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Wie alt musst Du eigentlich noch werden?

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11.01.2003
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Wie alt musst Du eigentlich noch werden?

Dreizehn, vierzehn, fünfzehn. Automatisch zähle ich das Besteck, dass ich für das morgige Frühstück auflege. Alles ist ruhig, nur das Radio in der Ecke gibt Töne von sich. Manchmal kommt eine Nachricht von einem Geisterfahrer auf der Autobahn, oder die Anmerkung, dass auf Wien`s Strassen keine Störungen zu erwarten sind. Die Ruhe gräbt sich in meinen Kopf und lässt mich in meinen Gedanken versinken. An die letzten vergangenen Tage, oder die vor einigen Stunden, wie ich nach dem Streit aus dem Haus bin. Grußlos und türeknallend. Manchmal wagt sich sogar eine Träne aus den Augenwinkeln. Versteckt und heimlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand sehen könnte, ist sehr gering. Ein Blick auf die große Uhr über der Türe verrät mir, dass es erst 23 Uhr ist. Die Nacht dauert noch lange und ich fühle mich schrecklich einsam. Schnell wische ich die Träne, die auf der Wange zu beißen beginnt fort und schlucke den Kloß, der sich in meinen Hals gebildet hat hinunter. Er hat mich verletzt mit seinen Worten. Tatsächlich bin ich froh, diese Nacht auf der Station und nicht zu Hause und somit in seiner Nähe verbringen zu müssen. „Werd endlich erwachsen“ – ist so ein typischer Satz um nicht seine eigenen Handlungen durchdenken zu müssen. Sein eigenes Versagen, oder gar die eigene Mitschuld. Zuzugeben, dass man selbst mit etwas nicht klar kommt. Womit auch immer. Weggewischt und abgegeben, mit den Worten „Wie alt musst Du eigentlich noch werden?“ Ich kann ihm meine Bedürfnisse nicht klarmachen. Er versteht sie nicht, oder nimmt sie nicht wahr. Als ob wir nicht dieselbe Sprache sprechen würden.

Ein leises Schlurfen lässt mich hochschrecken und ich sehe um die Ecke. Sie kommt auf mich zu und brabbelt unverständliches und unzusammenhängendes Kauderwelsch. Ich stelle mir vor, dass sie mich auf eine andere, mir fremde Sprache begrüßt und grüße freundlich zurück. Wie süß sie aussieht, denke ich mit einem Lächeln im Gesicht. So richtig verwurschtelt. Bekleidet mit diesem gelben Gemeinde-Standard-Nachthemd, fragenden großen Augen, die Windelhose zwischen den Knien schleppend. Wohin sie stets die linke Hand hält, damit sie sie nicht ganz verliert. Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich in die Küche. Ich gebe ihr zu trinken und streichle über ihre wuscheligen, vom liegen zerzausten Haare. Und wieder sieht sie mich mit ihren großen, so verloren wirkenden Augen an. Mein Hals schnürt sich enger bei dem Gedanken, dass sie nur aus dem Bett gekrabbelt ist, weil sie sich einsam fühlt. So einsam, wie ich gerade noch. Sie stellt mir Fragen, deren Sinn ich nicht verstehe, weil es keinen darin zu erkennen gäbe. „Ist das, das das da hinten?“ „Ich muss das ja noch da da da drüben“ „Wohin? Ich meine, was was. Ja? Sehr gut.“ Ich lächle sie an, und beruhige sie sanft mit irgendwelchen nichtssagenden Worten, während ich ihre Windel erneure. Doch ich bin traurig. Sie kann sich nicht austauschen. Nicht ihre Bedürfnisse artikulieren. Eigentlich gar keine zusammenhängende Sätze bilden. Niemand versteht sie. Ich auch nicht, obwohl ich mich so sehr bemühe. Ich nehme sie an der Hand und bringe sie wieder zu Bett. Während ich sie zudecke und ein letztes Mal über ihre faltige, 82-jährige alte Wange streiche, denke ich an die ungeduldigen Worte, die ich schon oft von ihrer Tochter gehört habe. „Jetzt bist Du schon wieder angepinkelt! Wie alt musst Du eigentlich noch werden?“


[Ich weiss, nicht wirklich eine Geschichte..]

 

hallo leonie!

der Text hat mich sehr berührt... ich denke durchaus, dass Du damit eine Geschichte erzählst. Die Verbindung zwischen der Protagonistin und der Alten Dame wird klar - man kann es richtig nachfühlen.
Manchmal wird man nie alt genug.
Besonders gut ist die liebevolle Beschreibung der hilfosen alten Dame, die Zuwendung, der Versuch zu Verstehen.

Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich in die Küche. Ich gebe ihr zu trinken und streichle über ihre wuscheligen, vom liegen zerzausten Haare. Und wieder sieht sie mich mit ihren großen, so verloren wirkenden Augen an. Mein Hals schnürt sich enger bei dem Gedanken, dass sie nur aus dem Bett gekrabbelt ist, weil sie sich einsam fühlt
- schlimm. Eine Pflegestation, Nachtschicht. Ich finde den text sehr einfühlsam und sensible, hat mir sehr, sehr gut gefallen. Und er macht zornig, sehr sogar, auf die Tochter...

liebe Grüße
Anne

 

Liebe Maus, Danke, für Deine Antwort. Eben wollte ich den Text wieder raus nehmen, weil es mir doch zu dumm vor kam. Aber nun hast Du schon geantwortet. Die Tochter, kann halt auch nicht akzeptieren, dass ihre Mutter nun so ist. Sie ist selbst Hilflos sie so sehen zu müssen, mit all ihren Veränderungen. Und manchmal helfen strenge, gemeine Worte den Angehörigen über ihre eigenen Schuldgefühle hinweg. Aber zornig, ja, das macht es mich auch oft, auch wenn ich die Gründe verstehen kann.

 

Hallo Leoni,
ich finde auch, dass dies eine Geschichte ist und noch dazu eine sehr schöne. Du hast die Gefühle Deiner Prot und die Szene mit der alten Dame sehr einfühlsam beschrieben. Auch den Bezug der Überschrift zu beiden
Abschnitten fand ich gelungen.
Allerdings sind mir noch einige Flüchtigkeitsfehler aufgefallen. Z.B.:

Alles ist ruhig, nur der Radio... das Radio

Grusslos und Türeknallend. ¨türeknallend meiner Ansicht nach klein

Manchmal wagt sich sogar eine Träne aus den Augenwinkeln treten. Hört sich komisch an, vielleicht:...herauszutreten.

Er hat mich verletzt, mit seinen Worten. Komma weg.

Ein leises schlurfen... Schlurfen

...und brabbelt unvollständiges und Unzusammenhängendes Kaudawelsch. unzusammenhängendes

Ansonsten gerne gelesen.

Liebe Grüsse
Blanca

 

Danke :) Änderungen hab ich vorgenommen. Aber ich glaube bei uns sagt man tatsächlich der Radio .. und das Radiogerät. Vielleicht irre ich mich auch. Danke jedenfalls fürs lesen :D

 

Hey leonie,
aller guten Dinge sind wohl drei, denn auch ich finde, dass das zweifellos eine Geschichte ist! Ich bin zudem froh, dass Du sie nicht rausgenommen hast, denn sie war schön zu lesen.

Mal von den kleinen Rechtschreibfehlern abgesehen, die Dir Blanca schon gezeigt hat, ist das Thema stilistisch gut verpackt.

Bei dem Satz: "Manchmal wagt sich sogar eine Träne aus den Augenwinkeln treten" , würd ich "treten" einfach mal weg lassen.

Glassghost

 

Lieber Glassghost. Danke auch Dir fürs lesen und kommentieren. Ja, das mit dem treten weglassen gefällt mir eigentlich auch besser. Schon geändert :D

 

Liebe leonie!

Auch mir hat Deine Geschichte gefallen. :)
Sie zeigt die Einsamkeit der Protagonistin und ihr Mitgefühl mit dieser einsamen, dem Sterben nahen Frau, aber auch, wie sie ihren eigenen Schmerz mit dem Aufmuntern der Patientin zudeckt.
Deine Geschichte handelt auch davon, wie leicht man solche, dem Sterben nahen Menschen, „glücklich“ machen kann, wenn man nur will. Ein paar nette Worte und die Alte freut sich wieder. – Zu der Bemerkung der Tochter am Schluß braucht man eigentlich nichts sagen – die spricht für sich. :)

Ein paar stilistische und Korrekurvorschläge hab ich noch:

»das Besteck, dass ich für das morgige Frühstück auflege.«
- das
- „morgige“ klingt nicht so toll, vielleicht „für das Frühstück am nächsten Morgen“?

»das Radio«
- ist so richtig, auch lt. Österreichischem Wörterbuch

»auf der Autobahn, oder die Anmerkung, dass auf Wien`s Strassen keine Störungen zu erwarten sind.«
- ... Autobahn oder die ... (ohne Beistrich)
- Wiens (ohne Apostroph) Straßen

»Die Ruhe gräbt sich in meinen Kopf und lässt mich in meinen Gedanken versinken. An die letzten vergangenen Tage, oder die vor einigen Stunden, wie ich nach dem Streit aus dem Haus bin.«
- Wenn sich der zweite Satz auf die Gedanken bezieht, kommt das nicht so gut raus. Außerdem liest es sich so, als wären mit „oder die vor einigen Stunden“ die Tage gemeint – die Tage vor einigen Stunden... Vorschlag: und lässt mich in meine Gedanken an die letzen Tage versinken, und an die letzten Stunden, in denen ich nach dem Streit aus dem Haus (gerannt) bin
- „die letzten vergangenen Tage“: die letzten Tage sind jedenfalls vergangen, also kannst Du „vergangenen“ streichen

»Manchmal wagt sich sogar eine Träne aus den Augenwinkeln.«
- aus meinen Augenwinkeln, würde ich sagen

»die Träne, die auf der Wange zu beißen beginnt fort«
- die auf meiner Wange zu beißen beginnt, fort

» Kloß, der sich in meinen Hals gebildet hat hinunter.«
- in meinem Hals gebildet hat, hinunter

»Er hat mich verletzt mit seinen Worten.«
- würde ich umdrehen: mich mit seinen Worten verletzt

»nicht zu Hause und somit in seiner Nähe verbringen zu müssen.«
- Hause, und somit in seiner Nähe, erbringen – evtl. statt der Beistriche auch Gedankenstriche

»„Werd endlich erwachsen“ – ist so ein typischer Satz«
- würde hier den Gedankenstrich wegtun

»Wie alt musst Du eigentlich noch werden?«
- du

»und ich sehe um die Ecke.«
- klingt etwas schräg... :D

»brabbelt unverständliches und unzusammenhängendes Kauderwelsch.«
- Vorschlag: unverständliches, nicht zusammenhängendes Kauderwelsch

»Ich stelle mir vor, dass sie mich auf eine andere, mir fremde Sprache begrüßt«
- dass sie mich in einer anderen, mir fremden Sprache

»streichle über ihre wuscheligen, vom liegen zerzausten Haare.«
- vom Liegen

»So einsam, wie ich gerade noch.«
- würde ein „eben“ oder ein „bis vor wenigen Augenblicken“ einfügen, zum besseren Verständnis des Satzes: wie ich gerade eben noch, wie ich, bis vor wenigen Augenblicken

»Sie stellt mir Fragen, deren Sinn ich nicht verstehe, weil es keinen darin zu erkennen gäbe.«
- zu erkennen gibt

»Sie kann sich nicht austauschen.«
- besser „nicht mit anderen austauschen“

»„Jetzt bist Du schon wieder angepinkelt! Wie alt musst Du eigentlich noch werden?“«
- nochmal: du

»[Ich weiss, nicht wirklich eine Geschichte..]«
- das lösch ganz schnell mal weg... ;)

Alles liebe,
Susi

 

Danke, l.iebe Jo.

Ich hoffe, sie wird nicht auch irgendwann ihre verständnisvolle Art im Umgang mit anderen Menschen dem Zeitdruck opfern müssen.

Doch :( Ich glaube das wird sie eines Tages zumindest anpassen müssen.

 

Hallo leonie,

wirklich eine in ihrer Sentimentalität schöne Geschichte, die mir gut gefallen hat. Allerdings habe ich auch noch ein paar Verbesserungsvorschläge. Einige Detials finde ich in sich noch nicht so stimmig.

Tatsächlich bin ich froh, diese Nacht auf der Station und nicht zu Hause und somit in seiner Nähe verbringen zu müssen.
Nimmt dir sonst unnötig Fluss.
„Werd endlich erwachsen“ – ist so ein typischer Satz um nicht seine eigenen Handlungen durchdenken zu müssen. Sein eigenes Versagen, oder gar die eigene Mitschuld.
"Schuld woran" frage ich mich bei so einer Zuweisung. Allerings störte mich auch das "mit" ein bisschen.
Ich stelle mir vor, dass sie mich auf eine andere, mir fremde Sprache begrüßt und grüße freundlich zurück.
in einer anderen, fremden Sprache
Bekleidet mit diesem gelben Gemeinde-Standard-Nachthemd,
Gemeinde-Standard-Nachthemd nimmt für mein Gefühl ein bisschen die Sensibilität der Sprache.
Mit den fragenden großen Augen, die sich gleich nach dem Komma anschließen ist sie ganzu sicherlich nicht bekleidet, mit den Windeln dann allerdings wieder doch.
Die Augen solltest du also anders platzieren, damit der Bezug zu bekleidet wieder stimmt.
und streichle über ihre wuscheligen, vom liegen zerzausten Haare.
Liegen (vom = von dem; du gebrauchst es also als Hauptwort, deshalb groß)
Sie kann sich nicht austauschen. Nicht ihre Bedürfnisse artikulieren. Eigentlich gar keine zusammenhängende Sätze bilden. Niemand versteht sie.
Eigentlich schade, dass die Prot nicht merkt, dass sie sie versteht. Aber so ist es leider im Leben sehr oft.
Jetzt bist Du schon wieder angepinkelt!
Da es die wörtliche Rede ist, würde ich die Tochter direkter werden lassen in ihrem Vorwurf. Du hast dich ja schon wieder vollgemacht oder ähnlich.

Einen lieben Gruß, sim

 

Wie alt mußt du eigentlich noch werden?

Hi Leonie,

kann mich nur den positiven Kommentaren anschliessen. :)

Was mich sehr gerührt hat, ist dass deine Prot, (du, denke ich) die Sensibilität und das Herz, für das Leid der Kranken nicht verloren hat.

Sicher ist es nicht einfach, einem alten Menschen, mit herunterhängender Windel, mit soviel Herzlichkeit zu begegnen.

Ich will nicht wissen, wieviele andere Pfleger(?) gedacht hätten: "Oh Mann, da kommt die Alte schon wieder."

Auch wenn du die Tochter der alten Frau verstehen kannst, so bin ich doch der Meinung, dass ihr die Herzenswärme fehlt, die deine Prot. besitzt.
Denn die Kranke versteht die Worte und muß sich furchtbar fühlen.
mMn jedesmal ein Sargnagel mehr.

Deine KG läßt mich einmal mehr hoffen, dass mich der Tod irgendwann mit schnellen Schritten holt. (Doch wer wünscht sich das nicht!) :shy:

Eine schöne, ergreifende und liebevolle Geschichte.

liebe Grüße, coleratio

 

Hi Leonie,

noch ein paar Kleinigkeiten:

Manchmal kommt eine Nachricht von einem Geisterfahrer auf der Autobahn, oder die Anmerkung, dass auf Wien`s Strassen keine Störungen zu erwarten sind.

Wiens Straßen. Wien's Straßen wäre eingeenglischt (sehr modern, aber trotzdem nicht richtig).

...und schlucke den Kloß, der sich in meinen Hals gebildet hat, hinunter.

Das darauffolgende "Er hat mich verletzt mit seinen Worten." hört sich so an, als ob es sich auf den Kloß beziehen würde. Vielleicht mit Absätzen trennen...?

...vom Liegen zerzausten Haare.

Die 82-jährige, alte Wange am Ende ist irgendwie doppelt gemoppelt. Oder sollte es die 82 Jahre alte Wange sein?

Mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen. Ich hab selber mal kurze Zeit als Zivi in einem Altenheim gearbeitet, und die Leutchen sind mir ans Herz gewachsen, obwohl ich "nur" Hausmeister war. Erfahrungsgemäß gehen auch manche Schwestern nicht immer nett mit den alten Leuten um (vielleicht auch aus Zeitgründen), daher freut es mich besonders, von solch einer warmen Umsorgung zu lesen.

Inhaltlich hast Du es auf jeden Fall geschafft, die Parallelen zwischen dem Gefühlsleben der Schwester (?) und der alten Dame darzustellen - die direkte Gegenüberstellung in aufeinanderfolgenden Absätzen ist dazu ein sehr gutes Mittel.

Der tiefgreifende Unterschied, dass die Schwester nicht verstanden wird weil "er" sie nicht verstehen WILL und die alte Dame nicht verstanden wird, weil sie sich nicht ausdrücken kann, stellt dabei den Spannungsbogen dar, der das ganze so berührend macht. Hat mir gut gefallen.

Ich wünsche den Heimbewohnern, dass ihnen diese Schwester noch lange in dieser Form erhalten bleibt. :)

Gruß

MisterSeaman

 

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