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Zeit genug
Zeit genug
Als Roland Luckner die Haustür öffnete, schwappte ihm ein muffiger Geruch entgegen. Der verbrauchte Atem eines alten Hauses. Feucht, modrig, widerlich. Roland rümpfte die Nase. Damit würde bald Schluss sein! Bald brauchten er und Silvi nicht mehr in so einer Bruchbude hausen. Bald hieß es: Villa, Kaviar, Champagner! Oh ja! Wenn das Serum erst einmal in Massenproduktion gegangen, der Euro erst einmal ins Rollen gekommen war ...
Roland schloss die Tür hinter sich und ging durch die Diele. Der Holzboden ächzte unter seinen Füßen.
„Silvi?“ rief er. Dabei tastete er nach dem Fläschchen in seiner Jackentasche. „Silvi? Bist du zuhause?“
Roland ging zur Küche und blieb im Türrahmen stehen. Silvia stand vor dem offenen Kühlschrank. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und trank aus einer Flasche Punica. Roland konnte ihren Kehlkopf bei jedem Schluck auf- und abhüpfen sehen.
„Hallo, Schatz!“
Silvia verschluckte sich, prustete etwas Orangensaft in den Kühlschrank und begann zu husten. Dann drehte sie sich um und sah ihrem Mann in die Augen.
„Was machst du denn schon hier?“, fragte sie.
Roland lachte. „Na, das ist ja vielleicht eine Begrüßung!“
Sein Blick strich über Silvias Körper, der mit einem Slip und einem knappen T-Shirt mehr als unzureichend verhüllt war. Auf ihrer Stirn glitzerten Schweißtropfen. Ihre kurzen schwarzen Haare standen feucht und wild vom Kopf ab.
„Sehr appetitlich“, sagte Roland und grinste.
Ein Lächeln schlich auf ihre vollen Lippen. „Entschuldige bitte, Schatz, aber du hast mich erschreckt. Ich war gerade joggen. Ich wollte nur noch schnell einen Schluck trinken, bevor ich unter die Dusche hüpfe.“ Sie runzelte die Stirn und sah auf die Uhr über der Küchentür. „Erst zwei! Warum bist du denn schon hier?“
Rolands Augen begannen zu leuchten. Langsam zog er das Glasfläschchen aus der Jackentasche, reckte es zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe und strahlte Silvia an. „Weißt du, was das ist?“
Silvia starrte auf die gelblich schimmernde Flüssigkeit in dem Fläschchen. „Du hast es geschafft!“, flüsterte sie.
„Ja! Ich habe es geschafft. Das Serum ist fertig. Deshalb bin ich auch schon zuhause. Ich möchte es testen.“
„Und warum machst du das nicht in der Firma?“
Roland blies die Wangen auf und lachte. „Machst du Witze? Nein, ich hab mich krank gemeldet. Die bei Pharmprod wissen doch gar nichts von meinen Versuchen. Glaubst du, die würden einem so kleinen Chemiker-Licht wie mir solche Experimente gestatten? Nein, nein. Das musste alles geheim geschehen. Hier mal zehn Minuten, da mal eine halbe Stunde. Aber jetzt ist es fertig! Und wenn ich meine Forschungsergebnisse erst einmal veröffentlicht habe, dann kann mich Pharmprod und die gesamte Medikamentenherstellung für eine sehr lange Zeit am Arsch lecken!“
Roland eilte auf Silvia zu, wollte sie umarmen, küssen, seinen Erfolg feiern. Doch sie kreuzte die Arme vor der Brust und machte einen Schritt zur Seite. „Bitte nicht, Roland! Ich fühle mich noch so klebrig. Wenn ich geduscht bin, ja?“ Dann sah sie wieder auf das Fläschchen. „Wie willst du es denn testen?“
Roland grinste und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Brust.
„An dir selbst?“, fragte Silvia. „Ist das nicht zu gefährlich?“
Roland zuckte mit den Schultern und strich sich mit der Hand durch den Vollbart. „Ich habe das Zeug jahrelang entwickelt, Silvi. Da kann gar nichts passieren. Vertrau mir. Und außerdem: Für Ruhm und Reichtum muss man auch etwas riskieren! Denk nur mal an das, was wir uns bald leisten können! Wir werden reich sein, Silvi!“ Er sah ihr in die Augen und nickte. „Und denk daran: Ich tu es nur für uns!“
Silvia lächelte ihren Mann an. „Naja, wenn du meinst! Und wie ... äh, ich meine ... wann willst du ...?“
„Na, sofort!“
Gemeinsam mit Silvia verließ er die Küche und ging zur Kellertür. Silvia blieb an der Treppe stehen, die nach oben führte. „Ich dusche nur eben noch, dann komme ich runter. Was denkst du denn, wie lange es dauern wird?“
„Ich weiß es nicht. Bei den Labormäusen hat es immer zwischen zwanzig und dreißig Minuten gewirkt. Bei einem Menschen wirkt es wahrscheinlich nicht so lange. Aber eine Viertelstunde schon, denke ich.“
„Fein“, sagte Siliva, „dann hab ich ja Zeit genug. Bis gleich!“ Mit langen Schritten eilte sie Treppe hinauf.
„Ja, bis gleich!“
Weder er noch Silvia sah den Schatten, der oben an der offenen Badezimmertür vorbei huschte ...
Roland stieg die Kellertreppe hinunter. Von Stufe zu Stufe wurde der muffige Geruch durchdringender. So, als hätte sich ein Tier mit letzter Kraft in ein dunkles Eck geschleppt, um dort zu verenden und anschließend vor sich hin zu verwesen. Fürchterlich!
„Bald wird alles anders!“
Roland öffnete die Holztür zu seinem Privatlabor. Auf selbstgezimmerten Tischen standen unzählige Kolben, Bunsenbrenner, Reagenzgläser mit und ohne Pülverchen. Aus zwei schmutzigen Neonröhren sickerte fahles Licht.
„Und bald kann ich mir auch ein neues Labor einrichten. Nicht diese Westentaschen-Version eines Jugend-forscht-Labors für Mittellose.“
Roland ging zu einem Glasschränkchen, das ein wenig schief an der Wand hing. Er öffnete es, nahm eine Einwegspritze heraus und ging, ohne den Schrank wieder zu schließen, zu einem speckigen Blümchen-Sofa auf der anderen Seite des Labors. Die Federn quiekten, als sich Roland hineinplumpsen ließ. Er riss die Spritze aus der Verpackung, entkorkte das Fläschchen mit der gelblichen Flüssigkeit und zog die Spritze mit dem Serum auf. Das leere Fläschchen ließ er einfach aus den Fingern gleiten. Dann öffnete er die beiden unteren Knöpfe seines Hemdes und stach sich ohne Zögern die Spritze in den Bauch.
Roland legte sich auf das Sofa und wartete. Es dauerte nicht lange, da überliefen behagliche Schauer seinen Körper. Wohlige Wärme durchflutete ihn.
Mein Gott, ist das schön!
Mit einem lauten Ratschen zerriss die Luft und über dem Sofa gähnte ein tiefes Loch wie ein zahnloses Maul. Dort, wo nichts hätte sein dürfen, klaffte ein Abgrund im Gewebe des Seins. Ein halber Meter Durchmesser. Ausgefranste Ränder. Und dahinter wirbelten grelle Farben. Farben und Licht!
Oh mein Gott! Es geht los!
Roland schielte auf seine Armbanduhr. Vierzehn Uhr, elf Minuten, neun Sekunden.
Der Schlund riss immer weiter auf. Weiter, weiter und noch weiter. Ein unsichtbarer Sog begann an Roland zu zerren, zu rütteln und zu reißen. Er klammerte sich am Sofa fest. Hätte er vielleicht doch nicht ...?
Der Sog wurde immer stärker, immer gewaltiger. Roland kämpfte dagegen an, doch er hatte keine Chance. Mit einem letzten Ruck riss der Sog an Rolands Bewusstsein. Heraus aus dem Körper und hinein in das Loch, das sich blitzschnell und lautlos wieder schloss.
Rauschen, ohrenbetäubendes Rauschen ...
Verdammt! Wo bin ich?
Wellentäler, Wellengipfel, hoch, runter ...
Was geht hier vor?
Licht. Grelles Licht. Durchdringendes Rauschen ...
Was ist nur los mit mir?
Tanzende Spiralen aus Licht und Farbe. Millionenfach. Und immer wieder dieses Rauschen ...
Ich hätte es doch nicht tun sollen!
Und plötzlich wieder ein Loch. Vor ihm. Und er trieb genau darauf zu ...
Was zum Teufel ist das?
„Sie behaupten also, dass der ...au ein ...fall war.“
Von einem Augenblick auf den anderen waren die Farben und das Rauschen verschwunden. Stattdessen drangen einzelne Satzfetzen an Rolands Ohr. Benommen sah er sich um. Wo war er? Der Keller, das Labor, das Sofa waren verschwunden! Dafür sah er einen winzigen, kahlen Raum mit widerlich hellgrünen Wänden. Roland machte zwei, drei Schritte, doch seine Füße erzeugten keinerlei Geräusch auf dem PVC-Boden.
Roland drehte sich um. Dorthin, woher die Stimmen kamen. Außer ihm waren noch zwei Personen im Raum.
Ein großer, hagerer Mann in Uniform
(Ist das ein Polizist?)
wanderte von einer Wand zur anderen, blieb ab und zu stehen, musterte den zweiten, lief weiter. Der zweite Mann wandte Roland den Rücken zu. Er kauerte zusammengesunken auf einem einfachen Holzstuhl. Der schwarze Vollbart und das schütter werdende Haar kamen Roland vertraut vor.
Keiner der beiden schien Roland wahrzunehmen. Trotzdem bewegte er sich auf Zehenspitzen, als er um den Stuhl herumschlich. Dann endlich sah er den Mann – und erstarrte. Direkt vor seiner Nase, auf diesem furchtbar unbequem aussehenden Stuhl, zu einem Häufchen Elend zusammengesackt, saß – er selbst.
Oh Gott! Ich werde verrückt! Es hat geklappt! Es hat tatsächlich geklappt! Das Serum wirkt! Ich bin ein Held, ein Gott, ein ...
„... nicht, wie das mit diesem geheimnisvollen Serum zusammenhängt.“ Der Uniformierte war hinter dem Stuhl stehen geblieben. Mit kalten Augen musterte er den Luckner auf dem Stuhl. „Erzählen Sie mir mal, wie das Zeug wirken soll!“
Luckner straffte den Rücken und sah den Uniformierten an. Und dann erzählte er. „Nun, ich habe den Wirkstoff der Lophophora Williamsii exakt analysiert und ...“
„Hören Sie“, unterbrach der Uniformierte. „Ersparen Sie mir diesen Wissenschafts-Scheiß. Erklären Sie’s so, dass ich’s verstehe.“
Irgendwie gefällt mir das gar nicht! Was geht hier vor?
„Bitte, wie Sie wollen. Das Serum hat eine ähnliche Wirkungsweise wie Meskalin, ist aber rein künstlich. Mir ist es gelungen, das Präparat so zu verändern, dass es keine negativen körperlichen Nebenwirkungen hat. Es macht nicht süchtig. Keine Schweißausbrüche. Keine Übelkeit. Wie Sie vielleicht wissen, ist das Grundproblem bei Meskalin, dass man zuerst den Kater hat und dann den Rausch. Mir ist es gelungen, das Vieh quasi zu ertränken.“
Der Uniformierte kratzte sich am Kopf, trat vor den Stuhl und sah Luckner in die Augen. „Und was soll der Sinn davon sein?“
Warum interessiert sich ein Polizist für mein Serum? Warum kein Wissenschaftler? Warum kein Chemiker? Warum kein Arzt?
Luckner ruckelte ein bisschen auf seinem Stuhl hin und her. Dann huschte ein zaghaftes, freudloses Lächeln über seine Lippen. „Sehen Sie, ich war schon immer der Meinung, dass der menschliche Geist zu mehr fähig ist, als man ihm gemeinhin zutraut. Seit frühester Jugend interessiere ich mich für Wahrsager, Propheten, das Phänomen von Déjà-vus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen wie Nostradamus keine Scharlatane waren. Nein! Ihnen ist es tatsächlich gelungen, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Sie sind mit ihrem Bewusstsein in die Zukunft gereist, haben sich dort umgesehen und ihre Beobachtungen dann niedergeschrieben."
Der Uniformierte machte eine wegwerfende Handbewegung. „Von mir aus. Aber was hat das mit Ihrem Serum zu tun?“
Was zum Geier ist das hier? Eine wissenschaftliche Diskussion oder ein Verhör? Verdammt, was geht hier vor?
„Dieses Serum ermöglicht es dem Bewusstsein, für kurze Zeit die Fähigkeit eines mental Begabten zu erreichen, sich in höhere Sphären zu begeben und temporäre Schranken zu überwinden.“
Der Polizist lachte auf. „Verstehe ich Sie richtig? Sie haben eine Art Zeitmaschine erfunden?“
„Unfug! Keine Zeitmaschine. Man kann nicht körperlich in die Zukunft reisen und dort agieren. Nein. Während Ihr Körper die Treppe der Zeit hinaufsteigt, nimmt Ihr Bewusstsein in der Zwischenzeit den Aufzug. Sie fahren ein paar Stockwerke hinauf, sehen sich um und fahren dann zurück zu der Etage, in der sich Ihr Körper gerade befindet. Sie können den Aufzug aber nicht verlassen. Sie können nur beobachten! Zeit ist nichts anderes als ein großes Treppenhaus, wenn dieser Vergleich gestattet ist.“
Mit stechendem Blick sah der Uniformierte Luckner an. „Der Vergleich ist gestattet. Was aber nicht gestattet ist, ist Mord! Also, was hat dieses Serum damit zu tun, dass Sie nach der Rückkehr von dieser angeblichen Zeitreise Ihre Frau ermordet haben?“
WAAASSS!?
Luckner sank wieder in sich zusammen. „Ich ... ich habe meine Frau nicht ... ermordet. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Da war dieser Kerl, dieser ... dieser ... Rene Ritter ...“
Oh Gott! Silvia! Ich muss zurück!
„... der hat ... der hat ... sie ... ach, verdammt. Er hat mir das Liebste genommen, was ich auf der Welt hatte! Dieses ... dieses Schwein ...“
Ich muss zurück! Ich muss es verhindern! Ich muss sie retten!
Luckner hatte den Blick zu Boden gerichtet und knetete seine Hände. „Dieses Schwein ... hat einfach ... er hat einfach ... meine Silvia ... Oh Gott!“ Er schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. „Oh Gott! Silvia! Warum ...?“
Ich muss raus hier! Ich muss ihr helfen.
Grelles Rauschen ... grelles Licht ... grelle Farben.
Dieser Scheißkerl darf sie nicht umbringen! Das darf er einfach nicht!
Spiralen aus Licht ... Spiralen aus Farben ... und ohrenbetäubendes Rauschen.
Ich muss zurück, verdammt! ICH MUSS ZURÜCK!!!
Rauschen ... Geruch ... nach Keller und Chemikalien.
Roland blinzelte. Dann setzte er sich auf. Wieder reagierten die Sofafedern mit einem Quieken. Er war zurück. Automatisch sah er auf seine Armbanduhr. Vierzehn Uhr, elf Minuten, elf Sekunden. Er war gerade mal zwei Sekunden weg gewesen. Konnte das sein? Hatte er das alles tatsächlich erlebt?
Roland stand auf. Ein ziehender Schmerz raste durch seinen Kopf. Vielleicht stimmte das, was er dem Polizisten über den ertränkten Kater erzählt hatte (noch erzählen würde?), ja doch nicht.
Der Polizist?
Oh Gott! Silvia!
Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Das Verhör, der fremde Kerl, der seine Frau umgebracht hatte. Und Roland, der dafür verhaftet worden war.
Nein, falsch! Nicht: umgebracht hatte! Umbringen wird! Du warst nur zwei Sekunden weg! Du hast genug Zeit, Silvia zu retten! Also los, mach schon!
Roland hastete aus dem Labor, durch den Kellergang, die Kellertreppen hinauf. Immer drei Stufen auf einmal! Schnell, nur schnell! Im Erdgeschoss blieb er schnaufend stehen. Was sollte er jetzt tun? Er hatte keine Waffe im Haus, nichts, womit er sich verteidigen oder gar jemanden angreifen könnte.
Hektisch sah er sich um.
Da! Die Küche!
Er stürmte hinein, zerrte eine große Schublade auf und fummelte mit zittrigen Fingern ein riesiges WMF-Messer hervor. Prüfend zog er den Daumen quer über die Klinge. Scharf! Sehr scharf! Ausgezeichnet.
So, was jetzt?
Silvia wollte duschen. Also nach oben!
Roland raste die Treppe hinauf. Wieder drei Stufen auf einmal. Oben blieb er stehen und lauschte. Nichts! Kein Wasserplätschern, keine Schritte. Totenstille! Sollte er doch zu spät ...?
Roland schob den Gedanken beiseite. Und plötzlich hörte er etwas! Schritte. Schritte im Schlafzimmer. Er hastete zur Schlafzimmertür und riss sie auf. Schweiß stand auf seiner Stirn.
„Silvia, du musst ...“
Roland erstarrte. Vor ihm stand ein völlig Fremder. Groß, braungebrannt, muskulös. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er Roland an.
Sofort hob Roland das Messer. Das Licht der Sonne, das durch das offene Schlafzimmerfenster fiel, ließ die Klinge bedrohlich blitzen.
„Wer sind Sie?“, fragte Roland, obwohl er die Antwort schon kannte. „Was tun Sie hier?“ Roland fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum, als würde er ein tausendköpfiges Orchester dirigieren. „Was haben Sie mit meiner Frau gemacht? Los, reden Sie!“ Seine Stimme überschlug sich fast.
Der Fremde schluckte. „Seien Sie doch ...“, begann er. Dann leckte er sich die Lippen und setzte noch einmal an. „Seien Sie doch vorsichtig mit dem Ding.“
„Ich will wissen, wie Sie heißen!“, kreischte Roland.
„Rene Ritter. Und jetzt legen Sie das Ding weg. Bitte!“
Das war er! Das war der Kerl, der Silvia umgebracht hatte oder noch umbringen wollte oder wie auch immer. „Was tun Sie hier?“
Ritter hob die Hände. „Legen Sie doch erst mal ...“
Plötzlich hielt er inne. Roland bemerkte, wie Ritters Blick zu Seite glitt und auf etwas – oder jemanden? – hinter Roland fiel.
„Pass auf!“ rief Ritter. „Der Kerl ist total durchgedreht!“
Oh, verflucht! Ein Komplize!!!
Ohne das Messer zu senken, kreiselte Roland herum. Tatsächlich! Hinter ihm stand noch jemand! Und zwar verdammt nah! Noch bevor er reagieren konnte, spürte er, wie die Klinge am Hals des Komplizen entlang glitt und sich durch Haut und Fleisch fraß wie durch warme Butter. Dann hörte er einen schrillen Schrei und fühlte, wie ihm eine warme, klebrige Flüssigkeit in die Augen, in den Mund, über das Gesicht spritzte.
Der Schrei schien gar nicht enden zu wollen. Aber irgendwann endete er doch. In einem schaumigen, vorwurfsvollen Gurgeln.
Mit ungläubigem Entsetzen starrte Roland Silvia an. Nackt stand sie vor ihm. Quer über den Hals klaffte ein grinsendes Maul. Aus wässrigen Augen sah Silvia an Roland vorbei.
„Ich ... ich ...“, blubberte sie, „... ich ... liebe dich ... Rene!“ Dann brach sie zusammen.
„Ritters Aussage zufolge sind Sie einfach zu früh nach Hause gekommen. Ihre Frau hat noch ihren Geliebten da, will ihn unauffällig an Ihnen vorbei lotsen, weil sie denkt, Sie hätten im Keller zu tun. Aber Sie kommen ihr auf die Schliche und rasten aus. War es nicht so?“
Seit einer Stunde saß Roland nun schon auf einem unbequemen Holzstuhl und musste dieses demütigende Verhör über sich ergehen lassen. Wenigstens hatten sie ihm endlich die Handschellen abgenommen.
„Ich habe meine Frau nicht ermordet!“, sagte er. „Das war ein Versehen! Glauben Sie mir doch. Sehen Sie, dieses Serum ... ich ... ich war einfach in Panik!“
„Sie behaupten also, dass der Tod Ihrer Frau ein Unfall war“, sagte der Uniformierte. Dann wanderte er von einer Wand zu anderen, blieb stehen, starrte zu Roland, lief weiter. „Ich verstehe nur nicht, wie das mit diesem geheimnisvollen Serum zusammenhängt.“ Der Uniformierte war hinter dem Stuhl stehen geblieben. Mit kalten Augen musterte er Roland. „Erzählen Sie mir mal, wie das Zeug wirken soll.“
Roland straffte seinen Rücken und sah den Uniformierten an. Und dann erzählte er.