Und wer sagt das?“
„Wilfried sein Internet.“
„Wieso hat der Wilfried auf einmal Internet?“
„Da kam letzte Woche einer von der Telekom und hat ihm das eingebaut. Der Wilfried ist auf so´ne Mähladresse vom Lotto gesörft, da standen die ganzen Zahlen von früher. Alle, die fast immer kommen, und dann die, die gar nicht kommen, und wenn überhaupt, dann nur ganz selten.“
„Was hat das mit der Wähladresse zu tun?“
„Das ist wegen der elektrischen Post, damit man sich so Seiten angucken kann.“
„Und da war ausgerechnet Mutti ihr Geburtstag dabei gewesen?“
„Ja, genau. Also jetzt bei den Zahlen, die man im Fernsehen nicht sieht.“
„Als ob ihr euch da Zahlen angeguckt habt. Da waren doch bestimmt nur so Sauereien, die nachts immer auf Sportkanal kommen. Im Goldenen Blatt stand letztens auch so´n Artikel, daß im Internet die ganzen Nackten sind.“
„Im Goldenen Blatt stand auch, daß Steffi Graf auf Drillinge gewartet hat.“
„Das war ´ne Fehlermeldung.“
„Jo, klar. Also von mir aus, nehm ich eben die zehn. Wir brauchen das Geld ja nicht, ne?“
„Die zehn kommt bestimmt, ich hab da so´n Jucken im Finger.“
„Ach! Hast du vielleicht sonst noch irgendwo so´n Jucken?“
„Werner, also bitte! Doch nicht vor allen Leuten hier!“
„Wir brauchen noch ´ne Zahl.“
„Ach so... Dann nimm die fünf.“
„Die fünf? Hat da dein Vater...?“
„Da haben wir mal geheiratet, Werner.“
„Oh...“
Drei Minuten später reihte sich Werner Paluschke in die lange Schlange an der Lottokasse ein. Der ölige Kleinkriminelle von vorhin bezahlte gerade seinen Schein. Mehr als vier Richtige konnte er nicht haben – ihm fehlten die fünf und die zehn. Paluschke aber war ab morgen endlich aus dem Gröbsten raus. Immer die falschen Zahlen tippen war schließlich gar nicht möglich. Und wenn es diesmal auch wieder nicht klappen sollte, dann waren es Hochzeit und Schwiegermutter schuld. Dann würde er nächste Woche das Gründungsdatum des Skatclubs und ein paar Rückennummern der Weltmeisterelf von Italien tippen.
Und endlich Millionär sein.